OGH 9ObA11/22s

OGH9ObA11/22s24.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Univ.‑Prof. DI Hans Lechner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Schlitzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W* GmbH, *, 2. V* GmbH, *, beide vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, in eventu Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2021, GZ 8 Ra 41/21i‑15, mit dem der Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 12. Jänner 2021, GZ 40 Cga 61/19m‑11, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00011.22S.1124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:

„1. Das Klagebegehren, die durch die beklagten Parteien am 16.9.2019 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Dienstverhältnisses wird für rechtsunwirksam erklärt in eventu als rechtswidrig aufgehoben, wird abgewiesen.

2. Das Eventualbegehren, es werde festgestellt, dass das zwischen der klagenden und den beklagten Parteien bestehende Dienstverhältnis über den 31.8.2020 hinaus aufrecht fortbesteht, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien je die Hälfte der mit 1.818,97 EUR (darin enthalten 303,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie der mit 2.032,14 EUR (darin enthalten 337,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu zahlen.“

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien je die Hälfte der mit 1.463,03 EUR (darin enthalten 243,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei den Beklagten beginnend mit 1. 9. 2005 laufend im Rahmen von jeweils auf ein Jahr befristeten Bühnendienstverträgen als Balletttänzer, zuletzt als Solist beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind das Theaterarbeitsgesetz (TAG) und der Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater-Holding (Bundestheater-Holding GmbH und deren Tochtergesellschaft), Bundestheater-Ballettkollektivvertrag, anzuwenden.

[2] Mit Schreiben vom 13. 9. 2019 gaben die Beklagten nach vorangehender Verständigung des Betriebsrats eine Nichtverlängerungserklärung nach § 27 TAG zum 31. 8. 2020 ab. Der Betriebsrat hatte keinen Widerspruch erhoben.

[3] Die Entscheidung für die Nichtverlängerung erfolgte durch den neuen Ballettdirektor, der eine geänderte Ausrichtung zu modernem Tanz anstrebt.

[4] Das auf Anfechtung der Nichtverlängerungserklärung nach § 105 ArbVG gerichtete Hauptbegehren des Klägers wurde rechtskräftig abgewiesen.

[5] Eventualiter begehrt der Kläger – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. 8. 2020 hinaus. Zwischen den Parteien bestehe ein durchgehendes, auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dienstverhältnis. Die einzelnen Verträge seien zwar nach § 24 TAG auf ein Spieljahr befristet abgeschlossen und jeweils stillschweigend um ein weiteres Spieljahr verlängert worden. Dies stelle jedoch eine unzulässige Kettenbefristung dar, für die es nach der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB‑UNICE‑CEEP‑Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs‑RL) einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten nicht vor.

[6] Die Beklagten bestritten und brachten vor, die Beendigung des Dienstverhältnisses sei zulässig und sachlich gerechtfertigt. Die Aneinanderreihung von Dienstverhältnissen im Anwendungsbereich des TAG sei nach der Judikatur im Hinblick auf das Abwechslungsbedürfnis des Publikums und die in Theaterunternehmen erforderliche Flexibilität bei der Rollenbesetzung zulässig. Dies müsse insbesondere für den Fall eines Intendantenwechsels mit neuer künstlerischer Ausrichtung gelten. Der Theaterunternehmer habe ein besonderes Interesse an der Anpassung der Belegschaft an den Spielplan. Die Nichtanerkennung dieses Interesses stelle einen eklatanten Verstoß gegen den grundrechtlich abgesicherten Grundsatz der Freiheit der Kunst und den in § 2 Abs 4 und 5 BThOG definierten kulturpolitischen Auftrag der Beklagten dar. Der Kläger werde den durch die Neuausrichtung des Balletts geänderten künstlerischen Anforderungen technisch und physisch nicht gerecht. Hinzu komme, dass Balletttänzer je nach körperlicher Konstitution zwischen dem 35. und dem 45. Lebensjahr ohnehin aus dem aktiven Ballettdienst ausscheiden. Die Notwendigkeit einer beruflichen Neuorientierung zu diesem Zeitpunkt sei jedem Tänzer bewusst. Vor diesem Hintergrund sei die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses anlässlich eines Intendantenwechsels auch aus unionsrechtlicher Sicht unbedenklich.

