European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00029.23Y.0628.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – * N*, * S*, * H* und * Ha* jeweils des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach haben sie am 24. April 2022 in I* im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) D*, die wehrlos oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung infolge Suchtmittelbeeinträchtigung und starker Alkoholisierung unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass sie mit ihr den Beischlaf und diesem gleichzusetzende Handlungen vornahmen, indem sie abwechselnd Vaginal‑, teils auch Analverkehr an ihr vollzogen, teils überdies Oralverkehr von ihr an sich vornehmen ließen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Ihre dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten N* auf Z 4, 5 und 5a, S* auf Z 4 und 5a, H* auf Z 5, 5a, 9 lit a und 10 sowie Ha* auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * N*:
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der in der Hauptverhandlung am 19. August 2022 gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Ladung und Vernehmung „der behandelnden Ärztin der Universitätsklinik Innsbruck OA Dr. N. R*“ (gemeint) als Zeugin „zum Beweis dafür, dass bei der Aufnahme der Checkliste zu Sexualdelikten LKI das Opfer D* klar orientiert und ohne Erinnerungslücken gewesen ist“ (ON 119 S 149), zu Recht abgewiesen (ON 119 S 151).
[5] Einen Konnex zur Schuld‑ oder zur Subsumtionsfrage ließ er nämlich nicht deutlich und bestimmt erkennen (siehe aber RIS‑Justiz RS0118444).
[6] Im Rechtsmittel nachgetragenes, den Antrag ergänzendes Vorbringen ist ebenso unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618) wie Kritik an der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses (RIS‑Justiz RS0116749).
[7] Inwieweit konkrete (RIS‑Justiz RS0130729 [T1]), den Schuldspruch tragende Feststellungen oder deren Begründung undeutlich (Z 5 erster Fall) sein oder mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) stehen sollten, macht die Beschwerde nicht deutlich. Ebenso wenig, welche konkreten Feststellungen sie für offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) hält.
[8] Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Schöffengericht Beweisergebnisse, die (aus Beschwerdesicht) gegen die Konstatierungen zum Fehlen einer Einwilligung des Opfers (US 17) sprächen, ohnehin erwogen (US 24 bis 38).
[9] Mit Blick auf die – nicht erfolgreich bekämpfte – Feststellung, wonach die sexuelle Diskretions‑ und Dispositionsfähigkeit des Opfers zur Tatzeit aufgehoben war (US 17), wäre eine allfällige Einwilligung des Opfers in Bezug auf geschlechtliche Handlungen im Übrigen unwirksam gewesen (RIS‑Justiz RS0120166). Insofern bezieht sich die Beschwerde (schon) nicht deutlich und bestimmt auf eine entscheidende – nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame (RIS‑Justiz RS0117499) – Tatsache.
[10] Das weitere Vorbringen unterzieht einzelne – von den Tatrichtern jedoch berücksichtigte (US 24 bis 38) – Beweismittel, nämlich das Ergebnis der „Erstbefundung“ der D* durch eine Krankenhausärztin am Morgen nach der Tat (ON 7 S 16) sowie mehrere Zeugenaussagen, einer eigenständigen Bewertung und entwickelt auf deren Grundlage urteilskonträre Auffassungen über den Zustand des Opfers zur Tatzeit.
[11] Damit erschöpft es sich in einem Angriff auf die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
[12] Gleiches gilt für die auf ihre eigenen „Schlussfolgerungen“ aus zahlreichen (umfänglich wiedergegebenen) Aussagepassagen gestützte Kritik der Tatsachenrüge (Z 5a), die Urteilsfeststellungen zum Zustand des Opfers (US 14 und 16 f) sowie zum subjektiven Handlungselement des Beschwerdeführers (US 17) hielten „einer näheren Überprüfung nicht stand“ und seien „absolut verfehlt“ (siehe dagegen zum Anfechtungskalkül RIS‑Justiz RS0118780).
[13] Soweit auch die Tatsachenrüge (teils nominell verfehlt Z 5) das Unterbleiben der vom Beschwerdeführer erfolglos beantragten Beweisaufnahme beanstandet, ist sie auf ihre – unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung bestehende – Subsidiarität gegenüber der Verfahrensrüge (Z 4) zu verweisen (RIS‑Justiz RS0115823 [T2]).
