OGH 9ObA52/23x

OGH9ObA52/23x27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Stepanowsky (aus dem Kreis der Arbeitnehmner) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C* GmbH, *, vertreten durch Dr. Roland Gerlach ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 11.758,08 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2023, GZ 9 Ra 21/23h‑28, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15. November 2022, GZ 32 Cga 54/21a‑24, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00052.23X.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 1.491,41 EUR samt 8,85 % Zinsen aus 637,20 EUR seit 1. 4. 2021 und aus 854,21 EUR seit 12. 5. 2021 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 10.266,67 EUR samt 8,58 % Zinsen aus 4.400 EUR seit 1. 4. 2021 und aus 5.866,67 EUR seit 1. 5. 2021 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.378,32 EUR (darin 729,72 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei Barauslagen von 101,75 EUR binnen 14 Tagen zu bezahlen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.044,57 EUR (darin 162,99 EUR USt und 1.066,63 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.180,80 EUR (darin 140,93 EUR USt und 1.335,25 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten ab 1. 6. 2015 als Angestellte mit einem Bruttomonatsgehalt von 5.037,20 EUR beschäftigt.

[2] Aufgrund von Reorganisationsmaßnahmen hatte die Beklagte die Absicht, das Dienstverhältnis mit der Klägerin aufzulösen. Sie bot der Klägerin daher Anfang November 2020 zwei Möglichkeiten zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses an. Die 1. Option beinhaltete unter anderem den Beendigungszeitpunkt 31. 1. 2021, eine unwiderrufliche sofortige Dienstfreistellung, die Vereinbarung des Verbrauchs offener Resturlaubs- und Zeitausgleichstage während der Dienstfreistellung, die Zahlung des Gehalts einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen bis zum Beendigungszeitpunkt sowie die Gewährung eines Bonus und einer freiwilligen Abfertigung. Weiters wurde der Klägerin in dieser Option die Möglichkeit eingeräumt, das Dienstverhältnis mit einem Vorlauf von einer Woche vorzeitig zu beenden. In diesem Fall sollte die Klägerin ihr Gehalt und die freiwillige Abfertigung bis zum vorzeitigen Beendigungszeitpunkt pro rata ausbezahlt erhalten, die freiwillige Abfertigung würde (unabhängig vom vorzeitigen Beendigungszeitpunkt) zu 1/3 gekürzt werden.

[3] Die 2. Option, die der Klägerin angeboten wurde, ging – ebenfalls mit sofortiger unwiderruflicher Dienstfreistellung – von einem Beendigungszeitpunkt per 30. 4. 2021 aus. Mit der Endabrechnung sollte die Klägerin die Urlaubsersatzleistung für zehn offene Urlaubstage ausbezahlt bekommen, wobei ein weiterer offener Resturlaub sowie Zeitausgleichstage während der Dauer der Dienstfreistellung zu verbrauchen sind. Auch diese 2. Option enthielt die Vereinbarung der Gehaltszahlung bis zum Beendigungszeitpunkt, die Zahlung eines Bonus sowie die der Klägerin gewährte Möglichkeit, das Dienstverhältnis mit einem Vorlauf von einer Woche vorzeitig zu beenden. In diesem Fall sollte die Klägerin (wie in der 1. Option) ihr Gehalt und die freiwillige Abfertigung bis zum vorzeitigen Beendigungszeitpunkt pro rata ausbezahlt erhalten.

[4] Dass die Klägerin verpflichtet war, das Dienstverhältnis bei Eingehen eines neuen Dienstverhältnisses vor dem Beendigungszeitpunkt vorzeitig zu beenden oder der Beklagten zu melden, wurde zwischen den Parteien nicht besprochen; ebenso wenig, dass bei Eingehen eines neuen Dienstverhältnisses vor dem Beendigungszeitpunkt das bisherige automatisch endet.

[5] Am 11. 11. 2020 vereinbarten die Parteien die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses zum 30. 4. 2021 laut der 2. Option.

