European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00081.22T.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten hat:
1. Es wird festgestellt, dass die klagende Partei zum Feststellungszeitpunkt 1. März 2021 478 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Erwerbstätigkeit und 10 Ersatzmonate, daher insgesamt 488 Versicherungsmonate erworben hat.
2. Es wird festgestellt, dass die klagende Partei folgende Schwerarbeitsmonate gemäß § 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 4 APG iVm § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erworben hat:
„Februar 2006, August 2006, 1. November bis 31. Dezember 2006, 1. November 2007 bis 31. Jänner 2009, 1. März 2009 bis 31. August 2009, 1. Oktober 2009 bis 28. Februar 2011, 1. April 2011 bis 31. Mai 2011, 1. Juli 2011 bis 31. August 2012, Juni 2013, März 2014, Mai 2014, August 2014, 1. Oktober 2014 bis 30. November 2014, Jänner 2015, März 2015, Mai 2015, 1. Juli 2015 bis 31. August 2015, 1. Oktober 2015 bis 30. November 2015, Februar 2018, 1. Februar 2019 bis 30. April 2019, August 2019 und 1. November 2019 bis 31. Dezember 2019.“
3. Das Mehrbegehren auf Feststellung weiterer Schwerarbeitsmonate innerhalb des Zeitraums von 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2020 wird abgewiesen.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 435,06 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens (darin enthalten 72,52 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 304,84 EUR (darin 50,81 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 209,39 EUR (darin 34,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Strittig ist im Revisionsverfahren die Frage, ob die vom Kläger verrichtete Tätigkeit als Bäckereischichtarbeiter in bestimmten (weiteren) Monaten, in denen der Kläger in der Nacht Schichten leistete, die um 0:00 Uhr begannen und in denen bis 6:00 Uhr eine Ruhepause von einer halben Stunde einzuhalten war, Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV ist.
[2] Der Kläger arbeitet als Bäcker mit einem Dreischichtmodell. Im Jahr 2012 wurde eine vierte Schicht, als sogenannte „Springerschicht“ eingeführt, um eine problemlose 24‑Stunden‑Produktion gewährleisten zu können. Der typische Schichtrhythmus des Klägers beginnt mit einer Nachtschicht (0:00 Uhr bis 08:00 Uhr), gefolgt von einer Nachmittags‑ (16:00 Uhr bis 0:00 Uhr) und anschließenden Frühschicht (8:00 Uhr bis 16:00 Uhr). Die konkreten Arbeitszeiten, nicht aber die Schichtsystematik, weichen davon ab. Der Kläger konsumiert pro Schicht jeweils eine Pause von einer halben Stunde. In der (hier einheitlich bezeichnet als:) Nachtschicht war diese Pause bis 6:00 Uhr zu konsumieren. Bei Inanspruchnahme von Urlaub musste der Kläger – auch wenn er sich während einer Nachtschicht im Urlaub befunden hat – den Dienst mit seinem Vertreter nicht zurücktauschen. Er absolvierte, wie gewohnt, seine Schichten entsprechend dem Schichtrhythmus weiter. In jedem Monat erfolgte zumindest ein Wechsel von Tag‑ in den Nachtdienst.
[3] Mit Bescheid vom 9. März 2021 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt zum Feststellungszeitpunkt 1. März 2021 fest, dass der Kläger 478 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Erwerbstätigkeit und 10 Ersatzmonate, gesamt daher 488 Versicherungsmonate erworben hat. Davon anerkannte die Beklagte 37 Versicherungsmonate nach dem 40. Lebensjahr des Klägers als Schwerarbeitsmonate im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV, und zwar die Zeiten bzw Monate: 1. Jänner 2011 bis 28. Februar 2011, vom 1. April 2011 bis 31. Mai 2011, vom 1. Juli 2011 bis 31. August 2012, Juni 2013, März 2014, August 2014, vom 1. Oktober 2014 bis 30. November 2014, Jänner 2015, März 2015, Mai 2015, vom 1. Juli 2015 bis 31. August 2015, vom 1. Oktober 2015 bis 30. November 2015, Februar 2018, vom 1. Februar 2019 bis 30. April 2019, August 2019 und vom 1. November 2019 bis 31. Dezember 2019. Das Vorliegen weiterer Schwerarbeitszeiten im Zeitraum zwischen 1. Juli 2005 und 31. Dezember 2020 lehnte die Beklagte ab.
