OGH 9Ob30/23m

OGH9Ob30/23m27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Annerl in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei M*, vertreten durch Mag. Siegfried Berger und Mag. Harald Brandstätter, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, gegen die beklagte und widerklagende Partei H*, vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. März 2023, GZ 21 R 277/22i‑19, mit dem der Berufung der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 12. Oktober 2022, GZ 303 C 15/22p‑11 (303 C 24/22m), nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00030.23M.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die am 30. 4. 1983 geschlossene Ehe der Parteien wurde mit Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 16. 2. 2011 gemäß § 55 EheG geschieden, wobei gemäß § 61 Abs 3 EheG ausgesprochen wurde, dass der Beklagte das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe trägt.

[2] Am 2. 9. 2009, noch während aufrechter Ehe, hatten die Parteien im Ehegattenunterhaltsverfahren zu 3 C 57/09i des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, mit dem sich der Beklagte ua verpflichtete, der Klägerin ab Oktober 2009 einen Unterhalt von monatlich 1.000 EUR zu bezahlen. Dem Vergleich selbst sind weder eine Bemessungsgrundlage noch andere für die Höhe des Unterhalts zugrunde gelegte Bemessungsfaktoren zu entnehmen. In diesem Verfahren hatte die Klägerin vorgebracht, dass sie die im gemeinsamen Eigentum stehende Liegenschaft (Ehewohnung) seit dem Auszug des Beklagten am 7. 12. 2007 mit den beiden gemeinsamen Kindern allein nutze. Ausgehend von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen des Beklagten von 3.456,67 EUR errechne sich unter Hinzurechnung von 600 EUR an fiktiven Wohnkosten für die Hälfte des ehelichen Wohnhauses zur Bemessungsgrundlage, zuzüglich der vom Beklagten zu tragenden Betriebskosten von 38,70 EUR, unter Anwendung der „33 % Methode“ ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 1.351,47 EUR. Abzüglich der fiktiven Wohnkosten der Klägerin von 150 EUR und der Versicherungsprämien von 100 EUR, die vom Beklagten zugunsten der Klägerin bezahlt würden, ergebe dies ab 1. 1. 2008 einen monatlichen Unterhaltsanspruch der Klägerin von 1.101,47 EUR. Der Beklagte führte in Bestreitung dieses Vorbringens der Klägerin aus, dass nicht nachvollziehbar sei, warum sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage durch die unentgeltliche Zurverfügungstellung seiner Liegenschaftshälfte erhöhe. Zudem leiste er Naturalunterhalt auch durch Zahlung der Unfallversicherungsprämie für die Klägerin von 30 EUR monatlich und der Holzkosten für die Heizung der von der Klägerin und den Töchtern genutzten Wohnung sowie der vermieteten Geschäftsräumlichkeiten.

[3] Mit dem im Aufteilungsverfahren abgeschlossenen Vergleich vom 16. 11. 2011 übertrug der Beklagte der Klägerin seinen Hälfteanteil an der ehelichen Liegenschaft mit dem darauf errichteten Einfamilienhaus gegen eine Ausgleichszahlung von 155.000 EUR.

