OGH 9Ob6/24h

OGH9Ob6/24h14.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stiefsohn in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Dr. Alexander Amann LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin-Bendern, Fürstentum Liechtenstein, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 2.375 EUR und Feststellung (Streitwert: 4.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2023, GZ 22 R 198/23h‑31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 15. Juni 2023, GZ 13 C 630/22f‑26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00006.24H.0214.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

I. Die Revision wird zurückgewiesen.

II. Der mit dem Zwischenurteil verknüpfte Aufhebungsbeschluss gilt als nicht beigesetzt.

III. Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 25. 9. 2018 einen erstmals am 4. 6. 2012 zum Verkehr zugelassenen VW Sharan mit einem Kilometerstand von 178.500 um 9.500 EUR. Dieses Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Am 26. 1. 2017 war ein Software-Update durchgeführt worden. Bereits vor dem Kauf hatte der Kläger durch die Medien vom Diesel-Abgasskandal erfahren. Er hatte sich vor dem Kauf nicht erkundigt, welcher Motor im Fahrzeug verbaut ist und er hätte das Fahrzeug wahrscheinlich auch gekauft, wenn er gewusst hätte, dass dieser Motor darin verbaut ist, allerdings zu einem wesentlich verminderten Preis.

[2] Mit der am 15. 11. 2022 eingebrachten Klage begehrt der Klägervon der beklagten Fahrzeugherstellerin einen Betrag von 2.375 EUR an deliktischem Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle nachteiligen Folgen der Fahrzeugmanipulation. Der Schaden liege im Minderwert (dem überhöhten Kaufpreis) des Fahrzeugs, das über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge. Die Beklagte hafte für den Schaden aufgrund arglistiger Täuschung gemäß § 874 ABGB. Da der Schaden durch qualifiziert strafbare Handlungen der (im erstinstanzlichen Verfahren näher bezeichneten) Organe und Repräsentanten der Beklagten erfolgt sei, sei dieser gemäß § 1489 Satz 2 ABGB nicht verjährt. Im Übrigen sei für die Beurteilung der Verjährung das Software‑Update wesentlich. Die Beschwichtigungsversuche der Beklagten hätten die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit den Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben. Dem Geschädigten sei vorgegaukelt worden, dass durch das Software‑Update der Schaden behoben sei. Letzteres sei aber nicht der Fall, weil mit dem Software‑Update ein Thermofenster implementiert worden sei, sodass beim Fahrzeug nach wie vor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei. Dies sei aber für den Geschädigten nicht erkennbar gewesen, sodass die Erkennbarkeit der für den Beginn der Verjährung erforderlichen haftungsbegründenden Gesamtumstände auf der Zeitachse nach hinten verschoben worden seien. Letztlich werde dem Verjährungseinwand der Beklagten bis zur wahrheitsgemäßen Offenlegung der vorgenannten Umstände die replicatio doli entgegen gehalten.

[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und wendete Verjährung ein. Der Kläger habe das Fahrzeug trotz Kenntnis der NOx-Thematik im Zusammenhang mit EA189-Motoren gekauft. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung sei die dreijährige Verjährungsfrist daher bereits abgelaufen. Die 30-jährige Verjährungsfrist gemäß § 1489 ABGB komme nicht zur Anwendung, weil das Verhalten der Beklagten nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 146 StGB sei.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren (auch) im zweiten Rechtsgang ab. Der Kläger habe kein schlüssiges Vorbringen zur objektiven und subjektiven Tatseite eines qualifizierten Betrugs erstattet. Da der Kläger spätestens beim Kauf Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt haben müsse, seien allfällige Ansprüche gegenüber der Beklagten verjährt.

[5] Das Berufungsgericht stellte mit dem im zweiten Rechtsgang angefochtenen Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO fest, dass das Leistungs- und Feststellungsbegehren nicht verjährt seien (Spruchpunkt I.). Im Übrigen hob es das Ersturteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück (Spruchpunkt II.). Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht abgelaufen sei. Es sei gerichtsbekannt, dass die Mangelhaftigkeit des Software‑Updates (Thermofensters) erst durch die mediale Publikmachung 2019 Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden habe. Erst mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. 7. 2022 zu C-145/20 sei zudem klargestellt worden, dass eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet sei (wie auch bei dem hier zu beurteilenden Thermofenster behauptet), jedenfalls nicht unter die in Art 5 Abs 2a der Verordnung (EG) Nr 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen könne. Damit habe erst ab diesem Zeitpunkt die Rechtsbeständigkeit der EG-Typengenehmigung wirklich ernsthaft in Zweifel gezogen werden können. Aus all dem sei der Schluss zu ziehen, dass die Information des Klägers nicht vor 2022 erfolgen habe können, womit die Klage rechtzeitig erfolgt sei. Die Frage, ob auch die 30‑jährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 ABGB hier Anwendung finde, könne nicht abschließend beantwortet werden, weil das Erstgericht dazu trotz hinreichendem Vorbringen des Klägers keine Feststellungen getroffen habe. Dies könne aber fallkonkret dahingestellt bleiben, weil die dreijährige Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht abgelaufen sei. Die Problematik in Zusammenhang mit der Annahme eines Rechtsmangels hinsichtlich des Verjährungseinwands stelle sich nur betreffend den Anspruch auf Gewährleistung, sei daher in Hinblick auf die Beurteilung des Verjährungseinwands hinsichtlich Schadenersatzansprüchen hier nicht entscheidungswesentlich.