[4] In seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung folgender weiterer 72 Monate an Schwerarbeitszeiten gemäß § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV:
„2005 November und Dezember 2 Monate
2006 Jänner bis März, sowie Maibis Dezember 11 Monate
2007 Jänner, Februar, April, Mai, sowie Juli
bis Dezember 10 Monate
2008 Jänner bis Dezember 12 Monate
2009 Jänner, sowie März bis Dezember 11 Monate
2010 Jänner bis Dezember 12 Monate
2012 September bis November 3 Monate
2013 Jänner, Februar, November 3 Monate
2014 Februar, April, Mai, Juli, Dezember 5 Monate
2015 April, Juni, Dezember 3 Monate“.
[5] Telos des Gesetzes sei, dass letztlich die Störung des Biorhythmus (Schlafrhythmus) infolge des regelmäßigen Schichtwechsels Schwerarbeit begründe.
[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger während der Nachtschichten nicht mindestens 6 Stunden gearbeitet habe, weil er in der Zeit zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr eine Pause eingehalten habe.
[7] Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger zum Feststellungszeitpunkt 1. März 2021 478 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Erwerbstätigkeit und 10 Ersatzmonate, gesamt 488 Versicherungsmonate erworben habe. Weiters habe er vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2020 Schwerarbeitszeiten gemäß § 607 Abs 14 ASVG iVm § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erworben. Die Verordnung verneine das Vorliegen von Schwerarbeit bei überwiegender Arbeitsbereitschaft (mehr als drei Stunden im Rahmen der sechsstündigen Tätigkeit). Das besondere Belastungsmoment liege gemäß § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV im Wechsel zwischen Tag‑ und Nachtarbeit; nach diesem Tatbestand komme es nicht entscheidend auf die Ausübung einer konkreten Tätigkeit, sondern auf das Kriterium „Nacht“ an. Qualifiziere die SchwerarbeitsV (nicht überwiegende) Zeiten der Arbeitsbereitschaft als Schwerarbeit, führe das Einhalten der gesetzlich verpflichtend vorgesehenen Mindestpausen von einer halben Stunde zu keiner geringeren Belastung. Eine kurze Arbeitsunterbrechung von einer halben Stunde während einer achtstündigen Schicht, die zumindest sechs Stunden während der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr vorsehe und während derer der Arbeitnehmer de facto den Arbeitsplatz nicht verlassen könne, erfülle – um einen Wertungswiderspruch zur Arbeitsbereitschaft zu vermeiden – die Voraussetzungen der SchwerarbeitsV, weil ein belastender Wechsel von Tag‑ und Nachtschicht vorliege. Dies gelte auch für Zeiten des Urlaubs, in denen – hätte der Kläger gearbeitet – fiktiv Schwerarbeit geleistet worden wäre.
