OGH 7Ob178/22k

OGH7Ob178/22k25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* H*, vertreten durch die Dax Wutzlhofer & Partner Rechtsanwälte GmbH in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 24. Juni 2022, GZ 2 R 31/22a‑37, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 1. Dezember 2021, GZ 5 Cg 9/21b‑33, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00178.22K.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.175,22 EUR (darin enthalten  195,87 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag mit dem versicherten Risiko „Baggerarbeiten“, welchem unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung 2004 (AHVB 2004) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

[2] „7.5.3. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen verursachen durch Haltung oder Verwendung von Kraftfahrzeugen oder Anhängern, die nach ihrer Bauart und Ausrüstung oder ihrer Verwendung im Rahmen des versicherten Risikos ein behördliches Kennzeichen tragen müssen oder tatsächlich tragen. Dieser Ausschluss bezieht sich jedoch nicht auf die Verwendung von Kraftfahrzeugen als ortsgebundene Kraftquelle.

[3] Am 19. Mai 2020 ereignete sich ein Unfall, an dem ein von der L*-GmbH gehaltener Schwer-LKW (Dumper) und ein vom Kläger gemieteter, nicht kennzeichenpflichtiger Kettenbagger, der von einem Mitarbeiter des Klägers gelenkt wurde, beteiligt waren. Dabei ließ der Lenker des Baggers im Zuge des Beladevorgangs einen Betonbrocken auf den LKW fallen. Die dadurch verursachte Erschütterung wurde von der Ladefläche des LKW direkt über das Fahrgestell im Bereich des Aufstiegs weitergegeben, sodass der Fahrer, der sich auf den Stufen befand, vom LKW fiel und sich verletzte. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 machte der Rechtsvertreter des LKW-Fahrers Schadenersatzansprüche gegen den Kläger geltend.

[4] Der Kläger begehrt die Feststellung der Versicherungsdeckung. Der Unfall resultiere nicht aus einer spezifischen Gefährlichkeit des LKW, sondern des Kettenbaggers, sodass der Risikoausschluss nicht greife.

[5] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Es liege der Deckungsausschluss nach Art 7.5.3. AHVB 2004 vor, weil der Schaden beim Be- und Entladen eines Kraftfahrzeugs entstanden sei.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe sich das Risiko des Kettenbaggers und nicht jenes des LKW verwirklicht.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge und ließ die ordentliche Revision zu. Der Kettenbagger falle nicht unter den Risikoausschluss des Art 7.5.3. AHVB 2004. Die Verwirklichung des Ausschlusstatbestands lasse sich hier auch nicht mit der (möglicherweise) verwirklichten Betriebsgefahr des LKW begründen, weil den Bedingungen nicht zugesonnen werden könne, dass sich der Versicherer in Bezug auf „Baggerarbeiten“ immer dann auf den Ausschluss berufen könne, wenn noch ein von einer anderen Person gehaltenes kennzeichenpflichtiges Fahrzeug in das Schadenereignis involviert gewesen sei und sich allenfalls auch die Gefahr dessen Verwendung realisiert habe.

[8] Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[11] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[12] 2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[13] 3. Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Risikoausschluss gemäß Art 7.5.3. AHVB 2004 (vgl 7 Ob 155/21a zu Art 15.4.3. ABH) vorliegt, also ob der Schaden vom Versicherungsnehmer durch Verwendung eines kennzeichenpflichtigen Kraftfahrzeugs verursacht wurde. Durch diesen Risikoausschluss soll das erhöhte Risiko, das von Kraftfahrzeugen ausgeht, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden (7 Ob 159/08w; 7 Ob 155/21a; Maitz, AHVB S 132).

[14] 3.1. Liegen zwei Haftpflichtversicherungsverträge vor, bemüht sich die Rechtsprechung bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen zwar darum, den Deckungsschutz der einzelnen Arten der Haftpflichtversicherung so abzugrenzen, dass sie nahtlos ineinandergreifen, also sich weder überschneiden noch eine Deckungslücke lassen. Dabei handelt es sich aber nur um ein Auslegungsprinzip, nicht jedoch um einen zwingenden Rechtssatz, der sich gegenüber anderslautenden vertraglichen Vereinbarungen durchsetzen könnte; es müssen durch die Auslegung weder ein Überschneiden der Versicherungsbereiche noch Deckungslücken jedenfalls verhindert werden (7 Ob 155/21a mwN).

