European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132899
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Sohn des Klägers wurde am 15. 4. 2019 geboren. Von 15. 4. 2019 bis 18. 4. 2019 befand er sich wegen eines Amnioninfekts in stationärer Behandlung und erhielt eine antibiotische Kombinationstherapie. Der Krankenhausaufenthalt des Kindes war medizinisch indiziert. Unstrittig betreuten und pflegten beide Elternteile das Kind während des stationären Aufenthalts im gesetzlichen Mindestausmaß von täglich durchschnittlich vier Stunden. Am 17. 4. 2019 beantragte der Kläger die Zuerkennung eines Familienzeitbonus für 31 Tage von 17. 4. 2019 bis 17. 5. 2019.
[2] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. 7. 2019 lehnte die Wiener Gebietskrankenkasse diesen Antrag mit der Begründung ab, dass infolge des gemeinsamen Spitalsaufenthalts der Mutter und des Kindes bis 18. 4. 2019 kein gemeinsamer Haushalt bestanden habe.
[3] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung eines Familienzeitbonus in Höhe von 22,60 EUR täglich für den Zeitraum von 17. 4. 2019 bis 17. 5. 2019. Auch die Zeit des stationären Aufenthalts des Kindes sei gemäß § 2 Abs 3a FamZeitbG als Familienzeit anzusehen.
[4] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs 3a FamZeitbG nur zur Anwendung komme, wenn das Kind aufgrund einer schweren Erkrankung ohne Eltern im Krankenhaus stationär aufgenommen sei. Darüber hinaus sei § 2 Abs 3a FamZeitbG nur auf eine längere als die übliche Aufenthaltsdauer von drei bis fünf Tagen nach einer Geburt anzuwenden. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
[5] Das Erstgericht gab der Klage statt.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten (nun: Österreichische Gesundheitskasse) nicht Folge. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 3a FamZeitbG seien nach dem Wortlaut der Bestimmung erfüllt. Die Revision sei zulässig, weil zur Auslegung dieser Bestimmung Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
[7] Dagegen richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.
[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[9] 1.1 Anspruch auf Familienzeitbonus besteht ua gemäß § 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG dann, wenn sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit (§ 2 Abs 4 FamZeitbG) befindet und darüber hinaus er, das Kind und der andere Elternteil gemäß § 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG im gemeinsamen Haushalt (§ 2 Abs 3 FamZeitbG) leben.
[10] 1.2 Während des Spitalsaufenthalts des Kindes und der Mutter fehlte es im vorliegenden Fall unstrittig an einem gemeinsamen Haushalt im Sinn des § 2 Abs 3 FamZeitbG (RS0132377).
[11] 2.1 § 2 Abs 3a FamZeitbG wurde mit der Novelle BGBl I 2019/24 geschaffen. Die Bestimmung trat mit 1. 1. 2019 in Kraft und ist gemäß § 12 Abs 3 FamZeitbG auf Geburten nach dem 31. 12. 2018, daher auch im vorliegenden Fall, anzuwenden. § 2 Abs 3a FamZeitbG lautet:
„Bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes wird bei persönlicher Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt im Sinne des Abs. 3 angenommen. Ein solcher Krankenhausaufenthalt des Kindes steht dem Vorliegen einer Familienzeit nach Abs. 4 nicht entgegen.“
[12] 2.2 In den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung heißt es (gleichlautend 584/A 26. GP 3 und AB 494 BlgNR 26. GP 2):
„Der Familienzeitbonus soll als Ausnahme auch dann gebühren, wenn aufgrund des medizinisch erforderlichen Krankenhausaufenthaltes des Kindes (zB aufgrund einer schweren Erkrankung des Kindes oder im Falle eines Frühchens) kein gemeinsamer Haushalt der Eltern mit dem Kind vorliegt, sofern der Vater sowie die Mutter jeweils im Durchschnitt mindestens 4 Stunden täglich das Kind persönlich pflegen und betreuen (und alle anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden). Der Vater hat das Ausmaß der Pflege und Betreuung des Kindes durch ihn und den anderen Elternteil durch Bestätigungen des Krankenhauses beim Krankenversicherungsträger nachzuweisen.“
[13] 2.3 Im Schrifttum wird zu § 2 Abs 3a FamZeitbG im hier relevanten Zusammenhang vertreten, dass der Krankenhausaufenthalt eines Kindes medizinisch indiziert sein muss (Bernsteiner, Wenn der Nachwuchs viel zu früh kommt: „Papa‑Monat“ im Ausnahmezustand, ecolex 2019, 533). Eine genaue Definition des Begriffs des „medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalts“ biete das Gesetz nicht an (Blasl, Kein Anspruch auf Familienzeitbonus während des Krankenhausaufenthalts nach der Geburt des Kindes, ASoK 2019, 169 [172]). Ein medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt liege zB aufgrund einer schweren Erkrankung des Kindes oder bei einer Frühgeburt („Frühchen“) vor (Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG³ § 2 FamZeitbG Rz 21a). Ein Krankenhausaufenthalt im Anschluss an eine komplikationslose Geburt sei hingegen nicht medizinisch indiziert (Blasl, ASoK 2019, 169 [172]; Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 [259 FN 73]).