[4] Mit Klage vom 2. 12. 2011 (3 C 75/11i des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau) begehrte die Klägerin eine Erhöhung des Unterhalts ab 1. 12. 2011 um monatlich 300 EUR mit der Begründung, dass sich seit Abschluss des Unterhaltsvergleiches die Umstände wesentlich geändert hätten. Mit Urteil vom 12. 10. 2012 wurde die monatliche Unterhaltsleistung des Beklagten ab 1. 12. 2011 um 10 EUR erhöht. Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten hingegen zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 1.300 EUR (21 R 1/13p des Landesgerichts Salzburg). Begründend führte es aus, dass durch Vergleich festgelegte Unterhaltsansprüche der Umstandsklausel unterlägen und sich die Neubemessung des Unterhalts im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an der vergleichsweisen Regelung zu orientieren hätte. Im ursprünglichen Vergleich sei eine Wohnkostenersparnis der Klägerin nicht berücksichtigt worden, obwohl damals bereits die eheliche Gemeinschaft aufgehoben gewesen sei und die Klägerin die vormalige Ehewohnung allein genutzt habe. Es habe sich diesbezüglich seither nichts Wesentliches geändert, sodass nun bei Anpassung des Unterhaltsvergleichs an die geänderten Verhältnisse die Berücksichtigung einer Wohnkostenersparnis ebenso wenig in Betracht komme. Daran könne auch der Umstand, dass der Beklagte seine Liegenschaftshälfte an die Klägerin übertragen habe, nichts ändern, stehe doch der Übertragung der Liegenschaftshälfte eine Gegenleistung der Klägerin in Form einer Ausgleichszahlung gegenüber, was die Anrechnung einer Wohnkostenersparnis ebenfalls ausschließe.

[5] Mit Vertrag vom 31. 10. 2012 schenkte die Klägerin die Liegenschaft ihrer Tochter. Diese räumte der Klägerin die lebenslange, unentgeltliche und höchstpersönliche Dienstbarkeit des Wohnungsgebrauchsrechts an den Räumlichkeiten im Obergeschoß (ca 130 m²), verbunden mit der Mitbenutzungsmöglichkeit des Gartens und der Garage samt den Zu‑ und Aufgängen, ein. Die Klägerin hat alle mit der Nutzung der Wohnung verbundenen (Betriebs‑)Kosten selbst zu tragen.

[6] Der Beklagte erhielt aufgrund seiner Pensionierung mit 1. 12. 2020 eine Abfertigung von 54.061,28 EUR ausbezahlt. Zwischen den Parteien wurde vereinbart, dass die Klägerin von dieser Abfertigung ein Drittel erhält und von diesem Betrag die Überzahlung aus dem laufenden Unterhalt vom Pensionsantritt des Beklagten bis inklusive Jänner 2022 abgezogen wird. Der Beklagte überwies der Klägerin am 1. 2. 2022 10.412,34 EUR.

[7] Ab 1. 1. 2021 betrug das durchschnittliche Nettopensionseinkommen des Beklagten 3.372,48 EUR, seit 1. 1. 2022 beträgt es 3.407,83 EUR. Vor der Pensionierung bezog der Beklagte zuletzt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 4.635,16 EUR. Die Klägerin bezieht ein durchschnittliches Nettoeinkommen von monatlich 453,16 EUR.

[8] Der fiktive Mietzins für den Raum St. Johann im Pongau, gute Lage, beträgt 7,77 EUR/m².

[9] Mit der vorliegenden Klage (AZ 303 C 15/22p) begehrt die Klägerin den ihr als Unterhalt zustehenden – restlichen – Anteil an der dem Beklagten ausbezahlten Abfertigung, abzüglich der Überzahlung für den Zeitraum Februar 2021 bis inklusive Jänner 2022. Auf Basis eines Drittels der Abfertigung und der bereits geleisteten Teilzahlung errechne sich ihr Anspruch mit 4.882,68 EUR.

[10] Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte insbesondere ein, dass aufgrund seiner Pensionierung und der damit einhergehenden Einkommensreduktion um rund 27 % eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorliege, die zu einer Neufestsetzung des Unterhalts zu führen habe. Dabei müsse die Wohnkostenersparnis der Klägerin durch Anrechnung eines fiktiven Mietzinses angemessen berücksichtigt werden. Aufgrund der bereits geleisteten Teilzahlung bestehe kein Unterhaltsrückstand.

[11] Mit seiner Widerklage begehrt der Beklagte seine monatliche Unterhaltsverpflichtung von 1. 2. 2021 bis 31. 12. 2021 auf 803,82 EUR und ab 1. 1. 2022 auf 813,93 EUR herabzusetzen. Begründend verwies der Beklagte auf die vorzunehmende Neufestsetzung des Unterhalts unter Berücksichtigung der Wohnkostenersparnis der Klägerin.

[12] Die Klägerin beantragte die Abweisung der Widerklage.

[13] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren der Klägerin in vollem Umfang statt, setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Beklagten für den Zeitraum 1. 2. 2021 bis 31. 12. 2021 auf 1.071,76 EUR und ab 1. 1. 2022 auf 1.085,23 EUR herab. Das (Mehr‑)Begehren der Widerklage wies es ab. Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, dass der Unterhaltsanspruch der Klägerin auf dem Unterhaltsvergleich vom 2. 9. 2009 basiere, der in der Folge durch das Urteil im Unterhaltsverfahren zu 3 C 75/11i des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau in Zusammenschau mit dem Berufungsurteil zu 21 R 1/13p des Landesgerichts Salzburg angepasst worden sei. Dem ursprünglichen Unterhaltsvergleich vom 2. 9. 2009 sei ein monatliches Nettoeinkommen des Beklagten zwischen 3.500 EUR und 3.700 EUR zugrunde gelegen, wobei der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach der „33 % Methode“ ermittelt worden sei. Im Unterhaltsvergleich seien der – von den Parteien mit einem Nachlass von monatlich 100 EUR einvernehmlich festgelegte – Verzicht des Beklagten in die Ehewohnung zurückzukehren und die bis einschließlich Dezember 2011 vom Beklagten gezahlte monatliche Gebäudeversicherungsprämie von 96 EUR berücksichtigt worden. Nicht berücksichtigt worden sei darin hingegen eine Wohnkostenersparnis der Klägerin, obwohl bereits damals die eheliche Gemeinschaft der Parteien aufgehoben gewesen sei und die Klägerin die vormalige Ehewohnung allein benutzt habe. Insofern habe sich seither in den Bedürfnissen der Klägerin, insbesondere an ihrem Wohnbedürfnis nichts Wesentliches geändert, sodass nun bei der Anpassung des Unterhaltsvergleichs an die geänderten Verhältnisse (Pensionierung des Beklagten) die Berücksichtigung einer Wohnkostenersparnis nicht in Betracht komme. Die Unterhaltsfestsetzung habe daher (nur) unter Zugrundelegung des Pensionseinkommens des Beklagten und entsprechend den Parametern im ursprünglichen Vergleich („33 % Methode“) zu erfolgen. Unter Berücksichtigung einer – von der Klägerin auch zugestandenen – Überzahlung für die Monate Februar 2021 bis einschließlich Jänner 2022 von 2.725,41 EUR ergebe sich abzüglich der geleisteten Teilzahlung des Beklagten von 10.412,34 EUR der zugesprochene Klagsbetrag und die Verpflichtung des Beklagten zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an die Klägerin ab Februar 2022 in Höhe von 1.085,23 EUR.

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten, mit der dieser die Abänderung des Ersturteils dahin begehrte, dass er lediglich verpflichtet werde, der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbetrag für den Zeitraum1. 2. 2021 bis 31. 12. 2021 von 803,82 EUR und ab 1. 1. 2022 von 813,93 EUR zu leisten und das Klagemehrbegehren abgewiesen werde, nicht Folge. Durch den Pensionsantritt des Beklagten (geringeres Einkommen, Erhalt einer Abfertigung) sei eine Neubemessung des Unterhalts vorzunehmen. Ob der monatliche Unterhaltsanspruch der Klägerin für das Jahr 2021 mit 1.071,76 EUR und für das Jahr 2022 mit 1.085,23 EUR nach der „40 % Methode“, wie von der Klägerin begehrt, oder nach der vom Erstgericht angewandten „33 % Methode“ zu ermitteln sei, sei irrelevant, weil diese Beträge vom Beklagten außer Streit gestellt worden seien. Relevant verbleibe daher lediglich die Frage der Wohnkostenersparnis. Diesbezüglich verwies das Berufungsgericht auf die Ausführungen in der Berufungsentscheidung 21 R 1/13p des Landesgerichts Salzburg und trat diesen bei. In Bezug auf das Wohnbedürfnis seien bei der Klägerin seit Abschluss des Unterhaltsvergleichs keine berücksichtigungswürdigen Änderungen eingetreten: Zwar hätten sich seitdem die Eigentumsverhältnisse geändert, doch ändere sich dadurch für die Klägerin wirtschaftlich gesehen nichts. Im Übrigen sei eine Wohnkostenersparnis der Klägerin auch deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie sich zwar Mietzinszahlungen spare, aber den sonstigen, mit dem Wohnen verbundenen Aufwand durch Betriebskosten zu tragen habe.