[8] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung infolge der Berufung der Beklagten teilweise ab. Es bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts im Umfang der Feststellung der bis 1. März 2021 erworbenen Versicherungszeiten des Klägers und stellte folgende Monate als Schwerarbeitszeiten fest: 1. November 2005 bis 31. März 2006, 1. Mai 2006 bis 28. Februar 2007, 1. April 2007 bis 31. Mai 2007, 1. Juli 2007 bis 31. Jänner 2009, 1. März 2009 bis 28. Februar 2011, 1. April 2011 bis 31. Mai 2011, 1. Juli 2011 bis 30. November 2012, 1. Jänner 2013 bis 28. Februar 2013, Juni 2013, November 2013, 1. Februar 2014 bis 31. Mai 2014, 1. Juli 2014 bis 31. August 2014, 1. Oktober 2014 bis 30. November 2014, Jänner 2015, 1. März 2015 bis 31. August 2015, 1. Oktober 2015 bis 31. Dezember 2015, Februar 2018, 1. Februar 2019 bis 30. April 2019, August 2019 und 1. November 2019 bis 31. Dezember 2019. Das Mehrbegehren auf Feststellung weiterer Schwerarbeitsmonate innerhalb des Zeitraums von 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2020 wies es ab.
[9] Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass es einen Wertungswiderspruch darstellte, würde man gerade bei belastender Schwerarbeit die notwendige und gesetzlich vorgeschriebene Pause nicht als Schwerarbeit werten, während eine Arbeitsbereitschaft bis zu drei Stunden Schwerarbeit sei. Ob diese Pause zu entlohnen sei, sei dabei nicht relevant. Dennoch sei die Berufung der Beklagten teilweise berechtigt, weil das Erstgericht mehr Schwerarbeitsmonate festgestellt habe, als begehrt worden seien.
[10] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage im Umfang der begehrten Feststellung weiterer, von der Beklagten nicht anerkannter Schwerarbeitszeiten anstrebt.
[11] In der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurück‑ bzw abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1.1 Vorweg ist auszuführen:
[13] Ausgehend vom wechselseitigen Vorbringen der Streitteile, den von der Beklagten im angefochtenen Bescheid, im Verfahren erster Instanz (ON 9) und in der Berufung als Schwerarbeitsmonate anerkannten Zeiten und den Feststellungen des Erstgerichts, ist die begehrte Feststellung von Schwerarbeitszeiten (§ 247 Abs 2 ASVG) noch für folgende Monate strittig: 1. November 2005 bis 31. Jänner 2006, März 2006, 1. Mai 2006 bis 31. Oktober 2006, 1. Jänner 2007 bis 28. Februar 2007, 1. April 2007 bis 31. Mai 2007, 1. Juli 2007 bis 31. Oktober 2007, September 2009, 1. September 2012 bis 30. November 2012, 1. Jänner 2013 bis 28. Februar 2013, November 2013, Februar 2014, April 2014, Juli 2014, April 2015, Juni 2015 und Dezember 2015. Die Qualifikation dieser Zeiten hängt nach dem Vorbringen der Parteien im Verfahren und ihren Ausführungen in den Rechtsmittelschriftsätzen von der Frage ab, ob die in den Nachtschichten (in der Regel von 0:00 Uhr bis 8:00 Uhr) bis 6.00 Uhr einzuhaltende Pause von einer halben Stunde den Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV verwirklicht, sodass es einer näheren Auseinandersetzung mit den im Einzelnen vom Erstgericht für diese Monate festgestellten – teilweise abweichenden – Arbeitszeiten des Klägers nicht bedarf.
[14] 1.2 Das Begehren auf Feststellung des Monats Dezember 2014 als Schwerarbeitszeit wurde vom Berufungsgericht abgewiesen. Diese Abweisung erwuchs unangefochten in Rechtskraft, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
[15] 2.1 § 1 SchwerarbeitsV trägt die Überschrift „Besonders belastende Berufstätigkeiten“. § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV lautet:
„§ 1 (1) Als Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden, gelten alle Tätigkeiten, die geleistet werden
1. in Schicht‑ oder Wechseldienst auch während der Nacht (unregelmäßige Nachtarbeit), das heißt zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, jeweils im Ausmaß von mindestens sechs Stunden und zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat, sofern nicht in diese Arbeitszeit überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt, …“
[16] 2.2 Anders als in Art VII Abs 1 NSchG gilt nach der SchwerarbeitsV reine Nachtarbeit nicht als Belastungsmoment (10 ObS 103/10k SSV‑NF 24/58). Wesensmerkmal dieses Tatbestands der Schwerarbeitsverordnung ist der notwendige Wechsel zwischen Tag‑ und Nachtdienst (10 ObS 39/17h SSV‑NF 31/27). Dieser Wechsel ist im vorliegenden Fall unstrittig gegeben.