[14] Der Vorwurf, das Erstgericht habe weiters die „Einholung eines Gutachtens zur Aussagetüchtigkeit“ der D* zu Unrecht unterlassen, versäumt es darzulegen, wodurch der Beschwerdeführer an sachgerechter Antragstellung bereits in der Hauptverhandlung gehindert war (zu diesem Erfordernis abermals RIS‑Justiz RS0115823).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * S*:
[15] Durch die Abweisung (ON 119 S 151) des in der Hauptverhandlung am 19. August 2022 gestellten Antrags des Beschwerdeführers auf „Einholung eines medizinischen und gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens“ (zusammmengefasst) zum Alkoholisierungsgrad des Opfers zur Tatzeit zum Beweis dafür, dass weder dieses (infolge Alkoholisierung) wehrlos noch dessen sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit aufgehoben gewesen sei (ON 119 S 149 f), wurden – entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) – Verteidigungsrechte nicht geschmälert.
[16] Denn der Antrag ließ – gerade mit Blick auf das zu seiner Begründung herangezogene (ON 119 S 149), bereits vorliegende gerichtsmedizinische Gutachten, wonach aus dem (am Tag nach der Tat gemessenen) Blutalkoholgehalt von 1,53 Promille „keine Rückrechnung auf den Vorfallzeitpunkt durchgeführt werden“ könne, weil „der genaue Abnahmezeitpunkt“ der Blutproben des Opfers „aus den zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht sicher ersichtlich“ sei (ON 49.2 S 2) – nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und trug solcherart reinen Erkundungscharakter (neuerlich RIS‑Justiz RS0118444).
[17] Unbeachtlich ist die Kritik an der Begründung für das abweisliche Zwischenerkenntnis (§ 238 StPO). Steht doch diese nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn nur dem Antrag auch nach der – auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen – Ansicht des Obersten Gerichtshofs (wie hier) im Ergebnis keine Berechtigung zukam (erneut RIS‑Justiz RS0116749).
[18] Die Tatsachenrüge (Z 5a) bezweifelt die Feststellungen zum „nach § 205 Abs 1 StGB erforderliche[n] Zustand“ des Opfers, indem sie davon abweichende Schlüsse anhand eigener Plausibilitätserwägungen sowie mit dem Argument einfordert, das Erstgericht hätte (vermeintlich) gegen jene Konstatierungen sprechende Beweisergebnisse „stärker gewichten müssen“. Sie verlässt damit zur Gänze den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (dazu abermals RIS‑Justiz RS0118780).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * H*:
[19] Das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) bekämpft die Feststellungen
- zur Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt (US 16) sowie
- zum auf die Wehrlosigkeit der D* oder auf das Fehlen deren sexueller Diskretions- und Dispositionsfähigkeit bezogenen Vorsatz des Beschwerdeführers (US 17).
[20] Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht die diesbezüglichen Aussagen des A*, der * Ho* und der M* sowie den Inhalt des in der Hauptverhandlung vorgeführten „Videomitschnitts“ vom Tatgeschehen umfassend erörtert (US 24 bis 38). Indem sie einzelne, (aus Beschwerdesicht) gegen die bekämpften Feststellungen sprechende Beweisdetails isoliert hervorkehrt, ohne an der Gesamtheit der darauf bezogenen Beweiswürdigung (sowie des jeweils relevierten Beweismittels) Maß zu nehmen, bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0119370 und RS0116504).
[21] Die Tatsachenrüge (Z 5a) wendet sich gegen die Feststellungen zur Wehrlosigkeit oder zum Fehlen der sexuellen Diskretions‑ und Dispositionsfähigkeit des Opfers (US 16 f).
[22] Mit dem Hinweis auf (vom Erstgericht ohnedies erörterte [US 24 bis 38]) Beweisergebnisse, die ihrer Auffassung nach ein „diametral entgegengesetztes Bild zeichnen“ würden, bezeichnet sie die bekämpften Konstatierungen – erneut ohne an der Gesamtheit der diesbezüglichen Entscheidungsgründe Maß zu nehmen – als „grob unvernünftig und lebensfremd“. Erhebliche Bedenken (Z 5a) dagegen werden damit nicht prozessordnungsgemäß geltend gemacht, sondern bloß behauptet (zum Anfechtungskalkül abermals RIS‑Justiz RS0118780).
[23] Inwieweit es den – teils unter Verwendung von verba legalia getroffenen – Feststellungen zum subjektiven Handlungselement (US 17) am erforderlichen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090 [T2, T3]), macht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht klar. Ebenso wenig erklärt sie, welcher „Feststellungen zur inneren Tatseite“ es aus ihrer Sicht zur rechtsrichtigen Beurteilung darüber hinaus bedurft haben sollte (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565).