[7] Das Erstgericht gab dem Begehren auf Feststellung des Bestehens des aufrechten Dienstverhältnisses statt. Es ging davon aus, dass mehrfach befristete Bühnenarbeitsverträge der Befristungs‑RL unterlägen. Die Richtlinie sei zwar nicht unmittelbar anwendbar und in Österreich nur teilweise umgesetzt. Der Gesetzgeber habe zur Beschränkung von Kettenarbeitsverträgen auf § 879 ABGB als gleichwertige gesetzliche Maßnahme verwiesen. Die demzufolge notwendige sachliche Rechtfertigung für die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse liege beim Kläger aber nicht vor. Das führe zur Teilnichtigkeit der Befristungsabrede und damit zu einem durchgehenden Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen diese Entscheidung nicht Folge. Das Befristungs‑ und Beendigungssystem nach den §§ 24, 27 TAG lasse Kettenbefristungen ex lege entstehen. Auch diese fielen aber in den Anwendungsbereich der Befristungs‑RL. Zur Umsetzung der Befristungs‑RL in das österreichische Recht sei zur Missbrauchskontrolle die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen. Diese gelte auch für den Bereich des TAG. Danach sei eine wiederholte Befristung nur bei sachlicher Rechtfertigung zulässig. Bei der über 15 Jahre dauernden Beschäftigung des Klägers sei von der Deckung eines ständigen Bedarfs auszugehen, die eine Befristung nicht rechtfertigen könne. Ein Abwechslungsbedürfnis des Publikums bestehe allenfalls bei Hauptrollen, nicht jedoch bei „normalen“ Mitgliedern des Corps de Ballett. Auch eine auf einen neuen Spielplan gegründete künstlerische Rechtfertigung scheitere, weil diese nur die Beendigung des Vertrags betreffen könne, auf die Teilnichtigkeit der bisherigen Befristungen jedoch keinen Einfluss habe. Allfällige finanzielle Auswirkungen stellten keinen Eingriff in die Freiheit der Kunst dar.

[9] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Klärung der Frage zugelassen, ob die Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG der Befristungs‑RL Stand halten, was für die gesamte Theaterbranche von erheblicher Bedeutung sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurück‑, in eventu abzuweisen.

[12] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Das Dienstverhältnis zwischen den Parteien unterliegt unstrittig dem Theaterarbeitsgesetz (TAG) und dem Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater-Holding (Bundestheater-Holding GmbH und deren Tochtergesellschaft), Bundestheater-Ballettkollektivvertrag (im weiteren: KV).

[14] Nach § 24 TAG endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen worden ist (Abs 1). Ist es für eine oder mehrere Spielzeiten (Spieljahr, Bühnenjahr) eingegangen worden, so ist die Dauer einer Spielzeit im Zweifel mit 12 Monaten anzunehmen (Abs 2). Ist das Arbeitsverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen worden, so endet es mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit (Abs 3). Der/Die Theaterunternehmer/in kann sich auf eine Vereinbarung nicht berufen, nach der nur er/sie den Vertrag durch einseitige Erklärung auflösen oder über die vereinbarte Zeit hinaus verlängern kann (Abs 4).

[15] § 27 TAG sieht vor, dass der/die Theaterunternehmer/in, wenn das Bühnenverhältnis für bestimmte Zeit oder mindestens für ein Jahr eingegangen worden ist, dem Mitglied bis zum 31. Jänner des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitzuteilen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird. Unterbleibt die Mitteilung oder erfolgt sie verspätet, gilt das Arbeitsverhältnis für ein weiteres Jahr verlängert, sofern das Mitglied dem/der Theaterunternehmer/in nicht bis spätestens zum 15. Februar des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitteilt, dass es mit einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden ist.