[6] Jedenfalls seit 1. 3. 2021 ist die Klägerin bei einer anderen Dienstgeberin (W*) beschäftigt. Daher meldete die Beklagte die Klägerin am 18. 3. 2021 rückwirkend zum 28. 2. 2021 von der Sozialversicherung ab (unstrittig).

[7] Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerindie Zahlung von 11.758,08 EUR (Gehälter März und April 2021 inklusive anteiliger Sonderzahlungen) samt 8,58 % Zinsen aus 5.037,20 EUR (Gehalt März 2021) ab 1. 4. 2021 und aus 6.720,88 EUR (Gehalt April 2021 samt anteiligem Urlaubszuschuss und anteiliger Weihnachtsremuneration von je 841,84 EUR) ab 1. 5. 2021. Die von der Beklagten behaupteten mündlichen Vereinbarungen seien nicht getroffen worden. Die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes nach § 1155 ABGB sei in der Auflösungsvereinbarung abbedungen worden.

[8] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, die Parteien hätten mündlich vereinbart, dass die Klägerin ein neues Dienstverhältnis unverzüglich anzuzeigen hätte und mit Beginn des neuen Dienstverhältnisses das bisherige Dienstverhältnis zur Beklagten automatisch ende sowie dass eine Anrechnung des anderweitigen Verdienstes auf die offenen Entgeltansprüche der Klägerin zu erfolgen habe. Zweck der vereinbarten Auflösung und unwiderruflichen Dienstfreistellung sei gewesen, der Klägerin genügend Zeit für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu geben und ihr gleichzeitig eine finanzielle Absicherung zu gewährleisten, nicht aber, dass die Klägerin neben einem Entgelt bei einem neuen Dienstgeber auch weiterhin ein Einkommen von der Beklagten beziehe. Unabhängig von diesen Vereinbarungenmüsse sich die Klägerin jedenfalls ihren Verdienst der Monate März und April 2021 in Höhe von 5.037,20 EUR brutto pro Monat samt der anteiligen Sonderzahlungen von 1.466,67 EUR brutto, gesamt daher 10.266,67 EUR brutto gemäß § 1155 ABGB anrechnen lassen. Die Beklagte bestritt auch die geltend gemachten, den gesetzlichen Zinssatz von 4 % übersteigende Zinsen, weil ihre Rechtsansicht vertretbar sei.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die behaupteten mündlichen Vereinbarungen seien weder ausdrücklich noch konkludent geschlossen worden. Das Dienstverhältnis zwischen den Parteien habe daher unabhängig vom neuen Dienstverhältnis der Klägerin zur W* bis 30. 4. 2021 gedauert, weshalb ihr das auch in der Auflösungsvereinbarung festgelegte Entgelt für die Monate März und April 2021 samt Sonderzahlungen zustehe. Eine Anrechnung des von der Klägerin bei der neuen Dienstgeberin erzielten Verdienstes habe nicht stattzufinden, weil die Parteien schlüssig eine Anrechnung nach § 1155 ABGB abbedungen hätten. Nach der 1. Option wäre es bei Eingehen eines neuen Dienstverhältnisses vor Vertragsende lediglich zu einer Kürzung der freiwilligen Abfertigung gekommen. Daraus ergebe sich umgekehrt, dass dies die einzige Sanktion für das Eingehen eines neuen Dienstverhältnisses vor Vertragsende sein sollte. In der schließlich von der Klägerin gewählten 2. Option sei– mangels Anspruchs auf eine freiwillige Abfertigung – nicht einmal diese Sanktion enthalten, sodass umso mehr der abgeschlossenen Auflösungsvereinbarung der Parteiwille zu entnehmen sei, dass es zu keinerlei Anrechnung kommen solle. Dies ergebe sich auch aus der Unklarheitenregelung des § 914 (erkennbar gemeint: § 915) ABGB, weil sich die Beklagte dieser Textierung in der Auflösungsvereinbarung bedient habe.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Da die Klägerin aufgrund der Auflösungsvereinbarung keine Dienstleistung mehr geschuldet habe, liege ohnehin kein Fall des § 1155 ABGB vor. Die ordentliche Revision wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zugelassen.

