OGH 1Ob181/22g

OGH1Ob181/22g28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* KG, *, vertreten durch Mag. Wolfgang Maier, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei „H* KG, *, vertreten durch die Prager & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.540 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Juni 2022, GZ 39 R 104/22s‑18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 19. Jänner 2022, GZ 49 C 144/21g‑13, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00181.22G.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile lautet:

„Die Klageforderung von 7.540 EUR besteht zu Recht.

Die Gegenforderung besteht mit 6.004 EUR zu Recht.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.536 EUR samt 0,535 % an vierteljährlichen Zinsen aus diesem Betrag seit 1. 1. 2021 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 6.004 EUR samt Zinsen zu zahlen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei anteilige Barauslagen von 160,32 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.329,11 EUR (darin enthalten 387,58 EUR USt und 3,64 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.247 EUR (darin enthalten 152,07 EUR USt und 335 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist Miteigentümerin einer Liegenschaft; mit ihren Anteilen ist das Wohnungseigentum am Geschäftslokal 3 verbunden, das dem Betrieb einer Gastwirtschaft dient.

[2] Am 8. 6. 2019 schlossen der Komplementär der Klägerin und die Beklagte einen als Pachtvertrag bezeichneten Bestandvertrag mit einer Laufzeit von 1. 7. 2019 bis 30. 6. 2022 ab. Punkt I. des Vertrags lautet auszugsweise:

„Gegenstand dieses Pachtvertrages ist das im Gebäude (Haus) befindliche Unternehmen mit dem Geschäftszweig Gastwirtschaft samt Inventar, Kundenstock, Goodwill und Bestandräumlichkeiten. Dies beinhaltet insbesondere eine vollständig eingerichtete Gaststube und eine ziemlich neuwertige Küche. Des weiteren verfügt die Gasstätte [sic] über einen Gastgarten.

[...]

Der Pächter ist verpflichtet, das gepachtete Unternehmen den Bestimmungen dieses Vertrages gemäß sowie unter Einhaltung aller gesetzlichen und behördlichen Vorschriften zu führen.

[…].“

[3] Als Bestandzins war ein Betrag von 2.530 EUR vereinbart, der sich aus dem Hauptbestandzins von 1.800 EUR (wertgesichert), einer Betriebskostenpauschale von 300 EUR und der Umsatzsteuer zusammensetzte. Die von der Bestandnehmerin erlegte Kaution betrug 7.540 EUR. Nach Vertragsabschluss trat die Klägerin anstelle ihres Komplementärs in den Vertrag ein.

[4] Vor der Inbetriebnahme durch die Klägerin im Juli 2019 war die Gastwirtschaft wegen Erneuerungsmaßnahmen eineinhalb Jahre geschlossen gewesen. Zu Beginn des Bestandverhältnisses bestanden aufrechte Betriebsanlagengenehmigungen für das Restaurant und den Gastgarten. Die Klägerin erneuerte das Geschirr, die Kühlschränke, einen Geschirrspüler sowie die Beleuchtung für den Gastgarten und schaffte ästhetisch ansprechende Leuchtmitteln für den Innenraum an. Nach Abschluss eines Bierlieferungsvertrags installierte die Brauerei eine neue Zapfanlage. Positive Kritiken nach der Neueröffnung sorgten für einen regen Betrieb ab August 2019.

[5] Vom 16. 3. 2020 bis 15. 5. 2020 war das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe behördlich untersagt (erster Lockdown). Ausnahmen waren unter anderem für das Angebot eines Lieferservice vorgesehen, ab 3. 4. 2020 auch für Take-Away und „Click‑and‑Collect“. Dasselbe galt vom 3. 11. 2020 bis ins Jahr 2021 hinein (zweiter Lockdown). Ausnahmen bestanden wiederum für Lieferservice und Take-Away (letzteres jedoch nur zwischen 6:00 Uhr und 19:00 bzw 20:00 Uhr und zeitweise mit Verbot der Konsumation im Umkreis von 50 m um die Betriebsstätte).

[6] Die Klägerin bot im April 2020 ein Take-Away an, wobei der Tagesumsatz nur 120 EUR bis 130 EUR betrug, was nicht kostendeckend war. Ursache für die geringe Nachfrage war, dass die Gastwirtschaft aufgrund ihrer Lage primär von Touristen aufgesucht worden war, die in den Zeiträumen der Lockdowns nicht nach Österreich kamen. Vom 16. 5. 2020 bis 31. 10. 2020 war das Restaurant geöffnet, im November und Dezember 2020 geschlossen, wobei die Klägerin während dieser Zeit weder Lieferservice noch Take‑Away anbot.

[7] Im März 2020 entrichtete die Klägerin den vollen Bestandzins von 2.520 EUR. Im April 2020 zahlte sie kein Entgelt. Im Mai entrichtete sie einen Bestandzins von 1.920 EUR und bezahlte im Juni und Juli 2020 wieder den vollen Bestandzins. Für die Monate ab August 2020 vereinbarten die Parteien eine Reduktion des Bestandzinses auf 2.200 EUR. Zahlungen in dieser Höhe erfolgten für August, September und Oktober. Für November und Dezember 2020 entrichtete die Klägerin wiederum keinen Bestandzins.

[8] Für November und Dezember 2020 erhielt die Klägerin staatlichen Umsatzersatz von insgesamt 27.000 EUR. In den Vergleichsmonaten des Jahres 2019 hatte der Umsatz insgesamt etwa 46.000 EUR betragen.

[9] Die Klägerin kündigte das Bestandverhältnis am 28. 9. 2020 zum 31. 12. 2020. Bei der Rückstellung des Bestandobjekts durch die Klägerin war ein ursprünglich geschlossener Seiteneingang geöffnet. Für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands wendete die Beklagte 200 EUR auf. Weitere Schäden gab es nicht.

