OGH 7Ob157/08a

OGH7Ob157/08a22.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Manfred K*****, als Masseverwalter im Konkurs der Verlassenschaft nach Karl M*****, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Robert Pirker, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei U*****versicherung AG, *****, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 49.448,70 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Februar 2008, GZ 3 R 202/07g-60, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. August 2007, GZ 2 Cg 128/04d-50, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Über das Vermögen des Transportunternehmers Karl M***** (in der Folge: Gemeinschuldner) wurde am 9. 10. 2002 das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. In der Konkurstagsatzung vom 4. 11. 2002 wurde die Fortführung des Unternehmens beschlossen, um vor allem noch zwei Aufträge abzuwickeln. Diese sollten mit zwei Fahrern, nämlich dem Gemeinschuldner und einem weiterbeschäftigten Angestellten, durchgeführt werden. Im Zuge der Fortführung des Unternehmens wurde ein Lkw samt Anhänger von der Nebenintervenientin gemietet. Es wurden zwei Wechselbrückenaufbauten gekauft und hinsichtlich des Lkw-Zuges samt Zubehör bei der Beklagten zwei Kaskoversicherungsverträge, und zwar je einer für das Zugfahrzeug und den Anhänger, abgeschlossen. Art 5.3.1 AFIB 1993 und Art 7 Abs 3.2 ABK 2002, die den Versicherungsverträgen zu Grunde liegen, legen unter anderem die Obliegenheit des Versicherungsnehmers bei sonstiger Leistungsfreiheit des Versicherers fest, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. Die Versicherungsverträge sind zu Gunsten der Nebenintervenientin vinkuliert.

Der Kläger vereinbarte mit den Fahrern, dass sie abwechseln sollten, sodass die Arbeitszeitvorschriften eingehalten werden könnten. Er überließ den Fahrern die konkrete Einteilung. Sie führten keine Stundenaufzeichnungen. Am Ende der Woche übergaben sie dem Kläger die Tachografenscheibe und er überprüfte, ob die gefahrenen Kilometer mit der Abwicklung der Aufträge übereinstimmten, sodass Schwarzfahrten ebenso ausgeschlossen werden konnten wie eine Fahrt immer durch denselben Fahrer. Dem Masseverwalter waren die verordneten Ruhezeiten „im Groben" bekannt. Anfang 2003 nahm die Salzburger Gebietskrankenkasse eine Überprüfung der Übereinstimmung der Arbeitszeiten mit den Tachografenscheiben vor. Dabei wurde nicht konkret die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten geprüft, allerdings wäre eine längere Lenkzeit als durchgehende Arbeitszeit gewertet worden, wodurch sich die Berechnung der Abgaben geändert hätte. Es gab während der Betriebsfortführung hinsichtlich der beiden Fahrer keine Beanstandungen, wohl aber hinsichtlich anderer Fahrer in früheren Zeiträumen. Der Kläger wies den Gemeinschuldner ausdrücklich darauf hin, dass bei der Fortführung im Konkurs die Arbeitszeiten einzuhalten seien. Da es in der Folge weder zu Beanstandungen durch die Polizei noch die Gebietskrankenkasse kam, ging der Kläger davon aus, dass sich die Fahrer an die Vorschriften hielten. Der Gemeinschuldner nahm am 1. 4. 2003 um ca 22:00 Uhr den Lkw-Zug in Betrieb. Die Tachografenscheibe endete am 2. 4. 2003 um ca 13:45 Uhr. In diesem Zeitraum von ca fünfzehn Stunden und fünfundzwanzig Minuten wurde der Lkw ca elf Stunden und zehn Minuten gefahren. Der Gemeinschuldner legte kleinere Pausen von bis zu zwei Stunden ein. Obwohl die Laufzeit einer Diagrammscheibe vierundzwanzig Stunden beträgt und daher pro Tag die Verwendung nur einer Tachografenscheibe zulässig ist, verwendete der Gemeinschuldner am 2. 4. 2003 noch weitere Tachografenscheiben. Die erste Scheibe legte er um ca 14:00 Uhr ein und entnahm sie um ca 22:45 Uhr. In dieser Zeit bewegte er den Lkw ca sechs Stunden und fünfunddreißig Minuten. Zwischendurch machte er wiederum kürzere Pausen in der Dauer von maximal einer zusammenhängenden Stunde. Die zweite Tachografenscheibe legte er um ca 22:45 Uhr ein und entfernte sie am 3. 4. 2003 um ca 21:45 Uhr. In der Zeit von 22:45 Uhr bis 10:40 Uhr lenkte er den Lkw mit einigen Unterbrechungen in der Dauer von maximal zwei Stunden. Am 3. 4. 2003 stellte er um 10:40 Uhr den Lkw ab und begab sich zur Ruhe. Am 3. 4. 2003 legte er um 21:45 Uhr die nächste Diagrammscheibe ein und entfernte sie am 4. 4. 2003 um 11:30 Uhr. In dieser Zeit wurde der Lkw ca sieben Stunden und zehn Minuten bewegt. Zwischen 23:15 Uhr und 2:35 Uhr legte er eine Pause ein und fuhr dann weiter mit kürzeren Pausen, die bis zu etwa einer Stunde dauerten. Am 4. 4. 2003 um ca 11:35 Uhr legte er eine neue Diagrammscheibe ein, die er am 5. 4. 2003 um 3:35 Uhr entfernte. In dieser Zeit bewegte er den Lkw ca zehn Stunden und fünfundzwanzig Minuten und hielt einige kürzere Pausen in der Dauer von maximal eineinhalb Stunden ein. Um 1:25 Uhr stellte er den Lkw ab und ruhte bis zur Entnahme der Scheibe um 3:35 Uhr. Am 5. 4. 2003 um 3:45 Uhr legte er die nächste Tachografenscheibe ein und fuhr ca eine Stunde. Im Anschluss ruhte er eine Stunde und zehn Minuten. Um 5:55 Uhr nahm er den Lkw wieder in Betrieb. Um ca 6:14 Uhr kam es zu einem Auffahrunfall, bei dem der Gemeinschuldner zu Tode kam. Zuvor reagierte er noch auf das vor ihm langsamer fahrende Fahrzeug durch eine aktive Handlung. Die Reaktionsverspätung des Gemeinschuldners ist entweder auf einen Sekundenschlaf oder auf Übermüdung zurückzuführen.

Bei der Durchsuchung des Lkw durch die Polizei fand man eine Vielzahl von Tachografenscheiben, nur die vom Vortag des Verkehrsunfalls nicht.

Das Zugfahrzeug hatte unter Berücksichtigung des Restwerts einen Schaden in der Höhe von 42.080 EUR netto erlitten. Für den Anhänger fielen Reparaturkosten in der Höhe von 1.358,75 EUR netto an. An den Wechselbrückenaufbauten trat ein Schaden von 7.500 EUR netto ein. Der Selbstbehalt beträgt für das Zugfahrzeug 1.090 EUR und für den Anhänger 400 EUR.

Der Kläger begehrt den Ersatz der Schäden an den benützten Fahrzeugen aus dem Kaskoversicherungsvertrag abzüglich Selbstbehalt. Es sei eine Vielzahl von Ursachen vorstellbar, warum es zum Auffahrunfall gekommen sei. Die Tatsache, dass der Gemeinschuldner erst fünfzehn Minuten vor dem Unfall eine mehr als einstündige Ruhepause beendet habe, spreche gegen eine Übermüdung als Unfallursache. Das Lenken eines Fahrzeugs trotz Übermüdung stelle auch keine grobe Fahrlässigkeit dar, wenn dem Lenker nicht bewusst gewesen sei oder bewusst habe sein müssen, dass er infolge der Übermüdung nicht fahrtüchtig sei. Die bloße Verletzung gesetzlich vorgeschriebener Lenk- und Ruhezeiten genüge für die Annahme groben Verschuldens nicht. Der Gemeinschuldner habe aufgrund der von ihm tatsächlich eingehaltenen Ruhezeiten subjektiv zu Recht davon ausgehen können, dass er ausreichend fahrtüchtig sei. Er sei nach der Konkurseröffnung lediglich Lkw-Fahrer ohne jegliches Weisungsrecht gewesen. Ein etwaiges Verschulden des Gemeinschuldners sei dem Kläger nicht zuzurechnen. Dem Kläger selbst sei kein grobes Überwachungsverschulden anzulasten, weil er strikte Anweisung gegeben habe, sämtliche Vorschriften, insbesondere die Ruhezeiten, einzuhalten, und ihm alle Tachografenblätter wöchentlich abgegeben worden seien. Bis zum Unfall habe es keine Beanstandungen wegen der Nichteinhaltung von Vorschriften gegeben. Der Kläger habe davon ausgehen können, dass alle Fahrer im Betrieb die gesetzlichen Ruhezeiten einhielten, zumal sie berufserfahren gewesen seien. Mangels Fehlleistungen habe für den Kläger keine Veranlassung für umfangreichere Kontrollen bestanden. Der Kläger habe auch an der Aufklärung des Sachverhalts ausreichend mitgewirkt und alle ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen, wie das Tachografenblatt vom Unfalltag, vorgelegt. Die Tachografenscheibe des Vortags habe von der Polizei und auch von der Nebenintervenientin zunächst nicht aufgefunden werden können. Der Kläger habe mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Feststellung des Sachverhalts beigetragen und eine abermalige Durchsuchung des Unfallfahrzeugs nach der Tachografenscheibe vom Vortag des Unfalls veranlasst. Dass die Tachografenscheibe nicht eher habe aufgefunden werden können, könne dem Kläger nicht als vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheitspflicht nach Art 5.3.1 AFIB 1993 und Art 7 Abs 3.2 ABK 2002 angelastet werden. Außerdem habe das verspätete Auftauchen der Tachografenscheibe auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten keinen Einfluss gehabt. Die Tachografenblätter seien für die Beurteilung des Falls nicht wesentlich.

Die Nebenintervenientin schließt sich dem Vorbringen des Klägers an und beantragt als Vinkulargläubigerin ausdrücklich die Auszahlung der Versicherungssumme an den Kläger.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie sei wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Gemeinschuldner und den Masseverwalter, wegen nachträglicher Gefahrenerhöhung nach § 23 VersVG sowie wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 5.3.1 AFIB 1993 und Art 7 Abs 3.2 ABK 2002 leistungsfrei. Der Gemeinschuldner sei ungebremst und reaktionslos auf einen Lkw-Zug aufgefahren, was die Annahme nahelege, dass er die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten habe und wegen der daraus resultierenden Übermüdung eingeschlafen sei. Der Gemeinschuldner habe zwei Tachografenscheiben verwendet, offenbar um im Fall einer Verkehrskontrolle die Nichteinhaltung der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten verschleiern zu können. Er habe daher auch die aus der Übermüdung drohenden Gefahren erkennen müssen. Da der Kläger dem Gemeinschuldner die Benützung des versicherten Fahrzeugs überlassen habe, sei der Gemeinschuldner zwar als mitversicherte Person anzusehen, jedoch fielen von ihm gesetzte Obliegenheitsverletzungen dem Kläger zur Last. Der Kläger habe es grob fahrlässig verabsäumt, die Einhaltung der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten durch den Gemeinschuldner zu überwachen und zu überprüfen. Dadurch, dass der Gemeinschuldner über eine Zeitdauer von fünf Tagen die einschlägigen gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten und der Kläger dies zugelassen habe, liege auch eine Gefahrenerhöhung im Sinn des § 23 VersVG vor. Das Verhalten des Gemeinschuldners sei dem Kläger zuzurechnen, er sei zumindest als Bevollmächtigter anzusehen. Der Kläger habe der Beklagten trotz mehrfachen Ersuchens das Tachografenblatt vom Vortag des Unfalls nicht ausgefolgt und keine Anstrengungen unternommen, der Beklagten in anderer Weise die Einhaltung der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten durch den Gemeinschuldner nachzuweisen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Gemeinschuldner habe zwar grob fahrlässig die Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten und dadurch den Auffahrunfall infolge Übermüdung herbeigeführt. Er sei jedoch nicht Versicherungsnehmer, weshalb sein Verhalten für die Zahlungspflicht des Versicherers nicht maßgeblich sei. Er sei auch nicht Bevollmächtigter des Masseverwalters in Bezug auf die Abwicklung von Verträgen gewesen. Es bestehe ein erheblicher Interessenunterschied zwischen dem Gemeinschuldner und der Konkursmasse. Den Kläger treffe zwar eine Überwachungspflicht in Bezug auf die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten gemäß Art 13 des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR), er habe sich aber auf deren Einhaltung verlassen können, da bei diversen Verkehrskontrollen nie eine Beanstandung erfolgt sei. Eine Verpflichtung zur weiteren Kontrolle der Tachografenblätter, die ohne spezielle Kenntnisse schwierig sei, habe den Masseverwalter nicht getroffen. Jedenfalls sei ihm keine grobe Verletzung seiner Überwachungspflichten vorzuwerfen. Der Masseverwalter habe die Schadensmeldung rechtzeitig gesendet und nach seinen Möglichkeiten versucht, die fehlende Tachografenscheibe vom Vortag zu besorgen. Es müsse ihm zugestanden werden, dass es für ihn schwierig gewesen sei, Belege im Unternehmen des Gemeinschuldners zu finden. Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen wurde. Die Beklagte sei leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall im Sinn von § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt habe. Die in Deutschland entwickelte Repräsentantentheorie werde zwar in Österreich abgelehnt, sodass den Versicherungsnehmer keine Haftung für seine Repräsentanten treffe. Es sei aber auch seit langem anerkannt, dass juristische Personen nicht nur für das Verschulden ihrer Organe, sondern auch für das Verschulden jener Personen haftbar seien, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet seien. Berücksichtige man, dass der Kläger im Rahmen der Unternehmensfortführung dem Gemeinschuldner gemeinsam mit dem weiteren Fahrer die Einteilung der Fahrten in Erfüllung der übernommenen Transportaufträge überlassen habe, so sei es gerechtfertigt, den Gemeinschuldner insoweit als Repräsentanten der Konkursmasse zu qualifizieren, der im vom Masseverwalter fortgeführten Unternehmen in Bezug auf die Einteilung der Fahrer Leitungsfunktionen wahrzunehmen gehabt habe. Das Verhalten des Gemeinschuldners bei der Einteilung der Fahrten sei daher dem Kläger zuzurechnen. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob dem Kläger allenfalls ein eigenes Verschulden wegen mangelnder Kontrolle der Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten zur Last falle. Der Gemeinschuldner habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, weil er im übermüdeten Zustand das Fahrzeug gelenkt habe. Aufgrund der festgestellten Verwendung des Fahrzeugs habe dem Gemeinschuldner bewusst sein müssen, dass seine Fahrtüchtigkeit infolge Übermüdung beeinträchtigt gewesen sei. Eine Prüfung der Frage, ob der Kläger weitere Obliegenheitsverletzungen vorsätzlich oder grob fahrlässig dadurch begangen habe, dass er trotz des Ersuchens der Beklagten die Tachografenblätter nicht übermittelt habe, wozu es noch weiterer Feststellungen zu der Frage bedurft hätte, aus welchen Gründen eine Vorlage des Tachografenblatts vom Vortag durch den Kläger zunächst unterblieben sei, sei daher entbehrlich.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Verhalten des Gemeinschuldners während der Unternehmensfortführung der Konkursmasse zuzurechnen sei, oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Die Kaskoversicherung ist eine Sparte der Sachversicherung, durch die das Interesse des Eigentümers am Fahrzeug versichert ist (RIS-Justiz RS0080389). Nach § 61 VersVG ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Es handelt sich um einen sekundären Risikoausschluss (7 Ob 74/02m mwN, 7 Ob 165/02v).

