OGH 7Ob93/23m

OGH7Ob93/23m28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* P*, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 2023, GZ 3 R 1/23y‑19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. November 2022, GZ 42 Cg 35/22w‑12, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00093.23M.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger hat bei der Beklagten einen Haushaltsversicherungsvertrag abgeschlossen, der auch eine Privat‑ und Sporthaftpflichtversicherung umfasst. Die den Vertrag unter anderem zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH) lauten auszugsweise:

II Haftpflichtversicherung

Artikel 8

Was gilt als Versicherungsfall

1. Versicherungsfall ist ein Schadensereignis, das dem privaten Risikobereich entspringt und aus welchem den Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (siehe Art 9) erwachsen oder erwachsen könnten.

[ ...]

Artikel 10

Welche Gefahren sind mitversichert?

Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, insbesondere

[...]“

[2] Das Schreiben der Feuerversicherung der Hauseigentümerin vom 1. 12. 2021 mit Bezugnahme auf den Vorfall/Brand vom 23. 7. 2021 lautet auszugsweise:

„[...]

Aus unseren Unterlagen geht hervor, dass Sie für diesen Schaden verantwortlich sind. Sie haben widerrechtlich, ohne jegliche gewerberechtliche Grundlage und Genehmigung eine KFZ‑Werkstätte mit einer Hebebühne und Schweißgeräten betrieben. Laut unserem Gutachten waren Sie für den Schaden verantwortlich. Wir haben eine Entschädigung in der Höhe von 301.449,91 EUR erbracht. Nach den Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) sind wir berechtigt, unsere Aufwendungen zurückzufordern. Bitte überweisen Sie den Betrag in Höhe von 275.000 EUR innerhalb von vier Wochen an uns [...]“

Rechtliche Beurteilung

[3] Der Rekurs ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[4] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der erkennende Senat judiziert in ständiger Rechtsprechung:

[5] 2.1 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind (7 Ob 145/17z). Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden (RS0080166 [insb T10]).

[6] 2.2 In Art 10 ABH wird eine primäre Risikoumschreibung dahin vorgenommen, dass der Risikobereich „als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens“ unter Versicherungsschutz gestellt wird.

[7] 2.3 Der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers erfasst nach dieser Bestimmung jene Gefahren, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss (vgl RS0081099).

[8] 3.1 Bei der Beurteilung des Wesens des Anspruchs des Versicherungsnehmers aus der Haftpflichtversicherung sind das Deckungs‑ und das Haftpflichtverhältnis zu unterscheiden. Der Versicherungs-anspruch in der Haftpflichtversicherung ist auf die Befreiung von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet. Unbeschadet dieser beiden Komponenten (Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch) handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers. Er wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses oder einer sonstigen Eigenschaft in Anspruch genommen wird, unabhängig davon, ob die Haftpflichtforderung begründet ist, weil der Versicherungsschutz auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich schließt (RS0080384, RS0081228, RS0080013, RS0080086). Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt (RS0038928).

[9] 3.2 Der Versicherungsschutz umfasst nicht die Abwehr jeglicher Ansprüche, sondern nur jener die grundsätzlich von der Deckungspflicht des Versicherers umfasst sind. Der Versicherer haftet nur im Rahmen dieser von ihm übernommenen Gefahr, sohin innerhalb der üblichen zeitlichen und sachlichen Grenzen der Gefahrenübernahme (7 Ob 142/18k mwN). Die Kostendeckung für die Anspruchsfeststellung und ‑abwehr reicht daher nicht weiter als das materiell gedeckte Risiko (RS0132326).

[10] 3.3 Es herrscht das Trennungsprinzip. Die Frage der zivilrechtlichen Haftpflicht des Versicherungsnehmers ist im Haftpflichtprozess zwischen ihm und dem Geschädigten zu klären, während der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers, wenn er strittig ist, zwischen ihm und dem Versicherer im Deckungsprozess geprüft werden muss. Die Frage, ob der Versicherer, Versicherungsschutz zu gewähren hat, ist also von jener zu trennen, ob der Versicherungsnehmer dem Dritten Schadenersatz schuldet (7 Ob 142/18k mwN). Im Deckungsprozess sind deshalb Feststellungen über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen wurden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich (vgl RS0081927).