[10] Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der Kaution von 7.540 EUR.

[11] Die Beklagtemacht geltend, dass offene Pachtzinsforderungen für April 2020, teilweise Mai 2020 sowie für November und Dezember 2020 in der Höhe von insgesamt 8.160 EUR bestünden und die Klägerin Schäden von 2.100 EUR verursacht habe. Diese Beträge wendete sie aufrechnungsweise bis zur Höhe der Klageforderung ein. Die Nichtzahlung des Bestandzinses sei nicht berechtigt gewesen, weil die Klägerin im ersten Lockdown ein Take-Away angeboten und im zweiten Lockdown Umsatzersatz erhalten habe.

[12] Das Erstgerichtsprach aus, dass die Klageforderung mit 7.540 EUR und die Gegenforderungen mit 200 EUR zu Recht bestünden, verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 7.340 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab.

[13] In den Lockdown-Monaten sei das Betreten des Gasthauses durch Kunden und die Verabreichung von Speisen verboten gewesen. Zwar könne auch die objektive Möglichkeit eines Liefer- oder Take-Away-Angebots zur teilweisen Nutzbarkeit des Bestandobjekts führen. Durch das von der Klägerin angebotene Take-Away hätten aber keine nennenswerten Umsätze und Erträge erzielt werden können, sodass sie nach § 1104 ABGB für die Zeiträume 16. 3. 2020 bis 15. 5. 2020 sowie vom 3. 11. 2020 bis zum Ende des Bestandverhältnisses am 31. 12. 2020 von der Zinszahlungspflicht befreit gewesen sei.

[14] Die Rückforderung der Kaution sei auch nicht sittenwidrig. Der Oberste Gerichtshof habe bereits entschieden, dass ein allenfalls ausgezahlter Fixkostenzuschuss nicht an den Bestandgeber herauszugeben sei. Dies gelte auch für den hier im November und Dezember 2020 ausbezahlten Umsatzersatz. Die Gegenforderung wegen nicht bezahlter Bestandzinse bestehe daher nicht zu Recht. Die übrigen Gegenforderungen seien nur im Ausmaß von 200 EUR berechtigt.

[15] Die B eklagte bekämpfte dieses Urteil im Umfang von 5.804 EUR, sodass ein Zuspruch von 1.536 EUR samt anteiligenZinsen in Rechtskraft erwuchs.

[16] DasBerufungsgericht änderte das angefochtene Urteil teilweise ab. Es sprach aus, dass die Gegenforderung mit 346,67 EUR zu Recht bestehe, und reduzierte den Zuspruch daher auf 7.193,33 EUR. Die Revision ließ es zu.

[17] Zwar könne die objektive Möglichkeit der Bestandnehmerin, Liefer- und/oder Abholservice anzubieten, eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründen. Ihr stehe aber der Einwand der Unzumutbarkeit einer (sofortigen) Etablierung eines bisher nicht angebotenen Liefer- und/oder Abholservices offen, etwa wenn wegen fehlenden Kundenkreises ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten wäre. Das sei hier der Fall gewesen. Der Umstand, dass die Klägerin im April 2020 dennoch ein (verlustbringendes) Take‑Away tatsächlich betrieben habe, führe nicht zur (teilweisen) Brauchbarkeit des Bestandobjekts, weil die Klägerin nicht schlechter gestellt werden könne, weil sie ein solches Geschäftsmodell versucht und nicht von vornherein wegen der zu erwartenden Verluste unterlassen habe. Für die Monate November und Dezember 2020 sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin wegen der Kündigung des Bestandverhältnisses lediglich einen Betriebshorizont von maximal zwei Monaten vor sich gehabt habe und somit keine Gelegenheit mehr gehabt hätte, Anfangsverluste aus der Neuetablierung eines Liefer- und/oder Abholservices wettzumachen. Damit sei die Klägerin insgesamt in den Zeiten des Lockdowns wegen vollständiger Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts von der Zahlung des Bestandzinses befreit.

[18] Nachder Rechtsprechung bestehe keine Verpflichtung für die Klägerin, staatliche Unterstützungen an den Bestandgeber herauszugeben. Das gelte für den Fixkostenzuschuss ebenso wie für den Umsatzersatz, der ihr im November und Dezember 2020 ausbezahlt worden sei. Allerdings habe der zweite Lockdown erst am 3. 11. 2020 begonnen, weshalb kein Grund für die Nichtzahlung des aliquoten Bestandzinses für den 1. und den 2. 11. 2020 bestehe. Da der Mietzins ab August auf 2.200 EUR pro Monat reduziert worden sei, errechne sich ein anteiliger Bestandzins von 146,67 EUR, sodass die Gegenforderung insgesamt mit 346,67 EUR zu Recht bestehe.

[19] Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der Unbenützbarkeit eines Gastlokals als Folge der Corona‑Pandemie lediglich eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege, weswegen nicht von einer gesicherten Rechtsprechung ausgegangen werden könne.

[20] Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig, weil die Ansicht des Berufungsgerichts zur Unbrauchbarkeit des Geschäftsraums im April 2020 sowie zu den Folgen des Lockdown-Umsatzersatzes einer Korrektur bedarf; sie ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

A.  Gegenstand des Revisionsverfahrens:

[21] Im Revisionsverfahren beträgt das Interesse der Beklagten unter Berücksichtigung der bereits rechtskräftig abgewiesenen Teile des Klagebegehrens 5.657,33 EUR. Ihre Gegenforderungen, die sie aus den Bestandzinsforderungen für die Zeit vom 4. 4. 2020 bis zum Ende des ersten Lockdowns und für die Zeit ab Beginn des zweiten Lockdowns bis zur Beendigung des Bestandverhältnisses ableitet, sind bis zu dieser Höhe zu prüfen. Allenfalls zu viel gezahlter Bestandzins für März 2020 war nicht Gegenstand der Klage.

