European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00001.24Y.0318.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.884,02 EUR (darin 480,67 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger und die Beklagte, eine gemeinnützige Bauvereinigung im Sinn des WGG, beabsichtigten den Abschluss eines Mietvertrags über eine Wohnung.
[2] Nach der Besichtigung der Wohnung besprachen der Kläger und eine Mitarbeiterin der Beklagten auch den Preis für die nachträgliche Übertragung der Wohnung in das Eigentum des Klägers. Die Mitarbeiterin der Beklagten teilte dem Kläger mit, dass die Miete auf den Preis angerechnet werde; dass die Grundkosten direkt beim Abschluss des Mietvertrags zu begleichen seien; dass das zur Finanzierung der Baukosten aufgenommene Darlehen, das mit einem Teil der monatlichen Miete getilgt werde, ohne Zinsen zu übernehmen sei; dass die Annuitätenzuschüsse des Landes Steiermark zu übernehmen seien, auch jene der Vormieterin; und dass 2 % der Herstellungskosten an die Beklagte zu zahlen seien, damit sie kostendeckend arbeiten könne. Die genaue Höhe des Preises konnte die Mitarbeiterin der Beklagten dem Kläger nicht nennen. Sie händigte ihm einen Prospekt aus, der auszugsweise lautete:
„Mietkauf-Leitfaden
Fragen und Antworten
Die gesetzliche Grundlage ist im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz geregelt (§ 15 WGG). […]
Wie hoch ist der Kaufpreis?
Die Basis für den Kaufpreis bilden die Herstellungskosten (dh. Grund- und Baukosten) der Wohnung. Es erfolgt keine Schätzung der Wohnung durch einen Sachverständigen. Auf jeden Fall sind sämtliche mit der Wohnung verbundenen Verbindlichkeiten gegenüber der Bank und dem Land Steiermark vom bisherigen Mieter (nun Käufer) zu übernehmen. Die Grundkosten wurden durch den anfangs zu leistenden Finanzierungsbeitrag beglichen, die Baukosten dagegen werden mittels des monatlichen Benützungsentgeltes finanziert und anteilig getilgt.
KAUFPREIS:
Herstellungskosten (Grund- und Baukosten)
– Anzahlung
– Tilgung des Kapitalmarktdarlehens (ohne Zinsen)
+ anteilige Rücklage gemäß § 31 WEG 2002
+ erhaltene Förderung durch das Land Steiermark
+ anteilige Kosten für Nutzwertgutachten
= Kaufpreis […]“
[3] Der am 18. 6. 2009 abgeschlossene Mietvertrag enthielt die folgende Bestimmung:
„16. Antrag auf nachträgliche Übertragung in das Wohnungseigentum:
a) Der Mieter ist in Kenntnis der gesetzlichen Antragsberechtigung auf nachträgliche Übertragung in das Wohnungseigentum nach Maßgabe der §§ 15b ff WGG. Die Ausübung dieses Rechts liegt im freien Ermessen des Mieters. Der Mieter ist dann Käufer und wird in diesem Vertragspunkt auch als solcher bezeichnet.
b) Bei Ausübung dieses Rechts errechnet sich der Preis gemäß § 15d WGG sowie unter Bedachtnahme der förderungsrechtlichen Bestimmungen des Landes Steiermark. Als Berechnungsbasis für den Kaufpreis werden die Bau- und Grundkosten der Wohnung herangezogen. In jedem Fall sind aber vom Käufer alle Verpflichtungen der E* [Beklagte, Anm.] (insbesondere alle aushaftenden Darlehen und die damit verbundenen Annuitätenzahlungen), welche sich aus der in Punkt 4. angeführten Finanzierung errechnen, anteilig zu übernehmen, und zwar auch solche, die den Verkehrswert übersteigen.
c) Ferner sind vom Käufer alle zusätzlichen Kosten anteilig zu tragen, die mit der Ausübung dieses Rechts verbunden sind.“
[4] Am 26. 6. 2009 zahlte der Kläger der Beklagten die anteiligen Grundkosten.
[5] Der Kläger begehrte von der Beklagten die Übertragung des Wohnungseigentums gegen Übernahme der auf der Wohnung lastenden Verbindlichkeiten (die er im Einzelnen richtig bezifferte) und gegen Zahlung der anteiligen Rücklage gemäß § 31 WEG, von 2 % der anteiligen Herstellungskosten samt der anteiligen Kosten des Nutzwertgutachtens (die er ebenfalls im Einzelnen richtig bezifferte) sowie der Zusatz-, Nebenkosten und Gebühren. Er stützte sich auf die Kaufpreisberechnung im Mietkauf-Leitfaden und Punkt 16. des Mietvertrags, die er als Willenserklärungen auslegte.
