European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00171.22S.0629.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.205 EUR (darin 367,50 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist (Minderheits‑)Gesellschafterin einer GmbH. Sie begehrte die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft zu verpflichten, die Rechtsberatung und/oder Rechtsvertretung dieser GmbH in bestimmt bezeichneten Angelegenheiten zu unterlassen. Die Klägerin begehrte weiters die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden und Nachteile der Klägerin aus oder in Zusammenhang mit der Rechtsberatung und/oder Rechtsvertretung dieser GmbH durch die Beklagte aus und in Zusammenhang mit diesen Angelegenheiten.
[2] Die Klägerin stützte diese Klagebegehren auf einen Verstoß der Beklagten gegen standesrechtliche Verpflichtungen, insbesondere auf § 10 RL‑BA 2015.
[3] Das Berufungsgericht bestätigte das klageabweisende Urteil des Erstgerichts.
[4] Nach den Feststellungen habe zwischen den Streitteilen zwar ein Mandatsverhältnis von 2015 bis 2017 „im Zusammenhang mit Liegenschaftstransaktionen“ bestanden; vereinzelt sei die Beklagte auch noch bis Anfang 2019 für Projektgesellschaften aus der Gruppe der Klägerin tätig gewesen. Daraus folge aber kein per se‑Verbot der Vertretung gegen die Klägerin. Bei der Beurteilung der Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision (vormals „Doppelvertretung“) iSd – die §§ 1002 ff ABGB konkretisierenden – § 10 Abs 1 RAO und des § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 habe nämlich eine inhaltliche, auf die Interessen des Klienten bezogene Prüfung zu erfolgen. Nicht jedweder Interessenkonflikt rechtfertige ein Vertretungsverbot, sondern nur dort, wo ein entsprechender Zusammenhang bestehe und ein solcher Konflikt daher schlagend werden könnte. Diese Prüfung habe sich auf dieVertretung in den von der Klägerin in ihrem Klagebegehren bezeichneten Angelegenheiten zu beschränken. Diese Angelegenheiten seien keine mit den vormals von der Beklagten für die Klägerin abgewickelten Immobilientransaktionen „zusammenhängenden Sachen“ iSd § 10 RAO. Es sei nicht ersichtlich, warum im Fall der Vertretung in diesen Angelegenheiten die Gefahr bestehe, dass die Beklagte iSd § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 ihre Verschwiegenheitspflicht verletze, Kenntnisse der Belange der Klägerin der GmbH zu einem unlauteren Vorteil gereichten, die Unabhängigkeit der Beklagten gefährdet sei oder es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen beiden Klienten komme oder die Wahrnehmung der Interessen der Klägerin in den von ihr anvertrauten, aber bereits beendeten Mandaten auf sonstige Weise beeinträchtigt sei. Die Klägerin könne dazu nur die Beeinträchtigung ihrer Interessen als (derzeitige) Minderheitsgesellschafterin ins Treffen führen, nicht aber ihre Interessen aus dem vormaligen Mandatsverhältnis. Eine Beeinträchtigung der Interessen der Klägerin als ehemalige Mandantin der Beklagten sei nicht erkennbar.
[5] Die Klägerin argumentiere zudem mit ihrer Stellung als Minderheitsgesellschafterin an der GmbH und dem Umstand, dass die Beklagte die GmbH und gleichzeitig deren Mehrheitsgesellschafterin vertrete. Aber selbst wenn die Beklagte die Gesellschaft aufgrund eines aus der gleichzeitigen Vertretung der Mehrheitsgesellschafterin abgeleiteten Interessenkonflikts nicht vertreten dürfte, könnte die Klägerin als Minderheitsgesellschafterin daraus keine eigenen Unterlassungsansprüche ableiten. Die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen setze entweder rechtsgeschäftliche Unterlassungspflichten oder rechtswidrige Eingriffe in geschützte Rechtsgüter voraus. Auch ein Schadenersatzanspruch aufgrund eines Zuwiderhandelns gegen eine Norm erfordere eine Verletzung jener Interessen, deren Schutz die Rechtsnorm bezwecke. § 10 RAO und § 10 RL‑BA 2015 dienten aber in erster Linie dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien und subsidiär dem öffentlichen Interesse, nicht aber dem Schutz des Prozessgegners oder eines Anteilshabers. Eine Schutzwirkung des Mandatsvertrags zwischen der Gesellschaft und dem Rechtsanwalt zugunsten des Minderheitsgesellschafters sei schon deswegen zu verneinen, weil es ja gerade Aufgabe des Vertreters der Gesellschaft sei, deren Interessen auch gegen konfligierende Interessen der Minderheitsgesellschafter zu verteidigen. Ein direkter und im eigenen Namen durchsetzbarer Anspruch der Klägerin aus einem allfälligen Interessenkonflikt zwischen der Gesellschaft, der Mehrheitsgesellschaft und der Beklagten bestehe damit nicht. Die Klägerin sei zur Durchsetzung eigener Interessen als Gesellschafterin und/oder von Interessen der Gesellschaft vielmehr auf die Mittel des Gesellschaftsrechts zu verweisen, etwa dortige Antrags-, Weisungs-, Vertretungs- und Anfechtungsrechte sowie insbesondere die im 4. Titel des GmbHG geregelten Minderheitenrechte und den Stimmrechtsausschluss nach § 39 Abs 4 GmbHG. Das mit der dritten im Klagebegehren genannten Angelegenheit angestrebte per se‑Verbot der Vertretung der GmbH gegenüber Dritten könne außerdem mit einem Interessenkonflikt zwischen der Gesellschaft und dem Mehrheitsgesellschafter keinesfalls begründet werden.