[22] Zu den Gegenforderungen macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, dass das Bestandverhältnis als Pacht zu qualifizieren und das Bestandobjekt während dieser Zeiträume jedenfalls teilweise brauchbar gewesen sei, sodass die Klägerin nach § 1105 ABGB den jeweils vereinbarten Bestandzins ungeschmälert schulde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin für November (ab Beginn des zweiten Lockdowns) und Dezember 2020 eine staatliche Unterstützung im Form eines Umsatzersatzes erhalten habe, zumal die entsprechenden Verordnungen anders als die Regelungen zum Fixkostenersatz keine Schadensminderungspflicht des Bestandnehmers vorgesehen hätten.

B. Zur Frage der teilweisen oder vollständigen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands:

[23] 1. Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung ist die COVID-19-Pandemie als „Seuche“ iSd § 1104 ABGB zu werten, sodass die aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordneten Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten grundsätzlich zu deren Unbrauchbarkeit führen (RS0133812). Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit entspricht der (teilweisen) Unbrauchbarkeit iSd § 1096 ABGB (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 §§ 1104–1108 Rz 2). Es ist zunächst zu prüfen, ob in den strittigen Zeiträumen Unbrauchbarkeit im Sinn dieser Bestimmungen anzunehmen war.

[24] 2. Ob eine vollständige oder teilweise Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen.

[25] 2.1. Dazu wird in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass die Bestandsache eine Verwendung zulassen muss, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung der Brauchbarkeit ist damitentweder auf die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung oder den dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck abzustellen (RS0021044; vgl Lovrek in Rummel/Lukas,ABGB4 § 1096 Rz 15; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 2).

[26] 2.2. Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so kann ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur (gänzlichen) Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB führen (3 Ob 78/21y; 3 Ob 184/21m; 8 Ob 131/21d; vgl auch Lovrek, COVID-19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60, 3.2). Ist die vertragsgemäße Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gemäß § 1105 Satz 1 ABGB bei Mietverträgen zu einer Zinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (5 Ob 192/21b mwN; Lovrek in Rummel/Lukas,ABGB4 § 1096 Rz 111; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 31 und § 1105 Rz 1). Hingegen besteht bei Pachtverträgen ein Minderungsrecht nur dann, wenn die Pachtdauer ein Jahr nicht übersteigt (dazu näher unten C.).

[27] 2.3. Die Frage, ob ein Bestandobjekt mit dem Verwendungszweck Gastwirtschaft zumindest teilweise brauchbar war, weil der Bestandnehmer während des „Zweiten Lockdown“ einen Abhol- und/oder Zustellservice hätte betreiben können, war Gegenstand der Entscheidungen zu 8 Ob 131/21d und 9 Ob 31/22g. In der Entscheidung zu 8 Ob 131/21d legte der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob bereits die abstrakte Nutzungsmöglichkeit zu einer zumindest teilweisen Brauchbarkeit des Bestandobjekts und damit zu einer bloß anteiligen Zinsminderung führe, die unterschiedlichen Standpunkte in der Literatur dar und kam – zusammengefasst – zum Ergebnis, dass objektiv betrachtet ein Restaurant als Bestandobjekt durch das öffentlich-rechtliche Verbot einer Konsumation in den Betriebsräumlichkeiten zwar weitgehend, aber durch die zugleich öffentlich-rechtlich bestehende Erlaubnis des Anbietens eines Liefer- und/oder Abholservices noch nicht vollkommen unbrauchbar sei. Es komme nicht darauf an, ob der Bestandnehmer von dieser objektiv bestehenden Möglichkeit auch subjektiv tatsächlich Gebrauch mache. Er habe es in der Hand, beim Betrieb seines Unternehmens auf geänderte Umstände aus der neutralen Sphäre zu reagieren, indem er sein Geschäftsmodell anpasse. Aus dem Prinzip der Gefahrenbeherrschung folge, dass im Zweifel der Bestandnehmer das (Zins-)Risiko trage, wenn er zwar einen Liefer- oder Abholservice anbieten dürfe, aber von dieser Vertriebsmöglichkeit keinen Gebrauch mache. Nütze er ein derartiges Vertriebsmodell nicht, obwohl es ihm rechtlich gestattet sei, dann sei dies seiner Sphäre iSd § 1107 ABGB zuzurechnen, weil die Betriebsgestaltung und -ausübung allein ihm obliege. Dem Bestandnehmer stehe aber der Einwand offen, dass die Etablierung eines bislang nicht betriebenen Liefer- und/oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre. Unzumutbarkeit werde jedenfalls dann vorliegen, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre. Der Bestandnehmer müsse dazu behaupten und beweisen, dass die Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- und/oder Abholservices im konkreten Fall gar keinen verbleibenden Gebrauchsnutzen gebracht hätte.

[28] 2.4. Diese Grundsätze kommen auch im hier zu beurteilenden Fall zum Tragen:

[29] 2.4.1. Während des ersten Lockdowns war Take‑Away ab 3. 4. 2020 erlaubt. Damit stellt sich die Frage nach der (teilweisen) Brauchbarkeit des Bestandobjekts ab diesem Zeitpunkt, wobei zu beachten ist, dass die Klägerin im April 2020 ein solches Service tatsächlich angeboten hat.

[30] 2.4.2. Soweit die Klägerin tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ein Take-Away anzubieten, kann auf Grundlage der in der Judikatur vertretenen Grundsätze nicht von einer völligen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts ausgegangen werden.

