European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00098.23V.0822.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
[1] Das Kind des Klägers wurde am 27. 3. 2022 geboren. Es musste aufgrund einer Zungenfehlbildung am 28. 3. 2022 operativ versorgt werden. Auch die Mutter des Kindes blieb als Folge der Kaiserschnittgeburt noch stationär im Spital. Beide wurden am 31. 3. 2022 aus der Spitalspflege entlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Kind von beiden Elternteilen im Ausmaß von mindestens durchschnittlich 4 Stunden täglich gepflegt und betreut. Unstrittig fanden sich Kind und Mutter noch am Tag der Entlassung aus dem Krankenhaus im gemeinsamen Haushalt ein.
[2] Mit Bescheid vom 30. 8. 2022 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für das Kind für den Zeitraum von 27. 3. 2022 bis 23. 4. 2022 ab, weil infolge der stationären Behandlung der Gattin des Klägers die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 4 iVm § 2 Abs 3 FamZeitbG nicht erfüllt seien.
[3] Die Vorinstanzen gaben dem dagegen vom Kläger erhobenen Klage‑(Haupt‑)begehren auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für das Kind für den Zeitraum von 27. 3. 2022 bis 23. 4. 2022 in Höhe von 22,60 EUR täglich statt, weil die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen unter Bedachtnahme auf § 2 Abs 3a FamZeitbG erfüllt seien.
Rechtliche Beurteilung
[4] In ihrer gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1. Anspruch auf Familienzeitbonus besteht ua gemäß § 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG dann, wenn sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit (§ 2 Abs 4 FamZeitbG) befindet und darüber hinaus er, das Kind und der andere Elternteil gemäß § 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG im gemeinsamen Haushalt (§ 2 Abs 3 FamZeitbG) leben. Während des Spitalsaufenthalts des Kindes und der Mutter fehlt es an einem gemeinsamen Haushalt im Sinn des § 2 Abs 3 FamZeitbG (RIS‑Justiz RS0132377). Dies schadet jedoch dann dem Anspruch nicht, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs 3a FamZeitbG erfüllt sind. Diese Bestimmung lautet: „Bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes wird bei persönlicher Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt im Sinne des Abs. 3 angenommen. Ein solcher Krankenhausaufenthalt des Kindes steht dem Vorliegen einer Familienzeit nach Abs. 4 nicht entgegen.“ § 2 Abs 3a FamZeitbG trägt dem Umstand Rechnung, dass die Versorgung eines erkrankten Kindes während eines Krankenhausaufenthalts zwar typischerweise von der Krankenanstalt übernommen wird, der Zweck der Familienzeit aber dennoch erreicht werden kann, wenn die Eltern ihr Kind im Krankenhaus persönlich pflegen (10 ObS 82/21p Rz 25).
[6] 2.1 Die Beklagte stellt nicht in Frage, dass der Krankenhausaufenthalt des Kindes im vorliegenden Fall medizinisch indiziert war und dass das Kind nach den – den Obersten Gerichtshof bindenden und im Übrigen nicht angefochtenen – Feststellungen von beiden Elternteilen im gesetzlich geforderten Mindestausmaß persönlich gepflegt und betreut wurden.
[7] 2.2 Das Argument der Beklagten, im Fall eines „medizinisch indizierten stationären Spitalsaufenthalts“ der Mutter könne sich der Vater nicht in Familienzeit befinden, findet im dargestellten Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Dieser stellt für die Fiktion des gemeinsamen Haushalts nicht auf einen bestimmten „Aufenthalt“ der Mutter ab, sondern erstens darauf, dass sich das Kind in einem medizinisch indizierten Spitalsaufenthalt befindet (10 ObS 134/21k SSV‑NF 35/57) und zweitens darauf, dass es während dieses Spitalsaufenthalts persönlich vom Vater und vom anderen Elternteil betreut und gepflegt wird.
[8] 2.3 Sofern die Beklagte in der Revision andeutet, dass sich die Mutter des Kindes von der Kaiserschnittgeburt im Spital „erholt“ habe, und dass sie dort „nicht als bloße Betreuungsperson“ des Kindes aufgenommen worden sei, geht sie nicht von den Feststellungen aus, wonach (auch) die Mutter das Kind im gesetzlich vorgesehenen Mindestausmaß während dessen Spitalsaufenthalts betreut und gepflegt hat. Insofern ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt.
[9] 3. In den von der Beklagten für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidungen war – anders als im vorliegenden Fall – § 2 Abs 3a FamZeitbG nicht anwendbar, weil entweder das Datum der Geburt vor dem 1. 1. 2019 lag (§ 12 Abs 3 FamZeitbG; 10 ObS 109/18d SSV‑NF 32/67; 10 ObS 101/19d SSV‑NF 33/48; 10 ObS 115/19p), kein medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt des Kindes vorlag (10 ObS 29/20t SSV‑NF 34/29; 10 ObS 60/22d; vgl auch 10 ObS 82/21p Rz 26), oder der Vater das Kind pandemiebedingt nicht pflegen und betreuen konnte (10 ObS 109/22k Rz 19).
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