[17] 2.3 § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV stellt nicht auf die nach § 4 SchwerarbeitsV erforderliche Anzahl von Schwerarbeitstagen ab, sondern auf das Vorliegen von lediglich sechs Arbeitstagen im Kalendermonat, an denen – in einzelnen Schicht‑ oder Nachtdiensten – unregelmäßige Nachtarbeit geleistet wurde (10 ObS 23/16d SSV‑NF 30/30; 10 ObS 104/17t SSV‑NF 31/64).
[18] 2.4 In der Entscheidung 10 ObS 103/10k führte der Oberste Gerichtshof aus, dass als Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV demnach Tätigkeiten gelten, wenn sie in einem Schicht‑ oder Wechseldienst erbracht werden, und zwar auch während der Nachtstunden (Zeitraum von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) in einem Umfang von mindestens sechs Stunden. Die tatsächliche Arbeit muss mindestens sechs Stunden dauern und es darf nicht überwiegend Arbeitsbereitschaft vorliegen. Unter „überwiegend“ ist mehr als die Hälfte der Arbeitszeit zu verstehen, das heißt mindestens drei Stunden Arbeitsbereitschaft sind darunter zu subsumieren. Arbeitsbereitschaft zählt – arbeitsrechtlich gesehen – zwar zur Arbeitszeit, nicht aber als Schwerarbeit. Es ist daher davon auszugehen, dass bei der Nachtarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV die Tätigkeit nicht entscheidend ist. Vielmehr kommt es auf das Kriterium „Nacht“ an. So fallen auch „leichtere“ berufliche Tätigkeiten unter diesen Tatbestand (RIS‑Justiz RS0126107). Bei der Beurteilung der Frage, ob Schwerarbeitszeiten im Sinne der SchwerarbeitsV vorliegen, kommt es entscheidend auf die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum tatsächlich verrichteten Tätigkeit (vgl 10 ObS 117/16b SSV‑NF 30/82) an.
[19] 3.1 Die Revisionswerberin hält ihren Rechtsstandpunkt aufrecht, dass eine Arbeitspause weder Arbeitszeit noch Arbeitsbereitschaft sei, sodass der Kläger in den um 0:00 Uhr beginnenden Schichten bis 6:00 Uhr lediglich fünfeinhalb Stunden gearbeitet habe, sodass keine Schwerarbeit vorliege. Dies gelte auch für Zeiten des Urlaubs, da in ihnen keine „fiktive“ Schwerarbeit geleistet worden wäre. Dem kommt Berechtigung zu:
[20] 3.2 Bei der „Schwerarbeitspension“ handelt es sich um eine Form der Alterspension, bei der Zeiten unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen besonders berücksichtigt werden sollen (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 3 und 9). Schwerarbeitszeiten sind Beitrags‑ bzw Versicherungsmonate aufgrund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden (§ 607 Abs 14 ASVG, § 298 Abs 13a GSVG, § 287 Abs 13a BSVG; ähnlich § 4 Abs 4 APG: Schwerarbeit „unter psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen“). Die Bestimmungen der SchwerarbeitsV stellen zentral auf den Begriff der „Tätigkeit“ ab. Dem grundsätzlichen Zweck der Schwerarbeitspension, eine durch besondere Belastung verursachte verminderte Lebenserwartung auszugleichen, entspricht ein weiteres Verständnis des Begriffs der „Tätigkeit“, das nicht nur Verrichtungen eines bestimmten Berufs, sondern sämtliche vom Versicherten in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich (versicherungspflichtig) ausgeübten Verrichtungen umfasst. Zu diesem Ergebnis ist der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 64/22t gelangt, in der es – anders als im vorliegenden Fall – um die Frage ging, ob die überschneidende Ausübung mehrerer selbständiger und unselbständiger Tätigkeiten für den Erwerb von Schwerarbeitszeiten zu berücksichtigen sind (vgl RS0132473).
