OGH 5Ob213/22t

OGH5Ob213/22t31.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Dr. G*, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Dr. E*, Rechtsanwalt, *, gegen die Antragsgegnerin A*, vertreten durch die Prutsch-Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Oktober 2022, GZ 52 R 95/22k‑95, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 26. Juli 2022, GZ 27 Fam 1/20g‑88, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00213.22T.0531.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist die Mutter der Antragsgegnerin.

[2] Am 15. 3. 2019 begehrte die Antragstellerin, die Antragsgegnerin zur Zahlung von 10.800 EUR an rückständigem Unterhalt für die Zeit vom 1. 4. 2016 bis 31. 3. 2019 zuzüglich Zinsen und zu einem monatlichen Unterhalt ab 1. 4. 2019 von 300 EUR zu verpflichten.

[3] Die Antragsgegnerin wandte – zusammengefasst – ein, die Unterhaltspflicht von Nachfahren sei nur subsidiär, primär treffe diese den Ehegatten sowie früheren Ehegatten sowie die Vorfahren des Unterhaltsberechtigten. Der Vater der Antragstellerin lebe noch, über den Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gegenüber ihrem früheren Ehegatten sei ein Unterhaltsverfahren anhängig. Die Antragstellerin habe ferner einen Sohn, der mit ihr (der Antragsgegnerin) anteilig für den Unterhalt aufkommen müsste. Ein Unterhaltsanspruch komme der Antragstellerin zudem aufgrund ihrer eigenen gröblichen Unterhalts-verletzung ihr (der Antragsgegnerin) gegenüber nicht zu. Der begehrte Unterhalt entspreche nicht ihren (der Antrags-gegnerin) Einkommensverhältnissen. Die Antragstellerin habe zudem ein ausreichendes Einkommen sowie Vermögen, um ihren Unterhalt zu sichern.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[5] Die Antragstellerin beziehe eine Mindestsicherung nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG). Diese Sozialleistung könne gemäß § 23 TMSG nicht zurückgefordert werden und sei daher als Eigeneinkommen zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung dieser Mindestsicherung sei die Antragstellerin, die einen sehr einfachen Lebensstandard pflege, fähig, ihren Unterhaltsbedarf (rund 850 EUR) aus eigener Kraft zu decken.

[6] Abgesehen davon seien Nachkommen lediglich subsidiär unterhaltspflichtig. Die Antragstellerin und ihr früherer Ehegatte hätten am 15. 4. 2004 einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, worin sich der frühere Ehegatte verpflichtet habe, der Antragstellerin einen monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 220 EUR zu zahlen. Mit Klage vom 23. 4. 2019 habe die Antragstellerin beim zuständigen Bezirksgericht die Erhöhung des Ehegattenunterhalts entsprechend der Veränderung des Verbraucherpreisindexes begehrt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27. 12. 2019 sei der frühere Ehegatte zwar schuldig erkannt worden, der Antragstellerin für rückständigen Unterhalt einen Betrag von 1.900,80 EUR sowie ab 1. 5. 2019 an laufendem Unterhalt anstelle von 220 EUR monatlich 272,80 EUR zu zahlen. Bei Änderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen oder der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten könne eine Neufestsetzung erfolgen (Umstandsklausel). Da im außergerichtlichen Vergleich auf die Umstandsklausel im Hinblick auf Veränderungen auf Seiten der Antragstellerin nicht verzichtet worden sei, könne sie eine Neufestsetzung begehren. Ein Unterhaltsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin bestünde daher lediglich dann zu Recht, wenn durch die Leistungsverpflichtung des primär Unterhaltspflichtigen die Unterhaltsbedürfnisse der Antragstellerin nicht zur Gänze gedeckt wären. Auch aus diesem Grund sei dem Antrag der Antragstellerin ein Erfolg verwehrt.