[31] Die Klägerin hat sich dazu entschieden, im April 2020 ein neues Geschäftsmodell im Bestandobjekt zu betreiben, sodass sich die Frage, ob ihr eine solche Tätigkeit abstrakt zumutbar gewesen wäre, nicht stellt.Vielmehr liegt darin die Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung, die wie jedes Geschäftsmodell auf einer ex ante vorgenommenen wirtschaftlichen Kalkulation beruht. Der Unternehmer entscheidet sich anhand von bestimmten Parametern für oder gegen dessen Umsetzung. Dabei hat er auch die wirtschaftlichen Risiken zu berücksichtigen. Damit vermag der Ansatz des Berufungsgerichts nicht zu überzeugen. Dessen Überlegung, dass derjenige Bestandnehmer, der durch die kurzzeitige Einrichtung eines Alternativangebots Verluste mache, nicht schlechter gestellt werden dürfe als jener, der die Einrichtung möglicher alternativer Vertriebswege erst gar nicht versucht, beachtet nicht ausreichend den Umstand, dass es alleine auf die Frage der Brauchbarkeit des Bestandobjekts für das von der Klägerin gewählte und nach der vertraglichen Vereinbarung zulässige Modell ankommt und nicht darauf, ob mit dessen Umsetzung auch der erhoffte wirtschaftliche Erfolg eintritt. Dass die Klägerin im April 2020 Take-Away angeboten hat, ist als unternehmerische Entscheidung allein ihrer Sphäre zuzuordnen. Die mit einer solchen Entscheidung verbundenen wirtschaftliche Risiken können ex ante nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden; dass sie sich tatsächlich verwirklichten, führt damit auch nicht zur gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts während dieses Zeitraums.

[32] Die gegenteilige Sichtweise des Berufungsgerichts verlagerte im Ergebnis das mit der Entscheidung der Klägerin verbundene wirtschaftliche Risiko auf die Beklagte als Bestandgeberin und ist mit der dem § 1107 ABGB zugrunde liegenden Wertung nicht vereinbar. Für jenen Teil des ersten Lockdowns, währenddessen die Klägerin ein Take‑Away angeboten hat, kann daher nicht vollständige Unbrauchbarkeit angenommen werden.

[33] 2.4.3. In jenen Lockdown-Zeiträumen, in denen die Klägerin kein Take-Away angeboten hat, ist demgegenüber vollständige Unbrauchbarkeit anzunehmen.

[34] Einem unternehmerisch tätigen Bestandnehmer konnte nach den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht zugemutet werden, ein während des ersten oder zweiten Lockdowns erlaubtes Geschäft aufzunehmen, das ex ante – etwa wegen des fehlenden Kundenkreises – mit einem nachhaltigen Verlust verbunden gewesen wäre. Daraus folgt, dass es dem Unternehmer auch nicht zugemutet werden konnte, ein einmal aufgenommenes, aber verlustbringendes Geschäft aufrecht zu erhalten, wenn ex ante keine Aussicht auf Besserung bestand. Hier hat sich die Klägerin nicht bloß auf eine kalkulatorische Prognose verlassen, sondern Take‑Away im April 2020 verlustbringend angeboten. Nach den Feststellungen lag es nicht an ihrem mangelnden unternehmerischen Einsatz, dass damit nur Verluste verbunden waren. Diese waren vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Gaststätte der Klägerin aufgrund ihrer Lage primär von Touristen aufgesucht worden war, die während der Lockdowns ausblieben.

[35] Dem Berufungsgericht ist daher insoweit beizupflichten, dass der Klägerin ein Aufrechterhalten des Take-Away nach April 2020 bei diesen Rahmenbedingungen ebenso wenig zumutbar war wie eine Wiederaufnahme dieses Geschäftszweigs ab 3. 11. 2020 oder die Etablierung eines grundsätzlich ebenfalls zulässigen Lieferservices neben dem ohnehin nicht kostendeckenden Take-Away. Zudem hatte die Klägerin das Bestandverhältnis bereits im September 2020 per 31. 12. 2020 aufgekündigt, sodass ihr bei Beginn des zweiten Lockdowns lediglich eine Betriebsdauer von knapp zwei Monaten zur Verfügung stand, bei der aus gebotener ex‑ante‑Beurteilung kein kostendeckender Betrieb zu erwarten war.

[36] Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht für diese Zeiträume einen verbleibenden Gebrauchsnutzen durch die Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- oder Abholservices verneinte.

[37] 3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten: Die Klägerin hat von der im ersten Lockdown objektiv bestehenden Möglichkeit, ein Abholservice anzubieten, in der Zeit vom 4. 4. 2020 bis Ende April 2020 Gebrauch gemacht und damit das Bestandobjekt zum vereinbarten Zweck tatsächlich benützt, sodass unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg dieses Geschäftsmodells keine völlige Unbrauchbarkeit der in Bestand genommenen Geschäftsräume vorlag. Demgegenüber waren das Aufrechterhalten des Abholservices ab Anfang Mai bis zum Ende des ersten Lockdowns und das Etablieren eines Liefer- und/oder Abholservices im zweiten Lockdown nicht zumutbar, weil der fehlende Kundenkreis bereits zu nachhaltigen Verlusten während des ersten Lockdowns geführt hatte und die verbliebene Zeit bis zum Ende des Bestandverhältnisses wegen des fehlenden Kundenkreises auch kein günstigeres Ergebnis erwarten ließ. In diesen Zeiträumen war das Bestandobjekt nicht schon deshalb (teilweise) brauchbar, weil sie die Etablierung eines solchen Geschäftsmodells unterließ. Im April 2020 war eshingegen teilweise brauchbar.

