European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00152.23Y.1019.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Erstantragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft mit der darauf errichteten Wohnungseigentumsanlage. Der Antragstellerin ist der Stellplatz 2 in der Gemeinschaftsgarage 1 und der Erstantragsgegnerin der Stellplatz 3 in der Gemeinschaftsgarage 2 zugeordnet. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist der vom Erstgericht abgewiesene, vom Rekursgericht bewilligte Sachantrag der Antragstellerin, die Zustimmung der Antragsgegner zur Verlegung einer Starkstromleitung (dreiphasiges Kabel mit 16 Ampere Stromtragefähigkeit) mittels einer – im Detail bezeichneten – Leitungsführung bis zum 2. Stock zur Zählernische neben der Wohnung Top 2 der Antragstellerin und zur Anbringung einer Wallbox an der Wand rechts im Bereich des Stellplatzes 2 in der Garage 1 samt deren Verbindung mit dieser Starkstromleitung und deren Installation und Betrieb zu ersetzen.
[2] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil im Anwendungsbereich der WEG‑Novelle 2022 oberstgerichtliche Judikatur zu den Voraussetzungen für die Errichtung von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Wohnungseigentumshäusern fehle und die Entwicklung entsprechender Leitlinien über den gegenständlichen Fall hinaus von erheblicher Bedeutung sei.
[3] In ihrem Revisionsrekurs strebt die Erstantragsgegnerin die Aufhebung dieses Beschlusses an.
[4] Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Revisionrekurs ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig, er kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[6] 1. Die Revisionsrekurswerberin behauptet die „Rechtswidrigkeit des Verfahrens wegen res iudicata“ und begründet dies – wie schon im Verfahren erster Instanz – mit dem zum gleichen Sachverhalt bereits vorliegenden rechtskräftigen Unterlassungstitel der Erstantragsgegnerin gegen die Antragstellerin. Der Sache nach macht sie damit einen einer Nichtigkeit gleichkommenden schwerwiegenden Verfahrensmangel geltend, übersieht aber, dass nach § 42 Abs 3 JN die Unzulässigkeit des streitigen oder außerstreitigen Rechtswegs oder ein anderes Prozesshindernis nicht mehr wahrgenommen werden kann, wenn dem eine bindende Entscheidung des Gerichts entgegensteht (2 Ob 131/19g; 5 Ob 65/22b mwN; RIS‑Justiz RS0114196 [T6]). Das Erstgericht hat den auf das – damals noch anhängige – Unterlassungsverfahren gestützten Einwand der Streitanhängigkeit mit der (im Übrigen zutreffenden) Begründung verworfen, der Streitgegenstand des auf Unterlassung und Beseitigung eigenmächtiger Änderungen gestützten streitigen Verfahrens sei mit demjenigen eines Außerstreitverfahrens auf Ersetzung der Zustimmung nach § 16 WEG nicht ident. Die – hier zu beurteilende – Genehmigungsfähigkeit der Änderung ist nicht Gegenstand des auf § 523 ABGB gestützten streitigen Verfahrens (RS0083156 [T20]). Dieser Beschluss des Erstgerichts ist in Rechtskraft erwachsen und somit bindend. Im Revisionsrekursverfahren kann die Erstantragsgegnerin diese Frage nicht mehr aufrollen.
[7] 2. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor. Die Feststellungen des Erstgerichts wurden nicht bekämpft, das Rekursgericht hatte sie daher zugrundezulegen. Die – im Übrigen einzelfallabhängige (RS0042828) – Auslegung von Einwendungsvorbringen kann keine Aktenwidrigkeit verwirklichen (vgl RS0041814).
