OGH 9Ob113/22s

OGH9Ob113/22s16.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und MMag. Slobodain der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Florian Draxler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, Einverleibung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. September 2022, GZ 53 R 135/22t‑42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 13. Mai 2022, GZ 15 C 171/20y‑38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00113.22S.0216.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin, Eigentümerin des herrschenden Grundstücks * der EZ * KG *, behauptet das Bestehen einer dinglichen Dienstbarkeit des Abstellens eines Fahrzeugs auf der der Beklagten gehörenden Liegenschaft * der EZ * KG *.

[2] Die Beklagte bestritt den aufrechten Bestand einer Dienstbarkeit und wandte überdies ein, dass das Klagebegehren zu unbestimmt sei und grundbücherlich nicht vollstreckt werden könne.

[3] Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren, gerichtet auf Feststellung der Dienstbarkeit, deren Einverleibung im Grundbuch und der Unterlassung jeder Störung dieses Rechts, statt.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts über das Bestehen der Dienstbarkeit, den Anspruch der Klägerin auf Einverleibung derselben und die Verpflichtung der Beklagten, jede Störung des Dienstbarkeitsrechts zu unterlassen. Es hob das Ersturteil aber (ohne Rechtskraftvorbehalt) auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, weil die Klagebegehren zu unbestimmt und grundbuchsrechtlich nicht exekutierbar seien. Die genaue Lage des der Klägerin zustehenden Parkplatzes auf der dienenden Liegenschaft der Beklagten sei mit den Parteien zu erörtern.

[5] Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem – nunmehr bestimmt formulierten – Klagebegehren neuerlich statt.

[6] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Das Bestehen einer Dienstbarkeit des Abstellens eines Fahrzeugs auf dem Grundstück * sei bereits im ersten Rechtsgang abschließend bejaht worden. Lediglich die genaue Festlegung der Abstellfläche im Rahmen der Begehren auf Feststellung, Einwilligung in die Einverleibung und Unterlassung von Störungen seien Gegenstand des aufhebenden Beschlusses nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO gewesen. Diese abschließend erledigten Streitpunkte könnten daher im zweiten Rechtsgang nicht mehr aufgerollt werden. Dies betreffe auch die bereits im ersten Rechtsgang entschiedene Frage der Freiheitsersitzung. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage, inwiefern das Berufungsgericht im aufhebenden Beschluss das nicht ausreichend formulierte und nicht exekutierbare Klagebegehren aufgreifen habe dürfen und im zweiten Rechtsgang auf die Frage einer Freiheitsersitzung eingehen hätte müssen, die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO erfülle.

[7] Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten, in welcher diese beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu sie als unberechtigt abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision, die hier keine anderen erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO geltend macht, als jene, die Grund für die Revisionszulassung durch das Berufungsgericht sind, kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[10] 1. Auch wenn Aufhebungsbeschlüsse ohne Rechtskraftvorbehalt unanfechtbar sind (RS0043986), sind im folgenden Verfahren Revision und Revisionsgründe nicht deswegen beschränkt, weil von einem Rechtskraftvorbehalt nicht Gebrauch gemacht oder – wie hier – kein Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof beigesetzt wurde (RS0119442 [T1, T2]; RS0042991 [T7]). Dass das Berufungsgericht die Frage des Bestehens der Dienstbarkeit abschließend beurteilt hat, bedeutet auch nicht, dass diese Beurteilung im zweiten Rechtsgang vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden könnte (vgl 4 Ob 87/04d). Einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich ist aber die – in der Revision der Beklagten aufgeworfene – Frage, ob das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang das Ersturteil zu Recht aufgehoben hat. Im Revisionsverfahren ist ausschließlich die Richtigkeit des im zweiten Rechtsgang gefassten und nunmehr angefochtenen Berufungsurteils zu beurteilen.

