European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00221.22H.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Beklagte war bei einem Bauvorhaben als Generalunternehmerin tätig. Die Baumeisterarbeiten führte sie selbst aus, für andere Gewerke bediente sie sich zum Teil einzelner Subunternehmer, unter anderem der Firma K* GmbH *, die ihrerseits die Firma I* als ihre Subunternehmerin beauftragte.
[2] Im Jänner 2019 kam es zu Wassereintritten und dadurch verursachte Schäden, die auf eine von der I* zu verantwortende mangelhafte Abdichtung zurückzuführen waren.
[3] Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer der Beklagten, wobei der genannte Schadensfall in Bezug auf das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien unter der Schadensnummer 18‑007525245‑L‑810 von der Regionaldirektion für Oberösterreich und Salzburg (mit Sitz in Linz) bearbeitet wurde. Gleichzeitig war die Klägerin zum Schadenszeitpunkt auch Haftpflichtversicherer der Firma I*. In Bezug auf dieses Versicherungsverhältnis wurde der gleiche Schadensfall bei der Klägerin von der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg (mit Sitz in Innsbruck) unter der Schadensnummer 18‑006790979‑I‑810 bearbeitet.
[4] Dem Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien lagen zum Zeitpunkt des Schadensereignisses unter anderem die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1993 und EHVB 1993 in der Fassung 07/2012) zu Grunde. Darüber hinaus haben die Parteien vereinbart, dass auf das zwischen ihnen bestehende Versicherungsverhältnis auch die Universalpolizze Plus (UP+) zur Anwendung gelangt. Die Beklagte ist Versicherungsnehmerin. Die Universalpolizze Plus (UP+) wurde von einer Maklerin als Rahmenvertrag mit der Klägerin ausgehandelt. Es handelt sich dabei um einen ergänzenden Rahmenvertrag zur (ebenfalls vereinbarten) Universalpolizze.
[5] Die AHVB 1993 und EHVB 1993 in der Fassung 07/2012 (im Folgenden: AHVB) lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Versicherungsfall und Versicherungsschutz
…
2.1 Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer
2.1.1 die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen;
…
Artikel 7
Ausschlüsse vom Versicherungsschutz
1. Unter die Versicherung gemäß Art. 1 fallen insbesondere nicht
1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;
…
1.3 die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung
...
6. Es besteht kein Versicherungsschutz aus Schäden, die zugefügt werden
6.1 dem Versicherungsnehmer (den Versicherungsnehmern) selbst;
…
10. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an
...
10.3 jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind.
…
Artikel 8
Obliegenheiten; Vollmacht des Versicherers
1. Obliegenheiten
Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:
…
1.4 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens zu unterstützen.“
Die Universalpolizze Plus (UP+) enthält unter anderem nachstehende Bestimmungen:
„…
3. VERSICHERT GELTEN …
... alle vom Versicherungsnehmer beauftragten ausführenden Unternehmen für alle vom Versicherungsnehmer übernommenen Aufträge.
…
9. UP+:
Subunternehmer ohne Regressverzicht:
Der Versicherungsschutz bezieht sich auch auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers für die von ihm beauftragten Subunternehmer in dieser Eigenschaft und wird der Versicherer diese Schadenersatzansprüche so behandeln, als wären es die Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers selbst und fordert im Anschluss daran vom schuldtragenden Verursacher des Schadens die erbrachten Leistungen zurück (Regress beim Subunternehmer).
...
10. ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN ZUR UP+
Schadenersatzansprüche der mitversicherten, vom Versicherungsnehmer beauftragen Subunternehmer, untereinander wegen Personenschäden, Sachschäden und davon abgeleiteten Vermögensschäden gelten abweichend von Art. 7, Pkt. 6.1, AHVB 1993 i.d.F. 07/2012 mitversichert. Nicht unter Versicherungsschutz fallen jedoch gegenseitige Ansprüche soweit diese Schäden im Rahmen der UP+ versicherbar sind. Der Ausschluss gemäß Art. 7, Pkt. 10.1 AHVB 1993 i.d.F. 07/2012 bleibt vollinhaltlich aufrecht. …“
[6] Aufgrund des Schadensfalls vom Jänner 2019 (sowie eines bereits zuvor erfolgten Schadensfalls vom Dezember 2018) wurde vom Haftpflichtversicherer der Firma K* GmbH * im Februar 2019 ein Schadensgutachten eingeholt, in dem folgende Schadenbehebungskosten dargestellt wurden:
[7] Der Haftpflichtversicherer der K* GmbH * anerkannte nur den „Schaden 1“ als von ihm zu ersetzend.
[8] Die Beklagte übermittelte in weiterer Folge eine Rechnung vom 28. 2. 2020 über netto 53.532,81 EUR zuzüglich 20 % USt (10.706,56 EUR), somit brutto 64.239,37 EUR, an die Klägerin (Regionaldirektion in Innsbruck) als Haftpflichtversicherer der Firma I*. Die Rechnung ist mit „Sanierungsarbeiten aufgrund Schadensfall Wassereintritt“ bezeichnet, es wird ein Leistungszeitraum von Jänner bis April 2019 angeführt.