[8] 3. Nach § 62 Abs 1 AußStrG iVm § 52 Abs 2 WEG und § 37 Abs 3 Z 16 MRG ist der Revisionrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Selbst wenn das Rekursgericht zu Recht ausgesprochen haben sollte, dass die Anfechtung seiner Entscheidung nach diesen Grundsätzen zur Klärung einer bestimmten Rechtsfrage zulässig sei, ist das an den Obersten Gerichtshof gerichtete Rechtsmittel zurückzuweisen, wenn darin nur solche Gründe geltend gemacht werden, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059). Wenn auch § 65 Abs 3 Z 6 AußStrG nur für den außerordentlichen Revisionsrekurs und § 63 Abs 1 AußStrG nur für den Antrag auf Abänderung des Zulassungsausspruchs die gesonderte Anführung der Gründe vorsieht, warum entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts der Revisionrekurs für zulässig erachtet wird, sind daher entsprechende Ausführungen zur Zulässigkeit auch für den zugelassenen Revisionrekurs notwendig. Erklärt das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit konkretisierter Begründung für zulässig, reicht es zwar, wenn der Revisionsrekurswerber dieser Begründung beitritt, er muss aber zur maßgeblichen Rechtsfrage inhaltliche Ausführungen erstatten, sich also konkret mit der Entscheidung des Rekursgerichts juristisch auseinandersetzen (5 Ob 119/22v). Dem wird der Revisionsrekurs nicht gerecht.
[9] 4.1. Die Revisionsrekurswerberin nimmt auf die Zulassungsbegründung des Rekursgerichts gar nicht Bezug. Als rechtlich unrichtig bezeichnet sie dessen Entscheidung nur mit der Behauptung, die WEG‑Novelle 2022 sei nicht anwendbar, § 16 Abs 2 Z 2 WEG sehe keine Privilegierung der Verlegung der Starkstromleitung vor und eine relevante Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Revisionsrekurswerberin sei hier jedenfalls gegeben. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zeigt sie mit keinem dieser Argumente auf:
[10] 4.2. Gemäß § 58g Abs 1 WEG 2002 sind § 16 Abs 2 bis 8 idF WEG‑Novelle 2022, BGBl I 222/2021 mit 1. Jänner 2022 in Kraft getreten. Nach § 58g Abs 3 WEG 2002 ist § 16 Abs 8 idF dieser Novelle auf Einzelladestationen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021 errichtet wurden. Die dort genannten Rechtsfolgen beziehen sich auf die Inbetriebnahme einer gemeinsamen derartigen Anlage nach Einbringung einer Einzelanlage und sind hier nicht maßgeblich. Dass auch die geänderte Fassung des § 16 Abs 2 WEG auf Einzelladestationen beschränkt wäre, die erst nach dem 31. Dezember 2021 errichtet wurden, ist den Übergangsbestimmungen nicht zu entnehmen. Einer näheren Erörterung dieser Frage bedarf es aber nicht, weil sie für die rechtliche Beurteilung des hier vorliegenden Sachverhalts irrelevant ist. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt aber nicht vor, wenn Fragen bloß rein theoretischer Natur gelöst werden sollen (RS0111271).
[11] 4.3. Gegenstand des Änderungsbegehrens der Antragstellerin sind nämlich einerseits die Herstellung des (Starkstrom‑)Anschlusses und andererseits die Errichtung der von ihr bereits installierten Wallbox. Es handelt sich dabei um eine einphasige Wallbox mit einer Leistung von 3,680 kW. Dass diese (für sich allein betrachtet) jedenfalls dem „Langsamladen“ im Sinn der von den Vorinstanzen bereits zitierten Entscheidung des Fachsenats 5 Ob 173/19f dient, aber auch dem Begriff des „Langsamladens“ im Sinn der Privilegierung in § 16 Abs 2 Z 2 WEG idF WEG‑Novelle 2022 entspricht, liegt auf der Hand und wird auch im Revisionsrekurs nicht bezweifelt. Dass die Verlegung der Starkstromleitung hingegen weder im Sinn dieser Entscheidung noch gemäß § 16 Abs 2 Z 2 WEG in seiner ab 1. Jänner 2022 geänderten Fassung privilegiert ist – wovon das Rekursgericht ausging – gesteht die Antragstellerin ausdrücklich zu. Die Frage einer Privilegierung dieser Leitungsverlegung – die es grundsätzlich ermöglicht, in weiterer Folge auch eine Wallbox zu installieren, die allenfalls auch dreiphasiges Laden und eine deutlich höhere Ladeleistung ermöglicht – ist hier daher nicht zu klären. Ihr käme nur theoretisch abstrakte Bedeutung zu, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist.
