OGH 7Ob204/22h

OGH7Ob204/22h21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* W*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Mag. Stefan Aberer, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2022, GZ 4 R 136/22i‑50, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00204.22H.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile haben am 11. April 2020 einen Eigenheimversicherungsvetrag abgeschlossen, dem (unter anderem) die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

„Artikel 2

Erhöhung der Gefahr

(1) Nach Vertragsabschluss darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers keine Erhöhung der Gefahr vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. Erlangt der Versicherungsnehmer Kenntnis davon, dass eine Erhöhung der Gefahr ohne sein Wissen oder ohne seinen Willen eingetreten ist, hat er dem Versicherer unverzüglich schriftlich Anzeige zu erstatten.

(2) Tritt nach dem Vertragsabschluss eine Erhöhung der Gefahr ein, kann der Versicherer kündigen. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der in Abs 1 genannten Pflichten, ist der Versicherer außerdem nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen von der Verpflichtung zur Leistung frei.

(3) Die Bestimmungen der vorstehenden Absätze finden auch Anwendung auf eine in der Zeit zwischen Stellung und Annahme des Versicherungsantrages eingetretene Erhöhung der Gefahr, die dem Versicherer bei der Annahme des Antrages nicht bekannt war.

(4) Die näheren Bestimmungen über die Erhöhung der Gefahr sind in den §§ 23 bis 31 VersVG enthalten.

Artikel 3

Sicherheitsvorschriften

(1) Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, behördliche oder vereinbarte Sicherheits -vorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.

(2) Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablauf der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.

(3) Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Erhöhung der Gefahr verbunden, finden die Bestimmungen über die Erhöhung der Gefahr Anwendung.

[…]“

[2] Der Kläger ist Eigentümer des versicherten Wohngebäudes. Er wohnt jedoch nicht dort, sondern hat das Haus seit ca 10 Jahren an H* S* (in der Folge Mieter) vermietet. Am 14. Februar 2021 wurde das Gebäude durch einen Brand beschädigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[4] 2. Eine Gefahrenerhöhung nach § 23 Abs 1 VersVG ist eine nachträgliche und erhebliche Änderung der bei Vertragsabschluss objektiv vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalls oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (RS0080357; RS0080237; Perner, Privatversicherungsrecht Rz 4.46). Da der einzige in der Revision behauptete gefahrenerhöhende Umstand der jahrelangen, mangelnden wiederkehrenden Reinigung der Feuerungsanlage schon im Zeitpunkt des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrags am 16. Jänner 2020 bestand, muss schon mangels nachträglicher Änderung der Sachverhaltsgrundlage nicht geprüft werden, ob überhaupt eine Gefahrerhöhung im Sinn von Art 2 ABS bzw § 23 VersVG vorliegen könnte. Dass die Beklagte (auch) wegen Verletzung von Art 1 ABS leistungsfrei sei, hat sie nicht vorgebracht.

[5] 3.1. Gemäß Art 2 Abs 1 iVm Abs 2 ABS führt die Verletzung von Sicherheitsvorschriften durch den Versicherungsnehmer nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

[6] 3.2. Das Gesetz über das Feuerpolizeiwesen im Lande Vorarlberg (Vbg‑Feuerpolizeiordnung) enthält in seinem I. Hauptstück Bestimmungen über die Brandverhütung. Gemäß § 2 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung hat der Eigentümer oder Verfügungsberechtigte die Feuerungsanlagen regelmäßig wiederkehrend reinigen zu lassen. Die Reinigung hat gemäß § 3 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung grundsätzlich durch den befugten und zuständigen Rauchfangkehrer zu erfolgen. Bei § 2 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung handelt es sich ohne Zweifel um eine „Sicherheitsvorschrift“ im Sinn des Art 2 Abs 1 ABS. Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich weiters, dass der Brand wegen der unterlassenen Reinigung der Feuerungsanlage durch den befugten und zuständigen Rauchfangkehrer und den dadurch nicht entdeckten rostigen Blinddeckel ausbrach.

[7] 3.3. Im Revisionsverfahren ist strittig, ob die Verletzung der Sicherheitsvorschrift (§ 2 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung) der Versicherungsnehmer zu verantworten hat und wenn ja, welcher Verschuldensgrad ihm vorzuwerfen ist.

[8] 3.3.1. Nach den Feststellungen vereinbarte der Kläger mit dem Mieter mündlich bei Abschluss des (ersten) Mietvertrags vor ca 10 Jahren, dass sich dieser um die Reinigung der Feuerungsanlage kümmert. Ob der Kläger im Sinn der Rechtsansicht des Berufungsgerichts seine (öffentlich‑rechtliche) Verpflichtung zur regelmäßigen Veranlassung der Reinigung von Feuerungsanlagen gemäß § 2 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung durch Vereinbarung wirksam an den Mieter übertragen konnte, muss im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden, weil unabhängig davon, die Annahme eines bloß leicht fahrlässigen Verhaltens durch die zweite Instanz aus folgenden Gründen keiner Korrektur bedarf:

3.3.2. Zur Zurechnung des Verhaltens des Mieters:

[9] Nach ständiger Rechtsprechung ist die in Deutschland entwickelte Repräsentantentheorie aus dem VersVG nicht ableitbar (RS0080407). Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen (7 Ob 157/08a mwN). Ungeachtet der Ablehnung der Repräsentantentheorie ist dem Versicherungsnehmer aber in Bezug auf Obliegenheiten das Verhalten jener Personen zuzurechnen, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat (RS0019473). Darüber hinaus liegt bei der Bestellung eines Dritten durch den Versicherungsnehmer zum bevollmächtigten Vertreter für ein bestimmtes Vertragsverhältnis ein besonderer und selbständiger Zurechnungsgrund vor, der von der bloßen Repräsentanz bei Erfüllung einzelner Obliegenheiten unterschieden werden muss (RS0019473 [T5] = 7 Ob 82/03i). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Mieter vom Kläger weder zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt noch zum bevollmächtigten Vertreter für ein bestimmtes Vertragsverhältnis bestellt wurde, ist nicht korrekturbedürftig, hat der Kläger mit dem Mieter doch nur vereinbart, dass er sich um die Reinigung der Feuerungsanlage zu kümmern habe (vgl auch 7 Ob 3/14p). Das Verhalten des Mieters ist daher bei der Beurteilung des Verschuldensgrades des Klägers außer Acht zu lassen.

3.3.3. Zum Verhalten des Klägers:

[10] Im Allgemeinen ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RS0030644). Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (RS0085332). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272). In diesem Sinn ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RS0030331 [T6]; RS0080371 [T1]). Die Beurteilung des Verschuldensgrades bildet wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0087606). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die mangelnde Veranlassung der Reinigung bzw die mangelnde Kontrolle der dem Mieter überbundenen Pflicht über einen Zeitraum von rund 10 Monaten nach Abschluss des Versicherungsvertrags durch den Kläger begründe – unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Übertragung der (öffentlich‑rechtlichen) Pflicht gemäß § 2 Abs 1 Vbg‑Feuerpolizeiordnung – kein grob fahrlässiges Verhalten, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, zumal kein objektiv und auch subjektiv besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß anzunehmen ist, wenn der Kläger mangels jeglicher Verdachtsmomente gegen die Verlässlichkeit des Mieters davon ausging, dass sich dieser entsprechend der Vereinbarung um die regelmäßige Reinigung der Feuerungsanlage durch den befugten und zuständigen Rauchfangkehrer kümmern würde.

[11] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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