C. Zur Qualifikation des Bestandverhältnisses:

[38] 1. Bei teilweiser Brauchbarkeit von Bestandobjekten unterscheidet § 1105 ABGB zwischen Miet- und Pachtverträgen:

[39] Nach § 1105 Satz 1 ABGB wird dem Mieter, der trotz eines solchen Zufalls (§ 1104 ABGB) einen beschränkten Gebrauch des Mietstücks behält, auch ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen. Nach dem zweiten Satzdieser Bestimmung gebührt dem Pächter „ein Erlaß an dem Pachtzinse, wenn durch außerordentliche Zufälle die Nutzungen des nur auf ein Jahr gepachteten Gutes um mehr als die Hälfte des gewöhnlichen Ertrages gefallen sind. Der Verpächter ist so viel zu erlassen schuldig, als durch diesen Abfall an dem Pachtzinse mangelt“.

[40] Ist das Bestandverhältnis daher als Pacht zu qualifizieren, setzt eine Zinsminderung wegen teilweiser Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts voraus, dass das Pachtverhältnis – anders als hier – nicht länger als ein Jahr besteht. Diese Regelung gilt auch für die Unternehmenspacht (RS0024906). Sie ist nicht verfassungswidrig (VfGH G 279/2021).

[41] 2. Damit ist im konkreten Fall für die Zeit der teilweisen Brauchbarkeit zu prüfen, ob es sich beim Bestandverhältnis um eine Pacht handelte.

[42] 2.1. Unternehmenspacht liegt im Allgemeinen vor, wenn ein lebendes Unternehmen Gegenstand des Bestandvertrags ist. Neben den Räumen muss dem Bestandnehmer vom Bestandgeber auch das beigestellt werden, was wesentlich zum Betrieb des Unternehmens ist und zu dessen wirtschaftlichen Fortbestand gehört. Dazu zählen etwa Betriebsmittel (Einrichtung und Warenlager), Kundenstock und Gewerbeberechtigung. Dies bedeutet aber nicht, dass im Einzelfall alle diese Merkmale gleichzeitig gegeben sein müssten. Das Fehlen einzelner Betriebsgrundlagen lässt noch nicht darauf schließen, dass Miete und nicht Pacht vorliegt, wenn die übrigen Betriebsgrundlagen vom Bestandgeber beigestellt werden und das lebende Unternehmen als rechtliche und wirtschaftliche Einheit fortbesteht (RS0020398).

[43] 2.2. Liegt die Vereinbarung einer Betriebspflicht vor, wird das Bestandverhältnis regelmäßig als Pacht zu qualifizieren sein, sofern sie auf einem wirtschaftlichen Interesse des Bestandgebers an der Art des Betriebs und an seinem Bestehen (RS0020451 [T6]) sowie seiner Weiterführung beruht. Die Betriebspflicht darf aber nicht als Leerformel ohne echtes Substrat in den Vertrag aufgenommen worden sein (RS0020361).

[44] 2.3. Nach den Feststellungen besteht im Bestandobjekt bereits seit etwa 120 Jahren eine Gastwirtschaft, wobei aufgrund der Gesamtheit der Umstände hier von einer Unternehmenspacht auszugehen ist, wofür auch die von den Parteien gewählte Bezeichnung spricht: Der Vertrag war mit „Pachtvertrag“ überschrieben und hatte eine Laufzeit von 1. 7. 2019 bis 30. 6. 2022. Nach Punkt I. des Vertrags, der der Entscheidung über den festgestellten Inhalt hinaus als unstrittig zugrunde gelegt werden kann (RS0121557 [T3]), bildete das im Gebäude befindliche Unternehmen mit dem Geschäftszweig Gastwirtschaft samt Inventar, Kundenstock, Goodwill und Bestandräumlichkeiten, insbesondere die vollständig eingerichtete Gaststube und eine ziemlich neuwertige Küche, den Gegenstand des Vertrags. Die Klägerin verpflichtete sich, das Unternehmen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers zu führen und dessen guten Ruf sowie den weiteren Bestand zu erhalten und ein lebendes Unternehmen zurückzustellen. Ruhetag und die Öffnungszeiten waren genau geregelt (Punkt V.). Die für einen Betrieb als Gaststätte erforderlichen Genehmigungen waren vorhanden. Dass das Lokal vor der Inbetriebnahme durch die Klägerin für eineinhalb Jahre geschlossen war, um Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen, und dass die Klägerin einzelne Betriebsmittel erneuerte, vermag bei dieser Sachlage an der Qualifikation als Pachtvertrag nichts zu ändern.

[45] 3. Als weiteres Zwischenergebnis ist daher festzuhalten: Da das Bestandverhältnis als Unternehmenspacht zu qualifizieren ist, hat die Klägerin für die Zeit, in der sie von der objektiv bestehenden Möglichkeit, ein Abholservice anzubieten, Gebrauch gemacht und damit das Bestandobjekt zum vereinbarten Zweck tatsächlich benützt hat, keinen Anspruch auf verhältnismäßige Minderung des Pachtzinses, weil das Vertragsverhältnis für länger als ein Jahr abgeschlossen wurde. § 1105 Satz 2 ABGB ist daher nicht anwendbar, sodass sie für diesen Zeitraum das vereinbarte Entgelt schuldet.

