OGH 14Os59/23t

OGH14Os59/23t1.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. August 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Mair in der Strafsache gegen C* A* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 (zu ergänzen: , 3), 3a Z 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. Februar 2023, GZ 86 Hv 3/23z‑43.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00059.23T.0801.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde C* A* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 (zu ergänzen: , 3), 3a Z 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er von Oktober 2016 bis zum 29. August 2022 in W* gegen M* A* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dadurch deren autonome Lebensführung erheblich eingeschränkt und im Rahmen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 3 StGB wiederholt Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität begangen, wobei die Gewalt nach § 107b Abs 3 StGB länger als ein Jahr ausgeübt wurde, indem er

1/ ihr zumindest dreimal pro Monat Ohrfeigen, Faustschläge und Fußtritte versetzte, sie auf das Bett im Schlafzimmer warf, ihr die Bekleidung vom Körper riss, sie im Dekollteébereich biss und gegen ihren Willen vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr unternahm, „wobei es manchmal aufgrund seiner Alkoholisierung nur beim Versuch blieb, weil es zu keiner Erektion kam“ (vgl allerdings RIS‑Justiz RS0115581 [T2 und T3]);

2/ zumindest einmal monatlich gegen den Willen der M* A* und nach deren vorangegangener Einschüchterung durch Schläge vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte;

3/ ihr mehrfach pro Monat durch im angefochtenen Urteil näher wiedergegebene Äußerungen zumindest mit einer Verletzung am Körper drohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

4/ sie mehrfach pro Woche schlug, wodurch sie immer wieder Hämatome erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des * S* zum Beweis dafür, dass dieser eine Affäre mit der Zeugin M*, A* gehabt habe (ON 43.1, 38), zu Recht abgewiesen. Beweis zur Erschütterung deren damit angesprochener Glaubwürdigkeit wäre nur dann aufzunehmen gewesen, wenn das Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben hätte, diese Zeugin hätte in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS‑Justiz RS0120109 [T3]), was hier jedoch nicht der Fall war. Im Übrigen sah das Erstgericht das Bestehen einer (offenbar gemeint: auch sexuellen) Beziehung zwischen dem Tatopfer und S* ohnehin als erwiesen an (ON 43.1, 38; vgl RIS‑Justiz RS0099135; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

[5] Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge bekämpfbar, als sie (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsachen betreffen (RIS‑Justiz RS0117499). Eine solche spricht der Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall), weil dem Urteil nicht unzweifelhaft zu entnehmen sei, wie häufig und wodurch genau das Opfer Verletzungen durch die körperlichen Misshandlungen des Beschwerdeführers erlitt (vgl US 3), nicht an. Misshandlungen am Körper stellen nämlich auch ohne Verletzungsfolgen tatbildliche Gewalt dar (§ 107b Abs 2 StGB; Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 14). Im Übrigen vermag der Beschwerdeführer nicht darzulegen, dass festgestellte mehrfach wöchentlich zugefügte körperliche Misshandlungen und Körperverletzungen (US 3) in Zusammenschau mit den weiteren Gewaltausübungen (US 3 f) nicht jedenfalls die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit des vorgeworfenen Verhaltens nach § 107b Abs 1 StGB in einer Gesamtschau zuließen (vgl zum Maßstab RIS‑Justiz RS0127377).

[6] Die Tatrichter haben sich mit der Aussage des Tatopfers ausführlich beweiswürdigend auseinandergesetzt (US 6 ff). Zu einer ausdrücklichen Erörterung sämtlicher Aussagedetails im Urteil waren sie mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS‑Justiz RS0106642). Zudem bezieht sich der Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ausschließlich auf die Schilderung des Opfers von einem Vorfall vom 29. August 2022. Da das Erstgericht die Gewaltausübungen des Beschwerdeführers nur pauschal individualisiert hat, wird damit keine entscheidende Tatsache angesprochen (RIS‑Justiz RS0116736).

[7] Aus diesem Grund scheitert auch die Behauptung eines Widerspruchs (Z 5 dritter Fall), die ausschließlich Feststellungen zu diesem Vorfall in den Blick nimmt.

[8] Die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer geäußerten Drohungen (Punkt 3 des Schuldspruchs) aus dem „äußeren Tatgeschehen“ (dem konkreten Wortlaut der Äußerungen in Zusammenschau mit den „regelmäßig erfolgten Gewalthandlungen“ [US 10]) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882). Dass der Beschwerdeführer die Ausführungen des Erstgerichts für nicht überzeugend hält, stellt den behaupteten Nichtigkeitsgrund (Z 5 vierter Fall) nicht her (RIS‑Justiz RS0116732 [T6]).

[9] Die beweiswürdigende Erwägung, es sei „nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht verwunderlich“, dass „Kinder eines Ehepaars die sexuellen Handlungen der Eltern nicht mitbekommen“ (US 9), war keineswegs allein ausschlaggebend für die Feststellung entscheidender Tatsachen, ist ihrerseits nicht weiter begründungspflichtig und scheidet somit als Bezugspunkt der Mängelrüge aus (vgl RIS‑Justiz RS0116737).

[10] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die erschwerende Wertung des die Qualifikationsgrenze des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB mehrfach übersteigenden Tatzeitraums nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB; RIS‑Justiz RS0091126 [T8]).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[12] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[13] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte