European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00139.22F.0425.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – M* P* der Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1, Abs 4 Z 1 (Abs 5 Z 4) iVm § 161 Abs 1 StGB (I) und nach § 159 Abs 2 (Abs 5 Z 4) iVm § 161 Abs 1 StGB (II) sowie des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 iVm § 161 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in T* und andernorts als Geschäftsführer der W* GmbH, sohin als leitender Angestellter dieser juristischen Person
(I) von Jänner 2014 bis 31. Jänner 2016 grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB) die Zahlungsunfähigkeit der W* GmbH durch kridaträchtiges Handeln herbeigeführt, indem er es entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens unterließ, „Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen so zu führen und dabei sonstige geeignete und erforderliche Kontrollmaßnahmen“ in Form der Bildung von Rückstellungen und Veränderungen der Geschäftsgebarung zur Erhaltung der Liquidität zu ergreifen (US 7), „die ihm einen zeitnahen Überblick über die wahre Vermögens‑, Finanz‑ und Ertragslage verschafft hätten“ und dadurch einen 1.000.000 Euro übersteigenden Befriedigungsausfall der Gläubiger in Höhe von 1.667.763,33 Euro bewirkt;
(II) von 1. Februar 2016 bis 18. August 2016 in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der W* GmbH grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB) die Befriedigung wenigstens eines ihrer Gläubiger dadurch vereitelt und geschmälert, dass er wie zu (I) dargestellt (weiterhin) kridaträchtig handelte;
(III) von Jänner 2014 bis März 2016 in wiederholten Angriffen Bestandteile des Vermögens der W* GmbH beiseite geschafft und deren Vermögen sonst wirklich verringert und dadurch die Befriedigung deren Gläubiger geschmälert, indem er an Mo* P* um 70.000 Euro überhöhte Gehaltszahlungen leistete, ohne dass diesen eine Gegenleistung gegenüberstand.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 126 Abs 4 StPO infolge Beiziehung des bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen Dr. *. Mit der Behauptung von „struktureller“ Befangenheit des Sachverständigen im Hauptverfahren aufgrund seiner Tätigkeit im Auftrag der Staatsanwaltschaft als deren „verlängerter Arm“ im Ermittlungsverfahren wird jedoch der Befangenheitsgrund des § 47 Abs 1 Z 3 (iVm § 126 Abs 4 erster Satz) StPO geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0129955), der – im Gegensatz zu den Befangenheitsgründen des § 47 Abs 1 Z 1 und 2 StPO – nicht mit ausdrücklicher Nichtigkeit bewehrt ist (§ 126 Abs 4 zweiter Satz StPO; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 199). Ungeachtet der Formulierung in einem E‑Mail der Staatsanwaltschaft (ON 63) steht hier keine vormalige Tätigkeit des Sachverständigen als Organ der Kriminalpolizei, als Staatsanwalt oder als Richter in Rede (vgl zur Differenzierung nach den Befangenheitsgründen des § 47 Abs 1 StPO Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 171 ff; zum Vorliegen einer taxativen Aufzählung in § 281 Abs 1 Z 3 StPO RIS‑Justiz RS0099118).
[5] Zu Unrecht moniert die Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung (ON 119a S 9 f) des auf Abberufung wegen „struktureller“ Befangenheit des Sachverständigen abzielenden Antrags des Angeklagten (ON 119a S 7) in der Hauptverhandlung vom (richtig:) 30. Juni 2021 wegen dessen Durchführung umfangreicher, eigenverantwortlicher und eigeninitiativer Ermittlungsmaßnahmen als „Organ der Ermittlungsbehörden“. Denn sie ignoriert, dass das in Rede stehende Gutachten (ON 72) bereits im Geltungszeitraum des § 126 Abs 5 StPO idF BGBl I 2015/112 eingeholt wurde. Dem Angeklagten wäre es daher im Ermittlungsverfahren offen gestanden, eine Bestellung des Sachverständigen im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahmen zu verlangen. Wurde derartiges nicht begehrt, kann die „strukturelle“ Befangenheit des Sachverständigen im Hauptverfahren im Hinblick auf den dadurch (der Sache nach) abgegebenen Grundrechtsverzicht nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0131744, RS0130055 [T5], RS0130056 [T3]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.671 mwN). Dass er an der Stellung eines Antrags im Sinn des § 126 Abs 5 erster Satz zweiter Halbsatz StPO gehindert gewesen wäre, behauptet der Beschwerdeführer im Übrigen nicht.
[6] Ebenso zu Recht wies das Schöffengericht diesen Antrag unter dem Aspekt einer weiters behaupteten persönlichen Befangenheit des Sachverständigen wegen wertender Ausführungen [im Gutachten], da dieser „bei mehreren möglichen Varianten stets von der für die Angeklagten ungünstigsten“ ausgegangen sei, ab (ON 119a S 9 f). Denn auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens gegründete Befangenheit eines Sachverständigen im Sinn des § 47 Abs 1 Z 3 (iVm § 126 Abs 4) StPO liegt nach Abgabe desselben nur vor, wenn zu erkennen ist, dass der Sachverständige sein Gutachten auch dann nicht ändern würde oder hiezu gewillt wäre, wenn Verfahrensergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen (RIS‑Justiz RS0115712). Solche Umstände wurden nicht vorgebracht.
[7] Der von der Mängelrüge erhobene Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) in Ansehung eines Teils des Tatzeitraums zu (I) lässt außer Acht, dass der Tatzeitraum – von der Frage der hier nicht angesprochenen Verjährung abgesehen – keine entscheidende Tatsache ist, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS‑Justiz RS0113145 [T2], RS0095238, RS0117499; Kirchbacher in WK2 StGB § 159 Rz 108).
[8] Ein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen den Urteilskonstatierungen, wonach nicht festgestellt werden kann, in welchem Umfang und in welcher Qualität ab Anfang 2015 noch Buchhaltungsunterlagen vorhanden gewesen waren und deren Verbleib nicht festgestellt werden kann, einerseits und jenen, wonach es der Angeklagte pflichtwidrig unterlassen hat, entsprechende Kontrollmaßnahmen in Zusammenhang mit der erforderlichen Liquiditätssteuerung zu ergreifen, insbesondere weder Rückstellungen gebildet, noch Veränderungen in der Geschäftsgebarung vorgenommen hat, die der Erhaltung der Liquidität gedient hätten (US 7), andererseits, besteht nach den Gesetzen logischen Denkens nicht (RIS‑Justiz RS0117402 [T15]; vgl im Übrigen RS0118736, RS0117934).
[9] Auch die Urteilsannahmen, wonach der Angeklagte es ab Anfang Februar 2016 fortgesetzt unterlassen hat, derartige Kontrollmaßnahmen zur Liquiditätssteuerung zu ergreifen, vielmehr weiterhin an der bisherigen Geschäftsgebarung festgehalten hat, wodurch es zu weiteren Mittelabflüssen und einer damit einhergehenden, ansteigenden Schmälerung der Befriedigung der Gläubiger gekommen ist, können neben der oben zitierten Negativfeststellung bestehen (neuerlich RIS‑Justiz RS0117402 [T15]).
[10] Indem die Mängelrüge einen weiteren Widerspruch (Z 5 dritter Fall) darin sieht, dass die Tatrichter im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu (I) bei einem Tatzeitraum bis 31. Jänner 2016 mit dem Betrag von 1.667.763,33 Euro „den Gesamtbetrag der angemeldeten Forderungen“ angenommen und gleichzeitig an mehreren Stellen ausgeführt haben, durch das Verhalten des Angeklagten ab 1. Februar 2016 habe sich der Forderungsausfall noch deutlich vergrößert, spricht sie neuerlich keine entscheidende Tatsache (siehe aber RIS‑Justiz RS0106268) an, weil der Entfall der Wertqualifikation des § 159 Abs 4 Z 1 StGB gar nicht behauptet wird (vgl im Übrigen US 8).
[11] Gleiches gilt für die Kritik (nominell Z 5 dritter Fall, der Sache nach vierter Fall), wonach das Erstgericht in Bezug auf die subjektive Tatseite zu (III) nicht begründet habe, warum diese auch zu Beginn des Tatzeitraums (ab 2014) vorgelegen sei. Im Übrigen ist die (hier primär erfolgte) Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen (US 15) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882). Die eigenständigen Schlussfolgerungen aus einer Passage aus dem Gutachten des Sachverständigen zur wirtschaftlichen Situation der W* GmbH in den Jahren 2013 und 2014 und der Einstellung der Zahlungen an Mo* P* „sehr kurz“ nach erkennbarer Zahlungsunfähigkeit stellen bloß in dieser Form unzulässige Beweiswürdigungskritik dar.
[12] Soweit der Angeklagte die Ausführungen zur Mängelrüge hilfsweise auch auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO stützt, vernachlässigter, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber beschwert erachtet (RIS‑Justiz RS0115902).
[13] Im Übrigen weckt die Rüge – ohne den gebotenen Bezug zum Akt (vgl RIS‑Justiz RS0119424 [T1]) – mit den Hinweisen auf eine an sich noch positive Entwicklung der Gesellschaft in den Jahren 2013 und 2014 und die Einstellung der Gehaltszahlungen an Mo* P* kurz nach dem im Urteil festgestellten Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite zu (III) (RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780), sondern hält diesen bloß eigene Überlegungen entgegen (siehe aber RIS‑Justiz RS0100555).
[14] Die gegen die Annahme der Wertqualifikation des § 159 Abs 4 Z 1 StGB zu (I) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) verweist zunächst auf den schon im Rahmen der Mängelrüge behaupteten angeblichen Widerspruch zwischen der im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis angeführten Höhe des Befriedigungsausfalls (im Ausmaß sämtlicher im Insolvenzverfahren angemeldeter Forderungen) und „an mehreren Stellen des Urteils“ getroffenen – nicht näher konkretisierten – Aussagen zu einer „deutlichen Vergrößerung“ des Forderungsausfalls ab 1. Februar 2016. Damit spricht sie auch unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit (zum inneren Widerspruch als Gegenstand sowohl der Mängel‑ als auch der Rechts- und Subsumtionsrüge vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 570 f; RIS‑Justiz RS0133376) keine entscheidende Tatsache an, weil sie einen Einfluss dieses Widerspruchs auf die in Rede stehende Wertgrenze gar nicht mit Bestimmtheit behauptet.
[15] Davon abgesehen orientiert sich die Beschwerde mit diesem Vorbringen nicht am Urteilssachverhalt (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810). Sie lässt nämlich die Feststellungen außer Acht, nach denen der Angeklagte es unterließ, entsprechende Kontrollmaßnahmen zu ergreifen und „die völlig unkontrollierte Geschäftsgebarung mit ein Grund dafür [war], dass es zur konkret eingetretenen Höhe des Ausfalls bei den Gläubigern in einem 1.000.000 Euro übersteigenden Betrag und zur weiteren Vergrößerung des Schadens bis Konkurseröffnung gekommen ist“, „der Eintritt eines solchen Ausmaßes an Insolvenzverbindlichkeiten und die weitere Vergrößerung des Ausfalls für die Gläubiger nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit“ für den Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war und sich diese Wahrscheinlichkeit auch konkret verwirklicht hat (US 8).
[16] Diese lassen, wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt, aus Sicht des Obersten Gerichtshofs – entgegen der Auffassung der Generalprokuratur – mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die Tatrichter die für die Annahme der Wertqualifikation des § 159 Abs 4 Z 1 StGB sowie für die Abgrenzung der Tatbestände des § 159 Abs 1 und Abs 2 StGB erforderlichen Feststellungen treffen wollten (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19; RIS‑Justiz RS0117228).
[17] Eben diese Konstatierungen übergeht die Beschwerde auch mit ihrer weiteren Behauptung fehlender Kausalität des tatbestandsmäßigen Handelns für die (gesamte) Höhe des Gläubigerausfalls zu (I).
[18] Schließlich entzieht sich der Einwand eines Feststellungsmangels zur Höhe des Forderungsausfalls bei „rechtmäßigem Alternativverhalten“ (bloß) betreffend die Bildung von Rückstellungen für die Forderung der Therme * schon deshalb einer inhaltlichen Erwiderung, weil gleichfalls nicht am Urteilssachverhalt Maß genommen wird (RIS‑Justiz RS0118580 [insb T14]).
[19] Bei ihrer spekulativen These, insoweit rechtmäßiges Verhalten hätte „bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Insolvenz“ und zu „einem beträchtlichen Ausfall von Gläubigern“ geführt, geht die Rüge nämlich zum einen urteilsfremd von einer Forderung in Höhe von 916.845,40 Euro (vgl dagegen US 6 f: „635.000 Euro samt Zinsen und Kosten“) und zum anderen davon aus, dem Angeklagten wäre „im Wesentlichen“ die Unterlassung der Bildung von Rückstellungen angelastet worden, womit sie die Feststellungen zu den – für den gesamten Befriedigungsausfall der Gläubiger kausalen – weiteren kridaträchtigen Handlungen übergeht (US 7 f iVm US 1 und US 12 f). Dass ein Befriedigungsausfall von mehr als 1.000.000 Euro auch dann eingetreten wäre, wenn der Angeklagte – Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens entsprechend – Geschäftsbücher und geschäftliche Aufzeichnungen pflichtgemäß geführt und dabei die zur Erlangung eines zeitnahen Überblicks über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens geeigneten und erforderlichen Kontroll- und Liquiditäts-steuerungsmaßnahmen ergriffen sowie – angesichts ansteigender Liquiditätsprobleme und der seit 2013 drohenden Verpflichtung zur Bezahlung der Forderung der Therme * – Veränderungen in der Geschäftsgebarung zur Erhaltung der Liquidität vorgenommen hätte, behauptet die Beschwerde nicht.
[20] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[21] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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