D. Zur Relevanz des Umsatzersatzes:

[46] 1. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie wurde mit dem COVID-19 Gesetz (BGBl I 2020/12) das ABBAG‑Gesetz (Stammfassung BGBl I 2014/51) zur Ermöglichung finanzieller Hilfen an Unternehmen in mehreren Punkten ergänzt. Insbesondere wurde der Bundesminister für Finanzen in § 3b Abs 3 ABBAG-Gesetz ermächtigt, mit Verordnung Richtlinien zur Gewährung finanzieller Unterstützungen zu erlassen. Diese Bestimmung war die Grundlage für die folgenden im relevanten Zeitraum geltenden Verordnungen:

- VO betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (Stammfassung BGBl II 2020/225, Inkrafttreten 26. 5. 2020; im Folgenden: RL Fixkostenzuschuss)

- VO betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (BGBl II 2020/467, Inkrafttreten 7. 11. 2020; im Folgenden: RL Umsatzersatz 7. 11. 2020).

- VO betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (Stammfassung BGBl II 2020/503, Inkrafttreten 24. 11. 2020; im Folgenden: RL Umsatzersatz 24. 11. 2020).

 

[47] Die Klägerin hat für die Monate November und Dezember 2020 Umsatzersatz beantragt und auch erhalten. Daraus leitet die Beklagte ab, dass bei der Klägerin keine Minderung des Ertrags aus dem Pachtgegenstand eingetreten sei, weswegen sie den Pachtzins auch für diese Monate schulde.

[48] 2. Vor Prüfung dieser Frage ist die Rechtslage zum entsprechenden Problem beim Fixkostenzuschuss zu erörtern.

[49] 2.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs handelte essich beim Fixkostenzuschuss nicht um eine Zuwendung, die dazu gedacht war, den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettzumachen (3 Ob 184/21m [Rz 33 ff]; 5 Ob 192/21b [Rz 32 ff]; 9 Ob 31/22g [Rz 19]).  Mit dem Fixkostenzuschuss waren nur effektiv gezahlte Mietzinse zu decken. Der Bestandnehmer war daher primär verpflichtet, die ihm zustehenden Mietzinsminderungen geltend zu machen. Diese Rechtsprechung beruhte darauf, dass Unternehmen nach Punkt 3.1.6. RL Fixkostenzuschuss zumutbare Maßnahmen setzen mussten, „um die durch den Fixkostenzuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren (Schadensminderungspflicht mittels Ex-ante-Betrachtung)“. Punkt 4.1.1.a. RL Fixkostenzuschuss listete Bestandzinse ausdrücklich als solche Fixkosten auf.

[50] 2.2. Als Reaktion auf diese Rechtsprechung fügte der Gesetzgeber dem § 3b ABBAG-Gesetz mit dem BG BGBl I 2021/228 neue Bestimmungen an (§ 3b Abs 2 Z 6 sowie Abs 5Abs 8 ABBAG-Gesetz). Sie enthalten Regelungen und eine Verordnungsermächtigung zur Rückforderung von Leistungen, deren Höhe von Aufwendungen des begünstigten Unternehmens während eines Betretungsverbots abhing. Grundlage war ein im Plenum des Nationalrats eingebrachter Abänderungsantrag, nach dessen Begründung Fälle erfasst sein sollten, in denen sich im Nachhinein herausstellte, dass tatsächlich nicht geschuldete Bestandzinsaufwendungen im Antrag auf Fördermaßnahmen angesetzt und auch tatsächlich ausbezahltworden waren (StProtNR, 27. GP, 137. Sitzung 133); durch Absehen von der Rückforderung bis zu einer bestimmten Höhe des Zuschusses sollten Verfahren „in zigtausend Fällen“ vermieden werden (Abgeordneter Kopf, aaO 131).

[51] 2.3. Zur hier zu prüfenden Frage, ob die Gewährung von Umsatzersatz Auswirkungen auf die Anwendung der §§ 1104 ff ABGB hat, liegt bisher eine an der Rechtsprechung zum Fixkostenersatz anknüpfende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vor. Zu 3 Ob 36/22y (Rz 28) sprach der 3. Senat unter Verweis auf Nemetschke/Koloseus (Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021/95, 202 [204]) aus, dass die Erwägungen zum Fixkostenzuschuss auch für den Anspruch auf Umsatzersatz gelten müssten. Eine nähere Begründung dieser Folgerung findet sich dort jedoch nicht.

[52] 3. In der Literatur wurde zur Auswirkung des Umsatzersatzes im Zusammenhang mit einer allfälligen (teilweisen) Bestandzinsbefreiung bislang nur vereinzelt Stellung genommen.

[53] 3.1. Oberhammer (Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl 2021, 493 ff) weist darauf hin, dass kein Grund ersichtlich sei, warum eine Beihilfe, die […] einen Umsatzersatz darstelle, also genau für jene Kosten gedacht sei, [...] welche für gewöhnlich zur Bestreitung der Mietkosten aufgewendet werden, in einem nicht ausreichend engen Zusammenhang mit der Mietzinszahlungspflicht stehen solle, und kommt unter Rückgriff auf das Geschäftsgrundlagenrecht zum Ergebnis, dass öffentliche Beihilfen wie (hier relevant) der Umsatzersatz bei einer etwaigen Bestandzinsreduktion in Anrechnung zu bringen seien.

[54] 3.2. Nemetschke/Koloseus (Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021/95, 202 [204]) führen aus, der Lockdown-Umsatzersatz könne mangels entsprechender Widmung durch den Förderer nicht an die Stelle des Mietzinses treten. Allgemeine Geldflüsse an den Schuldner seien keine Surrogate von „untergegangenen“ Vermögenswerten, die als stellvertretendes Commudum abstrakt überhaupt in Betracht kämen und von einem Gläubiger gefordert werden könnten.