[24] Mit der Behauptung, der Beschwerdeführer hätte „von einem (mutmaßlichen) Einverständnis“ des Opfers „ausgehen“ dürfen, setzt sie sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) über die – gerade gegenteiligen – Urteilsfeststellungen (US 17) hinweg.
[25] Gleiches gilt für das auf „Z 10 iVm Z 5 2. Fall“ gestützte Vorbringen, das die angestrebte Konsequenz einer Subsumtion nach § 287 Abs 1 StGB (anstelle von § 205 Abs 1 StGB) nicht auf der Basis der – aus Z 5 erfolglos bekämpften – Feststellungen (US 16) zur im Tatzeitpunkt vorgelegenen Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers, sondern aus davon abweichenden Beschwerdeauffassungen entwickelt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * Ha*:
[26] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der in der Hauptverhandlung am 19. August 2022 gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf „neuerliche Einvernahme der D*“ (ON 119 S 150) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (ON 119 S 151).
[27] Denn er machte nicht klar, weshalb erwartet werden könne, dass sich die gemäß § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Pflicht zur Aussage befreite Zeugin – ungeachtet ihrer Erklärung, nicht neuerlich aussagen zu wollen (ON 57 S 2) – dennoch zur Aussage in der Hauptverhandlung bereit finden werde (zu diesem Erfordernis RIS‑Justiz RS0117928, jüngst eingehend 13 Os 127/21g mwN).
[28] Mit dem Hinweis auf einen nachfolgend in der Form eines Schriftsatzes eingebrachten, gleichgerichteten „Beweisantrag“ (ON 130), der in der Hauptverhandlung am 14. Oktober 2022 (vom Vorsitzenden) „[d]argetan und verlesen“ (ON 152 S 3), aber nicht vom Beschwerdeführer wiederholt wurde, bezieht sich die Rüge (schon) auf keinen unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 4 StPO beachtlichen Antrag (RIS‑Justiz RS0099099 und RS0099511).
[29] Daran ändert nichts, dass das Schöffengericht bezüglich dieses „Antrags“ ein – solcherart überflüssiges – abweisliches Zwischenerkenntnis (ON 152 S 4) gefasst hat (RIS‑Justiz RS0099511 [T9]).
[30] Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung haben angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (abermals RIS‑Justiz RS0099618).
[31] Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich deutlich und bestimmt gegen Feststellungen nicht zur Tatausführung durch den Beschwerdeführer als solcher, sondern (allein) zu seinem dahingehend einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall) mit den drei weiteren Angeklagten.
[32] Damit bezieht sie sich nicht auf seinen Schuldspruch tragende Feststellungen (zu solcherart entscheidenden Tatsachen), sondern – wie sie selbst einräumt („Begehung mit Mittätern als besonderen Erschwerungsgrund nach § 33 StGB gewertet“) – auf einen bloßen Strafbemessungsaspekt. Insofern verfehlt sie von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (RIS‑Justiz RS0099469).
[33] Soweit auch die Tatsachenrüge (Z 5a) – übrigens ebenso wenig aus Z 11 zweiter Fall anfechtbare (RIS‑Justiz RS0099869) – Feststellungen bloßer Strafzumessungstatsachen beanstandet, ferner zusätzliche Milderungsgründe reklamiert und die verhängte Strafe als überhöht ansieht, erstattet sie ein Berufungsvorbringen.
[34] Mit dem Einwand, es sei „nicht nachvollziehbar und durch nichts belegbar“, dass der Beschwerdeführer „mit D* Sex im Sinne des § 205 Abs 1 StGB hatte“, wird weder der herangezogene (dazu RIS‑Justiz RS0118780 und RS0128874) noch sonst ein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht.
[35] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zielt auf einen Ausspruch ab, wonach der Beschwerdeführer „als Alleintäter ohne Beteiligung der anderen Mitangeklagten, in zeitlichem Abstand zu deren vorhergehenden Tathandlungen und erst nach deren Vollendung“ gehandelt hätte, sodass er „einer gesonderten strafrechtlichen Ahndung nach § 205 Abs 1 StGB unterläge“.
[36] Dass der Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) des Beschwerdeführers in den Urteilsfeststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) keine Deckung fände, wird damit nicht behauptet (zur – von der Rüge ohnedies zugestandenen – mangelnden Subsumtionsrelevanz der Art strafbarer Beteiligung siehe im Übrigen RIS‑Justiz RS0117604).
[37] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[38] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[39] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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