[11] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt dieBeklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Klägerin beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

[13]

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten, die die Rechtsauffassung vertritt, die von ihr begehrte Anrechnung des von der Klägerin während der Dienstfreistellung erzielten Verdienstes entspreche der gesetzlichen Regelung des § 1155 ABGB, ist zulässig, weil die Urteile der Vorinstanzen korrekturbedürftig sind; sie ist auch teilweise berechtigt.

[14] 1. Richtig ist, dass die Bestimmung des § 1155 ABGB dispositiv ist (e contrario § 1164 ABGB; 9 ObA 77/22x Rz 29; Spenling/Kietaibl in Bydlinski/Perner/Spitzer, KBB7 § 1155 ABGB Rz 1 mwN) und daher von den Arbeitsvertragsparteien abbedungen werden kann. Die Abbedingung einer Norm des dispositiven Rechts durch eine abweichende vertragliche Regelung setzt grundsätzlich eine solche voraus. Eine ausdrückliche vertragliche Regelung dazu, nämlich zum Ausschluss der Anrechnungsregel, ist in der hier zu beurteilenden Auflösungsvereinbarung nicht enthalten. In Betracht käme daher nur ein konkludenter vertraglicher Ausschluss. Für die Annahme eines solchen ist jedoch im Allgemeinen nach § 863 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014146). Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt (RS0109021). Für die Annahme eines derart eindeutigen übereinstimmenden Rechtsfolgewillens der Parteien über den Ausschluss der Anrechnungsregel des § 1155 ABGB liegen im gegenständlichen Fall aber keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Alleine der Umstand, dass in der – letztlich nicht abgeschlossenen Vereinbarung (1. Option) – für den Fall einer der Klägerin als Möglichkeit eingeräumten vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses eine Kürzung der vereinbarten freiwilligen Abfertigung vorgesehen war, sagt (selbst im Rahmen dieser Vereinbarung) nichts darüber aus, was für die Anrechnung anderweitigen Verdienstes in dem Fall zu gelten hat, dass es zu keiner vorzeitigen Beendigung kommt, die Klägerin aber ein neues Arbeitsverhältnis beginnt und aus diesem ein Einkommen erzielt. Umso weniger kann daraus für die später tatsächlich abgeschlossene Auflösungsvereinbarung (unter Berücksichtigung des von der Beklagten dargelegten erkennbaren Zwecks der darin enthaltenen Regelungen) der eindeutige, zweifelsfreie und zwingende Schluss gezogen werden, dass die Parteien die Anrechnungsregel des § 1155 ABGB abbedingen wollten. Andere Aspekte als jene vom Erstgericht herangezogenen, die eine gegenteilige Annahme zuließen, werden von der Klägerin auch in ihrer Revisionsbeantwortung nicht dargetan. Da hier mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden konnte, kommt die subsidiäre (RS0017752) Regelung des § 915 2. HS ABGB nicht zur Anwendung. Darauf stützt sich im Übrigen die Klägerin auch nicht.

[15] 2.1. Nach § 1155 ABGB erster Halbsatz hat der Dienstnehmer grundsätzlich auch Anspruch auf das Entgelt für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seiten des Dienstgebers liegen, daran gehindert wurde. Nach dem letzten Halbsatz des § 1155 Abs 1 ABGB hat sich der Dienstnehmer jedoch das anrechnen (abziehen) zu lassen, was er sich infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitigen Erwerb erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

[16] 2.2. Dass die Klägerin aufgrund der Auflösungsvereinbarung für die gesamte Zeit der Dienstfreistellung Anspruch auf ihr Entgelt hat, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Uneins sind sich die Parteien nur mehr darüber, ob sich die Klägerin ihren tatsächlich erzielten Verdienst bei der neuen Dienstgeberin auf diesen Entgeltanspruch anrechnen lassen muss.