[21] 3.3 Auch für den Erwerb von Schwerarbeitszeiten im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV kommt es daher auf die Ausübung von Tätigkeiten im Sinn des dargestellten Begriffsverständnisses an. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV typischerweise Tätigkeiten erfasst, die im Rahmen unselbständiger Erwerbstätigkeit ausgeübt werden. Mit § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV wollte man das Krankenpflegepersonal „auffangen“, das mangels reinen Nachtdienstes grundsätzlich nicht dem Nachtschwerarbeitsgesetz, BGBl 1981/354 (NSchG) unterfällt (Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2007] 22; 10 ObS 118/15y SSV‑NF 30/16; 10 ObS 104/17t). Die SchwerarbeitsV wurde in weitgehender Anknüpfung an die einschlägigen Tatbestände des NSchG gestaltet. Auch das NSchG regelte und regelt Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer – also unselbständig Erwerbstätige –, die Nachtschicht‑Schwerarbeit leisten. Die ursprüngliche politische Zielsetzung war, Menschen, die unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen (unselbständig) erwerbstätig waren, einen vorzeitigen Pensionsanspruch zu eröffnen (Rainer/Pöltner in SV‑Komm [307. Lfg] § 4 APG Rz 128 ff; zur nur teilweisen Herleitung des Tatbestands des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV vgl dieselben, § 4 APG Rz 138).
[22] 3.4 § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV enthält mehrfach Begriffe des Arbeitszeitrechts („Schichtarbeit“, § 4a AZG; „Arbeitszeit“, § 2 AZG; „Arbeitsbereitschaft“, § 5 AZG; „Arbeitstag“, vgl § 20b Abs 4 AZG, § 19 Abs 6 ARG). Auch dies steht im Einklang mit dem Umstand, dass dieser Tatbestand die Schwerarbeit im Wechsel‑ und Schichtdienst erfasst, der in der Regel von unselbständig Erwerbstätigen ausgeübt wird. Darauf nimmt auch der von den Krankenversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und der beklagten Pensionsversicherungsanstalt erarbeitete „Fragen-Antwort-Katalog“ zur Schwerarbeitsverordnung Bezug:
[23] 3.4.1 Die Antwort auf Frage 4, was unter „Arbeitsbereitschaft“ zu verstehen sei, lautet: „Unter Arbeitsbereitschaft versteht man den Aufenthalt an einem vom Dienstgeber bestimmten Ort mit der Verpflichtung zur jederzeitigen Aufnahme der Arbeit im Bereitschaftsfall. Während der Arbeitsbereitschaft selbst wird jedoch keine Tätigkeit ausgeübt.“ Dies entspricht der Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsbereitschaft (RS0051351, 9 ObA 77/19t; Pöltner/Pacic, ASVG, Bd 6 [108. Lfg] SchwerarbeitsV, Anm 4, unter Zitierung der EB zur Verordnung). Arbeitsbereitschaft ist danach im vollen Ausmaß als Arbeitszeit zu qualifizieren (RS0051351 [T4]). In den Antworten auf Frage 5 werden Beispiele für das Vorliegen einer überwiegenden Arbeitsbereitschaft bei Schicht‑ und Wechseldienst gegeben.