[6] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs – diese Einrede wurde bereits rechtskräftig verworfen – und hilfsweise die Abweisung des Klagebegehrens. Der Mietkauf-Leitfaden und Punkt 16. des Mietvertrags enthielten nur Wissenserklärungen über die damals gültige Rechtslage zur Preisbildung bei einer nachträglichen Übertragung in das Wohnungseigentum und keine Willenserklärungen über die Höhe des Fixpreises. Nach § 15d Abs 1 iVm § 23 Abs 4c WGG idF BGBl I 157/2015 sei der Fixpreis in der Bandbreite zwischen dem Buchwert und dem Verkehrswert festzusetzen. Diese Bestimmung greife in alle Rechtsgeschäfte ein.
[7] Das Erstgericht teilte die Ansicht der Beklagten und wies das Klagebegehren ab.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und dem Klagebegehren statt. Aufgrund des Inhalts des Mietkauf‑Leitfadens, den die Mitarbeiterin der Beklagten dem Kläger ausgehändigt habe, und der diesem entsprechenden Erklärung des späteren Kaufpreises habe die Beklagte dem Kläger den Eindruck vermittelt, eine die Rechtslage gestaltende Erklärung über die Preisbildung abgeben zu wollen. Punkt 16. des Mietvertrags widerspreche dieser Auslegung nicht. Auch § 15d Abs 1 iVm § 23 Abs 4c WGG idF BGBl I 157/2015 stehe ihr nicht entgegen, weil das Günstigkeitsprinzip des § 21 Abs 1 Z 1 WGG für den Kläger günstigere Vereinbarungen erlaube.
[9] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage, inwieweit konkrete Vertragsgespräche im Rahmen des Abschlusses von Mietkaufverträgen zwischen Mietkauf-Interessenten und einer gemeinnützigen Bauvereinigung über den später bei der Ausübung der Kaufoption zu zahlenden Fixpreis bei gleichzeitiger Aushändigung eines die erläuterte Berechnungsmethode darstellenden Dokuments (des Mietkauf-Leitfadens) dazu führen, dass diese Berechnungsmethode Vertragsinhalt wird, vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sei und auch für weitere derzeit beim Berufungsgericht anhängige Verfahren (bei im Wesentlichen identen Sachverhalten) relevant sei.
[10] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Berufungsurteil als nichtig aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, und hilfsweise mit dem Antrag, das Berufungsurteil zu ändern und das Ersturteil wiederherzustellen.
[11] Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) aufzeigt:
[13] 1. Die von der Beklagten behaupteteNichtigkeit des Berufungsurteils nach §§ 477 Abs 1 Z 1, 503 Z 1 ZPO liegt nicht vor, weil das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz die in der Revision erklärte Ablehnung eines Mitglieds des Berufungssenats rechtskräftig „abgewiesen“ hat.
[14] 2. Die vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung angesprochene Frage, die in der Revision wiederholt wird, erreicht nicht die in § 502 Abs 1 ZPO geforderte Qualität:
[15] 2.1. Ob das Berufungsgericht einen Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt hat, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042776 [T6, T31]; RS0042936; RS0112106). Das gilt selbst dann, wenn auch die vom Revisionswerber angestrebte Auslegung vertretbar wäre (RS0042936 [T17]; 5 Ob 122/14y). Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist also keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042776 [T2]).
[16] 2.2. Zur Auslegung von Erklärungen im Zuge von Vertragsgesprächen hat der Oberste Gerichtshof ausführliche Leitlinien entwickelt: Sind sich die Parteien inhaltlich einig, gilt ihr übereinstimmender Wille unabhängig davon, wie sie ihn ausgedrückt haben; es liegt ein „natürlicher Konsens“ vor (RS0014005; RS0017741; RS0017811; RS0017839). Ist das nicht der Fall, kommt es nach der Lehre vom „objektiven Empfängerhorizont“ (vgl RS0014160 [T37]; RS0113932 [T8]) darauf an, wie ein redlicher und verständiger Mensch die Erklärung bei einer objektiven Beurteilung der Sachlage nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der ihm erkennbaren Umstände im Einzelfall verstehen konnte (RS0014205 [T20]; RS0028642 [T4]; RS0053866 [T2]; RS0113932; RS0125400). Nach den Grundsätzen des § 914 ABGB ist bei der Auslegung einer Erklärung zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen. Letztlich ist die Erklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0017797; RS0017915; RS0044358). In jedem Fall ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen, vor allem auf den Geschäftszweck und die Interessenlage (RS0113932; vgl RS0014205 [T21, T24]; RS0042555).