[55] 3.3. Jüngst hat sich Weixelbraun-Mohr (Zur Berücksichtigung von Lockdown-Umsatzersatzleistungen bei COVID-19-bedingter Mietzinsminderung, ÖJZ 2022, 1241 ff) mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ihrer Ansicht nach ging der Verordnungsgeber beim Umsatzersatz erkennbar davon aus, dass die Sicherstellung der Liquidität der Unternehmer durch diese finanziellen Zuwendungen gerade auch deren Gläubigern (zur Abdeckung der „Zahlungsverpflichtungen“ des Unternehmers) zugutekommen sollte. Umsatzersatzleistungen, die ein Geschäftsraummieter für solche Zeiträume tatsächlich erhalten habe, für die er eine Mietzinsminderung von seinem Vermieter verlange, seien daher zu berücksichtigen.

4. Auf dieser Grundlage ist Folgendes zu erwägen:

[56] 4.1. Die Gewährung von Umsatzersatz beruhte im relevanten Zeitraum auf den oben (D.1.) genannten, jeweils mit Verordnung erlassenen Richtlinien zum Umsatzersatz. Sie stimmen in den hier relevanten Punkten überein.

[57] Nach diesen Richtlinien durfte ein Lockdown‑Umsatzersatz nur Unternehmen gewährt werden, bei denen im relevanten Zeitraum und zum Zeitpunkt der Antragstellung die in Punkt 3.1. angeführten Voraussetzungen erfüllt waren. Begünstigte Unternehmen waren danach jedenfalls nur solche, die ihren Sitz oder eine Betriebsstätte in Österreich hatten und im Inland eine operative Tätigkeit ausübten, die zu einer Besteuerung der Einkünfte führte (Punkte 3.1.1. und 3.1.2.). Die Höhe des Umsatzersatzes knüpfte nach Punkt 4.4. grundsätzlich am Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres an; im Einzelnen waren die Regelungen kompliziert.

[58] Nach Punkt 7.4. wurde der Lockdown-Umsatzersatz auf Grundlage einer privatrechtlichen Vereinbarung (Fördervertrag zwischen der COFAG und dem Antragsteller) gewährt, wobei darauf kein Rechtsanspruch bestand. Punkt 8.4. sah eine Rückforderung von ausbezahlten Beträgen unter anderem dann vor, wenn die Förderung auf falschen Angaben beruht hatte, die Förderungsmittel „widmungswidrig“ verwendet worden waren oder sonstige Förderungsvoraussetzungen, Bedingungen oder Auflagen nicht eingehalten worden waren. Zum Verwendungszweck der Förderungen, der für die Beurteilung der „Widmungswidrigkeit“ erforderlich wäre, enthielten die Richtlinien keine Aussagen.

[59] 4.2. Wie beim Fixkostenzuschuss handelt es sich beim Lockdown-Umsatzersatz um eine Förderung bestimmter (begünstigter) Unternehmen. War der betroffene Unternehmensträger Bestandnehmer, war er das Förderungssubjekt. Die Richtlinien enthalten aber, anders als jene zum Fixkostenzuschuss, keine Bestimmung, wonach die Unternehmen zumutbare Maßnahmen setzen mussten, um ihre durch den Zuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren. Das folgt aus der Konstruktion dieser Förderung, die am (entgangenen) Umsatz und nicht an den (weiter anfallenden) Fixkosten anknüpfte. Damit bietet Punkt 8.4. der RL Umsatzersatz keine Grundlage für eine allfällige Rückzahlungspflicht, wenn der Unternehmer als Bestandnehmer eine Mietzinsminderung geltend macht.

[60] 4.3. Die Rückforderungsregeln des § 3b ABBAG‑Gesetz idF BGBl I 2021/228 sind auf den Umsatzersatz ebenfalls nicht anwendbar, weil dieser an den Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres anknüpft und nicht auf tatsächliche Aufwendungen während des Lockdowns (wie etwa den Bestandzins oder andere Fixkosten) abstellt. Die in der Rechtsprechung zum Fixkostenersatz aufgestellten Grundsätze bauen auf einer möglichen Rückzahlungsverpflichtung von Förderbeträgen im Zusammenhang mit der Obliegenheit des Bestandnehmers zur Geltendmachung einer Mietzinsminderung auf und können damit nicht auf den Lockdown-Umsatzersatz übertragen werden. Soweit die Entscheidung 3 Ob 36/22y die zum Fixkostenzuschuss angestellten Überlegungen auch auf den Umsatzersatz erstreckt, tritt ihr der Senat aus diesen Gründen nicht bei.

[61] 4.4. Der Umsatzersatz knüpft an den Umsatz des Unternehmens im Vergleichsmonat des Vorjahres an und ist damit das (der Höhe nach mit einem Prozentsatz begrenzte) Surrogat für den Gesamtwert der von einem Unternehmen abgesetzten Waren und erbrachten Leistungen eines bestimmten Zeitraums, das an die Stelle des mit den vorhandenen Betriebsmitteln erzielbaren, aber wegen des zweiten Lockdowns tatsächlich nicht erzielten Umsatzes getreten ist. Die Gewährung einer solchen Förderung setzte voraus, dass der Unternehmer grundsätzlich über die Mittel verfügen musste, um – theoretisch – Umsatz zu erwirtschaften. Er musste sowohl im Vergleichsmonat als auch im Antragszeitpunkt über einen Sitz oder eine Betriebsstätte in Österreich verfügen und zumindest theoretisch eine operative Tätigkeit ausüben können. Wenn der Unternehmensträger Bestandnehmer und der Bestandgegenstand die Betriebsstätte war, mit der er den vergleichbaren Vorjahresumsatz lukriert hatte, hing die Förderung damit von einem aufrechten Bestandverhältnis ab.