[17] 2.3. Bereits in seiner Entscheidung 9 ObS 34/93 hat der Oberste Gerichtshof auch für den Fall der (dort einseitigen) Dienstfreistellung durch den Dienstgeber die Anwendbarkeit der Einrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB bejaht und dabei auf die Unmissverständlichkeit der Dienstfreistellung hingewiesen, sodass wegen der Sicherheit des Umstands, dass der Dienstgeber seine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen will, dem Dienstnehmer die Annahme anderer Beschäftigungen nach „Treu und Glauben“ zumutbar gewesen sei. Die Anwendung des § 1155 ABGB im Falle eines Verzichts des Dienstgebers auf die Dienstleistung des Dienstnehmers wird auch in der Lehre befürwortet (vgl Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1155 ABGB Rz 52; Gruber‑Risak in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5 § 1155 ABGB Rz 6, 13; Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1155 ABGB Rz 11, 21; Felten in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 1155 Rz 31, 58; Aichberger‑Beig, Reduktion des Entgelts in Zeiten der Nicht‑Beschäftigung? – Zur Anrechnungsregel des § 1155 ABGB, DRdA 2018, 473 [475 f]).

[18] 2.4. Richtig ist zwar, dass der volle Entgeltanspruch dem Arbeitnehmer jedenfalls für Zeitabschnitte zusteht, in denen er die geschuldete Leistung erbracht hat. § 1155 ABGB setzt also das Unterbleiben der Arbeitsleistung voraus. Ein Arbeitnehmer ist – entsprechend dem Inhalt der Arbeitspflicht – lediglich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Er erfüllt daher seine Vertragspflichten auch dann, wenn er sich zur vereinbarten Arbeitszeit am Arbeitsort bereit hält und der Arbeitgeber ihm keine Tätigkeiten zuweist (vgl 9 ObA 53/05t; Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1151 ABGB Rz 75). Der Umstand, dass der Arbeitnehmer bereits durch die Arbeitsbereitschaft (bzw die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft) seine Vertragspflichten erfüllt, hat in der Lehre zu Diskussionen über den Anwendungsbereich des § 1155 ABGB geführt, weil § 1155 ABGB – scheinbar widersprüchlich – einerseits die Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers voraussetzt, aber andererseits die Rechtsfolgen der unterbliebenen Erfüllung regelt (Aichberger‑Beig, Reduktion des Entgelts in Zeiten der Nicht-Beschäftigung? – Zur Anrechnungsregel des § 1155 ABGB, DRdA 2018, 473 [475] FN 24). Richtigerweise erklärt sich dies daraus, dass zwar bereits in der Leistungsbereitschaft die Erfüllung der Arbeitspflicht liegt, aber die Erfüllung dann scheitert, wenn der Empfänger die Leistung ablehnt. Der Anwendungsbereich des § 1155 ABGB ist daher eröffnet, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung – für den Arbeitnehmer erkennbar – endgültig nicht in Anspruch nimmt, zB indem er ihn „nachhause schickt“ oder freistellt (Aichberger‑Beig, Reduktion des Entgelts in Zeiten der Nicht-Beschäftigung? – Zur Anrechnungsregel des § 1155 ABGB, DRdA 2018, 473 [475]).

[19] 2.5. Nichts anderes kann – wie hier – im Fall einer „vereinbarten“ (unwiderruflichen) Dienstfreistellung gelten. Auch hier schuldet zwar der Dienstnehmer keine Arbeitsleistung mehr, dennoch kam die grundsätzlich nach dem Dienstvertrag vom Dienstnehmer geschuldete Arbeitsleistung in der Zeit der Dienstfreistellung nicht zustande. Der Dienstnehmer hat daher nach § 1155 ABGB erster Halbsatz – wie hier in der Beendigungsvereinbarung auch festgehalten – dennoch Anspruch auf sein Entgelt.

