OGH 10Ob82/19k

OGH10Ob82/19k21.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei H*, vertreten durch Dr. Alois Autherith, Mag. Rainer Samek und Mag. Michael Imre, Rechtsanwälte in Krems, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei R*, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen einstweiligen Unterhalts (§ 382 Abs 1 Z 8 lit a 1. Fall EO), über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei (Revisionsrekursinteresse 8.712 EUR) gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 3. Oktober 2019, GZ 16 R 270/19y‑17, mit dem die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Mödling vom 17. Juli 2019, GZ 7 C 23/19m‑11, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127385

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts einschließlich ihres rechtskräftigen Teils wiederhergestellt wird.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen, die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei hat diese Kosten endgültig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Ehe der Streitteile ist aufrecht. Ihr gemeinsamer, am 4. 1. 1996 geborener Sohn ist noch nicht selbsterhaltungsfähig. Die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei (Antragsgegnerin) ist am 7. 12. 2018 aus dem ehelichen Wohnhaus (Einfamilienhaus) in K*, das die klagende und gefährdete Partei (Antragsteller) als Alleineigentümer nach wie vor bewohnt, ausgezogen. Sie verdient als Krankenschwester durchschnittlich 3.250 EUR monatlich netto. Der Antragsteller erzielt als Zeitungszusteller (sonntags) ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 255 EUR.

In dritter Instanz ist nicht strittig, dass dem (teils) haushaltsführenden Antragsteller iSd § 94 Abs 2 Satz 1 und 2 ABGB ein Ergänzungsunterhalt zusteht, den die Vorinstanzen – von den Parteien unbeanstandet – mit 29 % des Nettoeinkommens der Antragsgegnerin bemessen haben. Es ist nur mehr zu klären, ob dieser Unterhaltsanspruch um eine fiktive Mietkostenersparnis zu mindern ist (so das Rekursgericht).

Das Erstgericht sprach dem Antragsteller den gesamten begehrten einstweiligen Unterhalt von 942 EUR ab 1. 2. 2019 zu.

Das von der Antragsgegnerin angerufene Rekursgericht reduzierte den monatlichen Unterhaltsbetrag auf 700 EUR. Das Wohnbedürfnis des Antragstellers sei durch die Nutzung des in seinem Alleineigentum stehenden ehelichen Wohnhauses befriedigt. Er bedürfe daher nicht des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um sein vollständiges Unterhaltsbedürfnis zu decken. Die monatliche Wohnkostenersparnis bemaß das Rekursgericht nach § 273 ZPO mit 242 EUR.

Rechtliche Beurteilung

Der nachträglich zugelassene, von der Antragsgegnerin beantwortete Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig und berechtigt.

1.1 Grundsätzlich ist nach Aufhebung der ehelichen Hausgemeinschaft der gesamte angemessene Unterhalt des Unterhaltsberechtigten in Geld zu leisten (RIS‑Justiz RS0009414). Hat der Unterhaltsberechtigte aber nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, so bedarf es regelmäßig nicht mehr des gesamten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Bedarf zu decken (RS0047254). Die sich wirtschaftlich ergebende Wohnkostenersparnis ist angemessen zu berücksichtigen und als Naturalunterhalt in einem Umfang anzurechnen, der dem persönlichen Bedarf des Unterhaltsberechtigten entspricht (RS0047254 [T1]). Bei durchschnittlichen Verhältnissen lässt die Rechtsprechung diese Kürzung lediglich um ein Viertel zu. Gebührt infolge eines Eigeneinkommens ein Ergänzungsunterhalt, ist dieses Viertel aus dem Eigeneinkommen und dem ungekürzten Ergänzungsunterhalt zu ermitteln (2 Ob 211/18w = iFamZ 2019/196, 322 [Deixler‑Hübner] = EF‑Z 2019/154, 268 [Gitschthaler]). Für die Frage, welcher Vorteil dem Unterhaltsberechtigten zukommt, ist der anteilige fiktive Mietwert der Wohnung maßgebend (4 Ob 54/19y mwN = iFamZ 2019/162, 253 [Deixler‑Hübner]; RS0130891 [T1]).

1.2 Wenn die Wohnung – wie hier – im Alleineigentum des Unterhaltsberechtigten steht, bedarf er nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ebenfalls nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, weshalb die Wohnkostenersparnis mit dem (anteiligen) fiktiven Mietwert zu berücksichtigen ist (7 Ob 179/11s mwN = RS0047254 [T17]). Das setzt allerdings voraus, dass der Unterhaltsberechtigte für die Wohnung keine Kosten aufwenden muss (7 Ob 179/11s; 1 Ob 137/16b, RS0047254 [T20]; 2 Ob 211/18w). Handelt es sich um ein bereits ausbezahltes Objekt, sind bei der Ermittlung einer Wohnkostenersparnis die zu zahlenden Betriebskosten zu berücksichtigen (7 Ob 179/11s mwN).