[62] 4.5. Insoweit ging der Verordnungsgeber daher von der grundsätzlichen Eignung des Bestandgegenstands zur Ausübung des gewerblichen Zwecks, für den er in Bestand genommen wurde, aus. Denn nur so konnte er unterstellen, dass der geförderte Unternehmer auch in den fraglichen Zeiträumen einen entsprechenden Umsatz erwirtschaftet hätte, der ihm nun (teilweise) ersetzt wurde. Damit mag es zwar zutreffen, dass der Bestandgegenstand wegen des Betretungsverbots faktisch nicht zu dem Zweck verwendet werden konnte, der dem zugrunde liegenden Vertrag entsprach. Indem der Verordnungsgeber aber den Umsatzersatz anhand der tatsächlichen Wirtschaftsleistung des Vergleichsmonats des Vorjahres bemaß, stellte er den Bestandnehmer für die Zeiten des Lockdowns so, als hätte er dort ebenfalls entsprechende Einnahmen erzielen können. Damit fingierte er die (teilweise) Brauchbarkeit des Bestandgegenstands zum bedungenen Zweck auch für die Zeit des Betretungsverbots. Der Unternehmer als Bestandnehmer wurde dadurch so gestellt, als wäre der Bestandgegenstand für ihn nutzbar, weil er daraus letztlich Einnahmen – wenn auch erst im Nachhinein bestimmt und in Form der staatlichen Förderungen – erzielen konnte. Diese Wertung des Verordnungsgebers kann bei der Beurteilung der Frage, ob das Bestandobjekt während des Lockdowns grundsätzlich brauchbar iSd § 1096 ABGB (und damit gemäß §§ 1104 ff ABGB) war, nicht unberücksichtigt bleiben.

[63] 4.6. Mit Oberhammer (JBl 2021, 503) sprechen daher die besseren Gründe dafür, nicht von einer gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands für die hier fraglichen Monate des zweiten Lockdowns auszugehen, wenn der Bestandnehmer, der darin sein Unternehmen betrieben hat, einen Lockdown-Umsatzersatz in Anspruch genommen und erhalten hat. Denn ohne Bestand seines Unternehmens im Miet- oder Pachtgegenstand hätte er über keine entsprechende Betriebsstätte verfügt und damit diese Fördermaßnahme nicht beanspruchen können. Im Ergebnis konnte er daher Einnahmen aus dem Bestandgegenstand lukrieren, sodass tatsächlich von einem (wirtschaftlichen) „Nutzen“ aus dem Bestandvertrag auszugehen ist (so Weixelbraun-Mohr, ÖJZ 2022, 1243). Dieser Nutzen ist auch für die Frage der Brauchbarkeit des Bestandobjekts in Anschlag zu bringen.

[64] 4.7. Ob dies auch gelten würde, wenn zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Umsatzersatz bestand, dieser aber nicht beantragt oder nicht gewährt wurde, ist hier nicht zu entscheiden.

E. Zusammengefasst ergibt sich Folgendes:

[65] 1. Das Bestandverhältnis der Streitteile ist als Pachtvertrag zu qualifizieren. Da die Klägerin im April 2020 ein Take-Away-Service angeboten hat, schuldet sie für den Zeitraum ab 4. 4. 2020 bis Ende dieses Monats das vereinbarte Entgelt, weil ihr als Pächterin die Bestimmung des § 1105 Satz 1 ABGB nicht zugute kommt. In den Monaten November und Dezember 2020 war es der Klägerin wegen der zuvor erlittenen Verluste zwar nicht zumutbar, ein solches Geschäftsmodell zu etablieren oder ein Lieferservice einzurichten. Sie hat für diese Zeit jedoch einen Lockdown‑Umsatzersatz beantragt und erhalten. Aufgrund dieser Förderung kann bei wertender Betrachtung nicht von einer völligen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts ausgegangen werden. Das hat – weil ein Pachtverhältnis vorliegt – zur Konsequenz, dass sie für diese Monate ebenfalls den vereinbarten Bestandzins schuldet. Damit besteht die auf den Pachtzinsforderungen (in der jeweils vereinbarten Höhe) für die Zeit von 4. 4. 2020 bis Ende April 2020 (2.268 EUR) und die Monate November (ab 3. 11.) sowie Dezember 2020 (4.253,33 EUR) beruhende Gegenforderung der Beklagten dem Grunde nach zu Recht.

[66] 2. Da das Klagebegehren im Revisionsverfahren nur mehr im Betrag von 5.657,33 EUR strittig ist, kann auch die Gegenforderung nur mehr in diesem Umfang zur Tilgung der Klageforderung führen. Unter Berücksichtigung der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile der Vorentscheidungen führt das zu dem aus dem Spruch ersichtlichen Ergebnis.

[67] 3. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Wurde ein Bestandgegenstand während eines pandemiebedingten Betretungsverbots für andere vom Bestandvertrag gedeckte Zwecke genutzt, so kann unabhängig von der Wirtschaftlichkeit dieser Nutzung nicht vollständige Unbrauchbarkeit iSv § 1104 ABGB angenommen werden.

Wurde ein Unternehmen in einem Bestandobjekt betrieben und für die Zeit eines die faktische Nutzung ausschließenden pandemiebedingten Betretungsverbots ein Umsatzersatz bezogen, so ist der Bestandgegenstand für diese Zeit nicht als vollständig unbrauchbar iSv § 1104 ABGB anzusehen.

 

[68] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist mit etwa 20 % ihrer Forderung durchgedrungen und hat damit Anspruch auf die allein von ihr getragenen Barauslagen in diesem Umfang. Im Gegenzug schuldet sie der Beklagten 80 % von deren allein getragenen Barauslagen und 60 % von deren Verfahrenskosten. Im Berufungsverfahren blieb die Beklagte zur Gänze erfolgreich, sodass sie gemäß § 41 Abs 1 iVm § 52 Abs 1 ZPO Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten hat. Für das Revisionsverfahren verzeichnete die Beklagte keine Kosten.

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