[20] 2.6. In der Entscheidung 9 ObA 81/10t (= RS0126226 = DRdA 2012/27, 384 [Reissner]) hat der Oberste Gerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lehrmeinungen im Falle eines sich arbeitsbereit erklärten Arbeitnehmers, dem die Arbeitgeberin Hausverbot erteilt hatte, die Rechtsauffassung vertreten, dass die Einrechnung des aus der Verwertung der Arbeitskraft tatsächlich erzielten anderen Einkommens nicht nur dem klaren Wortlaut des § 1155 ABGB entspricht, sondern auch anderen Anrechnungsregeln im ABGB. Wird der Arbeitnehmer somit aus Gründen, die auf Seiten des Dienstgebers liegen, an der Dienstleistung gehindert, ist das in der Zeit der Verhinderung in anderen Dienstverhältnissen tatsächlich verdiente Entgelt ungeachtet der Motive für den „Annahmeverzug“ des Dienstgebers anzurechnen. Dies findet nur dann nicht statt, wenn der Einwand des Dienstgebers rechtsmissbräuchlich erhoben wird (9 ObA 81/10t = RS0021583 [T6]). Die Anrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB zweiter Halbsatz ist somit auch bei (selbst grundloser) Dienstfreistellung des Dienstnehmers zu bejahen (Schrammel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1155 ABGB Rz 32).

[21] 2.7. Der Abzug von Vorteilen, die der Dienstnehmer tatsächlich aus der Nicht-Beschäftigung gezogen hat, entspricht sowohl dem eindeutigen Willen des historischen Gesetzgebers als auch dem Normzweck, eine Bereicherung des Dienstnehmers zu verhindern (Aichberger‑Beig, Reduktion des Entgelts in Zeiten der Nicht‑Beschäftigung? – Zur Anrechnungsregel des § 1155 ABGB, DRdA 2018, 473 [476]; Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1155 ABGB Rz 49).

[22] 2.8. Die Klägerin tritt den unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Lehre erstatteten Revisionsausführungen der Beklagten ausschließlich mit der wörtlichen Wiedergabe der (teilweise) kritischen Anmerkung von Rebhahn in ZellKomm 2. Auflage, § 1155 ABGB Rz 56 ff, entgegen. Rebhahn stellt (auch in der 3. Auflage des Zeller Kommentars zum Arbeitsrecht) als zentrale These voran, dass die Anrechnungsbestimmung eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindern solle. Er spricht sich für eine Einschränkung der Anrechnungsverpflichtung jedenfalls bei „versäumten Verdiensten“ und eine analoge Anwendung der anrechnungsfreien ersten drei Monate nach § 1162b ABGB aus. Gegen die Anrechnung von tatsächlich erzielten Entgelten hat er aber keine Bedenken (Rz 58). Dieser Rechtsansicht (Einschränkung der Anrechnungsverpflichtung für die ersten drei Monate) ist der Oberste Gerichtshof bereits in der oben zitierten Entscheidung 9 ObA 81/10t nicht gefolgt. Eine Analogie zu § 1162b ABGB wird auch vom erkennenden Senat abgelehnt. Wie bereits dargelegt wurde, ist § 1155 ABGB nach dem Willen des Gesetzgebers und entsprechend seinem Zweck auch bei Verschulden des Arbeitgebers anzuwenden. Es fehlt daher an einer planwidrigen Lücke, die durch Analogie geschlossen werden könnte (vgl RS0098756; Aichberger‑Beig, Reduktion des Entgelts in Zeiten der Nicht-Beschäftigung? – Zur Anrechnungsregel des § 1155 ABGB, DRdA 2018, 473 [477]).