[24] 3.4.2 Frage 6, ob „Rufbereitschaft“ (§ 20a AZG, § 6a ARG) als Arbeitsbereitschaft bzw als Arbeitszeit gelte, wird mit „Nein“ beantwortet und weiter ausgeführt: „Zeiten der Rufbereitschaft (Dienstnehmer/in befindet sich an einem von ihm/ihr gewählten Ort) zählen für die Beurteilung von Schwerarbeit im Sinn der SchwerarbeitsV weder als Arbeitszeit noch als Arbeitsbereitschaft“. Auch nach der Rechtsprechung besteht Rufbereitschaft darin, dass der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber lediglich erreichbar sein muss, wobei er seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden kann (RS0051403 [T1]). Für die Rufbereitschaft ist ein Mischverhältnis zwischen Arbeit und Freizeit charakteristisch (9 ObA 71/04p = DRdA 2006/16 [B. Schwarz]; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, Arbeitszeitgesetz7 § 20a Rz 12). Die mit der Rufbereitschaft verbundenen – etwa persönlichen oder örtlichen – Einschränkungen können zwar in Verbindung mit der Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit des Einsatzes ein derartiges Ausmaß erreichen, dass sich die Rufbereitschaft der Arbeitsbereitschaft annähert (vgl näher Schnittler, Anmerkung zu 8 ObA 61/18f in DRdA 2019/52, 538 [539]). Die bloße Rufbereitschaft ist nach ständiger Rechtsprechung aber gerade nicht als Arbeitszeit im engeren Sinn zu werten (RS0021691 [T1]; Heilegger, AZG § 20a Rz 9). Wird – wie dies bei der Rufbereitschaft der Fall ist – die Zeit des Arbeitnehmers nicht so weit in Anspruch genommen, dass von einer eigentlichen Dienstleistung oder einer gleichwertigen Tätigkeit gesprochen werden könnte, kann für die betreffende Zeit ein geringeres Entgelt als für die eigentliche Arbeitsleistung und sogar Unentgeltlichkeit vereinbart werden (RS0021656; RS0021667; jüngst ausführlich 8 ObA 4/20a).
[25] 3.5 Die Auslegung einer Verordnung hat nach den §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen. Zunächst ist vom Wortsinn im Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung sowie ihrer systematischen Stellung auszugehen. Bei verbleibender zweifelhafter Ausdrucksweise ist der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (RS0008777 [T2]).
[26] Bereits aus dem Wortsinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV ergibt sich nach dem Dargestellten, dass besonders belastende Berufstätigkeiten nach dieser Bestimmung solche sind, die während einer Arbeitszeit, nämlich zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr im Rahmen eines Schicht‑ oder Wechseldienstes geleistet werden, sofern in diese Arbeitszeit nicht überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt.
[27] 4.1 Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 AZG ist Arbeitszeit im Sinn des AZG die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. § 11 Abs 1 AZG normiert, dass die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen ist, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt. Ruhepausen sind daher gerade nicht Arbeitszeit (9 ObA 121/08x), sondern sie sind Unterbrechungen der Arbeitszeit zum Zweck der Erholung der Arbeitnehmer (RS0102995 ua). Eine Ruhepause ist Freizeit des Arbeitnehmers und daher in der Regel nicht in die Arbeitszeit einzurechnen (RS0051930 [T1]). Damit eine Zeit als Ruhepause im Sinn des § 11 Abs 1 AZG anerkannt werden kann, muss sie erstens ihrer Lage nach für den Arbeitnehmer vorhersehbar sein, sich also an einer im Vorhinein definierten zeitlichen Position im Rahmen der Arbeitszeiteinteilung befinden, oder vom Arbeitnehmer innerhalb eines vorgesehenen Zeitraums frei gewählt werden können. Sie muss zweitens echte Freizeit sein: der Arbeitnehmer muss über diese Zeit nach seinem Belieben verfügen können (9 ObA 133/02b; RS0051919 [T3]; RS0102995 [T1]).
[28] 4.2 Nach den Feststellungen muss die Ruhepause von einer halben Stunde in der Nachtschicht (0:00 Uhr bis 8:00 Uhr), bis 6:00 Uhr konsumiert werden. Der Kläger erreichte in diesen Schichten daher nicht die gemäß § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erforderliche Arbeitszeit von mindestens sechs Stunden zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr.
