VfGH B1050/09

VfGHB1050/0914.6.2010

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt; vertretbare Annahme einer verbotenen Doppelvertretung; keine Bedenken gegen dieses gesetzlich festgelegte Verbot

Normen

StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
DSt 1990 §1
RAO §9, §10
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
DSt 1990 §1
RAO §9, §10

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Bruck an der Mur.

Mit Bescheid des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 11. Juni 2008 wurde er wegen Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes gemäß §1 Abs1 erster und zweiter Fall des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. 474/1990 idF BGBl. I 71/1999, (im Folgenden: DSt), iVm §§9 und 10 der Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007, (im Folgenden: RAO), zu einer Geldbuße verurteilt, weil er

"dadurch, dass er gleichzeitig im Konkursverfahren J H beim LG L zu AZ den Gemeinschuldner J H und im Konkurseröffnungsverfahren gegen K K beim LG L zu AZ K K rechtsfreundlich vertreten und insbesondere in Vertretung Letztgenannter die vom Masseverwalter im Konkurs H gegen K K angemeldete Forderung des Gemeinschuldners J H in Höhe von ca. 105.000 Euro bestritten hat, eine formelle Doppelvertretung begangen [hat]".

2.1. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK). Diese gab mit Erkenntnis vom 20. April 2009 der Berufung mit der Maßgabe keine Folge, dass die Geldbuße auf € 1000,-

herabgesetzt wurde.

2.2. Begründend führte die OBDK aus:

"... Die Mängelrüge (Z5) behauptet, die Feststellung, die

Vorgangsweise des Masseverwalters sei im Interesse des Gemeinschuldners gelegen, sei unbegründet geblieben. Dabei übersieht die Beschwerde, dass der Masseverwalter im Konkursverfahren nicht selbst Träger von Rechten und Pflichten, sondern das zur Vertretung der Konkursmasse berufene Organ und hinsichtlich des Konkursvermögens gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners ist, dem die Wahrung der Interessen des Gemeinschuldners obliegt (vgl Mohr, KO10 §6 E 49, 50, §81 E 7, §83 E 1, 4). Aus der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Masseverwalters folgt, dass auch die Geltendmachung der Forderung der Masse gegenüber Dritten im Interesse des Gemeinschuldners gelegen ist, daher bedurften die entsprechenden Konstatierungen keiner besonderen Begründung.

Die Rechtsrüge (Z9 lita) macht mit dem Vorbringen, der Masseverwalter habe das Bestehen der behaupteten Forderung nicht bescheinigt, keinen Rechtsfehler im Sinne der Z9 lita geltend. Soweit sie behauptet, dass der Disziplinarrat verfehlt eine Identität zwischen dem Gemeinschuldner und dem Masseverwalter angenommen habe, obwohl nicht Ersterer, sondern Letzterer die Forderung der Masse geltend gemacht habe, nimmt sie eine unzutreffende Interpretation der erstinstanzlichen Konstatierungen vor und verkennt erneut die zur Erledigung der Mängelrüge eben dargelegte Rechtslage. Dass die Interessen des Gemeinschuldners und des Masseverwalters selbstverständlich auch kollidieren können, dass Ersterer in anderen Belangen selbständig prozessfähig bleibt, und dass es auch zu einer prozessualen Auseinandersetzung zwischen Gemeinschuldner und Masseverwalter kommen kann, vermag an der Interessenssituation gegenüber Dritten nichts zu ändern. ..."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums bzw. auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verstoßenden Gesetzes und die Verletzung im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen der Beschwerde entgegentritt und deren Abweisung beantragt.

II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich folgendermaßen dar:

1. §§9 und 10 RAO idF BGBl. I 111/2007 lauten auszugsweise:

"§9. (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.

(1a) - (5) ...

§. 10. (1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Ertheilung eines Rathes abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt thätig war. Ebenso darf er nicht beiden Theilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rath ertheilen.

(2) Der Rechtsanwalt ist überhaupt verpflichtet, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren.

(3) - (6)... "

2. §1 DSt idF BGBl. I 71/1999 lautet auszugsweise:

"Allgemeine Bestimmungen

§1. (1) Ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, begeht ein Disziplinarvergehen.

(2) - (3) ..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässig - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer erachtet das Verbot der Doppelvertretung als im Widerspruch zu seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung stehend. Er führt aus, dass "eine Doppelvertretung [gemeint wohl: das Verbot der Doppelvertretung] eine anwaltliche Tätigkeit ausschließt".

Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen §10 Abs1 RAO keine Bedenken (vgl. etwa VfSlg. 14.411/1996, 15.844/2000, 17.692/2005, 18.205/2007) und sind auch aus Anlass der vorliegenden Beschwerde keine Bedenken entstanden. Das Verbot der Doppelvertretung liegt im öffentlichen Interesse, denn es dient dem Schutz der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien. Seine Einhaltung wird für das zwischen Rechtsanwalt und Klient bestehende Treueverhältnis für wesentlich erachtet. Ebenso ist es für das allgemeine Bild der Anwaltschaft in der Öffentlichkeit von Bedeutung (vgl. VfSlg. 17.312/2004). Da das Verbot der Doppelvertretung nicht grundsätzlich die Tätigkeit als Rechtsanwalt ausschließt, sondern nur Fallkonstellationen festlegt, in denen ein Tätigwerden unzulässig ist, ist diese Bestimmung nicht unverhältnismäßig und verletzt daher weder das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums noch auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die belangte Behörde habe Willkür geübt, indem sie sein Verhalten dem Disziplinarvergehen der Doppelvertretung unterstellt habe.

2.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §10 Abs1 RAO (vgl. Pkt. III. 1.) und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde dieser Vorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde nicht vorzuwerfen. Sie hat den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt und die vorliegenden Beweise hinreichend gewürdigt. Es wurde nachvollziehbar begründet, dass das Verhalten des Beschwerdeführers den Tatbestand der Doppelvertretung erfüllt. Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar anzunehmen, dass eine formelle Doppelvertretung nicht die konkrete Gefahr einer Interessenkollision voraussetzt (vgl. VfSlg. 17.392/2004).

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3. Die behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten hat sohin nicht stattgefunden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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