[15] 3.2. Der Oberste Gerichtshof orientiert sich bei der Auslegung des Begriffs „Verwendung des Kraftfahrzeugs“ in der privaten Haftpflichtversicherung an § 2 Abs 1 KHVG (7 Ob 177/04m; 7 Ob 159/08w). Der Begriff der Verwendung gemäß § 2 Abs 1 KHVG ist nach ständiger Rechtsprechung weiter als der Begriff des Betriebs im Sinn des § 1 EKHG (RS0116494). Er erfasst die Verwendung (den Gebrauch) des Fahrzeugs schlechthin (RS0088976; RS0088978). Auch das Be- und Entladen eines versicherten Fahrzeugs ist grundsätzlich als Verwendung eines Kraftfahrzeugs anzusehen (7 Ob 182/08b; 2 Ob 47/14x mwN). Im Zuge des Be- und Entladens entstandene Schäden sind daher auch grundsätzlich von der Kfz-Haftpflichtversicherung umfasst (vgl etwa RS0088976 [T5]).

[16] 3.3. Allerdings ist zu beachten, dass die Verwendung des Kraftfahrzeugs in der Kfz-Haftpflichtversicherung das versicherte Risiko betrifft, sodass eine weite Auslegung des Begriffs durchaus angezeigt ist, während es sich bei der Verwendung des Kraftfahrzeugs in der privaten oder betrieblichen Haftpflichtversicherung um einen – eng auszulegenden – Risikoausschluss handelt (vgl Kath, Abgrenzung zwischen Kfz-Haftpflichtversicherung und allgemeiner Haftpflichtversicherung, ZVers 2022, 198 [199]; Lücke in Prölss/Martin,VVG31 MB/BB PHV Abs 3 Ziff 3 Rn 7; Schimikowski, Die „Benzinklausel“ in der Privathaftpflichtversicherung – Auslegung des Begriffs „Gebrauch des Kraftfahrzeugs“ –, r + s 2016, 14). Es kann somit im Einzelfall durchaus vorkommen, dass sowohl die Kfz-Haftpflichtversicherung eintrittspflichtig ist, weil eine Verwendung des Fahrzeugs vorliegt, aber auch die allgemeine oder betriebliche Haftpflichtversicherung, weil der eng auszulegende Ausschlusstatbestand nicht vorliegt (vgl etwa 7 Ob 223/11m; Maitz, AHVB S 136). Daher ist die von der Beklagten zitierte Entscheidung 7 Ob 39/14g nicht unmittelbar einschlägig, weil diese eine Klage gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer und somit nicht den hier zu beurteilenden Risikoausschluss zum Gegenstand hatte.

[17] 3.4. Der vorliegende Fall zeigt, dass eine zweckorientierte Auslegung des Ausschlusstatbestands die Verwirklichung einer primär von der Verwendung des Kraftfahrzeugs unmittelbar ausgehenden Gefahr erfordert, nicht aber die Realisierung anderer (zB betrieblicher) Risiken, die in irgendeinem Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug stehen. Der Schaden muss somit dem Kraftfahrzeugrisiko näher stehen als dem betrieblichen Risiko, also bei natürlicher Betrachtung diesem zuzuordnen sein (Lücke in Prölss/Martin VVG31 MB/BB PHV Abs 3 Ziff 3 Rn 10). Wenn sich daher beim Be- und Entladen nicht primär die vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr, sondern vor allem ein betriebliches (Fehl-)Verhalten verwirklicht hat, greift der Risikoausschluss nicht (vgl v. Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-HB³ § 26 Rn 101). Genau das ist hier aber der Fall: Es hat sich nicht (primär) die vom LKW ausgehende Gefahr, sondern das spezifische Risiko des Kettenbaggers, schwere Gegenstände zu bewegen und zu verladen, realisiert. Bei verständiger Betrachtungsweise ist der Schaden somit dem betrieblichen Risiko zuzurechnen, weshalb der Risikoausschluss nicht greift.

[18] 4. Die Revision ist daher nicht berechtigt.

[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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