[9] Mit E‑Mail vom 27. 3. 2020 an die Beklagte legte ein Referent der Klägerin aus Innsbruck dar, dass die Firma I* lediglich hinsichtlich des Schadens vom Jänner 2019 eine Mitverantwortung treffe. Dieser Schaden sei im Gutachten des Haftpflichtversicherers der K* GmbH * mit „netto 42.105,67 EUR“ berechnet worden, weswegen die Beklagte zu erklären habe, weshalb nunmehr netto 53.532,81 EUR in Rechnung gestellt würden. Abschließend teilte der Referent der Klägerin der Beklagten in diesem E‑Mail Folgendes mit:
„Lediglich für den Vergleichsfall sind wir bereit, uns als Haftpflichtversicherung der Fa. K* mit einem Pauschalbetrag in Höhe von netto 25.000 an Ihrem Aufwand zu beteiligen, dies ausgehend von der vom SV ermittelten Schadenhöhe von 42.105,67. Für den Fall einer vergleichsweisen Einigung können wir die 25.000 unverzüglich zur Anweisung bringen.“
[10] Mit E‑Mail vom 26. 5. 2020 an die Beklagte wies ein weiterer Referent der Klägerin in Innsbruck erneut auf den ohne Präjudiz unterbreiteten Vergleichsvorschlag über 25.000 EUR „für den Fall einer raschen Generalbereinigung“ hin.
[11] Die Beklagte ersuchte zwischenzeitlich den Mitarbeiter der von ihr beigezogenen Maklerin, M* P*, den Schadensfall auch aus ihrem eigenen Versicherungsverhältnis an die Klägerin zu melden, weil aus dem Haftpflichtversicherungsverhältnis der Subunternehmerin zunächst keine Regulierung zu erreichen war. M* P* teilte der Referentin der Klägerin in der Regionaldirektion Linz daraufhin mit E‑Mail vom 29. 7. 2020 Folgendes mit:
„Sehr geehrte Frau [...],
zur angeschlossenen Schadenmeldung unserer Klientin dürfen wir Sie informieren, dass unser Klient ursprünglich den gesamten Schaden direkt mit dem Schadenverursacher abwickeln wollte, das aber leider nicht möglich war.
Im Hinblick auf die bestehende UP Plus, in der ja auch alle Subunternehmer unserer Klientin mitversichert gelten und aus der demnach auch alle durch die Subunternehmer zu verantwortenden Schäden gedeckt sind, ersuchen wir Sie nunmehr um Zusendung Ihres Abrechnungsvorschlages über den Gesamtschaden“.
[12] Zugleich übersandte er eine Schadensmeldung der Beklagten, in der unter anderem Schadenszeitpunkt und ‑hergang kurz ausgeführt werden. Dem E‑Mail angeschlossen war zudem eine Kostenaufstellung, die dieselben Einzelpositionen und denselben Gesamtbetrag anführte wie die vorstehend genannte Rechnung vom 28. 2. 2020.
[13] Die Referentin der Klägerin in der Regionaldirektion Linz erlangte durch dieses E‑Mail erstmals Kenntnis vom Schadensfall. Auch M* P* war in die Schadensabwicklung zwischen den Streitteilen aus dem Haftpflichtversicherungsverhältnis der Firma I* mit der Regionaldirektion der Klägerin für Tirol und Vorarlberg nicht involviert. Er hatte nur Kontakt mit der Regionaldirektion für Oberösterreich und Salzburg betreffend das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien. Als er das E-Mail vom 29. 7. 2020 verfasste, wusste er zwar von einem Regelungsvorschlag der Klägerin von anderer Seite, kannte aber dessen Inhalt und die angebotene Summe nicht.
[14] Nachdem M* P* auch die in weiterer Folge angeforderten Auftragsunterlagen an die Referentin der Klägerin in Linz übersandt hatte, teilte ihm diese mit E‑Mail vom 3. 12. 2020 Folgendes mit:
„Beim Ereignis vom Jänner 2019 ist der Schaden am Inventar als im Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag gedeckter Fremdschaden zu werten. Die vom VN in der Kostenzusammenstellung aufgelisteten Schäden betreffen großteils das eigene Gewerk.
Wir können folgenden unpräjudiziellen und nur für den außergerichtlichen Vergleich gültigen Abrechnungsvorschlag unterbreiten:
EUR 26.701,00 kausaler Schaden am Inventar laut Gutachten
‑ EUR 3.000,00 vertraglich vereinbarter Selbstbehalt
EUR 23.701,00
Wir ersuchen um Information, ob der VN dem Anspruchsteller den Schaden bereits ersetzt hat.“
[15] Mit E‑Mail vom 14. 12. 2020 ersuchte eine Mitarbeiterin der Klägerin der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg die Beklagte um Bekanntgabe einer Kontoverbindung, um die erstmals mit E‑Mail vom 27. 3. 2020 als Haftpflichtversicherer der Firma I* angebotenen 25.000 EUR anweisen und den Schaden somit abrechnen zu können.