[11] 3.4 Einen Sonderfall bilden Tatsachen, die für die Beurteilung sowohl der Berechtigung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers als auch dessen Haftung entscheidungsrelevant sind. Zu entscheidungsrelevanten Tatsachen sind im jeweiligen Prozess Feststellungen zu treffen. Im Deckungsprozess ist das Bestehen des Deckungsanspruchs zu prüfen und es bedarf der dafür notwendigen Feststellungen, so etwa zur Beurteilung des Vorliegens der Gefahr des täglichen Lebens (RS0131696).

[12] 3.5 Die für die Frage des Inhalts des Versicherungsvertrags, der Verwirklichung des primären Risikos und damit des Eintritts des Versicherungsfalls der Haftpflichtversicherung erforderliche rechtliche Beurteilung, ob sich in einem bestimmten Geschehen eine Gefahr des täglichen Lebens verwirklichte, hat auch dann im Deckungsprozess zu erfolgen, wenn dieselbe Frage für die materielle Berechtigung des von einem Dritten gegen den Versicherten im Haftpflichtprozess erhobenen Anspruch relevant ist (7 Ob 145/17z). Die Frage der „Gefahr des täglichen Lebens“ ist im Deckungsprozess zu klären und es sind dazu auch Feststellungen zu treffen (7 Ob 142/18h, 7 Ob 131/21x).

[13] 3.6 Dieser Rechtsprechung folgt der Aufhebungs-beschluss des Berufungsgerichts, wenn es den Sachverhalt zu dieser Frage – mangels jeglicher Feststellungen – für nicht geklärt hält und darüber eine Verfahrensergänzung für notwendig erachtet.

[14] 3.7 Wann ein Ereignis dem privaten Bereich zuzurechnen ist, ergibt sich aus der näheren Beschreibung des Versicherungsschutzes in Art 10 ABH. Bereits aus der bestehenden Rechtsprechung, wonach die für die Frage der Verwirklichung des primären Risikos und damit des Eintritts des Versicherungsfalls der Haftpflichtversicherung erforderliche Beurteilung im Deckungsprozess vorzunehmen ist, folgt auch logisch, dass die Frage der Zugehörigkeit einer Tätigkeit zum privaten Bereich des Versicherungsnehmers im Deckungsprozess zu prüfen ist. Eine derartige Beurteilung ist auch schon mehrfach vom Obersten Gerichtshof im Deckungsprozess vorgenommen worden (vgl bspw 7 Ob 220/13y, 7 Ob 171/14v, 7 Ob 158/22v). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher insoweit nicht vor.

[15] 4.1 Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 7 Ob 145/18k in einem Fall, in dem die Geschädigte ihren Schadenersatzanspruch auf eine der Versicherungsnehmerin vorgeworfene Vorsatztat stützte, dahin Stellung nahm, dass es nur der Feststellung bedarf, welchen Anspruch die Geschädigte geltend macht und der Prüfung, ob dieser vom Versicherungsvertrag gedeckt ist; Feststellungen zum Tathergang sind jedoch – weil nicht entscheidungs-relevant – entbehrlich.

[16] 4.2 Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt eine Heranziehung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall nicht in Betracht:

[17] Aus dem Aufforderungsschreiben folgt ausreichend klar, dass derregressierende Feuerversicherer Ersatz für die von ihm erbrachte Versicherungsleistung vom Kläger fordert, dem er vorwirft, im Zuge der Reparatur eines Fahrzeugs den Brand schuldhaft verursacht zu haben. Die Frage, ob der Schaden im Zusammenhang mit einer privaten, betrieblichen oder – ohne entsprechende Genehmigung ausgeübte – gewerbsmäßigen Tätigkeit entstanden ist, ist für die materielle Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs jedoch nicht entscheidungsrelevant. In einem solchen Fall sind die Feststellungen über die – allein – im Deckungsprozess notwendigen Tatfragen aber jedenfalls in diesem zu treffen.

[18] 5. Sollte im fortgesetzten Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des Art 10 ABH bejaht werden, wird eine Auseinandersetzung mit den übrigen Einwendungen der Beklagten erforderlich werden.

[19] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nicht statt (RS0123222 [T2, T4], RS0035976 [T2]). Der Kläger hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Stichworte