European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00196.23A.1120.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Datenschutzrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. Der Rekurs der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.
II. Dem Kostenrekurs der Beschwerdegegnerin wird Folge gegeben und die angefochtenen Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat:
„Die Beschwerdeführerin ist schuldig, der Beschwerdegegnerin die mit 464,18 EUR bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
III. Die Beschwerdeführerin ist schuldig, der Beschwerdegegnerin die mit 695,72 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Beim Bezirksgericht Floridsdorf ist seit dem Jahr 2017 zu AZ * ein Pflegschaftsverfahren betreffend den im Jahr 2014 geborenen minderjährigen Sohn der Beschwerdeführerin anhängig. Dieser wird bisher hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut, die Obsorge kommt ihr und dessen Vater gemeinsam zu. Im genannten Pflegschaftsverfahren ist über Anträge des Vaters auf Einräumung und solche der Mutter auf Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters, weiters über den Antrag des Vaters auf Übertragung der Obsorge (insbesondere im Bereich der medizinischen Versorgung) an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger zu entscheiden.
[2] Nach der auch unter Berücksichtigung der bisherigen Aktenlage erstatteten Stellungnahme einer vom Pflegschaftsgericht bestellten kinderpsychologischen Sachverständigen erschien seit dem Jahr 2017 der Umgang der Mutter mit dem körperlichen Zustand des Minderjährigen hoch auffällig. Sie beschreibe in starker Fokussierung auf gesundheitliche Belange vielfältige Erkrankungen und verschiedene körperliche Probleme des Minderjährigen, die sich nicht bestätigt hätten. Auch über ihre eigene Gesundheit erscheine die Mutter sehr besorgt bzw von vielen Krankenständen betroffen. Sie beschreibe verschiedene Verdachtsdiagnosen, die sich ebenfalls nicht bestätigt hätten. Dies sei geeignet, die gesunde Entwicklung des Minderjährigen zu bedrohen, und es erscheine fraglich, inwieweit die Mutter in der Lage sei, sich ausreichend um den Minderjährigen zu kümmern. Die Mutter habe nicht an der Befundaufnahme mitgewirkt und die Begutachtungstermine abgesagt. Aus dem (aktenkundigen) psychologischen Befund eines Krankenhauses ergebe sich eine sehr bedenkliche psychische Situation des Minderjährigen; darin werde eine kinderpsychiatrische Abklärung empfohlen. Es erscheine daher dringender Handlungsbedarf gegeben, um den Verdacht auf eine Gefährdung der gesunden Entwicklung des Minderjährigen (auch) im mütterlichen Umfeld abzuklären.
[3] In der Folge forderte der Pflegschaftsrichter bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) die Übermittlung von Auszügen über Versicherungsleistungen der Kranken‑ bzw Gesundheitskassen betreffend den Minderjährigen und die Mutterim Zeitraum ab dem Jahr 2017 bis laufend an, die auch die Fachgebiete der behandelnden Ärzte enthalten sollten. Eine Kopie der darüber von der ÖGK übermittelten Aufstellung ließ der Richter unter anderem an den Vertreter des Vaters zustellen.
[4] Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter als Beschwerdeführerin auf Feststellung einer Verletzung ihres Grundrechts auf Datenschutz als unberechtigt ab und sprach aus, dass die Parteien ihre Verfahrenskosten jeweils selbst zu tragen haben. Die Kostenentscheidung begründete das Erstgericht mit § 85 Abs 5 GOG. Daraus sei abzuleiten, dass Kosten nur dem Beschwerdeführer im Falle einer stattgebenden Entscheidung zu ersetzen seien und ansonsten kein Kostenersatz stattfinde.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Rekurs der Beschwerdeführerin ist nicht zulässig, wohl aber der Kostenrekurs der Beschwerdegegnerin; dieser ist auch berechtigt.
