OGH 5Ob139/20g

OGH5Ob139/20g4.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L***** M*****, Mutter I***** M*****, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Mag. Martin Wabra, Rechtsanwälte in Gmünd, Vater C*****, vertreten durch die Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG, Linz, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 19. Mai 2020, GZ 2 R 17/20t, 2 R 20/20h‑176, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 28. Jänner 2020, GZ 10 Ps 69/12i‑164, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00139.20G.0204.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Vater hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Eltern der 2009 geborenen L***** M***** leben seit 2012/2013 getrennt. Es bestehen seit Jahren Differenzen bezüglich Obsorge und Kontaktrecht.

[2] Mit Beschluss vom 6. 3. 2019 entzog das Erstgericht dem Vater die Obsorge, sodass diese nunmehr der Mutter alleine zukommt. Dem Vater räumte das Erstgericht ein auf begleitete Besuche eingeschränktes Kontaktrecht ein. Weiters trug das Erstgericht sowohl dem Vater als auch der Mutter auf, gemeinsam eine Elternberatung zu absolvieren. Den gegen diesen Beschluss erhobenen Rekursen beider Elternteile gab das Rekursgericht nicht Folge, sodass dieser in Rechtskraft erwuchs.

[3] Am 29. 10. 2019 beantragte der Vater die Anordnung angemessener Zwangsmittel durch das Gericht, um einerseits den Kontakt zwischen ihm und der Minderjährigen entsprechend seinem Kontaktrecht herzustellen und andererseits um die aufgetragene Elternberatung zu absolvieren. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 18. 12. 2019 trafen die Eltern eine Vereinbarung über die Durchführung der nächsten begleiteten Besuchskontakte. Zur Durchsetzung der angeordneten gemeinsamen Elternberatung verhängte das Erstgericht über die Mutter eine Geldstrafe.

[4] Gegen diesen Beschluss auf Verhängung der Geldstrafe erhob die Mutter Rekurs. Am 23. 1. 2020 legte die Mutter dem Erstgericht einen Zwischenbericht ihres Psychotherapeuten vor, wonach ihr jegliche direkte Konfrontation mit dem Vater unmöglich sei und sie daher die vom Erstgericht angeordnete gemeinsame Elternberatung nicht wahrnehmen habe können. Die Mutter beantragte, diesen Zwischenbericht ihres Psychotherapeuten von der Akteneinsicht des Vaters auszunehmen. Es sei zu befürchten, dass der Vater das darin Enthaltene zu seinem Vorteil ausnützen werde. Am 30. 1. 2020 beantragte die Mutter, ihre Verpflichtung zur Teilnahme an einer gemeinsamen Elternberatung mit dem Vater auszusetzen.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, den vorgelegten Zwischenbericht des Psychotherapeuten von der Akteneinsicht des Vaters auszunehmen, ab.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, wie sich das Inkrafttreten der DSGVO auf das Akteneinsichtsrecht der Parteien nach § 219 Abs 1 ZPO iVm § 22 AußStrG auswirke, insbesondere dazu, wie bei sensiblen Daten die Gewährung von Akteneinsicht der anderen Verfahrensparteien im Lichte der DSGVO zu prüfen sei.

[7] Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter. Sie beantragt, dem Rekursgericht, in eventu dem Erstgericht, die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

[8] Der Vater beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Der Revisionsrekurswerber muss zumindest eine erhebliche Rechtsfrage für eine sachliche Erledigung seines Rechtsmittels aufwerfen (RS0080388 [T1, T3]; RS0048272). Selbst wenn das Rekursgericht zu Recht ausgesprochen hat, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen, wenn das Rechtsmittel nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059). Das ist hier der Fall.

[10] 1. Das Rekursgericht führte zu der in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfrage der mit dem Inkrafttreten der DSGVO einhergehenden Einschränkungen des Rechts der Parteien auf Akteneinsicht – zusammengefasst – aus:

[11] Die Frage, ob der Zwischenbericht des Psychotherapeuten von der Akteneinsicht des Vaters auszunehmen ist oder nicht, ist in Bezug auf den konkret strittigen (offenen) „Anspruch“ zu beantworten. Dabei handelt es sich um die Verpflichtung der Mutter, gemeinsam mit dem Vater eine Elternberatung zu absolvieren. Zuletzt beantragte die Mutter, ihre Verpflichtung zur Teilnahme an einer gemeinsamen Elternberatung mit dem Vater bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes auszusetzen. Darüber ist vom Erstgericht im weiteren Verfahren erst zu entscheiden. In diesem Antrag nimmt die Mutter zur Begründung ihres Antrags ausdrücklich Bezug auf den von ihr vorgelegten Zwischenbericht des Psychotherapeuten, aus dem sich ergebe, warum ihr gemeinsame Termine mit dem Vater bei der Elternberatung derzeit unmöglich seien. Die Interessen der Mutter am Schutz ihrer Gesundheitsdaten einerseits sind daher mit dem Interesse des Vaters an einem fairen Verfahren andererseits gegeneinander abzuwägen.

[12] 2. Die Richtigkeit dieser Ausführungen des Rekursgerichts zieht die Revisionsrekurswerberin nicht in Zweifel; soweit sie in ihrem Revisionsrekurs darauf eingeht, bezeichnet sie sie vielmehr ausdrücklich als richtig. Der Revisionsrekurs wendet sich ausschließlich gegen das Ergebnis der vom Rekursgericht auf Basis dieser Grundsätze vorgenommenen Interessenabwägung. Diese Interessen-abwägung hat aber nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen und wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 62 Abs 1 AußStrG auf (6 Ob 116/20g).

