OGH 9Ob59/22z

OGH9Ob59/22z24.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Mag. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Riedmüller & Mungenast Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei N*, vertreten durch Mag. Emelie Durnes, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen Ehegattenunterhalt, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. Mai 2022, GZ 4 R 62/22d‑31, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 8. Februar 2022, GZ 41 C 4/21g‑23, Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00059.22Z.1124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 377,50 EUR (darin enthalten 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Parteien schlossen am 16. 6. 2007 die Ehe. Ende Mai 2016 zog die Klägerin aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung aus, nachdem sie der Beklagte vorsätzlich am Körper verletzt hatte. Die Klägerin bezieht Notstandshilfe in Höhe von 12,98 EUR täglich und Mindestsicherung. Sie bemüht sich, eine Anstellung zu finden. Der Beklagte erhält von der Pensionsversicherung monatlich 1.312,31 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus einer Pension von 559,31 EUR und einer Ausgleichszulage von 457,46 EUR 14 mal jährlich zusammen. Von diesen Beträgen wird ein Krankenversicherungsbeitrag von 51,86 EUR in Abzug gebracht. Zusätzlich erhält der Beklagte 12 mal jährlich eine Heimopferrente von 347,40 EUR.

[2] Die Klägerin begehrt, den Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Ehegattenunterhalts in Höhe von 346,55 EUR beginnend mit 1. 4. 2021 zu verpflichten.

[3] Der Beklagte bestreitet und bringt vor, dass die Klägerin die gemeinsame Wohnung verlassen habe und sich in einer neuen Beziehung befinde. Es sei ihr möglich, eine Anstellung zu finden und selbst für ihren Unterhalt zu sorgen.

[4] Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin ab 1. 4. 2021 einen monatlichen Ehegattenunterhalt von 216,65 EUR jeweils am Monatsersten zu zahlen. Das Mehrbegehren wies es ab. Es ging davon aus, dass die Heimopferrente nicht als Einkommen des Beklagten zu berücksichtigen sei. Bei der Klägerin sei der Bezug der Mindestsicherung aufgrund ihres subsidiären Charakters ebenfalls nicht im Rahmen der Unterhaltsbemessung als Einkommen heranzuziehen. Ausgehend vom Familieneinkommen, Invaliditätspension und Ausgleichszulage des Beklagten sowie Notstandshilfebezug der Klägerin, habe die Klägerin einen Anspruch auf 40 %, sohin 216,65 EUR.

[5] Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsabweisenden Teil der Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin Folge und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass der Beklagte verpflichtet werde, der Klägerin monatlich 346,55 EUR zu zahlen. Die Heimopferrente sei in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen. Nach § 2 Abs 1 Heimopferrentengesetz (HOG) sei ein Ersatz des Verdienstentgangs nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) auf die Heimopferrente anzurechnen. Auch sei die Rentenleistung bei Änderung der Höhe des Ersatzes eines Verdienstentgangs neu zu bemessen. Das spreche dafür, dass auch die Heimopferrente einen Ersatz des Verdienstentgangs bezwecke. Auch die Unpfändbarkeit spreche nicht gegen eine Einbeziehung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage. Davon ausgehend erhöhe sich das Familieneinkommen um die vom Beklagten bezogene Rente. Der 40%ige Unterhaltsanspruch abzüglich Eigeneinkommens der Klägerin liege damit über dem geforderten Unterhaltsbetrag, weshalb der Klage zur Gänze stattzugeben sei.

[6] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage der Einbeziehung von Leistungen nach dem HOGin die Unterhaltsbemessungsgrundlage keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] 1. Der Beklagte wendet sich ausschließlich gegen die Einbeziehung der Heimopferrente in die Bemessungsgrundlage. Es handle sich dabei nicht um Einkommen, sondern um eine soziale Entschädigungsleistung. Auch aus der Anrechenbarkeit von Leistungen nach dem VOG auf Leistungen nach dem HOG könne nicht darauf geschlossen werden, dass Renten nach dem HOG einen Ersatz des Verdienstentgangs bezweckten. Die Heimopferrente diene dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands, der durch die Zufügung von Gewalt entstanden sei.