[6] Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil zur Differenzierung zwischen Sachmangel und Rechtsmangel in Bezug auf Schadenersatzansprüche bei der Verjährungsfrist noch keine gesicherte Rechtsprechung vorliege.

[7] Gegen das Zwischenurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren (wegen Verjährung) abzuweisen. In eventu wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

[8] In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ist die Revision nicht zulässig. Trotz der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er in seiner Revision hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel zurückzuweisen (9 ObA 48/18a mwN). Dies ist hier der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[10] I.1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[11] I.2.1. Des Weiteren begründet dieRevisionswerberin die Zulässigkeit ihrer Revision damit, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses 2018 in Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal gewesen sei, weshalb die Klage vom 15. 11. 2022 nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB eingebracht worden sei.

Dazu ist auszuführen:

[12] 1.1 Im Fahrzeug des Klägers ist nach dem Software-Update ein auf die Abgasrückführung einwirkendes „Thermofenster“ aktiv, wovon auch die Beklagte in ihrem Vorbringen ausdrücklich ausgeht. Das Thermofenster bewirkt, dass die volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt und stellt nach der Rechtsprechung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG dar (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 56]; 3 Ob 40/23p; 7 Ob 169/23p ua).

[13] 1.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 1489 Satz 1 ABGB für den Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem er davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates im Hinblick auf das Thermofenster nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sei (9 Ob 33/23b [Rz 25 ff]; 7 Ob 169/23p [Rz 17]; 10 Ob 31/23s [Rz 63 ff] mwN; 6 Ob 122/23v [Rz 37]).

[14] 1.3 Dass dem Kläger schon mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung bekannt sein musste, dass das Fahrzeug auch nach dem als Verbesserung angebotenen und durchgeführten Software‑Update mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung („Thermofenster“) versehen war, hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht behauptet. Gegen die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Anlassfall wendet sich die Revisionswerberin auch nicht, meint aber, das Berufungsgericht weiche mit seiner Ansicht, die dreijährige Verjährungsfrist sei nicht verstrichen, von der Entscheidung 6 Ob 160/21d ab.

[15] 2.1.1 Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 160/21d davon ausgegangen ist, dass die dreijährige Frist des § 1489 Satz 1 ABGB im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits abgelaufen war. In diesem Verfahren hatte der klagende Fahrzeugkäufer selbst ausdrücklich als Schadenseintritt und einzigen maßgeblichen Schadensbemessungszeitpunkt den Kaufzeitpunkt benannt. Ausgehend davon, dass der Kläger bereits im Oktober 2015 wusste, dass sein Fahrzeug vom – im damaligen Zeitpunkt aufgrund der medialen Berichterstattung überdies bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannten – „Abgasskandal“ betroffen war, war sein mit Klage vom 23. 7. 2020 geltend gemachtes Zahlungsbegehren verjährt.

[16] 2.1.2 Im Übrigen hat der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs in der Folge klargestellt, er teile die Auffassung, dass dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen konnte, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben sei, die Verjährungsfrist erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Kläger davon Kenntnis erlangte, dass trotz Software‑Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist. Soweit aus dem zu 6 Ob 160/21d entschiedenen Fall Gegenteiliges abgeleitet werde, werde dies nicht aufrecht erhalten (6 Ob 122/23v [Rz 37]).

[17] 2.2 Die Revisionswerberin wendet sich weiters dagegen, dass dasBerufungsgericht den Zeitpunkt, in dem es dem Kläger erstmals möglich war, vom behaupteten Schaden Kenntnis zu erlangen, mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs C‑145/20 vom 14. 7. 2022 angesetzt habe. Richtig ist zwar, dass für den Beginn der Verjährungsfrist des § 1489 ABGB die Kenntnisse des Geschädigten vom objektiven Sachverhalt maßgebend sind; auf die erforderlichen Rechtskenntnisse oder auf die richtige rechtliche Qualifikation des – bekannten – Sachverhalts kommt es für die Ingangsetzung der Verjährungsfrist nicht an (RS0034524 [T57]; RS0050355 [T6]; 8 Ob 123/22d [Rz 3]). Im Hinblick auf die oben zu Pkt 1.2 dargelegte Rechtsprechung wird aber auch mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

[18] II. Hat das Berufungsgericht in Abänderung des angefochtenen klagsabweisenden Leistungsurteils in einem Zwischenurteil (§ 393 Abs 1 oder § 393a ZPO) ausgesprochen, dass die Klageforderung lediglich dem Grunde nach zu Recht besteht, hat eine Aufhebung des Ersturteils und die Zurückverweisung der Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zu unterbleiben, weil bereits durch die Fällung des Zwischenurteils klargestellt ist, dass das Klagebegehren der Höhe nach noch nicht spruchreif ist (vgl RS0119825). Der mit dem angefochtenen Zwischenurteil verknüpfte Zurückverweisungsbeschluss gilt als nicht beigesetzt, was durch einen deklarativen Beschluss klarzustellen ist (RS0119825 [T1]).

[19] Die Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[20] III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht kein Kostenersatz zu, weil der Kläger darin die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht geltend gemacht hat (RS0035979).

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