OGH 3Ob128/23d

OGH3Ob128/23d19.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. J* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Kirchmayer & Strodl Rechtsanwalts GmbH in Hainburg an der Donau, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch E+H Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 15.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2023, GZ 1 R 94/23d‑15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 30. März 2023, GZ 12 C 41/23a‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00128.23D.0719.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.318,40 EUR (hierin enthalten 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war bis Ende Dezember 2019 Vertriebspartnerin und Betreiberin einer Vertragswerkstätte der beklagten Autoherstellerin.

[2] Die Klägerinbegehrt die Zahlung von 15.000 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe näher beschriebener Ersatzteile, die sie aufgrund der Vertragsbeendigung nicht mehr verwenden dürfe.

[3] Die Beklagteerhob insbesondere den Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs, weil kein Schlichtungsverfahren iSd § 7 Abs 1 KraSchG stattgefunden habe.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Da das Gesetz nicht auf aufrechte Verträge abstelle, gelte § 7 Abs 1 KraSchG auch für die geltend gemachten nachvertraglichen Ansprüche aus der mittlerweile beendeten Vertriebsbindungsvereinbarung iSd § 1 KraSchG.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Aus § 3 Abs 2 KraSchG ergebe sich, dass § 7 Abs 1 KraSchG auch für Ansprüche aus der Beendigung einer Vertriebsbindungsvereinbarung gelte.

[6] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob auch nachvertragliche Ansprüche unter § 7 Abs 1 KraSchG fallen.

[7] Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Zwischen den Streitteilen bestand unstrittig bis Ende 2019 jahrelang eine Vertriebsbindungsvereinbarung iSd § 1 Abs 2 KraSchG. Gemäß § 3 Abs 2 KraSchG hat der gebundene Unternehmer (hier die Klägerin) das Recht, bei Auflösung der Vertriebsbindungsvereinbarung Waren, die der Vertriebsbindung unterliegen, an den bindenden Unternehmer (hier die Beklagte) unter näher geregelten Voraussetzungen zurückzuverkaufen.

[9] 2. Gemäß § 7 Abs 1 KraSchG hat ein Vertragsteil vor der Einbringung einer Klage über eine Streitigkeit aus der Vertriebsbindungsvereinbarung zur gütlichen Einigung eine Schlichtungsstelle zu befassen, einen Antrag nach § 433 Abs 1 ZPO zu stellen oder, sofern die andere Partei damit einverstanden ist, den Streit einem Mediator zu unterbreiten. Die Klage ist nur zulässig, wenn drei Monate ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens, ab Einlangen des Antrags bei Gericht oder ab Beginn der Mediation verstrichen sind, ohne dass eine gütliche Einigung erzielt worden ist.

[10] 3. Entscheidend ist somit zunächst, ob der eingeklagte Anspruch eine „Streitigkeit aus der Vertriebsbindungsvereinbarung“ iSd § 7 Abs 1 KraSchG darstellt. Dies ist zu bejahen:

[11] 3.1. Die Klägerin stützt ihr Begehren ausdrücklich auf nachvertragliche Ansprüche, somit auf solche im Zusammenhang mit der (ehemaligen) Vertriebsbindungsvereinbarung. Der in § 3 Abs 2 KraSchG geregelte Anspruch des (vormals) gebundenen Unternehmers auf Rückverkauf von der Vertriebsbindung unterliegenden Waren an den bindenden Unternehmer setzt seiner Natur nach die Auflösung der Vertriebsbindungsvereinbarung zwingend voraus.

[12] 3.2. Dass § 7 Abs 1 KraSchG nur für bei Einbringung der Klage noch aufrechte Vertriebsbindungsvereinbarungen gelten sollte, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht (ausdrücklich) entnehmen. Eine darauf gerichtete Absicht des Gesetzgebers ergibt sich im Übrigen auch aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1990 BlgNR 24. GP  6) nicht.