[16] Die Beklagte kam diesem Ersuchen nach. Am 16. 12. 2020 veranlasste ein Referent der Klägerin in Tirol die Zahlung von 25.000 EUR an die Beklagte. Dieser wusste vom Schadensfall nur aus dem Haftpflichtversicherungsverhältnis zwischen der Klägerin (Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg) und der Firma I*. Er wurde auch nur diesbezüglich tätig. Von der Schadensmeldung an die Referentin der Klägerin in Linz, dem zwischen den Streitteilen bestehenden Versicherungsverhältnis und der diesbezüglichen Korrespondenz wusste er vor Auszahlung des Betrags nicht.
[17] Der Mitarbeiter der Maklerin teilte in der Zwischenzeit den Erledigungsvorschlag der Regionaldirektion für Oberösterreich und Salzburg über 23.701 EUR der Beklagten mit. Ein Mitarbeiter der Beklagten informierte ihn, dass diese von der Regionaldirektion der Klägerin in Innsbruck ein Angebot erhalten habe, welches auch in etwa die Hälfte des Schadens decken würde. Die Beklagte entschied, (auch) den Erledigungsvorschlag der Regionaldirektion für Oberösterreich und Salzburg anzunehmen, zumal beide Zahlungen (23.701 EUR und 25.000 EUR) zusammen in etwa den von ihr getragenen Schaden abdeckten.
[18] In weiterer Folge ersuchte der Mitarbeiter der Maklerin die Referentin der Klägerin in Linz mit E‑Mail vom 17. 12. 2020, den von dieser Regionaldirektion angebotenen Betrag von 23.701 EUR auf das Konto der Beklagten zu überweisen. Diese Überweisung wurde von der Klägerin in weiterer Folge getätigt.
[19] Der Mitarbeiter der von der Beklagten eingeschalteten Maklerin und die Referentin der Klägerin in Linz besprachen das von der Klägerin gestellte Angebot nicht. Der Mitarbeiter der Maklerin berichtete dieser auch weder vom Angebot der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg und auch nicht von deren Zahlung an die Beklagte in Höhe von 25.000 EUR. Dies war kein Thema.
[20] Die Korrespondenz in dieser Angelegenheit erfolgte ausschließlich zwischen der Referentin der Klägerin in Linz und dem Mitarbeiter der von der Beklagten eingeschalteten Maklerin. Die Referentin wusste damals nichts von der Schadensabwicklung zwischen der Beklagten und der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg aus dem Haftpflichtversicherungsverhältnis des Subunternehmers I* und den dortigen Angeboten und Zahlungen der Klägerin. Sie fragte beim Mitarbeiter der Maklerin auch nicht nach, wo der Subunternehmer versichert ist. Von der Zahlung der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg erfuhr sie erst nach der Auszahlung der 23.701 EUR, nämlich als sie das Regressverfahren gegen die Subunternehmerin I* einleitete. Hätte sie vom genannten Angebot und (letztlich) der Zahlung der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg an die Beklagte gewusst, hätte sie das Angebot über die Schadensregulierung vom [richtig:] 3. 12. 2020 über 23.701 EUR nicht gemacht und die Zahlung nicht veranlasst.
[21] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 23.701 EUR sA. Sie brachte zusammengefasst vor, die Beklagte habe anlässlich der Schadensmeldung mitgeteilt, dass die Schadensabwicklung mit den Schadensverursachern nicht gelungen sei. Ihre Referentin sei aufgrund dieser Mitteilung berechtigt davon ausgegangen, dass die Beklagte keine Zahlung vom Haftpflichtversicherer der Subunternehmerin erhalten habe. Allein dieser Irrtum sei Grund für die (weitere) Zahlung von 23.701 EUR an die Beklagte gewesen. Durch die Zahlung ihrer Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg in Höhe von 25.000 EUR sei der versicherte Schaden bereits vollständig abgedeckt worden. Die Schäden am eigenen Gewerk der Beklagten seien nicht von der Betriebshaftpflichtversicherung gedeckt und somit nicht zu ersetzen. Dass auch Fehler von Subunternehmen und daraus resultierende Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte gedeckt seien, ändere daran nichts. Auf diese bloß teilweise Ersatzpflicht habe sie die Beklagte bei ihrem Regulierungsangebot auch hingewiesen, weshalb diese hierüber Bescheid gewusst habe. Ihre Zahlung über 23.701 EUR sei irrtümlich und rechtsgrundlos erfolgt. Darüber hinaus habe die Beklagte gegen ihre vertraglichen Obliegenheiten verstoßen. Indem sie das Regulierungsangebot und die Zahlung von 25.000 EUR durch den Haftpflichtversicherer des Subunternehmers nicht offengelegt habe, habe sie nicht alles ihr Zumutbare getan, um Ursachen, Hergang und Folgen des Versicherungsfalls aufzuklären und um den entstandenen Schaden gering zu halten. Überdies habe diese sie als Versicherin nicht umfassend und unverzüglich informiert und sie nicht bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens unterstützt. Sie sei daher auch gemäß Art 8 AHVB iVm § 6 VersVG leistungsfrei und zur Rückforderung der Versicherungsleistung berechtigt. Die von der Beklagten mit ihrer Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg abgeschlossene Vereinbarung über die Zahlung von 25.000 EUR habe zu einer Generalbereinigung geführt. Die Beklagte habe somit allfällige Regressansprüche der Klägerin gegenüber dem Subunternehmer torpediert.