[29] 4.2.1 Die Ruhepause darf nach der Rechtsprechung nicht am Beginn oder am Ende der Arbeitszeit liegen, sie soll dem Erholungsbedarf gerecht werden und ist spätestens nach einer sechsstündigen Arbeitszeit zu gewähren (9 ObA 102/03w; RS0118915). Dass die zeitliche Lage der Ruhepause mit diesen Vorgaben nicht im Einklang stünde, hat der Kläger – zutreffend – nicht behauptet.
[30] 4.2.2 Nach den unbekämpften Feststellungen konsumierte der Kläger „echte“ Ruhepausen; die in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts enthaltenen Wertungen, wonach ein Arbeitnehmer während einer Nachtpause in der Regel den Arbeitsort nicht verlassen könne, während dies bei einer Mittagspause der Fall sei, sodass eine „de facto“‑Anwesenheit „ohne Vorliegen einer überwiegenden Arbeitsbereitschaft“ vorliege, finden in den von ihm getroffenen Feststellungen keine Grundlage.
[31] 4.3 Der von den Vorinstanzen argumentierte Wertungswiderspruch lässt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV nicht begründen:
[32] 4.3.1 Richtig ist, dass unter den Voraussetzungen des § 11 Abs 3 AZG (vollkontinuierliche Schichtarbeit) und § 11 Abs 4 AZG (Nachtschwerarbeit nach dem NSchG) anstelle des in § 11 Abs 1 AZG vorgesehenen Anspruchs auf eine Ruhepause ein Anspruch auf „Kurzpausen“ besteht, wobei diese Kurzpausen gemäß § 11 Abs 6 AZG „als Arbeitszeit gelten“ (vgl dazu näher Klein in Gasteiger/Heilegger/Klein, AZG7 § 11 AZG Rz 9 ff). Einer näheren Auseinandersetzung damit bedarf es im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil der Kläger Kurzpausen nach diesen Bestimmungen nicht konsumierte.
4.3.2 Die bereits vom Erstgericht zitierte Bestimmung des § 6 Bäckereiarbeiter/innengesetz 1996, BGBl 1996/410 lautet:
„§ 6 (1) Die Arbeitszeit ist durch eine Ruhepause von einer halben Stunde zu unterbrechen. Eine Viertelstunde dieser Ruhepause ist in die Arbeitszeit einzurechnen.
(2) Arbeitsbedingte Unterbrechungen und Arbeitsunterbrechungen, die kürzer als eine Viertelstunde dauern, gelten nicht als Ruhepausen.“
[33] Selbst wenn man diese Bestimmung zu Gunsten des Klägers so lesen wollte, dass eine Viertelstunde der Ruhepause im Sinn des § 6 Abs 1 Satz 2 BäckAG nicht bloß in die Arbeitszeit einzurechnen, sondern als Arbeitszeit zu behandeln wäre, genügte dies nicht zum Erreichen einer mindestens sechsstündigen Arbeitszeit in den hier strittigen Nachtschichten. Es kann aus diesem Grund dahingestellt bleiben, ob die gemäß § 6 Abs 1 Satz 2 BäckAG in die Arbeitszeit einzurechnende Ruhepause Schwerarbeit im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV sein könnte.