[6] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage fehle, ob ein Dritter, insbesondere ein Minderheitsgesellschafter, Ansprüche aus einer (allfälligen) Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision nach § 10 RAO iVm § 10 RL‑BA 2015 im eigenen Namen geltend machen könne.
[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Sie zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[10] 1. Voraussetzung für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ist eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wird (RIS‑Justiz RS0037660; RS0012064).
[11] Eine Unterlassungspflicht kann sich entweder aus einer rechtsgeschäftlichen Sonderverbindung oder einem rechtswidrigen Eingriff in geschützte Rechtsgüter des Berechtigten ergeben (RS0037660 [T8]). Jeder Unterlassungsanspruch setzt daher – wie der dem Feststellungsbegehren der Klägerin zugrunde liegende Schadenersatzanspruch auch – die Rechtswidrigkeit der begangenen oder drohenden Eingriffshandlung voraus (RS0037656).
[12] Rechtswidrig ist ein Verhalten (ua) dann, wenn es – unabhängig von einer rechtsgeschäftlichen Sonderverbindung geltende – allgemeine oder in konkreten Schutzgesetzen enthaltene Verhaltensnormen verletzt (RS0022656). DerartigeSchutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind nicht nur Gesetze im formellen Sinn, sondern alle Rechtsvorschriften, die inhaltlich einen Schutzzweck verfolgen (RS0027415; RS0027500). Allgemein sind Schutzgesetze abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines bestimmten Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RS0027710). Schutzgesetze sind konkrete Verhaltensvorschriften, die einerseits durch die Gefahren, die vermieden werden sollen, und andererseits durch die Personen, die geschützt werden sollen, begrenzt sind (RS0027710 [T20]).
[13] 2. Die Haftung bei Übertretung eines Schutzgesetzes wird demnach durch den Rechtswidrigkeitszusammenhang, also den Schutzzweck der Norm begrenzt (RS0027553).
[14] Der Schutzzweck einer Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RS0027553 [T7]; RS0008775 [T1]). Dabei genügt es, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist, die Norm muss die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen aber intendiert haben (RS0027553 [T6]; RS0008775 [T2, T4]; vgl auch RS0027710 [T2, T12]). Nicht jeder Schutz oder Vorteil einer bestimmten Person, den eine Norm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RS0027553 [T14, T24]).
[15] Wie weit der Normzweck reicht, ist Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (RS0082346; RS0027553 [T11]).
[16] 3. Die Klägerin stützte ihr Klagebegehren auf die Verletzung der Treuepflicht wegen Interessenkollision nach § 10 RAO iVm § 10 RL‑BA 2015. Das Berufungsgericht und – diesem folgend – die Klägerin begründen die Zulässigkeit der Revision damit, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob ein Dritter, insbesondere ein Minderheitsgesellschafter, im eigenen Namen Ansprüche aus einem (allfälligen) Verstoß gegen diese Bestimmungen geltend machen kann.
[17] Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, § 10 RAO und § 10 RL‑BA 2015 dienten in erster Linie dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien und subsidiär dem öffentlichen Interesse, nicht aber dem Schutz des Prozessgegners oder eines Gesellschafters der vertretenen Partei. Das Berufungsgericht berief sich dazu auf Rohregger (in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RAO Rz 6), nach dem das – grundlegend in § 10 Abs 1 RAO und spezifisch in § 10 RL‑BA 2015 normierte – Verbot der Doppelvertretung Ausfluss der allgemeinen Treuepflicht des Rechtsanwalts (§ 9 RAO) sei. Diese Verpflichtung des Rechtsanwalts, sich von Kollisionen freizuhalten, diene in erster Linie dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien und sei für das zwischen Rechtsanwalt und Klient bestehende Treueverhältnis wesentlich. Ebenso sei sie aber für das allgemeine Bild der Anwaltschaft in der Öffentlichkeit von Bedeutung. Das Verbot der Doppelvertretung liege insofern auch im öffentlichen Interesse. In den von Rohregger (aaO) zitierten Entscheidungen bejahen auch der Verfassungsgerichtshof (B 1050/09) und der Verwaltungsgerichtshof (AW 2012/01/0032) die Bedeutung des § 10 RAO und der Vorgängerbestimmung des § 10 RL‑BA 2015 für das öffentliche Interesse an dem Verbot der Doppelvertretung, weil es dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien diene, seine Einhaltung für das zwischen Rechtsanwalt und Klient bestehende Treueverhältnis für wesentlich erachtet werde und für das allgemeine Bild der Anwaltschaft in der Öffentlichkeit von Bedeutung sei.
