OGH 7Ob155/21a

OGH7Ob155/21a28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Mai 2021, GZ 1 R 105/21v‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 23. März 2021, GZ 3 C 305/20d‑10, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00155.21A.0428.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Dem zwischen den Parteien seit 2015 bestehenden Haushaltsversicherungsvertrag, der auch eine Privat‑ und Sport‑Haftpflichtversicherung einschließt, liegen die Allgemeinen Bedingungen für Haushaltsversicherungen (ABH) der Beklagten zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 15

Für welche Schadenersatzverpflichtungen wird keine Leistung erbracht?

1. Ansprüche, soweit sie aufgrund eines Vertrages oder einer besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Schadenersatzpflicht hinausgehen;

4. Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen verursachen durch Haltung oder Verwendung von

4.3 Kraftfahrzeugen oder Anhängern, die ein behördliches Kennzeichen tragen müssen oder tatsächlich tragen.

Die Begriffe … Kraftfahrzeug, Anhänger und behördliche Kennzeichen [sind] im Sinne des Kraftfahrgesetzes (BGBl Nr 267/1967) … in der jeweils geltenden Fassung auszulegen.

…“

[2] Die Klägerin öffnete als Fahrgast eines Taxis beim Aussteigen die Fahrzeugtüre, die ihr durch einen Windstoß aus der Hand gerissen wurde. Ein vorbeifahrendes Fahrzeug kollidierte mit der Türe, wodurch jenes Fahrzeug und das Taxi beschädigt wurden.

[3] Die Klägerin wird vom Eigentümer des Taxis auf Ersatz des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens geklagt. Die Beklagte lehnte die ihr abverlangte Deckung unter Berufung auf Art 15.4.3 ABH ab.

[4] Die Klägerin begehrte zusammengefasst die Feststellung, die Beklagte habe ihr aufgrund und im Umfang der Polizze Deckung für die aus dem Schadensereignis (Beschädigung der Autotür des Taxis) resultierende Inanspruchnahme durch den Eigentümer des Taxis zu erteilen.

[5] Da der Schaden durch den Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherungsvertrag des Taxis nicht gedeckt sei, entstünde durch Anwendung des Risikoausschlusses nach Art 15.4.3 ABH eine unbillige Deckungslücke. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe unter „Verwenden“ aktives Verwenden, nicht jedoch das Mitfahren und Öffnen der Beifahrertüre oder den Umstand, dass die Türe jemandem aus der Hand gerissen werde.

[6] Die Beklagte erwiderte, es liege ein vom Ausschluss umfasstes Verwenden des Fahrzeugs vor.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Öffnen einer Fahrzeugtüre zum Zweck des Aussteigens aus Anlass der Beförderung habe während eines mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Zusammenhang stehenden Vorgangs stattgefunden. Es habe sich damit das von Art 15.4.3 ABH ausgeschlossene Risiko verwirklicht.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil, bewertete den Entscheidungsgegenstand als 5.000 EUR, jedoch nicht 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Auslegung des Risikoausschlusses keine oberstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

[9] Mit ihrer ordentlichenRevisionbeantragtdie Klägerin, die Entscheidungen dahin abzuändern, dass ihrer Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]).

[13] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166, RS0080068).

[14] 1.3. Das Haftpflichtversicherungsrecht ist vom Grundsatz der Spezialität der versicherten Gefahr beherrscht, wonach nur für solche Schadensfälle Versicherungsschutz besteht, die sich aus dem im Versicherungsschein (in der Versicherungspolizze und ihren Nachträgen) umschriebenen „versicherten Risiko“ ableiten lassen (RS0081038). Liegen zwei Haftpflichtversicherungsverträge vor, bemüht sich die Rechtsprechung bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen zwar darum, den Deckungsschutz der einzelnen Arten der Haftpflichtversicherung so abzugrenzen, dass sie nahtlos ineinandergreifen, also sich weder überschneiden noch eine Deckungslücke lassen. Dabei handelt es sich aber nur um ein Auslegungsprinzip, nicht jedoch um einen zwingenden Rechtssatz, der sich gegenüber anderslautenden vertraglichen Vereinbarungen durchsetzen könnte; es müssen durch die Auslegung weder ein Überschneiden der Versicherungsbereiche noch Deckungslücken jedenfalls verhindert werden (vgl 7 Ob 88/14p mwN = RS0129943).

[15] 2.1. Art 15.4.3 ABH enthält nach seiner klaren Formulierung einen Risikoausschluss (vgl 7 Ob 159/08b).