[12] 4.4. Wenn die Revisionsrekurswerberin versucht, eine relevante Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Interessen damit zu begründen, dass die Änderung nicht bagatellhaft sei, verkennt sie die Rechtslage. Es mag durchaus zutreffen, dass das Berufungsgericht die Anbringung der gegenständlichen Starkstromleitung als nicht bagatellhaft qualifizierte und von Genehmigungsbedürftigkeit iSd § 16 Abs 2 WEG ausging. Dem liegt – im Sinn der ständigen Rechtsprechung (RS0109247) – zugrunde, dass das Vorliegen einer „Änderung“ iSd § 16 Abs 2 WEG nur für bagatellhafte Umgestaltungen verneint wird. Nur in einem solchen Fall wäre daher eine Genehmigungsbedürftigkeit überhaupt zu verneinen (vgl RS0109247 [T6]). Diesfalls wäre – mangels Vorliegens einer Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 – gar kein Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung erforderlich. Umgekehrt kann aber keineswegs aus dem Umstand, dass eine Änderung nicht bagatellhaft ist, schon geschlossen werden, damit würden jedenfalls schutzwürdige Interessen der übrigen Miteigentümer in relevantem Ausmaß beeinträchtigt.
[13] 4.5. Gemäß § 16 Abs 2 Z 1 WEG darf eine Änderung (die im Fall einer bloß bagatellhaften Umgestaltung eben nicht vorläge) weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Für das Vorliegen von Umständen, die schon nach diesen beispielhaft aufgezählten allgemeinen Voraussetzungen einer Änderung entgegenstehen, ist der widersprechende Mit‑ und Wohnungseigentümer darlegungs‑ und beweispflichtig (RS0082993). Nach der Rechtsprechung des Fachsenats (RS0083236) steht einer Änderung nicht jede Beeinträchtigung von Interessen der Miteigentümer entgegen, sondern nur eine wesentliche Beeinträchtigung, die die Interessen der anderen Wohnungseigentümer am Unterbleiben der Änderung so schutzwürdig erscheinen lässt, dass der Anspruch des Wohnungseigentümers auf Änderung zurückzustehen hat. Abzustellen ist darauf, ob bei objektiver Betrachtung der Schutzwürdigkeit der Interessen anderer Miteigentümer eine als gewichtig anzusehende unzumutbare Beeinträchtigung vorliegt (RS0083378 [T1]; RS0083240 [T5]). Die jedenfalls einzelfallabhängige (RS0083309) Beurteilung der Vorinstanzen, das Vorbringen der Revisionsrekurswerberin lasse nicht auf eine relevante Beeinträchtigung schließen, ist nicht korrekturbedürftig. Warum – selbst deutlich sichtbare – Leitungen im Kellergeschoss und einige wenige durchbohrte Kellerwände zwecks Leitungsverlegung eine unzumutbare Beeinträchtigung bewirken sollten, wird auch aus den Revisionsrekursausführungen nicht klar. Warum ein „erheblicher Eingriff in die Bausubstanz“ vorliegen soll, ist nicht nachzuvollziehen. Auf eine – nicht näher spezifizierte – Gefahr durch die Überputzführung der Elektroleitung entlang der Garagendecke hat sich die Revisionsrekurswerberin im Verfahren erster Instanz nicht berufen. Auch insoweit ist daher keine erhebliche Rechtsfrage zu erkennen.
[14] 5. Die vom Rekursgericht mit ausführlicher Begründung unter Hinweis auf die seit der Entscheidung 5 Ob 137/19f stattgefundene technische Entwicklung bejahte Verkehrsüblichkeit der Änderungen spricht die Revisionsrekurswerberin mit keinem Wort an. Darauf ist daher auch nicht näher einzugehen.
[15] 6. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen ohne, dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[16] 7. Im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ist die Revisionsrekurswerberin unterlegen. Es entspricht daher der Billigkeit nach § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG ihr den Ersatz der tarifgemäß verzeichneten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung aufzutragen.
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