[22] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass die Zahlung einer Nichtschuld nicht vorliege. Sie habe bei der Klägerin unter anderem jenes Risiko versichert, das sich für sie dann ergeben könne, wenn der Werkbesteller des Generalunternehmervertrags haftpflichtrechtliche Ansprüche zwar an sie stelle, das schadensbegründende Ereignis allerdings von ihrem Subunternehmer herbeigeführt werde. Sie habe als Generalunternehmerin alle Schadensbehebungskosten betreffend das Schadensereignis vom Jänner 2019 in Höhe von netto 53.532,81 EUR getragen. Darin seien neben ihrem eigenen Sanierungsaufwand für Baumeisterarbeiten etc auch weiterverrechnete Fremdleistungen enthalten. Diese Kosten habe sie der Klägerin als ihrer Haftpflichtversicherin bekanntgegeben. Weshalb die Klägerin nicht jenen Schaden zu ersetzen haben solle, der dadurch entstanden sei, dass sie zumindest teilweise auch ihr eigenes Gewerk wieder instand zu setzen gehabt habe, sei unverständlich. Die Klägerin habe nämlich auch für Schäden, die ihr von einem Subunternehmer am eigenen Gewerk verursacht worden seien, einzustehen. Bei diesen Schäden handle es sich um Fremdschäden im Sinn der Versicherungsbedingungen. Durch die Annahme der Zahlung der Klägerin als Haftpflichtversicherer der I* sei es auch zu keiner Generalbereinigung und zu keinem Verzicht auf Regressansprüche gekommen. Sie habe die Klägerin auch nie in die Irre geführt oder im Unklaren gelassen. Irrelevant sei auch, aufgrund welcher Überlegungen die Klägerin die nunmehr zurückgeforderte Zahlung an sie geleistet habe. Sie sei auch nicht bereichert, zumal sie durch beide Zahlungen auch nur annähernd jenen Schaden refundiert erhalten habe, den sie dem Bauherrn ersetzt habe.
[23] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Hinsichtlich der zwischen den Parteien getroffenen Einigung würden sämtliche Voraussetzungen einer Irrtumsanfechtung nach § 871 ABGB vorliegen. Die zuständige Referentin der Klägerin der Regionaldirektion Linz sei sowohl, als sie das Angebot unterbreitet habe, als auch, als sie die Zahlung veranlasst habe, einem wesentlichen und kausalen Irrtum unterlegen. Dieser Irrtum sei von der Beklagten und dem Mitarbeiter der Maklerin, dessen Erklärungen sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, veranlasst worden oder hätte diesem zumindest auffallen müssen. Infolge erfolgreicher Irrtumsanfechtung sei die getroffene Einigung über die Zahlung von 23.701 EUR aufgehoben, weshalb die Beklagte zur Rückzahlung des Klagsbetrags verpflichtet sei. Zudem würden auch die Voraussetzungen für eine Rückforderung wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld nach § 1431 ABGB (condictio indebiti) erfüllt sein. So seien die zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen, insbesondere Art 9 der UP+, nicht so zu verstehen, dass entgegen den sonstigen Regelungen in der Betriebshaftpflichtversicherung Schäden am eigenen Gewerk des Versicherungsnehmers mitversichert seien.
[24] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Rechtlich führte es aus, der – nunmehr zurückgeforderten – Zahlung der Klägerin an die Beklagte liege ein Vergleich im Sinn des § 1380 ABGB zugrunde. Die Beklagte habe der Klägerin gegenüber einen Betrag von netto 53.532,81 EUR in Rechnung gestellt und sich die Klägerin ihrerseits bereit erklärt, ohne eine weitere, eingehende Prüfung den Betrag von 23.701 EUR zu zahlen, wodurch ein beiderseitiges Nachgeben erfolgt sei. Die Referentin der Regionaldirektion Linz der Klägerin habe im Zuge des mit der Beklagten abgeschlossenen Vergleichs über den Umstand geirrt, dass die Beklagte bereits einen Vergleich mit dem Haftpflichtversicherer des Subunternehmers (zufällig ebenfalls der Klägerin, jedoch bei Zuständigkeit einer anderen Regionaldirektion) geschlossen und infolgedessen bereits 25.000 EUR an Ersatz des von ihr erlittenen Schadens erhalten habe. Diesen Umstand hätten keine der beiden Parteien der Streitbereinigung unterwerfen wollen. Auch die Beklagte habe die vom Irrtum ausschließlich erfasste Frage, ob sie vom Haftpflichtversicherer des Subunternehmers eine Versicherungsleistung erhalten gehabt habe oder erhalten