[7] Hingegen sei ein allfälliger Unterhaltsanspruch nicht zufolge gröblicher Unterhaltsverletzung iSd § 234 Abs 1 ABGB verwirkt. Die Antragstellerin habe das Verhalten, das zu gravierenden psychischen Beeinträchtigungen der Antragsgegnerin geführt habe, erst gesetzt, alssie nicht mehr dispositions- und diskretionsfähig gewesen sei.

[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin in der Hauptsache nicht Folge.

[9] Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestünden keine Unterhaltsansprüche gegen einen nach Privatrecht Unterhaltspflichtigen, soweit Unterhaltsbedürfnisse einer Person infolge einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung von einem Dritten gedeckt werden, weil grundsätzlich kein Anspruch auf Doppelversorgung bestehe. Dieser Grundsatz sei nur dann nicht anzuwenden, wenn der Gesetzgeber durch Anordnung einer aufgeschobenen Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt habe. Nur wenn das jeweilige Gesetz keine den Sozialhilfeempfänger betreffende Rückzahlungsverpflichtung oder keine (aufgeschobene) Legalzession des Unterhaltsanspruchs vorsehe, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden könne, sei sie als anrechenbares Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten anzusehen. In den übrigen Fällen bleibe der volle Unterhaltsanspruch bestehen.

[10] Das hier (April 2016 bis dato) anzuwendende Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), LGBl Nr 99/2010, nehme in § 23 Abs 3 lit a die Kinder, Enkelkinder und Großeltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers von der Verpflichtung Dritter zum Kostenersatz ausdrücklich aus. Die Gesetzesmaterialien wiesen dazu darauf hin, dass die Kostenersatzpflicht für Kinder des Mindestsicherungsbeziehers generell entfalle. Die Kinder könnten daher für Mindestsicherung nach dem TMSG, die ihr Elternteil erhalten habe, nicht zum Ersatz verpflichtet werden. Damit bestehe kein Anspruch des für die Gewährung der Leistung zuständigen Organs auf Ersatz der Kosten der Mindestsicherung gegen die Kinder eines Mindestsicherungsbeziehers. Im Ergebnis habe die Antragstellerin daher keinen Anspruch auf Doppelversorgung, sodass die von ihr bezogene Mindestsicherung im Verhältnis zu ihren Kindern als Eigeneinkommen zu berücksichtigen sei.

[11] Auf das weitere Argument der Antragstellerin, wonach das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass sie eine Neufestsetzung des von ihrem geschiedenen Ehemann zu leistenden Unterhalts begehren könnte, sei bei dieser Ausgangslage nicht weiter einzugehen. Die Antragsgegnerin könne unabhängig von einer solchen Möglichkeit nicht zum Unterhalt verpflichtet werden, weil das Einkommen der Antragstellerin (unter Anrechnung der Mindestsicherung) nicht nur ihren festgestellten monatlichen Durchschnittsbedarf decke, sondern auch über dem jeweils geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG gelegen sei.

[12] Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu. Es habe sich bei seiner Entscheidung zwar an der einschlägigen Judikatur orientieren können, offen bleibe jedoch, ob mit diesem Ergebnis dem Subsidiaritätsgedanken des TMSG ausreichend Rechnung getragen werde. § 23 TMSG betreffe gemäß seinem Wortlaut den Kostenersatz (von bereits getragenen Aufwendungen) durch Dritte, während der Übergang von Rechtsansprüchen in § 24 TMSG geregelt werde. Insofern sei unklar, ob § 23 Abs 3 TMSG auch die Legalzession des (künftigen) Unterhaltsanspruchs ausschließe. Überdies könnte infolge einer die Antragstellerin treffenden Rückzahlungsverpflichtung (§ 22 Abs 1 TMSG) die gewährte Sozialhilfe selbst dann zurückgefordert werden, wenn § 23 Abs 3 TMSG auch die Legalzession des grundsätzlich bestehenden Unterhaltsanspruchs gegenüber der Antragsgegnerin ausschlösse. Dieser Umstand müsste jedoch gemäß den Grundsätzen der Rechtsprechung dazu führen, dass die Mindestsicherung nicht als Eigeneinkommen anzurechnen sei.