2.1 Das Rekursgericht hat die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs 2 Satz 1 und 2 ABGB grundsätzlich bejaht und – von der Antragsgegnerin unbekämpft – einen Provisorialunterhalt von 700 EUR monatlich zugesprochen. Dem Grund nach steht der Unterhaltsanspruch rechtskräftig fest.

2.2 Der Antragsteller macht im Revisionsrekurs zu Recht geltend, dass die behauptungs‑ und beweispflichtige (RS0047254 [T22]; 7 Ob 179/11s) Antragsgegnerin mit dem erstmals im Rekurs erstatteten Vorbringen zu einer (nicht weiter konkretisierten) Mietzinsersparnis gegen das auch in diesem Provisorialverfahren anzuwendende (RS0002445) Neuerungsverbot verstoßen hat. Ihr erstinstanzliches Vorbringen befasste sich mit der Arbeitsfähigkeit ihres Mannes und dessen, ihren Auszug und die Einstellung der Naturalunterhaltsleistungen rechtfertigenden Verfehlungen. Diese Einwendungen zielten auf eine Anspannung des Antragstellers sowie eine Unterhaltsverwirkung und wurden von den Vorinstanzen als nicht gerechtfertigt angesehen. Sie betrafen den rechtskräftig bejahten Anspruchsgrund, nicht hingegen die Reduktion des Unterhaltsanspruchs um eine fiktive Mietzinsersparnis. Betreffend das eheliche Wohnhaus beschränkte sich das erstinstanzliche Vorbringen der Antragsgegnerin auf Behauptungen, nur sie habe den Bau des auf dem Grundstück des Antragstellers errichteten Wohnhauses finanziert und in den letzten 15 bis 18 Jahren die Betriebskosten bezahlt, während der arbeitsunwillige Antragsteller nichts beigetragen habe.

2.3 Das Erstgericht stellte fest, dass der Antragsteller vor Eheschließung die Liegenschaft kaufte und auf dieser „in Eigenregie“ das ab der Eheschließung den Parteien als Ehewohnung dienende Einfamilienhaus errichtete. Ebenso wurde festgestellt, dass die Antragsgegnerin die „Wohnungskosten“ nur bis zu ihrem Auszug am 7. 12. 2018 zahlte.

2.4 Die Überlegungen des Rekursgerichts zu Lage und Ausmaß des Grundstücks und die Ausmittlung einer angeblichen Mietzinsersparnis nach § 273 ZPO konnten ohne ausreichendes Tatsachensubstrat in Vorbringen und Feststellungen die ausgesprochene Minderung des Unterhalts nicht rechtfertigen.

3.1 Die Reduktion des Unterhalts um eine Mietzinsersparnis scheitert zudem im Sinn der Rechtsmittelausführungen daran, dass die Unterhaltspflichtige seit ihrem Auszug – wie von den Vorinstanzen festgestellt – keine Kosten für die Ehewohnung zahlt. Der Unterhaltsberechtigte, der die in seinem Alleineigentum stehende Ehewohnung offenbar ohne Belastung mit Kreditraten bewohnt, erspart sich – so wie andere Eigentümer einer ausbezahlten Wohnung – zwar Mietzinszahlungen, nicht aber den sonstigen, mit dem Wohnen verbundenen Aufwand durch Betriebskosten. Die Anrechnung der Wohnkostenersparnis als Naturalunterhalt setzt im Sinn der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs voraus, dass nicht der Unterhaltsberechtigte die gesamten Kosten der Wohnversorgung deshalb finanzieren muss, weil der unterhaltspflichtige Ehegatte nach seinem Auszug entgegen den bisherigen Lebensverhältnissen keinen Beitrag mehr leistet. Dass die Betriebskosten so geringfügig sind, dass der nach der Prozentkomponente ermittelte Geldunterhalt nicht mehr den Lebensverhältnissen der Ehegatten entspricht und deshalb als unangemessen hoch zu reduzieren wäre, behauptet(e) die Antragsgegnerin nicht.

4. Aus diesen Erwägungen ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben. Die einstweilige Verfügung des Erstgerichts ist wiederherzustellen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO (Antragsteller) sowie auf §§ 78, 402 Abs 2 EO iVm §§ 41, 50 ZPO (Antragsgegnerin).

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