werde, zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht der Streitbereinigung unterwerfen wollen. Allerdings sei es für sie zu diesem Zeitpunkt bereits Gewissheit – somit weder strittig noch zweifelhaft – gewesen, dass sie eine Zahlung von 25.000 EUR erhalten hatte oder zumindest demnächst erhalten würde. Damit sei zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nur die Klägerin einem Irrtum über die Vergleichsgrundlage unterlegen und es habe sich nicht mehr um einen gemeinsamen Irrtum gehandelt. Dass die Parteien letztlich zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses unterschiedliche Vorstellungen über die Vergleichsgrundlage gehabt hätten, gründe sich „ausschließlich auf einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten“. Diese habe es unterlassen, die Klägerin darüber aufzuklären, dass die bisher von beiden Seiten dem Vergleich zugrunde gelegten Umstände nicht mehr den Tatsachen entsprochen hätten. Die Klägerin sei anfänglich berechtigterweise aufgrund der Angaben der Beklagten davon ausgegangen, dass eine Schadensabwicklung mit dem schadensverursachenden Subunternehmer oder dessen Haftpflichtversicherer nicht möglich gewesen sei. Sie habe diesen Umstand auch ihrem Vergleichsanbot zugrunde gelegt, was für die Beklagte erkennbar gewesen sei. Bei der Frage, ob vom schadensverursachenden Subunternehmer oder dessen Haftpflichtversicherer bereits eine Zahlung geleistet oder jedenfalls ein auf eine solche Zahlung gerichteter Rechtsgrund (Vergleich) geschaffen worden sei, habe es sich um eine entscheidende Tatsache für den Vergleichsabschluss gehandelt. Dies sei für die Beklagte auch erkennbar gewesen. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten „eine Mitteilung von Seiten der Beklagten erwarten“ dürfen. Dass die Klägerin sowohl der Haftpflichtversicherer des Subunternehmers als auch der Haftpflichtversicherer der Beklagten gewesen sei, ändere an der Aufklärungspflicht der Beklagten, die sich das Verhalten der von ihr beigezogenen Maklerin zuzurechnen habe, nichts. Der Schadensfall sei von zwei verschiedenen Regionaldirektionen der Klägerin und damit auch von unterschiedlichen Mitarbeitern bearbeitet worden, dies unter anderen Schadensnummern. Für die Mitarbeiterin der Regionaldirektion Linz der Klägerin hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, dass die Klägerin zugleich auch Haftpflichtversicherer des Subunternehmers gewesen sei. Der Mitarbeiter der Maklerin habe der Klägerin die (zumindest unmittelbar bevorstehende) Zahlung des Haftpflicht-versicherers des Subunternehmers bei Annahme des Vergleichsanbots verschwiegen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits Gewissheit darüber gehabt habe. Ein solches Unterlassen würde „bei entsprechendem Täuschungsvorsatz“ als Arglist zu werten sein. Diesfalls könnte ein Vergleich selbst hinsichtlich jener Streitpunkte erfolgreich angefochten werden, die von der Bereinigungswirkung erfasst werden sollten. Dies müsse umso mehr in einem weitgehend gleichgelagerten Fall wie dem vorliegenden hinsichtlich jener Umstände gelten, „welche der Vertragspartner infolge sittenwidrig unterlassener Aufklärung (nach wie vor) als feststehend, unstreitig und unzweifelhaft“ angenommen habe. Dabei komme es letztlich nicht mehr darauf an, ob der Mitarbeiter der Maklerin und/oder Mitarbeiter der Beklagten auch „den Vorsatz oder die Absicht“ gehabt hätten, die Klägerin zu täuschen. Der Irrtum der Klägerin sei insoweit auch kausal für den Vergleichsabschluss gewesen, als sie diesen nicht geschlossen hätte, hätte sie über die bereits geleistete Zahlung von 25.000 EUR Bescheid gewusst. Die Klägerin könne damit entsprechend § 871 Abs 1 ABGB den geschlossenen Vergleich über die Versicherungsleistung von 23.701 EUR erfolgreich anfechten.
[25] Insoweit die Beklagte im Verfahren vorgebracht habe, die Klägerin hätte diese Zahlung auch aufgrund des Versicherungsvertrags zu leisten gehabt, hätte sie der Klagsforderung aufrechnungsweise eine Gegenforderung gegenüberstellen müssen, weil die Forderung aus dem Versicherungsvertrag einen vom Rückforderungsanspruch der Klägerin losgelösten Rechtsgrund darstelle.