[23] 3. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten hat die Klägerin der Beklagten im Verfahren nicht vorgeworfen (vgl RS0026205 [T3]). Selbst ein vorsätzliches Nichtzulassen zur Arbeit stellt nach der Rechtsprechung allein noch keinen Missbrauch dar, der eine Anrechnung ausschließt (9 ObA 115/03g mwN = RS0118917; 9 ObA 81/10t). Konkrete andere – unlautere – Motive hat die Beklagte weder behauptet noch nachgewiesen.

[24] 4.1. Tatsachen, die der Prozessgegner im Sinne der §§ 266, 267 ZPO ausdrücklich oder schlüssig zugestanden hat, bedürfen keines Beweises (RS0039941 [T6]). Sie sind der Entscheidung – auch im Rechtsmittelverfahren – ohne weiteres zugrunde zu legen (RS0040101). Eine unterbliebene Bestreitung ist dann als Zugeständnis zu werten, wenn gewichtige Indizien dafür sprechen (RS0039941 [T3, T4]), etwa, weil eine Behauptung offenbar leicht widerlegbar wäre (vgl RS0039927).

[25] 4.2. Die Klägerin brachte vor, dass ihr die Beklagte an Entgelt für die Zeit der Dienstfreistellung für die Monate März und April 2021 die Gehälter in Höhe von 11.758,08 EUR brutto sowie die anteiligen Sonderzahlungen von gesamt 1.683,68 EUR brutto schulde. Die Beklagte gestand zu, der Klägerin diese Beträge nicht ausbezahlt zu haben und bestritt auch deren Höhe nicht. Die Beklagte brachte ihrerseits nach Vorlage eines Gehaltszettels (Blg ./A) durch die Klägerin vor, dass diese bei der neuen Dienstgeberin in den Monaten März und April 2021 Gehälter von gesamt 8.800 EUR brutto sowie anteilig Sonderzahlungen von 1.466,67 EUR brutto, insgesamt daher 10.266,67 EUR brutto ins Verdienen gebracht habe. Die Klägerin bestritt die Richtigkeit dieses Vorbringens nicht.

[26] 5. Die Klägerin hat sich daher ihren Verdienst von 10.266,67 EUR brutto auf ihren klageweise geltend gemachten Entgeltanspruch von 11.758,08 EUR anrechnen zu lassen. In diesem Umfang ist der Schuldtilgungseinwand der Beklagten berechtigt.

[27] 6. Gemäß § 49a ASGG gebührt der dort genannte höhere Zinssatz dann nicht, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht. Eine komplexe Materie, die eine objektiv vertretbare Rechtsansicht begründen würde (vgl RS0125438), liegt im vorliegenden Fall zwar hinsichtlich der Frage der Anrechnungspflicht vor, nicht aber hinsichtlich jener von der Beklagten nicht nachgewiesenen Umstände (ua Vereinbarung einer Meldepflicht, automatische Beendigung des Dienstverhältnisses), die zur Berechtigung des teilweisen Klagszuspruchs geführt haben.

[28] Da sich die Revision der Beklagten damit teilweise als erfolgreich erweist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer teilweisen Klagsabweisung abzuändern.

[29] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Beklagte ist im Verfahren mit rund 12,5 % unterlegen, weshalb die Klägerin der Beklagten 75 % deren Prozesskosten (87,5 % deren Barauslagen) zu ersetzen hat. Die Klägerin hat wiederum Anspruch auf Ersatz ihrer Barauslagen im Umfang von 12,5 %. Die Einwendungen der Klägerin gegen das erstinstanzliche Kostenverzeichnis der Beklagten sind teilweise berechtigt: Die Vertagungsbitte vom 15. 3. 2020 sowie die damit in Zusammenhang stehenden Urkundenvorlagen vom 22. 3. 2022 und 28. 3. 2022 waren nicht zu honorieren, weil die Verhinderung des informierten Vertreters der Beklagten in deren Sphäre lag (vgl RS0121621; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.273). Hingegen war der in der Verhandlung vom 8. 9. 2022 aufgetragene Schriftsatz zu honorieren, weil darin auch ein zweckdienliches Vorbringen erstattet wurde.

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