[14] 2.4 In dem der Entscheidung 10 ObS 29/20t zugrunde liegenden Fall wurde das Kind am 13. 1. 2019 gesund geboren. Ein stationärer Aufenthalt von Mutter und Kind ab der Geburt bis 21. 1. 2019 war durch eine Erkrankung der Mutter, nicht aber des Kindes medizinisch indiziert. Daher waren die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs 3a FamZeitbG nicht gegeben.
[15] 3.1 Die Revisionswerberin hat außer Streit gestellt, dass sich das Kind „gesundheitsbedingt“ (ON 18) im Krankenhaus aufgehalten hat. Allerdings liege kein medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt im Sinn des § 2 Abs 3a FamZeitbG vor: Denn nach jeder Geburt betrage die „übliche Verweildauer“ von Mutter und Kind im Spital drei bis fünf Tage. Diese „Verweildauer“ sei von § 2 Abs 3a FamZeitbG nicht umfasst. Ein medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt könne erst mit dem Ende dieser „üblichen Verweildauer“ aufgrund einer Erkrankung oder Frühgeburt beginnen. Die Bestimmung des § 2 Abs 3a FamZeitbG sollte die Benachteiligung ausgleichen, die durch die „medizinische Verunmöglichung“ der gemeinsamen Haushaltsgründung entstehe. Es sei sachlich nicht rechtfertigbar, § 2 Abs 3a FamZeitbG auf Konstellationen wie die vorliegende auszudehnen, in denen das Kind zwar erkranke, der stationäre Aufenthalt jedoch die „durchschnittliche Verweildauer“ im Krankenhaus von drei bis fünf Tagen aus Anlass einer Geburt nicht überschreite, weil die medizinische Behandlung auch außerhalb des Krankenhauses fortgesetzt werden könne. Dies würde eine unsachliche und gleichheitswidrige Besserstellung des Klägers zur Folge haben. Eine Erkrankung des Kindes könne für sich allein genommen nicht den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs 3a FamZeitbG erfüllen.
[16] 3.2 Weder der Wortlaut des § 2 Abs 3a FamZeitbG noch die dargestellten Gesetzesmaterialien vermögen diese Rechtsansicht der Beklagten zu stützen. Richtig ist, dass § 2 Abs 3a FamZeitbG als Ausnahmebestimmung (arg: „ausnahmsweise“, vgl bereits 10 ObS 29/20t) eng auszulegen ist (vgl RS0008903). Das Gesetz spricht lediglich vom Vorliegen eines „medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalts“, daher eines aus medizinischen Gründen notwendigen Krankenhausaufenthalts. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall infolge des aufgetretenen Amnioninfekts, bei dem es sich nach dem insofern nicht bestrittenen Vorbringen in der Klage um einen klinischen Notfall handelte, verwirklicht. Eine komplikationslose Geburt lag daher gerade nicht vor. Ist die medizinische Indikation – wie hier unstrittig – gegeben, verlangt das Gesetz darüber hinaus weder eine bestimmte (Mindest‑)Dauer des im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Krankenhausaufenthalts, noch, dass vor Beginn eines medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalts bereits eine drei- bis fünftägige „übliche Verweildauer“ im Krankenhaus nach einer Geburt verstrichen wäre. Auch in den Gesetzesmaterialien ist lediglich eine „schwere Erkrankung des Kindes“ genannt, ohne dass diese Voraussetzung mit einer bestimmten Dauer des Aufenthalts im Krankenhaus verknüpft wäre. Eine „schwere Erkrankung“ liegt nach § 2 Abs 3a FamZeitbG vielmehr vor, wenn „aufgrund“ einer solchen Erkrankung ein Krankenhausaufenthalt medizinisch indiziert, also erforderlich ist. Dies war hier der Fall.
[17] Die weitere Voraussetzung des § 2 Abs 3a FamZeitbG, die erforderliche persönliche Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater und den anderen Elternteil, ist hier unstrittig gegeben.
[18] Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[19] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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