[11] 2. Nach ständiger Rechtsprechung stehen dem unterhaltsberechtigten Ehepartner, der selbst über ein Einkommen verfügt, rund 40 % des Familieneinkommens unter Abzug der eigenen Einkünfte zu (RS0009722; RS0012492; RS0111994).

[12] 3. Grundlage für die Bemessung des Unterhalts ist in erster Liniedas Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen, also die Summe aller dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zufließenden Mittel unter Berücksichtigung unterhaltsrechtlich beachtlicher Abzüge und Aufwendungen (RS0003799; RS0013386).

[13] Zum als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienenden Einkommen zählen alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen, über die er verfügen kann. Ausgenommen sind solche Einnahmen, die der Abgeltung von effektiven Auslagen dienen (RS0107262). Öffentlich‑rechtliche Leistungen sind grundsätzlich in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (RS0047456; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 271 mwN). Die in der Leistung liegende Zweckbestimmung allein führt noch nicht zum Ausscheiden aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Deshalb werden auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen oder nach den gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind, als Einkommen des Unterhaltspflichtigen qualifiziert und bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs berücksichtigt (RS0047456 [T5]). Die Zweckwidmung einer Sozialleistung für Aufwendungen des Allgemeinbedarfs steht der Einbeziehung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht entgegen (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 12).

[14] 4. Das Bundesgesetz betreffend die Rentenleistung für Opfer von Gewalt in Heimen (Heimopferrentengesetz – HOG) regelt die Leistung einer Rente durch den Bund an Opfer, die in Heimen des Bundes, der Länder und der Kirchen oder in Pflegefamilien nach dem 9. 5. 1945 bis zum 31. 12. 1999 Gewalt erlitten haben (§ 1 Abs 1 HOG).

[15] In einem Erkenntnis vom 3. 10. 2018, G 189/2018, nahm der Verfassungsgerichtshof dazu Stellung, ob die Heimopferrente auf die Entschädigung erlittener materieller und immaterieller Schäden oder auf die Fürsorge zur Sicherung bestimmter Lebensbedürfnisse gerichtet ist. Dabei führte er zusammengefasst aus, dass die Heimopferrente sich nicht anhand tatsächlich erlittener Schäden bemesse, sondern für jeden Betroffenen in gleicher Höhe bestimmt sei. Dem Pauschalbetrag von 300 EUR monatlich liege die Berechnung zugrunde, dass damit der Personengruppe der Heimopfer iSd § 1 HOG im Pensionsalter (oder zuvor in der Eigenpension) eine finanzielle Versorgung gesichert sein solle, wie sie der Durchschnittspension in Österreich entspreche. Demgemäß sei in § 2 Abs 1 zweiter Satz HOG vorgesehen, dass gewährte Zahlungen aus Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz auf die Heimopferrente anzurechnen seien und diese entsprechend mindern. Auch daran zeige sich, dass die Heimopferrente auf den Ausgleich einer allfälligen Schlechterstellung von Heimopfern in der Pension gerichtet sei. Es handle sich daher um eine dem Lebensunterhalt dienende Transferleistung ab Ende der Erwerbstätigkeit bzw für die Dauer eingeschränkter Erwerbsfähigkeit von Gewaltopfern. Die Heimopferrente ziele nicht auf den Ersatz von erlittenen (im‑)materiellen Schäden ab, sondern sei eine pauschale, zusätzliche Rente für eine vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig erachtete Personengruppe.

[16] Dem schloss sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 103/21a an.

[17] 5. Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, zeigt auch der Umstand, dass ein nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) wegen einer Schädigung in einem Heim, in Pflegefamilien oder in einer Krankenanstalt oder vergleichbaren Einrichtung erbrachter Ersatz des Verdienstentgangs samt einer einkommensabhängigen Zusatzleistung nach § 2 Abs 1 HOG auf die Heimopferrente anzurechnen ist und die Rentenleistung bei Änderung der Höhe eines solchen Ersatzes neu zu bemessen ist, dass auch mit der Rentenleistung nach dem HOG ein Ersatz des Verdienstentgangs bezweckt ist (so auch Neuhauser in Schwimann/Neumayr, Taschenkommentar, § 231 Rz 136).