[26] Zudem sei der Klägerin eine Obliegenheitsverletzung gemäß Art 8.1.4 AHB anzulasten. Durch diese allgemeine Aufklärungs‑ und Mitwirkungsobliegenheit solle gerade das Aufklärungsinteresse des Versicherers hinsichtlich aller Umstände befriedigt werden, die für den Grund und die Höhe seiner Leistungspflicht aufgrund des Versicherungsfalls maßgeblich seien. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Beklagte mit dem Haftpflichtversicherer des schadensverursachenden Subunternehmers zum selben Schadensfall bereits einen Vergleich abgeschlossen habe, wirke sich aufgrund der Bereinigungswirkung eines solchen Vergleichs auf Regressansprüche der Klägerin als Versicherer aus. Damit im Zusammenhang stehe, dass eine aufgrund eines solchen Vergleichs bereits geleistete Zahlung an den Versicherungsnehmer Auswirkungen auf die Leistungspflicht des Versicherers haben könne. Dass die Klägerin im Anschluss an die allfällige Gewährung einer Versicherungsleistung für Schäden, die von einem Subunternehmer verursacht worden seien, beabsichtige, die erbrachten Leistungen von diesem zurückzufordern, sei überdies in Art 9 der UP+ ausdrücklich festgehalten. Die Beklagte habe gegenüber der Klägerin den Eindruck erweckt, dass sie mit dem Haftpflichtversicherer des Subunternehmers keine Einigung erzielen habe können. Sie habe die Klägerin selbst nach bereits erfolgtem Vergleichsabschluss noch in diesem Glauben gelassen. Das stelle gerade das Gegenteil der Obliegenheit nach Art 8.1.4 AHVB dar, den Versicherer „bei der Erledigung [...] des Schadens zu unterstützen“. Dass die Beklagte hinsichtlich des Unterlassens der Mitteilung über das Vergleichsanbot und den ‑abschluss keine grobe Fahrlässigkeit (und kein Vorsatz) treffe, sei von ihr nicht behauptet worden. Ebensowenig habe sie ein konkretes Vorbringen dazu erstattet, dass eine allfällige, zumindest nicht auf „dolus coloratus“ beruhende Obliegenheitsverletzung auf die Feststellung des Versicherungsfalls sowie die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluss gehabt hätte (Kausalitätsgegenbeweis). Aufgrund des von der Klägerin erbrachten Beweises einer Obliegenheitsverletzung und in Ermangelung des von der Beklagten zu erbringenden Gegenbeweises fehlender grober Fahrlässigkeit (oder Vorsatzes) sowie des Kausalitätsgegenbeweises, wäre selbst eine allenfalls erhobene Gegenforderung der Beklagten nicht berechtigt gewesen.
[27] Das Berufungsgericht sprach über Zulassungsvorstellung der Beklagten nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil zwar kein Irrtum über von den Parteien als feststehend angenommene Umstände, also über die „Vergleichsgrundlage“ vorliege, jedoch die Rechtsfrage, „inwiefern für eine Vergleichsanfechtung wegen Sittenwidrigkeit auch subjektive Elemente auf Seiten des Anfechtungsgegners, also nicht bloß die den Inhalt des Vergleichs betreffenden Umstände, eine Rolle spielen“, einer höchstgerichtlichen Klärung bedürfe.
[28] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.
[29] Die Klägerin erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[30] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
[31] 1.1. Ein Vergleich nach § 1380 ABGB ist die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung strittiger oder zweifelhafter Rechte (RS0032681). Ein Recht ist strittig oder zweifelhaft, wenn die Parteien sich nicht darüber einigen können oder sich nicht im Klaren sind, ob oder in welchem Umfang es entstanden ist oder noch besteht (RS0032654). Es reicht, wenn bloß die Höhe des Anspruchs zweifelhaft ist (RS0032537).
[32] Der Sinn einer Abfindungserklärung ist ebenfalls die einvernehmliche endgültige Festlegung eines vorher streitigen oder zweifelhaften Rechts (RS0032567). Auch gegenüber Haftpflichtversicherern abgegebene Abfindungserklärungen können daher bei Annahme durch diese einen Vergleich im Sinn des § 1380 ABGB sein (RS0032483).
[33] 1.2. Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass der nunmehr zurückgeforderten Zahlung der Klägerin an die Beklagte ein zwischen den Parteien geschlossener außergerichtlicher Vergleich zugrunde liegt. Zwischen ihnen war zunächst zweifelhaft, ob und in welcher Höhe die Beklagte aufgrund des mit der Klägerin abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrags Anspruch auf eine Versicherungsleistung aus dem Schadensfall vom Jänner 2019 hatte. Mit E‑Mail vom 3. 12. 2020 unterbreitete die Klägerin der Beklagten den „nur für den außergerichtlichen Vergleich gültigen Abrechnungsvorschlag“ in Höhe von 23.701 EUR und stellte damit ein Vergleichsanbot. Dieses wurde mit E‑Mail des für die Beklagte tätigen Maklers vom 17. 12. 2020 angenommen. Die Beklagte hatte der Klägerin als ihrem Haftpflichtversicherer einen Betrag von netto 53.532,81 EUR als Anspruch auf eine Versicherungsleistung genannt und diese hat sich nachfolgend bereit erklärt, ohne weitere, eingehende Prüfung den Betrag von 23.701 EUR zu zahlen, wodurch ein beiderseitiges Nachgeben im Sinn des § 1380 ABGB erfolgt ist.
[34] 2. Die Klägerin ficht diesen Vergleich nicht wegen Sittenwidrigkeit an und hat dazu auch kein Vorbringen erstattet. Dieser Anfechtungsgrund ist daher nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
[35] Wenn das Berufungsgericht argumentiert, dass die unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien über die Vergleichsgrundlage ausschließlich auf einem „sittenwidrigen Verhalten“ der Beklagten gründeten, das eine Vergleichsanfechtung wegen Irrtums rechtfertige, vermengt es die Anfechtungsgründe der Sittenwidrigkeit mit jenen der Arglist. Während der Irrtum über einen von der Bereinigungswirkung erfassten Vergleichspunkt bei listiger Irreführung durch den Gegner zur Anfechtung berechtigt (RS0032529 [T2]), ist eine „sittenwidrig unterlassene Aufklärung“ im Rahmen der Irrtumsanfechtung eines Vergleichs kein Tatbestandsmerkmal.