[15] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zur Frage der Berücksichtigung der Wohnkostenersparnis aufgrund der wesentlichen Änderung der Verhältnisse zugelassen.

[16] In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne seiner Berufungsanträge; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Klägerin beantragt in ihrerRevisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Die Revision des Beklagten ist zulässig und im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[19] 1. Jede Unterhaltsregelung, ob durch gerichtliche Entscheidung oder (gerichtlichen) Vergleich, unterliegt der Umstandsklausel, sodass wesentliche Änderungen der Verhältnisse auf Antrag zu einer Neufestsetzung des Unterhaltsanspruchs führen (RS0018984 [T15]). Dass im vorliegenden Fall eine wesentliche Umstandsänderung infolge einer Änderung der Einkommensverhältnisse des Beklagten vorliegt, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

[20] 2. Strittig verblieben ist zwischen den Parteien, wie die Neubemessung des Unterhalts zu erfolgen hat. Dazu ist Folgendes auszuführen:

[21] 2.1. Wurde der Unterhalt, wie hier (ursprünglich) in einem Vergleich festgesetzt, so hat sich die Neubemessung grundsätzlich an der vergleichsweisen Regelung zu orientieren. Die der Unterhaltsvereinbarung zugrundeliegende Relation zwischen Einkommen und Unterhaltsleistung ist dabei grundsätzlich aufrechtzuerhalten (RS0019018; RS0047529 [T11]; RS0047471). Nur in Fällen, in denen sich nicht bloß die Einkommensverhältnisse, sondern auch weitere für die Unterhaltsbemessung maßgebliche Umstände änderten, ist eine Neubemessung losgelöst von der bestehenden vergleichsweisen Regelung vorzunehmen (RS0047529 [T12]; vgl RS0105944 [T3, T4]).

[22] 2.2. Maßgebend ist, was die Parteien im konkreten Einzelfall mit ihrem Unterhaltsvergleich für die Zukunft regeln wollten. Dafür ist unter Berücksichtigung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze eine Vertragsauslegung vorzunehmen (RS0047471 [T5]). Häufig wird eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich sein, bei der unter Berücksichtigung der Gesamtvereinbarung und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu erforschen ist, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien getroffen hätten (RS0019018 [T22, T23]; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2021] § 94 ABGB Rz 108; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 94 ABGB Rz 49; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht2 [2021] § 94 ABGB Rz 293; vgl auch Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2018] § 94 ABGB Rz 71; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 [2022] 296).

[23] 2.3. Beschränkt sich die Änderung der Verhältnisse auf das Einkommen als Unterhaltsbemessungsgrundlage, ist in ergänzender Vertragsauslegung regelmäßig anzunehmen, die Parteien hätten bei Bedachtnahme auf die später geänderten Umstände einen Unterhalt vereinbart, der der sich aus dem Vergleich ergebenden Relation zwischen Einkommen und Unterhalt entspricht (RS0105944 [T8]). Ändern sich hingegen mehrere Bemessungsparameter (Wegfall oder Hinzutreten von weiteren Unterhaltspflichten beim Unterhaltspflichtigen, Änderung der Bedürfnisse beim Unterhaltsberechtigten), ist – wie oben dargelegt – im Allgemeinen mit einer von den Vergleichsrelationen losgelösten Neubemessung des Unterhalts vorzugehen (RS0105944 [T4]; RS0047471; RS0019018 [T1, T7, T14]; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 94 ABGB Rz 108 mwN). Auch bei einer Änderung mehrerer Bemessungsparameter kann die (allenfalls ergänzende) Vertragsauslegung aber zu dem Ergebnis führen, dass die im Unterhaltsvergleich festgelegte Relation zwischen den Bemessungsfaktoren, insbesondere zwischen dem Einkommen und der Unterhaltshöhe (die Vergleichsrelation) nicht zu vernachlässigen ist (RS0047471 [T13, T15]; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 94 ABGB Rz 49; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht2 § 94 ABGB Rz 293).