[13] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der von der Antragsgegnerin beantwortete Revisionsrekurs der Antragstellerin. Sie beantragt, die Beschlüsse der Vorinstanzen abzuändern und ihrem Antrag stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist im Sinn der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Unterhaltsansprüche gegen Nachkommen bilden schon nach der Wertung des § 234 ABGB eher einen Ausnahmefall (9 Ob 18/09a). Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat (§ 234 Abs 1 ABGB). Diese Unterhaltspflicht der Kinder steht der eines Ehegatten, eines früheren Ehegatten, von Vorfahren und von Nachkommen näheren Grades des Unterhaltsberechtigten im Rang nach. Mehrere Kinder haben den Unterhalt anteilig nach ihren Kräften zu leisten (§ 234 Abs 2 ABGB). Der Unterhaltsanspruch eines Eltern- oder Großelternteils mindert sich insoweit, als ihm die Heranziehung des Stammes eigenen Vermögens zumutbar ist. Überdies hat ein Kind nur insoweit Unterhalt zu leisten, als es dadurch bei Berücksichtigung seiner sonstigen Sorgepflichten den eigenen angemessenen Unterhalt nicht gefährdet (§ 234 Abs 3 ABGB).

[15] 2.1. Der Unterhaltsanspruch nach § 234 ABGB ist demnach subsidiär und setzt voraus, dass die Eltern nicht imstande sind, sich selbst zu erhalten. Für die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit kann bei einfachen Lebensverhältnissen der Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG als Orientierungshilfe dienen (RIS-Justiz RS0047514 [T2, T4, T5]). Die (mangelnde) Selbsterhaltungsfähigkeit ist aber in jedem einzelnen Fall zu prüfen; die Unterhaltsberechtigung wird daher nicht schon durch den Bezug eines über der Höhe der Ausgleichszulage liegenden Einkommens ausgeschlossen (9 Ob 18/09a mwN). Es wird ein angemessener und nicht nur der notdürftige Unterhalt geschuldet (RS0107948). Die konkrete Unterhaltshöhe richtet sich nach den Lebensverhältnissen des Kindes und des Elternteils. Bei entsprechender Leistungsfähigkeit der Nachkommen ist jedenfalls der zur Ergänzung auf das notwendige Ausmaß erforderliche Unterhalt zu erbringen, das heißt, die Bedarfslücke ist zu füllen (9 Ob 18/09a).

[16] 2.2. Der Unterhaltsanspruch nach § 234 ABGB setzt außerdem voraus, dass der Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat (§ 234 Abs 1 ABGB). Unter welchen Voraussetzungen von einer gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht auszugehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Insbesondere sind die Dauer der Pflichtverletzung, das bisherige Verhalten des zum Unterhalt Verpflichteten und die Gründe für die Nichterbringung abzuwägen (1 Ob 4/08g).

[17] 2.3. Mehrere gleichrangige unterhaltspflichtige Nachkommen sind nach ihren Kräften anteilig zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Sie haften daher anteilig und nicht solidarisch (Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 [2018] § 234 ABGB Rz 12 mwN). Hier wurde dasbeim Erstgericht anhängige, gegen den Sohn der Antragstellerin (und Bruder der Antragsgegnerin) gerichtete Verfahren zur Unterhaltsfestsetzung bis zur rechtskräftigen Erledigung des vorliegenden Verfahrens unterbrochen.

[18] 3.1. Die Antragstellerin wendet sich in ihrem Revisionsrekurs gegen die Beurteilung des Rekursgerichts, die von ihr bezogene Mindestsicherung sei bei der Unterhaltsbemessung im Verhältnis zu ihren Kindern als Eigeneinkommen zu berücksichtigen.