[13] 3. Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

[14] Das Rekursgericht hat im Zug seiner Erwägungen zunächst berücksichtigt, dass die Mutter den Zwischenbericht mit dem Bestreben vorgelegt habe, sich damit gegen den erteilten Auftrag zur gemeinsamen Absolvierung der Elternberatung zu wehren. Wenn die Mutter selbst sensible Daten in das Pflegschaftsverfahren einbringe, um ihren Prozessstandpunkt zu fördern, so müsse sie umso eher in Kauf nehmen, dass diese Daten den anderen Verfahrensbeteiligten zugänglich werden. Der Zwischenbericht sei für die Sachentscheidung über die Aufrechterhaltung oder Aussetzung der gemeinsamen Elternberatung auch wesentlich, sodass die Ausnahme dieses Aktenbestandteils von der Akteneinsicht die Verfahrensrechte des Vaters in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigen würde. Mit dem Grundgedanken eines fairen Verfahrens sei es kaum vereinbar, wenn eine Partei eine Urkunde mit einem für ihren Prozessstandpunkt günstigen Inhalt in das Verfahren einführe, der Gegenseite aber keine Einsicht in diese Urkunde gewährt werde. Auch wenn das Pflegschaftsverfahren zwischen den Eltern mit einer nicht zu übersehenden Vehemenz geführt worden sei, rechtfertige die bloße Möglichkeit, dass der Vater aus dem Zwischenbericht für die Mutter im weiteren Pflegschaftsverfahren Nachteiliges ableite, nicht, diesem die Einsicht in diesen Aktenbestandteil zu verwehren. Dafür, dass der Vater dies in rechtsmissbräuchlicher Weise tun werde, habe die Mutter keine Begründung geliefert. Die von der Mutter begehrte Ausnahme von der Akteneinsicht würde außerdem durch eine Entscheidung, die – wie von der Mutter offensichtlich angestrebt – den Zwischenbericht berücksichtige, wohl insofern konterkariert, als eine nachvollziehbare Entscheidung, die diesen Zwischenbericht berücksichtige, nicht ohne Wiedergabe seines wesentlichen Inhalts auskomme. Auch in diesem Fall würde dem Vater also der Inhalt des Zwischenberichts zugänglich werden. Die Gewährung der Akteneinsicht für den Vater in den Zwischenbericht des Psychotherapeuten sei daher iSd Art 9 Abs 2 lit f DSGVO für das Erstgericht im Verfahren zur Entscheidung über die Aussetzung der gemeinsamen Elternberatung erforderlich, die Akteneinsicht sei daher nicht unzulässig im Sinn der DSGVO.

[15] Die Revisionsrekurswerberin rügt, diese vom Rekursgericht gezogenen Schlüsse seien falsch, kann dies aber nicht stichhaltig begründen. Weder der Hinweis darauf, dass die in einem Pflegschaftsverfahren angeordnete gemeinsame Elternberatung nicht der Durchsetzung der Interessen der Eltern, sondern ausschließlich dem Kindeswohl diene, noch der Umstand, dass das Recht der Verfahrensparteien auf Akteneinsicht bei Verarbeitung von Gesundheitsdaten iSd Art 9 Abs 1 DSGVO insoweit und solange zurückzutreten hat, als die Offenlegung und Verarbeitung dieser Daten für die Entscheidung des Gerichts nicht von Relevanz sind, stehen im Widerspruch zu den Erwägungen des Rekursgerichts. Im Gegenteil, auch das Rekursgericht misst seiner Beurteilung, dass der dem Erstgericht vorgelegte Zwischenbericht – ungeachtet der im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gegebenen Möglichkeiten – für die Sachentscheidung über die Aufrechterhaltung, Aussetzung oder (zwangsweise) Durchsetzung der gemeinsamen Elternberatung wesentlich sei, ausschlaggebende Bedeutung bei. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin hat das Rekursgericht mit Blick auf das Gebot des fair trial überzeugende Gründe angeführt, warum ein Aktenbestandteil, der Auswirkungen auf den Ausgang des Verfahrens haben kann, dem Vater im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich zu machen ist. Anders als ein Dritter (§ 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG) muss der Vater als Partei auch kein weitergehendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft machen. Die Kenntnis des Inhalts von Aktenbestandteilen im Verfahren zum eigenen Vorteil zu nützen, ist grundsätzlich nicht rechtswidrig. Die Mutter behauptet auch nicht, dass der Zwischenbericht über die in ihrem Vorbringen anlässlich der Urkundenvorlage und ihres Antrags auf Aussetzung der Elternberatung ohnedies zugestandene Tatsache der psychischen Beeinträchtigung hinaus sensible, für die Aussagekraft des Zwischenberichts und damit für die Entscheidung des Gerichts aber nicht wesentliche Daten der Mutter enthalte.

[16] 4.  Der Revisionsrekurs ist somit mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig und zurückzuweisen.

[17] 5. Im Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren hat jeder Elternteil nach § 107 Abs 5 AußStrG seine anfallenden Verfahrenskosten grundsätzlich selbst zu tragen. Da dadurch nicht zuletzt eine Deeskalation des Verfahrens bewirkt werden soll (8 Ob 124/15s), hat das auch für den vorliegenden Zwischenstreit zu gelten.

Stichworte