[24] 2.4. Nach der Rechtsprechung findet eine von Vergleichsrelationen losgelöste Neubemessung des Unterhalts nach dem Gesetz auch dann statt, wenn die Unterhaltsvereinbarung nur der Konkretisierung des gesetzlichen Unterhalts diente oder wenn die von den Parteien zugrunde gelegten Bemessungsfaktoren nicht feststellbar sind (RS0019018 [T15]; RS0047529 [T7]; Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 94 ABGB Rz 108; Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2018] § 94 ABGB Rz 71). Die in einem Vorvergleich enthaltenen Vereinbarungen sind also dann unbeachtlich, wenn die Parteien damit nur den gesetzlichen Anspruch ohne „vorsätzliche“ Vernachlässigung oder Überbewertung einzelner Bemessungsfaktoren bestimmen wollten, wenn sie den vereinbarten Unterhaltsbetrag nicht in eine bestimmte Relation zu einer Bemessungsgröße stellen wollten oder wenn eine solche Relation nicht mehr festgestellt werden kann (10 Ob 95/11k Pkt 2 mit Verweis auf Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht2 § 94 ABGB Rz 293; RS0047529 [T1]).

[25] 2.5. Um diese Rechtsfragen zu lösen, sind entsprechende Feststellungen zu der dem Vergleich (Vortitel) zugrundeliegenden Absicht der Parteien sowie zur Frage, welche Bemessungskriterien die Parteien diesem Vergleich zugrunde gelegt haben, erforderlich (vgl 10 Ob 95/11k).

[26] 3.1. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass sich im vorliegenden Fall an den Bedürfnissen der unterhaltsberechtigten Klägerin seit dem Unterhaltsvergleich nichts geändert hat. Insbesondere ist es zu keiner wesentlichen Änderung in ihrem Wohnbedürfnis gekommen: Auch durch die erfolgte Schenkung der Liegenschaft an ihre Tochter änderte sich, wie das Berufungsgericht zutreffend aufzeigt, für die Unterhaltsberechtigte im konkreten Fall wirtschaftlich nichts. Es haben sich somit nur die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen geändert, womit eine (schon) aufgrund der Änderung mehrerer Bemessungsparameter indizierte vollkommene – das heißt von den Vergleichsrelationen losgelöste – Neubemessung nicht vorzunehmen ist.

[27] 3.2. Dennoch kann hier – entgegen der Ansicht des Revisionswerbers – nicht von einer bloßen Konkretisierung des gesetzlichen Unterhalts im Unterhaltsvergleich aus dem Jahr 2009 gesprochen werden, weil der darin vereinbarte Nachlass von monatlich 100 EUR (für den Verzicht des Beklagten in die Ehewohnung zurückzukehren) nicht als bloß unwesentliche bzw geringfügige Abweichung verstanden werden kann.

[28] 4.1. Die auf die Entscheidung 10 Ob 82/19k Pkt 1.2. (RS0047254 [T25]) gestützte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, eine Anrechnung der Wohnkostenersparnis – erkennbar gemeint bei grundsätzlicher Annahme deren Anrechenbarkeit – komme aber auch deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin nach den Feststellungen alle mit der Nutzung der Wohnung verbundenen (Betriebs‑)Kosten aus eigenem zu tragen habe, wird vom Senat in dieser Allgemeinheit nicht geteilt.