[16] 2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Fachsenats ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer zunächst nicht, dass eine Klausel wie die hier gegenständliche nach Art 15.4.3 ABH bloß deshalb in die Versicherungsbedingungen aufgenommen wurde, um eine Doppelversicherung zu verhindern (vgl 7 Ob 199/98k); daraus erhellt, dass die Klausel nicht ausschließlich der Abgrenzung zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung dient, sondern sie das besondere aus der Haltung und Verwendung von Kraftfahrzeugen resultierende Risiko ausschließen soll, weil es Zweck der in der Haushaltsversicherung eingeschlossenen Haftpflichtversicherung ist, Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson abzudecken.

[17] Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung des Senats, dass Schadenersatzverpflichtungen aus der Haltung oder Verwendung von nach dem österreichischen KFG kennzeichenpflichtigen Kraftfahrzeugen schlechthin von der Haushaltsversicherung ausgeschlossen sind (RS0110470 [T1]).

[18] 2.3. Der Senat hat ebenfalls bereits ausgesprochen, dass nicht nur das Ein‑ und Aussteigen aus einem Kraftfahrzeug zu dessen Betrieb gehört, sondern auch das damit verbundene Öffnen und Schließen der Fahrzeugtüren zum Zwecke des Ein‑ und Aussteigens, und dass die Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung nicht nur solche Schäden beim Betrieb, sondern darüber hinaus schon bei der Verwendung des Fahrzeugs schlechthin grundsätzlich zu decken hat (vgl 7 Ob 159/08w; Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler, § 149 VersVG [2020] Rz 58).

[19] Umgekehrt besteht Deckungspflicht des Haushaltsversicherers nur dann, wenn der Schaden nicht aus einer Verwendung eines Kraftfahrzeugs entstanden ist (vgl RS0110470 [T2]).

[20] 2.4. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass der Risikoausschluss zum Tragen kommt, weil das Türöffnen (zumindest) als Verwendung des Kraftfahrzeugs anzusehen ist, Art 15.4.3 ABH aber die Deckung für jedwede Verwendung des Fahrzeugs ausschließt.

[21] Dabei kommt es nach dem klaren Wortlaut der Klausel nicht darauf an, ob der bei dieser Verwendung entstandene Schaden von einer anderen Versicherung gedeckt wäre, zumal sie in Ansehung der Verursachung von Schäden durch Verwendung eines Kraftfahrzeugs nicht danach unterscheidet, ob der Schaden vom verwendeten Kraftfahrzeug verschiedene Sachen oder das Kraftfahrzeug selbst betrifft (vgl Fuchs/Grigg/Schwarzinger, AHVB 2005 und EHVB 2005, 184; Reisinger aaO Rz 61; aA Dürlinger, Die Reichweite der „Benzinklauseln“ der Betriebs‑ und Privathaftpflichtversicherung, ZVR 2012/3, 9 [12 f]).

[22] 2.5. Der von der Klägerin durch Türöffnen verursachte Fahrzeugschaden ist daher von der zwischen den Parteien bestehenden Privathaftpflichtversicherung nicht gedeckt.

[23] 3.1. Die Einwände, die Klausel sei intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG und gröblich benachteiligend nach § 864a ABGB, sind nicht stichhältig.

[24] 3.2. Dem Versicherer steht es frei, bestimmte Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen. Voraussetzung ist, dass dies – wie hier – für den Versicherungsnehmer klar erkennbar geschieht (RS0016777 [T4]) und die Klausel weder objektiv ungewöhnlich (iS eines Überrumpelungs‑ oder Übertölpelungseffekts) noch branchenunüblich oder „versteckt“ – sondern an systematisch richtiger Stelle genannt – ist (vgl RS0014646; RS0105643).

[25] Außerdem muss der Versicherungsnehmer stets mit Risikoausschlüssen und -begrenzungen rechnen, weil es in Österreich keine All‑Risk‑Versicherung gibt (RS0119747) und eine allfällige (individuelle) Deckungslücke – im Hinblick auf einen begrenzten Deckungsumfang einer (zudem in einer Haushaltsversicherung eingeschlossenen) Privat-Haftpflichtversicherung der Klägerin – nicht jedenfalls verhindert werden muss (vgl 7 Ob 49/17g), zumal weder vorgebracht wurde noch erkennbar ist oder sich sonst im Verfahren Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz gerade für ein ausgeschlossenes Risiko anstrebte (vgl 7 Ob 33/15a mwN).

[26] 4. Die Revision musste daher erfolglos bleiben.

[27] 5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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