[18] Diese Beschränkung des Schutzzwecks der Norm auf (vom öffentlichen Interesse abgesehen) die durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien ergibt sich unmittelbar aus ihrem Inhalt, wobei unter „vertreten“ iSd § 10 Abs 1 RAO nicht allein das Einschreiten aufgrund einer Vollmacht zu verstehen ist, sondern jede anwaltliche Tätigkeit (1 Ob 30/19x mwN). Schon nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut beziehen sich § 10 Abs 1 RAO und § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 ausschließlich auf das Verhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und einem (neuen oder früheren) Klienten. Nur im Rahmen eines (zumindest potentiell) bestehenden oder ehemaligen Mandats kommt eine Treuepflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem Klienten überhaupt in Betracht. Wie die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend ausführt, hat der Oberste Gerichtshof auch in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 30/19x der Tatsache, dass zwischen dem dortigen Kläger und dem beklagten Rechtsanwalt gerade kein Beratungs- oder Vertretungsverhältnis bestand, die entscheidende Bedeutung beigemessen.
[19] 4. Die Revision der Klägerin vermag dieses klare Auslegungsergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. Ihre Argumentation, warum es geboten sei, § 10 Abs 1 RAO und § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 als Schutzgesetze (auch) zugunsten des (Minderheits‑)Gesellschafters einer Klientin zu verstehen, sodass dieser deren Verletzung (und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Unterlassung der Vertretung und Beratung der Gesellschaft) selbständig durchsetzen könne, erschöpft sich im Wesentlichen in der Behauptung, dass diesen Regelungen letztlich der Schutz des Gesellschaftsinteresses zu Grunde liege, dieses Gesellschaftsinteresse aber nur gewahrt sei, wenn die Interessen aller Gesellschafter, nicht nur jene des Mehrheitsgesellschafters, berücksichtigt würden. Schon das Berufungsgericht verneinte dieses von der Klägerin behauptete Rechtsschutzdefizit. Mit dem diese Rechtsansicht tragenden Verweis des Berufungsgerichts auf die Mittel des Gesellschaftsrechts zur Durchsetzung eigener Interessen als Gesellschafterin und/oder von Gesellschaftsinteressen setzt sich die Klägerin freilich nicht auseinander.
[20] Das von der Klägerin gewünschte Auslegungsergebnis gerät zudem mit dem für die GmbH in § 61 Abs 1 und 2 GmbHG normierten Trennungsprinzip in Konflikt, das eine strikte Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern und damit auch zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen der Gesellschafter anordnet (1 Ob 81/18w). Nachteile im Vermögen der Gesellschafter, die lediglich den Schaden der Gesellschaft reflektieren, gewähren dem Gesellschafter auf keinen Fall direkten deliktischen Schutz (RS0059432 [T2]). Wird eine GmbH durch einen Dritten geschädigt, ist der dem Gesellschafter dadurch entstehende Nachteil in seinem Vermögen ein nicht ersatzfähiger mittelbarer Schaden. Anspruch auf Schadenersatz hat nur die unmittelbar geschädigte Gesellschaft selbst (6 Ob 41/18z; RS0059432 [T4]). Weshalb für Unterlassungsansprüche, deren Rechtsschutzinteresse in der Verhinderung derartiger Reflexschäden besteht, anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.
[21] 5. Die vom Berufungsgericht und der Klägerin in ihrer Begründung der Zulässigkeit der Revision aufgeworfene Rechtsfrage ist damit im Gesetz eindeutig gelöst. Auch in Bezug auf die Beurteilung der Frage, wie weit der Normzweck im Einzelfall reicht, gilt: Trifft das Gesetz eine eindeutige Regelung oder lässt sich im Wege einfacher Auslegung ein eindeutiges Ergebnis erzielen, begründet der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung fehlt, für sich allein genommen noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 185/17w; RS0042656).
[22] Da die Revision der Klägerin auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist diese zurückzuweisen.
[23] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
[24] Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und daher– unter Berücksichtigung eines Additionsfehlers im Kostenverzeichnis – Anspruch auf Kostenersatz (RS0112296).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)