[6] I. Der Rekurs der Beschwerdeführerin vermag keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 85 Abs 2 GOG iVm § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen:
[7] I.1. Nach Art 6 Abs 1 lit e iVm Art 9 Abs 2 lit f DSGVO (vgl 6 Ob 45/19i [ErwGr 4.1.]) ist auch die Verarbeitung von personenbezogenen Gesundheitsdaten unter anderem dann rechtmäßig, wenn die Verarbeitung bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. Den Vorgaben des Art 6 Abs 1 lit e DSGVO in Verbindung mit Art 6 Abs 3 DSGVO wird entsprochen, wenn insbesondere eine nationale Rechtsgrundlage vorliegt, die als Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten dient, wobei diese Verarbeitung durch Verantwortliche erfolgt, die in Wahrnehmung einer Aufgabe tätig werden, die Gerichte im Rahmen ihrer Rechtsprechungsbefugnisse wahrnehmen (EuGH C‑268/21 [Rn 32]). Eine den Verfahrensgesetzen entsprechende Verwendung personenbezogener Daten ist daher grundsätzlich auch aus datenschutzrechtlicher Sicht zulässig (vgl 6 Nc 30/19z [ErwGr 1.1.]; 6 Ob 1/17s [ErwGr 4.2.]; 6 Ob 156/16h).
[8] Um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und insbesondere ein faires Verfahren im Sinne des Art 47 Abs 2 GRC zu gewährleisten, müssen die Parteien eines Zivilgerichtsverfahrens in der Lage sein, Zugang zu denjenigen Beweisen zu erhalten, die erforderlich sind, um ihr Vorbringen hinreichend zu begründen, und die möglicherweise auch personenbezogene Daten von Parteien oder Dritten enthalten können (EuGH C‑268/21 [Rn 53]). Ein sich potenziell auf den Verfahrensausgang auswirkender Aktenbestandteil ist daher, auch wenn er personenbezogene Daten enthält, in der Regel sämtlichen Verfahrensparteien zugänglich zu machen (vgl 5 Ob 139/20g [Rn 15] zu Gesundheitsdaten im Pflegschaftsverfahren). Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vorlegung eines Dokuments mit personenbezogenen Daten anzuordnen ist, hat daher das Gericht die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen und sie je nach den Umständen des Einzelfalls, der Art des betreffenden Verfahrens und unter gebührender Berücksichtigung der Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, sowie insbesondere derjenigen Anforderungen abzuwägen, die sich aus dem Grundsatz der Datenminimierung nach Art 5 Abs 1 lit c DSGVO ergeben (EuGH C‑268/21 ).
[9] I.2. Gemäß § 16 Abs 1 AußStrG hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt werden, und sämtliche Hinweise auf solche Tatsachen entsprechend zu berücksichtigen. Zur Feststellung des Sachverhalts kann gemäß § 31 Abs 1 AußStrG jedes dafür geeignete Beweismittel verwendet werden. Gemäß § 31 Abs 2 AußStrG kann zudem das Gericht auch dann Beweise aufnehmen und Erkundigungen einholen, wenn sich alle Parteien dagegen aussprechen. Das Außerstreitverfahren ist durch den Grundsatz des Beweisaufnahmeermessens gekennzeichnet (RS0006319 [T2]). Der Richter ist im Verfahren außer Streitsachen in der Wahl der Beweismittel, durch die er die Wahrheit zu finden erwartet, in keiner Weise beschränkt (RS0006319). Insoweit normiert § 31 AußStrG den Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel (6 Ob 156/16h [ErwGr 5.3.]). Der Oberste Gerichtshof hat im Obsorgeverfahren eine vom Erstgericht vorgenommene personenbezogene Datenabfrage beim Sozialversicherungsträger ebenso gebilligt (6 Ob 156/16h) wie im Kontaktrechtsverfahren die Übermittlung personenbezogener Gesundheitsdaten an den anderen Elternteil (vgl 5 Ob 139/20g; 6 Ob 137/17s).
[10] I.3. Nach der Rechtsprechung sollen die §§ 84, 85 GOG nicht dazu dienen, in jenen Bereichen, in denen die Verfahrensgesetze die Verwendung von Daten (abschließend) regeln, das gerichtliche (Haupt-)Verfahren zu beeinflussen, zu korrigieren oder nachträglich zu kontrollieren. Eine den Verfahrensgesetzen entsprechende Verwendung von Daten ist daher auch aus datenschutzrechtlicher Sicht zulässig. Es ist demnach grundsätzlich nicht statthaft, während eines Gerichtsverfahrens oder nach dessen rechtskräftiger Erledigung mit einem Antrag nach § 85 GOG gegen die Verwendung von Daten, soweit sie in den Verfahrensgesetzen geregelt ist, vorzugehen (vgl RS0129940 [T4]). Dies wurde auch betreffendim (Haupt‑)Verfahren getroffene Entscheidungen, angesichts des Verfahrensgegenstands denkmöglich relevante Umstände zu ermitteln, ausgesprochen (6 Ob 225/15d [ErwGr 8.1.]).