[17] 2.3. Die Auslegung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht bloß eine Wissenserklärung über die damals geltende Rechtslage zur nachträglichen Übertragung des Wohnungseigentums nach dem WGG abgegeben, sondern dem Kläger die Preisbildung nach dem im Mietkauf-Leitfaden beschriebenen Modell zugesagt, bewegt sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Sie ist insbesondere deshalb vertretbar, weil feststeht, dass die Mitarbeiterin der Beklagten dem Kläger den Mietkauf-Leitfaden im Zuge konkreter Gespräche über die Preisbildung übergeben hat und ihm die Preisbildung im Wesentlichen wie im Mietkauf‑Leitfaden beschrieben erklärt hat. Dies ohne jede Einschränkung, etwa durch einen Hinweis, dass der Mietkauf‑Leitfaden und ihre Erklärungen nur die geltende Rechtslage wiedergäben, die sich auch ändern könne. Auch die Ansicht, Punkt 16. des Mietvertrags stehe damit nicht in Widerspruch, ist ohne weiteres vertretbar. Dass, wie die Beklagte in der Revision ausführlich argumentiert, eine andere Auslegung möglich wäre, begründet keine erhebliche Rechtsfrage.
[18] 3. Auch mit dem Verweis darauf, dass nach § 15d Abs 1 WGG bei der Vereinbarung eines Fixpreises für eine nachträgliche Übertragung in das Wohnungseigentum auf § 23 Abs 4c WGG Bedacht zu nehmen sei, zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[19] 3.1. Nach der klaren gesetzlichen Regelung (§ 21 Abs 1 Z 1 WGG) und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0083301 [T4]; 5 Ob 64/14v) sind die Entgeltbildungsregeln der §§ 13 bis 15, 15b bis 20 und 22 WGG (nur) einseitig zwingendes Zivilrecht. Unwirksam sind Vereinbarungen, die zum Nachteil des Wohnungswerbers von den gesetzlichen Vorgaben abweichen. Abweichungen zum Vorteil des Wohnungswerbers sind dagegen zivilrechtlich wirksam (RS0083301 [T5, T6]; 5 Ob 64/14v Pkt 2.1).
[20] 3.2. Auch zu § 23 Abs 4c WGG gibt es bereits eine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung: Demnach handelt es sich um eine gebarungsrechtliche Bestimmung aus dem öffentlich‑rechtlichen Teil des WGG, die zivilrechtlich für den Wohnungswerber erst dann bedeutsam wird, wenn der ihm angebotene Fixpreis gemäß § 18 Abs 3a und 3b WGG offenkundig unangemessen ist (5 Ob 35/22s Rz 6; 5 Ob 54/16a; 5 Ob 203/11f; 5 Ob 27/22i). Der zivilrechtlichen Wirksamkeit einer für ihn günstigeren Preisbildungsvereinbarung steht sie nicht entgegen.
[21] 3.3. Vor diesem Hintergrund konnte offenbleiben, ob die vertragliche Preisbildungsvereinbarung, die der Kläger bewiesen hat, von § 15d Abs 1 iVm § 23 Abs 4c WGG abweicht. Bereits die Klage zeigt, dass eine allfällige Abweichung vom Gesetz für den Kläger günstig wäre und die Vereinbarung damit jedenfalls wirksam ist.
[22] 4. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass auch für einen Optionsvertrag die Umstandsklausel (clausula rebus sic stantibus) gilt (RS0019195; RS0018775). Die Beklagte hat aber im Verfahren erster Instanz keine Tatsachen vorgebracht, die den rechtlichen Schluss zuließen, sie könne sich auf die Umstandsklausel berufen. Auch insofern stellt sich daher keine erhebliche Rechtsfrage.
[23] 5. Dasselbe gilt für das Argument der Beklagten, der Kläger habe ein mit 15. 5. 2022 befristetes Anbot zur nachträglichen Übertragung des Wohnungseigentums nicht angenommen: Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gibt eine Option einer Partei das Recht, ein inhaltlich festgelegtes Schuldverhältnis durch eine einseitige Erklärung in Geltung zu setzen (RS0017078 [T2]; RS0019191 [T3]; RS0115633). Das ist ein Gestaltungsrecht; seine Ausübung begründet schon unmittelbar die vertraglichen Pflichten (RS0115633). Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe ein solches Gestaltungsrecht ausgeübt, sodass es nicht auf ein Anbot der Beklagten ankomme, bleibt im Rahmen dieser Rechtsprechung.
[24] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[25] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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