Wie bereits die Vorinstanzen erkannt haben, kann die in Deutschland entwickelte Repräsentantenhaftung aus dem VersVG nicht abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0080407). Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen (7 Ob 6/84, 7 Ob 41/98z, 7 Ob 165/02v; Schauer, Versicherungsvertragsrecht³, 269). Auch die selbständige Ausführung eines Auftrags durch einen Erfüllungsgehilfen ist dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen (7 Ob 78/99t). Auf Vorsatz oder grobes Verschulden des Lenkers kommt es daher bei der Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers grundsätzlich nicht an, wenn dieser nicht gleichzeitig Versicherungsnehmer ist. Ungeachtet der Ablehnung der Repräsentantentheorie ist dem Versicherungsnehmer aber in Bezug auf Obliegenheiten das Verhalten jener zuzurechnen, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat (RIS-Justiz RS0019473). Zu prüfen ist nun, ob dem Gemeinschuldner in diesem Sinn die Stellung eines Bevollmächtigten zukommt.

Nach § 3 KO sind alle Rechtshandlungen des Gemeinschuldners nach der Konkurseröffnung den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam. Dem Gemeinschuldner ist also grundsätzlich die Verfügung und Organisation über sein Unternehmen durch die Konkurseröffnung entzogen. Die Feststellungen bieten - im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Berufungsgerichts und der Beklagten - keinen Anlass dazu, anzunehmen, der Masseverwalter habe den Gemeinschuldner dennoch (intern) mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet und ihm eine leitende Stellung im Unternehmen anvertraut (vgl zum Repräsentanten allgemein: RIS-Justiz RS0009113). Der Kläger trug lediglich dem Gemeinschuldner und dem zweiten Fahrer auf, die Fahrten abwechselnd durchzuführen und selbst einzuteilen, wer welche Fahrten unternehmen sollte. Zusätzlich ermahnte er sie, die Ruhe- und Fahrzeiten einzuhalten. Eine betriebstechnische Organisations-, Leitungs- oder Überwachungsbefugnis übertrug er damit nicht. Der Gemeinschuldner war im vom Kläger fortgeführten Betrieb lediglich Fahrer, die Leitung verblieb beim Kläger. Im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 61 VersVG ist daher das Verhalten des Gemeinschuldners als Lenker dem Kläger nicht zuzurechnen, sodass sich aus seinem Verhalten allein keine Leistungsfreiheit der Beklagten ergeben kann.

Nach dem Selbstverschuldensprinzip kann die Leistungsfreiheit der Beklagten nur dann eintreten, wenn den Kläger, der während des Konkurses im Hinblick auf die Betriebsfortführung den Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, selbst ein grob fahrlässiger Sorgfaltsverstoß bei der Betriebsführung (Organisationsmängel) vorzuwerfen wäre (vgl 7 Ob 6/84).

Grobe Fahrlässigkeit im Bereich des Versicherungsvertragsrechts ist dann gegeben, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, das offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS-Justiz RS0031127). Grob fahrlässig handelt, wer im täglichen Leben die erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad, aus Unbekümmertheit oder Leichtfertigkeit außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste. Sie ist bei schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzungen anzunehmen, die das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens ganz erheblich übersteigen (RIS-Justiz RS0030303).