[36] 3.1. Nach § 1385 ABGB kann ein Irrtum den Vergleich nur insoweit ungültig machen, als er die Wesenheit der Person oder des Gegenstands betrifft. Da der Vergleich dem Zweck dient, strittige oder zweifelhafte Rechte einverständlich neu festzulegen (§ 1380 ABGB) und damit die Strittigkeit oder Zweifelhaftigkeit zu beseitigen, kann er nicht angefochten werden, wenn ein Partner beim Abschluss über den wahren Inhalt geirrt hat (§ 1387 ABGB), verlöre doch sonst der Vergleich seinen Sinn (7 Ob 48/19p mwN).
[37] Die Irrtumsanfechtung kommt jedoch in Betracht, wenn der Irrtum dasjenige Wesentliche betrifft, was die Parteien zur Zeit des Vergleichsabschlusses als feststehend, unzweifelhaft und unstreitig angenommen haben (RS0032543; vgl RS0032511); nur ein Irrtum über die „Vergleichsgrundlage“ kann – unter den Voraussetzungen der §§ 870 ff ABGB – eine Vergleichsanfechtung rechtfertigen (vgl RS0032529 [insbesondere T3]), während – wie vorstehend dargelegt – der Irrtum über einen von der Bereinigungswirkung erfassten Vergleichspunkt nur bei listiger Irreführung durch den Gegner zur Anfechtung berechtigt (RS0032529 [T2, T10]). Es können nur solche Umstände als unstrittige Vergleichsgrundlage angesehen werden, bei denen auch dem Vertragspartner ersichtlich ist, dass insoweit eine übereinstimmende Ansicht beider Parteien vorliegt (RS0032529 [T9]; RS0032543 [T8]).
[38] Für die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung trifft grundsätzlich den Anfechtenden die Behauptungs‑ und Beweislast (RS0032529 [T8] = RS0032543 [T7]).
[39] 3.2. Im vorliegenden Fall ist nicht von einem die „Vergleichsgrundlage“ betreffenden gemeinsamen Irrtum – einem Irrtum über von beiden Parteien als feststehend angenommene Umstände – auszugehen. Zwar konnte die Mitarbeiterin der Klägerin der Regionaldirektion in Linz aufgrund des Inhalts des E‑Mails vom 29. 7. 2020 berechtigt davon ausgehen, dass die Beklagte vom schadensverursachenden Subunternehmer oder dessen Haftpflichtversicherer keine Versicherungsleistung erhalten hatte, und infolge unterlassener Verständigung über die Annahme des Vergleichsanbots der Klägerin als Haftpflichtversicherer des Subunternehmers über 25.000 EUR auch im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses, keine solche Zahlung erhalten wird. Für die Beklagte bestand aber im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses Gewissheit, dass sie von der Klägerin als Haftpflichtversicherer des Subunternehmers 25.000 EUR erhält bzw demnächst erhalten wird. Damit handelt es sich um keinen gemeinsamen Irrtum, weil nur die Klägerin – ausgelöst durch das Verhalten der Beklagten – einem Irrtum darüber, dass keine weiteren Zahlungen an die Beklagte für den Schadensfall geleistet werden, unterlegen ist. Diesen wesentlichen Umstand haben demnach die Parteien nicht als feststehend angenommen, sondern nur die Klägerin. Damit scheidet ein Irrtum über die „Vergleichsgrundlage“ aus.
[40] 4.1. Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, die Beklagte habe ihr gegenüber behauptet, sie habe versucht, den gesamten Schaden direkt mit dem Schadenverursacher abzuwickeln, was aber nicht möglich gewesen sei. Die Beklagte habe ihr gegenüber nicht erwähnt, dass ihr bereits ein Anbot der Klägerin als Haftpflichtversicherer der Firma I* von 25.000 EUR unterbreitet worden sei und sie dieses angenommen habe. Erst nach Abschluss des Vergleichs über 23.701 EUR und dessen Zahlung habe sich herausgestellt, dass die Beklagte bereits zuvor für diesen Schadensfall eine Zahlung von ihr als Haftpflichtversicherer des Subunternehmers über 25.000 EUR erhalten habe. Dadurch sei deren Schaden bereits abgedeckt gewesen. Mit diesen Ausführungen beruft sie sich auch auf die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Irreführung durch die Beklagte.
[41] 4.2. List im Sinn von § 870 ABGB ist bewusste Täuschung und setzt daher ein – für den Irrtum kausales – vorsätzliches Verhalten des Irreführenden voraus (RS0014821). Sie ist immer dann anzunehmen, wenn der Vertragspartner durch vorsätzliche Vorspiegelung falscher oder Unterdrückung wahrer Tatsachen in Irrtum geführt oder in seinem Irrtum belassen oder sogar bestärkt und hiedurch zum Abschluss des angestrebten Vertrags veranlasst wurde (RS0014805; RS0014829). Der durch Arglist Getäuschte kann die Aufhebung des Vertrags selbst bei unwesentlichem Motivirrtum verlangen (RS0014807). List erfordert, dass der Andere den Irrenden bewusst in Irrtum führt oder den ihm bekannten Irrtum ausnützt, also positive Kenntnis davon hat, dass der andere Teil irrt und dass der Irrtum einen Einfluss auf seinen Willensentschluss ausübt (RS0014765). Dafür genügt bedingter Vorsatz, der Täuschende muss den Irrtum des anderen Teils ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus (RS0014837; 5 Ob 144/20t [Pkt. 6.2.]).