[11] I.4. Das Erstgericht war der Ansicht, in Verfahren, die einen Pflegebefohlenen betreffen, sei dessen Wohl bestmöglich zu wahren. Gerade vor diesem Hintergrund des Rechtsfürsorgegedankens müsse daher dem Gericht die Möglichkeit gegeben werden, alle zu Gebote stehenden Informationsquellen für seine Entscheidung verfügbar zu machen, wie dies gerade auch für Gesundheitsdaten zutreffe. Eine Überprüfung von Gesundheitsdaten sowohl bei der Mutter als auch beim Minderjährigen erscheine hier daher alleine schon deshalb indiziert, weil besonders häufige, allenfalls aber auch mit zusätzlichen Risiken behaftete Untersuchungen ein Hinweis auf eine Gefährdung des Kindeswohls oder aber auch auf einen Gesundheitszustand der Mutter sein könnten, der dem Kindeswohl abträglich sein könne. Nach dem Vorliegen dieser Daten sei der Richter aber, im Sinne der Wahrung des rechtlichen Gehörs, gehalten gewesen, diese Daten auch dem Rechtsvertreter des Vaters zu übermitteln.
[12] I.5. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der erörterten Rechtsprechungsgrundsätze. Ein Abweichen davon legt der Rekurs nicht dar und räumt selbst ein, dass es Aufgabe des Pflegschaftsgerichts ist, das Wohl des Minderjährigen bestmöglich zu wahren und auch sämtliche zur Verfügung stehenden Informationsquellen zu nutzen. Argumente, warum die Datenabfrage im Hinblick auf den Inhalt der Stellungnahme der kinderpsychologischen Sachverständigen für die im Pflegschaftsverfahren zu treffenden Entscheidungen nicht relevant gewesen sein konnte, werden nicht angeführt.
[13] Im Übrigen zeigt der Rekurs auch kein Überschreiten des dem Pflegschaftsrichter eingeräumten Ermessensspielraums durch die gegenständliche Abfrage der Daten auf. Dies gilt insbesondere auch für das im Auszug der ÖGK angeführte jeweilige Leistungsdatum, das allein Rückschlüsse auf die Häufigkeit von Arztbesuchen zulässt, sowie die Versicherungsnummer, die eine Verifizierung der abgefragten Person im Falle einer Namensgleichheit ermöglicht. Selbiges gilt weiters für Code und Namen des Arztes, was Rückschlüsse auf das jeweilige Fachgebiet zulässt. Angesichts der im konkreten Fall zu erhebenden Art und Häufigkeit der Arztbesuche (auch) der Mutter wäre einer dahingehend anonymisierten Abfrage weithin eine Aussagekraft genommen. Gewichtige Umstände, aufgrund derer das Geheimhaltungsinteresse der Beschwerdeführerin an ihren Gesundheitsdaten dem Erfordernis der Datenverarbeitung im konkreten Pflegschaftsverfahren entgegenstünde, sind den Rekursausführungen hingegen nicht zu entnehmen.
II. Zum Kostenrekurs der Beschwerdegegnerin:
[14] II.1. Der Oberste Gerichtshof entscheidet gemäß § 85 Abs 5 GOG im gegenständlichen Verfahren funktionell als Rekursgericht. Der Kostenrekurs der Beschwerdegegnerin ist daher nicht nach § 62 Abs 2 Z 1 AußStrG jedenfalls unzulässig (vgl Rassi in Schneider/Verweijen, AußStrG § 62 Rz 4 und 23; vgl auch 16 Ok 4/14; 16 Ok 6/13).
[15] II.2. In § 85 Abs 5 letzter Satz GOG ist zwar nur eine Ersatzpflicht des Bundes gegenüber dem Beschwerdeführer bei einem stattgebenden Erkenntnis erwähnt. Daraus kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass bei einem abweisenden Erkenntnis der Beschwerdeführer nicht ersatzpflichtig wäre (RS0130481). Zutreffend verweist das Rechtsmittel der Beschwerdegegnerindarauf, dass auch für die gegenständliche Kostenentscheidung § 78 Abs 2 AußStrG (iVm § 85 Abs 5 letzter Satz GOG) maßgeblich ist und auch der unterlegene Beschwerdeführer ersatzpflichtig wird.
[16] II.3. In Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung hat daher die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu ersetzen.
[17] III. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf § 78 Abs 2 AußStrG iVm § 85 Abs 5 letzter Satz GOG (RS0130481).
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