[19] 3.2. Eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse aufgrund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, kann schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhalts-pflichtigen stellen, weil ihr kein Anspruch auf Doppelversorgung zusteht. Deshalb werden auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwandes für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind, als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen; anderes gilt dagegen für Sozialleistungen zur Deckung des Mehraufwandes für einen bestimmten Sonderbedarf, jedoch auch hier mit dem Ausschluss eines erhöhten Unterhaltsanspruchs gegen den Unterhaltspflichtigen (RS0080395).

[20] Diese Grundsätzekönnen aber dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung einer aufgeschobenen (also erst mit Verständigung des Unterhaltsverpflichteten durch den Sozialhilfeträger bewirkten) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruchs des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat (RS0063121). Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung ist die dem Unterhaltsberechtigten gewährte Sozialhilfe daher nur dann als anrechenbares Eigeneinkommen desUnterhaltsberechtigten anzusehen, wenn das jeweilige Sozialhilfegesetz keine Rückzahlungsverpflichtung des Sozialhilfeempfängers und keine „aufgeschobene“ Legalzession bzw keine dieser gleich zu haltende Verpflichtung zur rechtsgeschäftlichen Zession vorsieht, also die einmal gewährte Sozialhilfe nicht (mehr) zurückgefordert werden kann (4 Ob 113/22d mwN; RS0080395 [T25]; RS0063121 [T2]; RS0118565 [T2]; RS0047347 [T3]). In den übrigen Fällen bleibt der volle Unterhaltsanspruch bestehen. Insoweit ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Unterhaltspflichtige durch die Gewährung solcher Leistungen nicht entlastet werden soll (3 Ob 201/20k; RS0063121 [T5]).

[21] Ob der Unterhaltsberechtigte ausnahmsweise einen Anspruch auf Doppelversorgung hat, ist nach dem jeweiligen Gesetzeszweck zu beurteilen; Anhaltspunkte für die Absicht des Gesetzgebers bieten dabei die gesetzlichen Regelungen über den Rechtsübergang der Unterhaltsansprüche und über die Kostenbeitragspflicht des Unterhaltsverpflichteten (RS0080395 [T29]). Die unterschiedliche Gesetzeslage und der unterschiedliche Gesetzgeberwille führen damit auch zu unterschiedlichen Entscheidungen (4 Ob 113/22d; vgl RS0129380; RS0009583).

[22] 3.3. Das hier anzuwendende Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), LGBl 2010/99, ist vom Grundsatz der Subsidiarität geprägt (ErläutRV zu LGBl 2010/99, 4 und 32 f): Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann (§ 1 Abs 4 TMSG).

[23] Gemäß den §§ 15 und 16 TMSG hat der Hilfesuchende vor der Gewährung von Mindestsicherung sein eigenes Einkommen und Vermögen einzusetzen und seine Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu zeigen oder sich um eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit zu bemühen. Gemäß § 17 TMSG hat der Antragsteller außerdem vor der Gewährung von Mindestsicherung – soweit zumutbar und nicht offensichtlich aussichtslos – alle öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen (Abs 1), wenngleich jedem Anspruchsberechtigten die Mindestsicherung bis zur tatsächlichen Durchsetzung seiner Ansprüche als Vorausleistung zu gewähren ist (Abs 2).

[24] Der Bezieher von Mindestsicherung ist gemäß § 22 Abs 1 TMSG unter anderem dann zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn und soweit er nach dem Bezug der Mindestsicherung zu Vermögen gelangt, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit erwirtschaftet wurde. Dritte sind gemäß § 23 Abs 1 TMSG zum Ersatz der für den Mindestsicherungsbezieher aufgewendeten Kosten verpflichtet, wenn dieser ihnen gegenüber im Bezugszeitraum Ansprüche auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG, also insbesondere Unterhaltsansprüche, hatte. Nicht zum Kostenersatz verpflichtet sind a) die Kinder, Enkelkinder und Großeltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers und b) die Eltern des (früheren) Mindestsicherungsbeziehers hinsichtlich jener Leistungen, die dieser nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit bezogen hat (§ 23 Abs 3 TMSG). § 24 TMSG regelt den Übergang der Ansprüche des Mindestsicherungsbeziehers auf Leistungen nach § 17 Abs 1 TMSG auf das für die Gewährung der Mindestsicherung zuständige Organ (Legalzession); eine schriftliche Anzeige an den Dritten bewirkt den Übergang des Anspruchs auf den Rechtsträger der Mindestsicherung.