Der Kläger hat die Fahrer nicht sich selbst überlassen, sondern sie während der Betriebsfortführung insofern überwacht, als er sich die Tachografenscheiben vorlegen ließ und diese auf Plausibilität im Hinblick auf die zurückgelegten Kilometer und das Abwechseln der Fahrer überprüfte. Beanstandungen hinsichtlich der eingesetzten Fahrer in Bezug auf Ruhezeitüberschreitungen lagen dem Kläger nicht vor. Weiters ist zu beachten, dass der Gemeinschuldner ja selbst vor Konkurseröffnung Unternehmer war und der Kläger daher davon ausgehen konnte, dass ihm die Bestimmungen über die Ruhe- und Lenkzeiten bekannt waren. Er konnte auch - mangels weiterer Verdachtspunkte - davon ausgehen, dass sie vom vormaligen Unternehmer eingehalten werden, zumal er dies ausdrücklich gefordert hatte. Mag sein, dass der Kläger im Einzelfall gegen seine Verpflichtung als Unternehmensführer (Art 13 AETR) verstoßen hat. Ob dies bereits eine Obliegenheitsverletzung darstellt, kann aber im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil dem Kläger keine schlechthin unentschuldbare, extrem auffallende Sorglosigkeit anzulasten ist. Die Beklagte kann sich auch nicht auf § 23 VersVG berufen. Nach § 23 Abs 1 VersVG darf der Versicherungsnehmer nach Abschluss des Vertrags ohne Einwilligung des Versicherers weder eine Erhöhung der Gefahr vornehmen noch die Vornahme durch einen Dritten gestatten. Da der Kläger die festgestellten Ruhezeitenüberschreitungen weder angeordnet hatte noch davon informiert sein musste, kommt schon aus diesem Grund eine Leistungsfreiheit nach § 23 VersVG nicht in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0080335).

Die Beklagte hat aber auch noch Leistungsfreiheit infolge Verletzung der Aufklärungsobliegenheiten durch den Kläger mit dolus coloratus eingewandt, womit sich das Erstgericht nicht auseinandergesetzt hat. Es fehlen Feststellungen, warum und aus welchen Motiven der Masseverwalter die von der Beklagten geforderten weiteren Tachografenscheiben nicht früher vorlegte. Auch wenn das Verhalten des Lenkers dem Kläger nicht unmittelbar zuzurechnen ist, so war der Kläger doch verpflichtet, die Tachografenscheiben über Verlangen des Versicherers im Rahmen seiner Aufklärungsobliegenheit vorzulegen, um dem Versicherer zu ermöglichen, das Verschulden des Versicherungsnehmers selbst zu beurteilen.

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Versicherungsnehmer, wenn der Versicherer eine Obliegenheitsverletzung beweist, zu behaupten und zu beweisen, dass er sie weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS-Justiz RS0081313). Nur eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei schlicht vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Darunter ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hatte (RIS-Justiz RS0116979). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen und setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zu Grunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Obliegenheitsverletzung zerstört oder eingeschränkt hat (RIS-Justiz RS0081225).

Grundsätzlich wäre davon auszugehen, dass der Kläger durch Vorlage der geforderten Tachografenscheiben im Verfahren den Kausalitätsgegenbeweis erbracht hat, konnte doch die Beklagte aus den nun vorgelegten Scheiben all das erkennen, was sie bei früherer Vorlage auch hätte erkennen können. Der Kausalitätsgegenbeweis ist aber dann ausgeschlossen, wenn der Kläger mit Schädigungs-, Verschleierungs- oder Täuschungsvorsatz gehandelt hätte, also mit dem Vorsatz, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen (RIS-Justiz RS0109766). Sollte der Kläger in Schädigungs- oder Verschleierungsabsicht gehandelt haben - dazu fehlen noch Feststellungen des Erstgerichts -, wäre der Kausalitätsgegenbeweis im Hinblick auf § 6 Abs 3 zweiter Satz VersVG ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0081253). Der Versicherungsnehmer muss nachweisen, dass es ihm bei der Obliegenheitsverletzung am Täuschungsvorsatz mangelte (7 Ob 63/02v).

Das Erstgericht wird sich daher im fortzusetzenden Verfahren damit auseinandersetzen müssen, aus welchen Gründen der Masseverwalter die Tachografenscheiben nicht auf Aufforderung der Beklagten vorlegte. Erst dann wird über die Rechtssache abschließend entschieden werden können.

Für den Fall, dass dem Kläger kein dolus coloratus zur Last fällt, ist darauf hinzuweisen, dass er Zahlung an sich fordern darf, weil die Nebenintervenientin als Vinkulargläubigerin dem Klagebegehren ausdrücklich zustimmt (7 Ob 45/06b).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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