[13] 3.3. Zur Definition von Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis iSd § 8 Abs 1 VerG 2002 ist ausjudiziert, dass dazu jedenfalls solche zählen, die ihre Wurzel in einer Vereinsmitgliedschaft haben, gleichviel, ob das Mitgliedsverhältnis bei Entstehen des Streitfalls noch besteht oder bereits beendet wurde (vgl RS0122425 [T3]); allein maßgeblich ist somit, ob eine Streitigkeit in der Vereinsmitgliedschaft wurzelt (RS0122425 [T7]) bzw diese ohne vereinsmäßige Verbundenheit der Parteien typischerweise nicht denkbar wäre (4 Ob 240/18z mwN).

[14] 3.4. Diese Grundsätze sind zwanglos auch für die Auslegung des Begriffs der Streitigkeit aus der Vertriebsbindungsvereinbarung iSd § 7 Abs 1 KraSchG heranzuziehen. Es liegt auf der Hand, dass die geltend gemachte Forderung in der seinerzeitigen Vertriebsbindungsvereinbarung wurzelt und ohne diese gar nicht denkbar wäre.

[15] 3.5. Es ist deshalb nicht entscheidend, dass der eingeklagten Forderung bloß das „Verhalten nach Ende der Vertragsdauer“ (nämlich dass die Streitteile nach Beendigung des Vertrags keine Einigung über die Höhe des Rückkaufspreises für die Waren erzielen konnten) zugrunde liegt.

[16] 3.6. Inwiefern es „bemerkenswert“ sein sollte, dass die (hier) Beklagte im damaligen und im nunmehrigen Verfahren diametral entgegengesetzte Standpunkte eingenommen habe (nämlich im von ihr eingeleiteten ersten Verfahren dem Einwand der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen trat und ihn im nunmehrigen Prozess selbst erhob) und ihr „dennoch“ in beiden Verfahren Recht gegeben wurde, ist nicht nachvollziehbar, handelt es sich doch um ganz unterschiedliche Ansprüche.

[17] 3.7. Aus diesem Grund kommt es auch auf die von der Klägerin neuerlich aufgeworfene Frage, ob in dem von der Beklagten seinerzeit gegen sie geführten Verfahren, das markenschutzrechtliche Ansprüche zum Gegenstand hatte, die Anwendbarkeit des § 7 Abs 1 KraSchG zu Recht verneint wurde, hier nicht an, sodass darauf nicht näher einzugehen ist.

[18] 4. Die Vorinstanzen sind auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Nichteinhaltung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 KraSchG das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs begründet:

[19] 4.1. Grundsätzlich stellt zwar eine obligatorische Schlichtungsklausel kein zur Klagezurückweisung führendes Prozesshindernis dar, sondern führt nur zur Klageabweisung wegen mangelnder Klagbarkeit (vgl RS0045298; RS0033687 [T4]). Hingegen begründet nach nunmehr ständiger Rechtsprechung die Nichteinhaltung des vereinsinternen Instanzenzugs bei Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis (vorläufig/befristet/temporär) Unzulässigkeit des Rechtswegs und kann vom Gericht auch ohne entsprechenden Einwand der Parteien von Amts wegen geprüft und aufgegriffen werden (RS0124983 [T1]).

[20] 4.2. Gleiches gilt für Schlichtungsverfahren nach § 364 Abs 3 ABGB iVm Art III ZivRÄG 2004, BGBl I 2003/91: Auch hier ist die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen, wenn sie ohne die Voraussetzungen des Art III ZivRÄG 2004 eingebracht wird (RS0122901; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 1 JN Rz 15/2).

[21] 4.3. Bei Schaffung des § 7 Abs 1 KraSchG hat sich der Gesetzgeber explizit die Regelung des Art III ZivRÄG 2004 zum Vorbild genommen (ErläutRV 1990 BlgNR 24. GP  3 und 6). Dementsprechend steht der Einbringung einer ohne Erfüllung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 KraSchG eingebrachten Klage ebenfalls das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (Schoditsch, Das neue Kraftfahrzeugsektor‑Schutzgesetz, ZVR 2013/139, 276 [278]).

[22] 5. Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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