[26] 3.4. In der Zusammenschau zeigen diese Regelungen des TMSG, namentlich jene über die Kostenersatzpflicht Dritter und den Übergang von Rechtsansprüchen, dass durch die Gewährung von Mindestsicherung keine grundsätzliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen bewirkt werden soll (3 Ob 201/20k). Die unterhaltspflichtigen Kinder, Enkelkinder, Großeltern und Eltern (großjähriger Kinder) sind zwar von der unmittelbaren Kostenersatzpflicht gegenüber dem Rechtsträger der Mindestsicherung ausgenommen, die Legalzession des Unterhaltsanspruchs bleibt aber nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes trotz dieses Ausschluss zulässig (vgl 4 Ob 29/14i [Oö BMSG]; 4 Ob 113/22d [Oö SOHAG]). Das gegenteilige Verständnis widerspräche dem von der Subsidiarität geprägten Gesetzeszweck. Auch den Gesetzesmaterialien sind keine Anhaltspunkte für eine solcheReduktion des Anwendungsbereichs derBestimmungüber den Übergang von Rechtsansprüchen zu entnehmen.

[27] Das Tiroler Mindestsicherungsgesetz sieht demnach eine „aufgeschobene“ Legalzession vor, die nach den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung die Anrechnung der dem Unterhaltsberechtigten gewährten Sozialleistungen als dessen Eigeneinkommen ausschließt. Bei Bezug einer Mindestsicherung nach dem TMSG bleibt daher der volle Unterhaltsanspruch bestehen; die vom Unterhaltsberechtigten bezogene Mindestsicherung ist bei Bemessung des Unterhalts im Verhältnis zum Unterhaltsverpflichteten nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen.

[28] 3.5. In der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 9 Ob 21/17d kam der 9. Senat zwar für das Verhältnis der unterhaltspflichtigen Mutter zur unterhaltsberechtigten Tochter zu einem anderen Ergebnis. Da eine Rückforderung der Mindestsicherung nach dem TMSG durch den Träger der Mindestsicherungsleistung gegenüber der unterhaltspflichtigen Mutter aufgrund der Volljährigkeit der unterhaltsberechtigten Tochter von vornherein nicht in Betracht gekommen sei, handle es sich um eine Sozialleistung, die im Verhältnis zur unterhaltspflichtigen Mutter als anrechenbares Eigeneinkommen der unterhaltsberechtigten Tochter anzusehen sei. Eine Stellungnahme zu der jedenfalls für den vorliegenden Fall ausschlaggebenden gesetzlichen Anordnung einer „aufgeschobenen“ Legalzession iSd § 24 TMSG findet sich in dieser Entscheidung jedoch nicht.

[29] 4.1. Das Erstgericht begründete die Abweisung des Antrags hilfsweise mit der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin könne eine Neufestsetzung des vom primär unterhaltspflichtigen früheren Ehegatten zu leistenden Unterhalts begehren und ihr Unterhaltsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin bestünde lediglich dann zu Recht, wenn durch diese Leistungsverpflichtung des primär Unterhaltspflichtigen die Unterhaltsbedürfnisse der Antragstellerin nicht zur Gänze gedeckt wären.

[30] Die Antragsstellerin bekämpfte die Rechtsansicht des Erstgerichts, weil sie im Widerspruch zu dem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 27. 12. 2019 stehe, mit dem die Antragstellerin eine Erhöhung ihres Unterhalts gegenüber ihrem früheren Ehemann erwirkt habe, ein Mehrbegehren aber abgewiesen worden sei. Dass sich seit 2019 irgendwelche Umstände ergeben hätten, die dazu geführt hätten, dass der Antragstellerin ein höherer Unterhalt gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann zukommen würde, habe die Antragsgegnerin nicht behauptet.

