European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00232.23F.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur an Hand des konkreten Vorbringens im Einzelfall geprüft werden, weshalb in der Regel – vom hier nicht vorliegenden Fall auffallender Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vorliegt (RS0037780; RS0042828; RS0116144).
[2] 1.2. Wenngleich grundsätzlich jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen ziffernmäßig bestimmt und individualisiert sein muss (vgl RS0031014 [T29]), sieht es die ständige Rechtsprechung in Fällen, in denen sich ein Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammensetzte, die während eines längeren Zeitraums aufgelaufen sind, als Überspannung des Gebots einer Präzisierung des Vorbringens an, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern (RS0037907). Nicht nur ein einheitlicher Anspruch (vgl dazu RS0037907 [T9]), sondern auch gleichartige Ansprüche können zu einem einheitlichen Begehren zusammengefasst werden, sodass etwa bei Geldleistungsansprüchen nur mehr die Gesamtsumme im Klagebegehren aufscheint (RS0037907 [T1]). Dabei wird wesentlich auf das Kriterium der Zumutbarkeit einer Aufgliederung abgestellt (vgl RS0037907 [T13]; vgl auch 1 Ob 94/20k).
[3] 1.3. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist es daher vertretbar, wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass es unzumutbar sei, vom spielsüchtigen (wettsüchtigen) Klägerdie Aufschlüsselung jeder einzelnen klagsgegenständlichen Wette zu fordern und die Konkretisierung des Anspruchs nach dem Zeitraum des wiederholten Wettgeschehens und dem Gesamtverlust als hinreichend schlüssig ansahen (vgl auch 4 Ob 199/16t).
[4] Erhebliche Rechtsfragen stellen sich angesichts der sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung haltenden Entscheidungen der Vorinstanzen hier nicht.
[5] 2.1. Auch die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls (RS0117658).
[6] 2.2. Die Vorinstanzen bejahten die Geschäftsunfähigkeit des Klägers, der bei Sportwetten bei der beklagten Online‑Sportwettenveranstalterin innerhalb eines Zeitraums von nur acht Monaten – bei einzelnen Wetteinsätzen von bis zu 147.000 EUR – mindestens den Klagsbetrag verloren hatte, weil er nach den Feststellungen zusammengefasst spielsüchtig war und es ihm nicht möglich war, seinem Suchtverhalten noch vor dessen Beginn entgegenzusteuern; wenn er zu wetten begonnen hatte, war ein kontrollierter dosierter Umgang damit nicht mehr möglich, es gab kaum ein Vorher und Nachher und er befand sich in einem permanenten Zustand des Glücksspiels, zumal es ihm auch nicht bewusst war, dass er eine Abhängigkeitserkrankung aufwies. Mag auch die Fähigkeit, einzelne Wettabschlüsse und deren Folgen verstandesmäßig zu erfassen, vorhanden gewesen sein, hat er durch eine geistige Störung zumindest im Klagszeitraum nicht dieser Einsicht gemäß auch disponieren können.
[7] Daraus schlossen die Vorinstanzen, die Willensfreiheit des Klägers in Bezug auf die hier konkreten Rechtsgeschäfte in Form einzelner Wetten sei völlig aufgehoben und nicht bloß tangiert gewesen.
[8] 2.3. Auch dies hält sich im Rahmen des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums. Die Revision setzt dem unter Hervorhebung bestimmter einzelner und Nichtbeachtung anderer Feststellungen und ihres Zusammenhangs im Kern bloß entgegen, dass aus der Diagnose Spiel‑ oder Wettsucht nicht automatisch auf Geschäftsunfähigkeit geschlossen werden dürfe. Dies trifft zwar zu und wurde von den Vorinstanzen auch erwogen, jedoch haben sie aus den Feststellungen im Einzelfall vertretbar und nicht korrekturbedürftig gefolgert, dass beim Kläger die Fähigkeit, einsichtsgemäß zu handeln, aufgehoben war.
[9] Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO stellen sich auch in diesem Zusammenhang nicht.
[10] 3. Soweit die Beklagte eine Mangelhaftigkeit des Berufungsurteils darin erblickt, sich nicht mit den in der Berufung dargelegten Einwänden gegen die Beurteilung partieller Geschäftsfähigkeit auseinandergesetzt zu haben, verkennt sie den Gehalt des § 496 ZPO.
[11] 3.1. Erfolgt die Aufhebung einer erstgerichtlichen Entscheidung wegen des Vorliegens von Feststellungsmängeln nur zu einem ganz bestimmten, vom Feststellungsmangel betroffenen Teil des erstrichterlichen Verfahrens und Urteils (§ 496 Abs 2 zweiter Fall ZPO), so ist das Verfahren im folgenden Rechtsgang auf diesen von der Aufhebung ausdrücklich betroffenen Teil des Verfahrens und Urteils zu beschränken (RS0042411). Die Beantwortung jener Fragen, die vom Rechtsmittelgericht, das die Aufhebung verfügt hat (hier im Beschluss des Berufungsgerichts vom 5. 6. 2023, ON 61), auf der Grundlage des gegebenen Sachverhalts bereits abschließend entschieden wurden, können aufgrund neuer Tatsachen nicht mehr in Zweifel gezogen werden; solcherart abschließend erledigte Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren somit nicht mehr aufgerollt werden (vgl RS0042031).
[12] 3.3. Das Berufungsgericht muss sich somit mit einer von ihm bereits beantworteten Rechtsfrage im Fall der Aufhebung nach § 496 Abs 2 zweiter Fall ZPO aus anderen Gründen nicht noch einmal mit dieser Rechtsfrage befassen. Worin ein Mangel des Berufungsverfahrens liegen soll, ist damit nicht erkennbar.
[13] 3.4. Will die durch einen auf diese Weise – für die Vorinstanzen – endgültig erledigten Streitpunkt in einem Aufhebungsbeschluss belastete Partei die darüber ergangene Entscheidung im fortgesetzten Verfahren bekämpfen und letztlich auch an das Höchstgericht herantragen, so hat sie den entsprechenden Einwand im weiteren Rechtsmittelverfahren auch durchgängig aufrechtzuerhalten (RS0131587).
[14] Dies hat die Beklagte ohnehin getan, sodass die Lösung der Frage der Geschäftsfähigkeit des Klägers vom Obersten Gerichtshof hätte aufgegriffen werden können, wenn die Revision erhebliche Rechtsfragen aufgezeigt hätte, was jedoch nicht gelang (siehe oben Pkt 2).
[15] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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