[29] 4.2. Richtig ist, dass es nach herrschender Rechtsprechung nicht des gesamten grundsätzlich zustehenden Geldunterhalts bedarf, um den vollständigen Unterhalt des Unterhaltsberechtigten zu decken, wenn dieser nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen hat (RS0047254). Auch wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnbedarf in einer ihm selbst gehörenden Eigentumswohnung (Haus) deckt, so ist sein Wohnbedürfnis damit befriedigt. Er bedarf in diesem Fall nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um sein vollständiges Unterhaltsbedürfnis zu decken (RS0047254 [T17]). Die Wohnkostenersparnis ist auch in diesem Fall angemessen auf den Geldunterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten anzurechnen (RS0047254 [T1, T4, T5, T12]). Wo diese Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 Ob 64/13i mwN).

[30] 4.3. Dem Ergebnis der in der Entscheidung 10 Ob 82/19k vorgenommenen Angemesenheitsprüfung wurde beachtenswerte Kritik entgegengebracht (Deixler‑Hübner [iFamZ 2020/65, 116], Gitschthaler [EF‑Z 2020/53, 125; ders in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht2 § 94 ABGB Rz 6]). Gitschthaler zeigt zutreffend auf, dass sich der Unterhaltspflichtige in jenen Fällen, in denen er entweder die Miete der Wohnung weiter zahlt oder seine Eigentumswohnung zur Verfügung stellt, die fiktiven Mietkosten selbst dann anrechnen könne, wenn er die Wohnungsbenützungskosten nicht zahlen sollte. Nichts anderes könne für den Fall der Selbstversorgung gelten: Es bestehe daher keinerlei Veranlassung, einem geldunterhaltspflichtigen Ehegatten die Wohnkostenanrechnung zu verweigern, weil der Unterhaltsberechtigte zwar aufwendungsfrei (kein Mietentgelt, keine Darlehensrückzahlungen) in seiner eigenen Wohnung lebe, hierfür jedoch Betriebskosten zu zahlen habe. Deixler‑Hübner merkt an, dass jedenfalls zu berücksichtigen sei, dass der fiktive Mietwert höher sein könne (und in der Regel auch sei) als die Betriebskosten, sodass auch in diesem Fall ein entsprechender Abzug vom Unterhalt möglich sein müsse. Dem ist zuzustimmen. Dass der Unterhaltsberechtigte für die Betriebskosten der Wohnung aufkommt, kann daher allenfalls zu einem (im Vergleich) geringeren Abzug berechtigen, wird aber in der Regel nicht zu einem völligen Entfall der Anrechnung führen (vgl auch Hinteregger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 94 ABGB Rz 34).

[31] 5. Für die Anpassung des Unterhalts sind demnach die Vergleichsrelationen bzw die diesen einvernehmlich zugrunde gelegten Bemessungskriterien relevant. Dazu enthält das erstgerichtliche Urteil aber keine Feststellungen. Im festgestellten Sachverhalt wird lediglich das im – dem Unterhaltsvergleich vorangegangenen – Ehegattenunterhaltsverfahren erstattete wechselseitige Vorbringen wiedergegeben sowie anschließend der Verfahrensgang zu 3 C 75/11i des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau dargestellt. Dass das Erstgericht aber damit keine (eigenen) Feststellungen über die im gegenständlichen Verfahren aufgestellten widerstreitenden Behauptungen der Parteien zur Auslegung des Unterhaltsvergleichs treffen wollte, spiegelt sich auch in der Beweiswürdigung wieder, in der in diesem Zusammenhang lediglich auf einen unstrittigen Sachverhalt und unbedenkliche Urkunden verwiesen wird. Aus diesem Grund können auch die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung nicht als eindeutig dem Tatsachenbereich zugeordnete Ausführungen (vgl RS0043110) verstanden werden.

[32] 6. Aufgrund der damit vorliegenden sekundären Feststellungsmängel erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. In Stattgebung der Revision des Beklagten waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

[33] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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