[42] 4.3. Das bewusste Verschweigen von Tatsachen begründet dann List, wenn der Schweigende gegen eine ihm obliegende Aufklärungspflicht verstößt (RS0014817), die dann besteht, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014811; vgl RS0014790 [T4, T8]; RS0014811).
[43] 4.4. Die Klägerin ging aufgrund der Angaben des Mitarbeiters der Maklerin, die sich die Beklagte zuzurechnen hat, berechtigterweise davon aus, dass eine Schadensabwicklung mit dem schadensverursachenden Subunternehmer oder dessen Haftpflichtversicherer nicht möglich gewesen war. Sie legte dies folglich auch ihrem Vergleichsanbot als unstrittig und feststehend zugrunde. Das war für die Beklagte jedenfalls erkennbar. Die Mitarbeiterin der Regionaldirektion Linz der Klägerin legte im Zuge ihres Vergleichsanbots dar, wie sich dieser Betrag von 23.701 EUR errechnet. Dabei nahm sie – mangels Kenntnis – nicht Bezug auf ein aufrechtes Vergleichsanbot der Klägerin seitens der Regionaldirektion für Tirol und Vorarlberg oder gar eine bereits geleistete Zahlung. Ob vom schadensverursachenden Subunternehmer oder dessen Haftpflichtversicherer bereits eine Schadenersatzzahlung geleistet oder jedenfalls ein auf eine solche Zahlung gerichteter außergerichtlicher Vergleich unterbreitet wurde, ist jedenfalls für die Klägerin als Haftpflichtversicherer der Beklagten eine entscheidende Tatsache für den Vergleichsabschluss. Ihre Vergleichsbereitschaft und die Höhe eines allfälligen Vergleichsanbots hing bei objektiver Betrachtung ganz wesentlich davon ab, inwieweit sie gegebenenfalls nach einer Zahlung an die Beklagte Regress beim schadensverursachenden Subunternehmer nehmen konnte (vgl Art 9 UP+) oder – wie im vorliegenden Fall – inwieweit sie aus demselben Schadenereignis bereits als Haftpflichtversicherer des Subunternehmers (bei Zuständigkeit einer anderen Generaldirektion) eine Versicherungsleistung an die Beklagte zu erbringen hatte und deren Schaden dadurch (zumindest teilweise) bereits abgedeckt wurde. Auch dies war für die Beklagte jedenfalls erkennbar. Die Klägerin durfte jedenfalls erwarten, dass sie von der Beklagten über eine erwartbare Zahlung für diesen Schadensfall seitens des Subunternehmers informiert wird. Dies hat die Beklagte und die von ihr eingeschaltete Maklerin unterlassen. Somit liegen Anhaltspunkte für die Anfechtung des Vergleichs nach § 870 ABGB vor (RS0014785).
[44] Anlässlich des Vergleichsabschlusses hatte nämlich die Beklagte als Anfechtungsgegnerin über die entscheidende Tatsache Gewissheit, dass sie eine weitere Ersatzleistung vom Subunternehmer bzw dessen Haftpflichtversicherer erlangt, und hat dies der Klägerin als ihrem Haftpflichtversicherer nicht mitgeteilt. Arglist kann – wie dargelegt – auch in einer Verschweigung liegen, wenn dadurch eine Aufklärungspflicht verletzt wird (RS0014809 [T1]).
[45] Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass Feststellungen zu einem „entsprechendem Täuschungsvorsatz“ der Beklagten bzw der ihr zurechenbaren Maklerin fehlten. Auch das Erstgericht hat nicht mit einem solchen Täuschungsvorsatz argumentiert. Voraussetzung für die Anfechtung wegen arglistiger Irreführung ist, dass die Beklagte bzw die ihr zurechenbare Maklerin mit entsprechendem Täuschungsvorsatz gegenüber der Klägerin gehandelt hat. Dazu fehlen Feststellungen. Die Beklagte berief sich darauf, sie habe aufgrund der Identität des Versicherers davon ausgehen können, die Klägerin werde wohl Kenntnis darüber haben, dass „auch aus den anderen Schadensakten eine Zahlung geleistet wurde“.
[46] Sollten im fortgesetzten Verfahren Feststellungen getroffen werden können, aus denen sich eine vorsätzliche Täuschung der Klägerin durch die Beklagte ableitet, wäre die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Irreführung – die Kausalität des Irrtums steht fest – berechtigt. Im Fall, dass sich aus den zu ergänzenden Feststellungen nur ein grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten ableiten ließe, wäre die Anfechtung wegen List im Sinn von § 870 ABGB nicht berechtigt.
5. Im Hinblick auf die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen braucht auf die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht mehr eingegangen werden.
[47] 6. Aus den zu Punkt 4. dargelegten Gründen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[48] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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