[18] Dem Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass zwischen Leistungen nach dem HOG und dem VOG grundsätzlich Unterschiede bestehen. So hat auch der Verfassungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung dargelegt, dass die Zuerkennung von Leistungen nach § 2 VOG nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen erfolgt und die Wiedergutmachung tatsächlich entstandener Schäden von Verbrechensopfern bezweckt, wohingegen die Heimopferrente auf die Sicherung des Lebensunterhalts gerichtet ist und anspruchsberechtigten Personen unabhängig von der Beurteilung der tatsächlichen Höhe des entstandenen Schadens ab Pensionsalter bzw ‑bezug gewährt wird.

[19] Das ändert aber nichts daran, dass auch die Leistung nach dem HOG im Ergebnis darauf abzielt, einen aus der Erfahrung von Gewalt als Kind oder Jugendlicher resultierenden Einkommensnachteil auszugleichen, wobei die finanzielle Versorgung durch die Gewährung eines pauschalen Ersatzes gesichert werden soll, ohne dass es des Nachweises eines konkreten Schadens bedarf.

[20] 6. Entgegen der Revision dient die Heimrente gerade nicht zur Abdeckung eines Sonderbedarfs, also aus der erlittenen Gewalt resultierender höheren Aufwendungen. Insofern ist die Heimopferrente auch nicht dem Pflegegeld vergleichbar, das den Zweck hat, in Form eines Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, und pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen (§ 1 Bundespflegegeldgesetz) und damit ausschließlich der pauschalierten Abgeltung des Sonderbedarfs pflegebedürftiger Personen dient, weshalb es nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist (RS0013251).

[21] 7. Durch die Heimopferrente soll vielmehr eine Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation erreicht werden. Gerade daraus ergibt sich aber auch, dass die Heimopferrente unterhaltsrelevant ist, hat dochjeder Ehegatte Anspruch darauf, an den Lebensverhältnissen des anderen teilzuhaben.

[22] 8. Zwar bestimmen § 2 Abs 1 und 3 HOG, dass die Rentenleistung nach dem HOG weder als Einkommen im Sinne der Sozialversicherungs‑ und Sozialentschädigungsgesetze sowie der sonstigen bundesgesetzlichen Regelungen noch als Einkommen nach den Mindestsicherungsgesetzen der Länder und den sonstigen landesgesetzlichen Regelungen gilt. Damit wird jedoch nur klargestellt, dass die Rentenleistung zusätzlich zu sonstigen Leistungen gebührt (vgl Pinggera/Körner, Das Heimopferrentengesetz – Überblick und Ausblick, in Brameshuber/Aschauer [Hrsg] Sozialversicherungsrecht Jahrbuch 2019, 171 [174]). Eine Aussage darüber, dass diese gerade dem Lebensunterhalt des einen Ehegatten dienende Transferleistung nicht in die Unterhaltsbemessung für den anderen Ehegatten einzubeziehen wäre, wird damit nicht getroffen.

[23] 9. Zutreffend hat auch bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Unpfändbarkeit kein Argument für die Ausscheidung der Heimopferrente aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage darstellt (vgl zu anderen unpfändbaren Bezügen: RS0003799 [T2, T5, T15]). Warum dies nur für den Kindesunterhalt und nicht den Unterhalt während aufrechter Ehe gelten soll, führt auch die Revision nicht näher aus.

[24] 10. Zusammenfassend ist die Heimopferrente als tatsächliches Einkommen des Unterhaltsschuldners in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen.

[25] 11. Gegen die Richtigkeit der Berechnung des Unterhaltsanspruchs durch das Berufungsgericht wendet sich die Revision nicht. Darauf muss daher nicht weiter eingegangen werden.

[26] 12. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[27] 13. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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