[34] 4.3.3 Der entscheidende Unterschied zwischen der in § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV vom Verordnungsgeber berücksichtigten Arbeitsbereitschaft und einer (dort nicht genannten) Ruhepause ist wie ausgeführt, dass es sich bei der Arbeitsbereitschaft um – ebenfalls in dieser Bestimmung erwähnte – Arbeitszeit handelt, was bei der Ruhepause nicht der Fall ist. Die Ruhepause dient der Erholung des Arbeitnehmers, sie muss echte Freizeit sein: in einer Ruhepause wird daher gerade keine (auch keine „leichte“) Tätigkeit im Sinn des § 1 SchwerarbeitsV ausgeübt. Bei der (Nacht‑)Arbeitsbereitschaft liegt nur eine scheinbar vergleichbare Situation zu einer Ruhepause vor, hat sich doch der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und muss er bereit sein, die Arbeit jederzeit aufzunehmen. Dem Verordnungsgeber, der bei der Formulierung des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV bewusst Begriffe des Arbeitszeitrechts – insbesondere auch jenen der Arbeitsbereitschaft – verwendete, kann nicht unterstellt werden, dass er die insbesondere auch im AZG enthaltenen Regelungen über Ruhepausen „übersehen“ hätte. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Regelungen des § 11 Abs 3 und 4 AZG im Wesentlichen bereits mit Art III NSchG (damals: § 11 Abs 3 und 5 AZG) geschaffen wurden (vgl BGBl 1981/354). Gerade der Umstand, dass der Verordnungsgeber eine bis zu dreistündige (!) Arbeitsbereitschaft während der Nacht ausdrücklich als Schwerarbeit akzeptiert, weil der eigentlich belastende Moment dieses Tatbestands der Wechsel von Nacht‑ und Tagdiensten ist, spricht dagegen, dass er „übersehen“ hätte, darüber hinaus auch noch echte Ruhepausen, in denen Freizeit konsumiert wird, als Schwerarbeit zu qualifizieren.
[35] 4.4 Ergebnis: Bei der Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV sind echte Ruhepausen zumindest in dem Umfang, in dem sie weder gesetzlich als Arbeitszeit gelten oder in die Arbeitszeit einzurechnen sind, nicht als Zeiten einer Tätigkeit zu berücksichtigen.
[36] 5.1 Daraus folgt, dass die vom Kläger geleisteten, um 0:00 Uhr beginnenden Nachtschichten, in denen er bis 6:00 Uhr eine Ruhepause von einer halben Stunde konsumierte, keine Schwerarbeitstage im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV begründeten, weil der Kläger in diesen Schichten – selbst unter Berücksichtigung der Einrechnung einer Viertelstunde als Arbeitszeit im Sinn des § 6 Abs 1 Satz 2 BäckAG – nicht Tätigkeiten während einer Arbeitszeit von zumindest sechs Stunden ausgeübt hat. Einer weiteren Auseinandersetzung mit der Frage, ob in solchen Zeiten während des Urlaubs „fiktiv“ Schwerarbeit geleistet worden wäre (vgl RS0126110), bedarf es daher nicht.
[37] 5.2 Der Revision war daher Folge zu geben. Der angefochtene Bescheid war in dem Umfang wiederherzustellen, in dem 37 Monate als Schwerarbeitsmonate von der Beklagten anerkannt wurden. Die Beklagte anerkannte weitere 40 Monate als Schwerarbeitsmonate im Verfahren erster Instanz (ON 9). Von diesen waren allerdings lediglich 39 Monate als weitere Schwerarbeitszeiten festzustellen, weil die Feststellung des von der Beklagten anerkannten Monats Februar 2009 als Schwerarbeitszeit vom Kläger weder in der Klage noch im Verfahren erster Instanz begehrt wurde. Schließlich waren die in der Berufung der Beklagten anerkannten Monate August 2006 und Mai 2014 als weitere Schwerarbeitsmonate festzustellen. Das Mehrbegehren auf Feststellung der weiteren, von der Beklagten bestrittenen und bereits dargestellten Schwerarbeitsmonate war hingegen abzuweisen.
[38] 5.3 Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ist eine Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 2 Abs 1 ASGG, § 502 Abs 1 ZPO abhängig, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen (RS0085871). Für die Revisionsbeantwortung gebührt gemäß § 23 Abs 3 RATG ein Einheitssatz von lediglich 60 %.
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