[31] Das Rekursgericht hielt es – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht – nicht für erforderlich, auf diese Rekursausführungen der Antragstellerin dazu einzugehen. In ihrem Revisionsrekurs beharrt die Antragstellerin auf ihrem Standpunkt.

[32] 4.2. Die Unterhaltspflicht der Antragsgegnerin (als Kind iSd § 234 Abs 2 ABGB) steht der des früheren Ehegatten im Rang nach. Tatsache und Ausmaß des vorrangigen nachehelichen Unterhaltsanspruchs sind daher im Verfahren über die Festsetzung eines Unterhalts nach § 234 ABGB als Vorfrage zu klären.

[33] Dieser nacheheliche Unterhaltsanspruch der Antragstellerin bestimmt sich im gegebenen Zusammenhang nicht nach dem Inhalt des abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleichs oder dem Urteil, das in dem von der Antragstellerin angestrengten Verfahren auf Erhöhung des Ehegattenunterhalts (entsprechend der Veränderung des Verbraucherpreisindexes) ergangen ist. Durch gerichtliche Entscheidung oder Vergleich festgesetzte Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu bemessen werden (RS0018984 [T12, T15]). Wenn wegen Änderung der Verhältnisse die seinerzeitige Unterhaltsbemessung wegen der ihr innewohnenden Umstandsklausel nicht mehr bindend bleibt, darf eine Änderung der Unterhaltsbemessung auch für die Vergangenheit erfolgen (RS0053297).

[34] Die Berufung auf die Umstandsklausel wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Parteien ausdrücklich und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf eine Änderung der Unterhaltsvereinbarung auch für den Fall einer wesentlichen Änderung in den beiderseitigen Verhältnissen verzichtet haben (RS0018900).Das ist hier auf Basis des dazu festgestellten Vergleichsinhalts in Bezug auf die Änderung der Verhältnisse der Antragstellerin nicht der Fall.

[35] Die Antragstellerin hat zwar in dem genanntenUnterhaltsprozess gegen den früheren Ehemann auch für den hier antragsgegenständlichen Zeitraum eine nachträgliche Erhöhung des Unterhalts erwirkt. Diese gerichtliche Entscheidung entfaltet für das hier zu beurteilende Verfahren aber keine Bindungswirkung, kam doch der Antragsgegnerin in diesem Unterhaltsverfahren keine Parteistellung zu. Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung setzt aber die Identität der Parteien voraus (RS0041572).

[36] 4.3. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch lässt sich auf Basis des bisher festgestellten Sachverhalts nicht beurteilen.Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen (nur) zu dem 2002 abgeschlossenen außergerichtlichen Unterhaltsvergleich und dem 2019 geführten Unterhalts-prozess lassen die Beurteilung nicht zu, ob und in welchem Ausmaß eine Neubemessung des Unterhalts zufolge wesentlich geänderter Verhältnisse gerechtfertigt wäre.

[37] Die Antragstellerin verwies in ihrem Rekurs zwar darauf, dass die Antragsgegnerin nicht behauptet habe, dass sich die unterhaltsrelevanten Verhältnisse wesentlich verändert hätten. Aber abgesehen davon, dass sie sich ausdrücklich nur auf die Zeit ab 2019 bezieht, kommt eine Entscheidung nach Maßgabe der Behauptungs- und Beweislast hier (noch) nicht in Betracht. Das Erstgericht hat die Schlüssigkeit des Einwands der Subsidiarität implizit bejaht. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (vgl RS0037300; RS0108816) ist daher den Parteien jedenfalls Gelegenheit zu geben, vor dem Erstgericht zu diesen bisher allenfalls nicht ausreichend erörterten Gesichtspunkten (ergänzendes) Vorbringen zu erstatten und Beweisanbote zu stellen.

[38] Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Berücksichtigung der übrigen Einwände der Antragsgegnerin ist daher unvermeidlich.

[39] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 AußStrG.

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