[11] 2.1. Durch die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils durch das Berufungsgericht gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO trat das Verfahren in den Stand vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurück. Die Parteien hatten somit alle Befugnisse, die ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt zukamen, was auch eine Berufung auf die inzwischen eingetretene Änderung der Sachlage möglich machte (RS0042458; RS0042441). Lediglich abschließend entschiedene Fragen oder abschließend erledigte Streitpunkte durften im Berufungsverfahren nicht wieder aufgerollt werden (RS0042435 [T4]). Auf welchen Teil des Verfahrens und Urteils das weitere Verfahren nach der Aufhebung und Zurückverweisung beschränkt ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (RS0042411 [T8]; RS0042031 [T20]). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vermag die Beklagte nicht aufzuzeigen:

[12] 2.2. Das Berufungsgericht hat sich im ersten Rechtsgang mit der Frage des (grundsätzlichen) Vorliegens der (Grund-)Dienstbarkeit eingehend auseinandergesetzt und diese bejaht. Der Grund für die Aufhebung des Ersturteils war die mangelnde exakte Bezeichnung der Abstellfläche auf dem dienenden Grundstück der Beklagten. Die Rechtsauffassung im nunmehr angefochtenen Berufungsurteil, dass es sich bei der Frage des grundsätzlichen Bestehens der Dienstbarkeit um einen abschließend erledigten Streitpunkt handelt, entspricht den oben dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung. Soweit die Revision meint, dass es sich bei der Einwendung der – ihrem Standpunkt nach zwischenzeitig eingetretenen – Freiheitsersitzung um eine erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang neu entstandene Tatsache handle, ist dem nicht zu folgen. Es trifft insbesondere nicht zu, dass das Erstgericht erst im zweiten Rechtsgang Feststellungen zum Thema „Freiheitsersitzung“ getroffen hätte (siehe S 9 f des Ersturteils vom 5. 7. 2021).

[13] 2.3. Auch der Einwand der Beklagten, dass die für die Freiheitsersitzung erforderliche Zeitspanne bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang noch nicht vergangen gewesen sei, im zweiten Rechtsgang aber nunmehr schon vergangen sei – und darin die „neue Tatsache“ erblickt –, ist nicht zielführend:

[14] Die sogenannte Freiheitsersitzung ist ein Fall der Verjährung einer bereits bestehenden Dienstbarkeit und kein Fall der Ersitzung (RS0034333). Nach § 1497 ABGB tritt (unter anderem) durch Erhebung einer Klage Unterbrechung der Verjährung ein. Sofern das vom Kläger verfolgte Rechtsschutzziel erkennbar ist, unterbricht daher auch eine nicht ordnungsgemäße, aber rechtzeitig eingebrachte (und verbesserungsfähige) Klage die Verjährung, wenn diese in der Folge ordnungsgemäß verbessert wird (RS0034836 [T3, T5, T7, T8, T9]). Die Verbesserung ist hier – im zweiten Rechtsgang – rechtzeitig erfolgt. Von einer nicht gehörigen Fortsetzung des Verfahrens (vgl RS0034849) durch die Klägerin kann nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls (RS0034805 [T33]) nicht ausgegangen werden. Dagegen spricht auch nicht, dass die Klägerin im zweiten Rechtsgang nach Präzisierung des Klagebegehrens mit Schriftsatz vom 25. 1. 2022 über Anleitung des Gerichts das Klagebegehren neuerlich modifiziert hat.

[15] Die auftragsgemäße Konkretisierung des Klagebegehrens stellte auch keine Klagsänderung im Sinne des § 235 ZPO dar (vgl RS0118623 [T5]), weil mit dem verbesserten Klagebegehren kein neuer Anspruch geltend gemacht wurde (vgl RS0034740 [T5]; RS0034556 [T4, T5]).

[16] Im Ergebnis wurde die Verjährung durch die Einbringung und gehörige Fortsetzung der Klage unterbrochen. Die für die Freiheitsersitzung erforderliche Zeit konnte somit während des anhängigen Verfahrens nicht ablaufen (und damit im Übrigen auch keine „neue Tatsache“ darstellen).

[17] 3. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[18] Die Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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