[16] War das Mitglied durch mehr als fünf aufeinanderfolgende Jahre in einem Ballett der Bundestheater beschäftigt, muss nach § 10 Abs 2 KV die Verständigung seitens des Dienstgebers, um mit Ablauf der laufenden Spielzeit wirksam zu sein, spätestens bis zum 15. Oktober dieser Spielzeit zugehen.

[17] Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das TAG ebenso wie zuvor das Schauspielergesetz (SchSpG) und der KV vom auf ein Jahr bzw eine Spielzeit befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgehen (vgl Feil/Wennig, Bühnenrecht, Rn 52; Bammer, Die Beendigung von Bühnenarbeitsverträgen, ecolex 2011, 192; zum SchSpG 9 ObA 100/06f).

[18] Dass die in Gesetz und KV normierten Voraussetzungen und Termine bei Abgabe der Nichtverlängerungserklärung von den Beklagten eingehalten wurden, ist nicht strittig.

[19] 2. Der Oberste Gerichtshof war bereits wiederholt mit der Frage der Rechtsnatur der Nichtverlängerungserklärung befasst. Zuletzt wurde in der Entscheidung 8 ObA 68/20p im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung zusammenfassend ausgeführt:

„Kündigung und Befristung schließen einander – jedenfalls mangels besonderer Vereinbarung – grundsätzlich aus (9 ObA 88/94; 9 ObA 22/18b [Pkt 2]; Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG [2017] § 19 Rz 85 mwN). Die Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht als Kündigung im Sinne einer einseitigen auf Beendigung eines unbefristeten Dienstverhältnisses gerichteten Willenserklärung zu verstehen, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrags nach Ablauf der Befristung (4 Ob 89/64 = SZ 37/153; 9 ObA 254/89; 9 ObA 10/91; 9 ObA 330/98i = DRdA 2000/4 [zust Holzer]; 9 ObA 81/99y = DRdA 2000/1 [abl Jabornegg]; 8 ObA 99/03x; jüngst 9 ObA 22/18b [Pkt 2]; weitere Rspr‑Nachweise bei RS0063980).

Dieser Grundsatz wurde insbesondere zu Nichtverlängerungsklauseln in Kollektivverträgen im Theaterbereich sowie zur Bestimmung des § 32 des vormaligen SchSpG, BGBl 1922/441, entwickelt. An ihm sollte sich durch die Nachfolgebestimmung des § 27 TheaterarbeitsG (TAG), BGBl I 2010/100, und die unter einem erfolgte Novellierung des § 133 Abs 4 ArbVG (Art 3 Z 3 Theateranpassungsgesetz 2010) nach dem Willen des Gesetzgebers nichts ändern. Vielmehr ist nach den Gesetzesmaterialien auch die Nichtverlängerungsanzeige nach § 27 TAG ′nach wie vor keine Kündigungserklärung, sondern eine bloße Bekräftigung der durch den Arbeitsvertrag bzw durch das TAG vorgesehenen Beendigung durch Fristablauf‘. Eine Anfechtung der Nichtverlängerungserklärung in analoger Anwendung der §§ 105 ff ArbVG schließen die ErläutRV zudem explizit aus (ErläutRV 936 BlgNR 24. GP  14, 17).“

[20] Die Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung stellt demnach nach ständiger Judikatur keine Kündigung eines bestehenden (unbefristeten) Dienstvertrags sondern die Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrags über das Befristungsende des vorangehenden Vertrags hinaus dar.

[21] 3. Mit der Richtlinie 1999/70/EG des Rates über befristete Dienstverträge vom 28. 6. 1999 (Befristungs‑RL) wurde die EGB‑UNICE‑CEEP‑Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse vom 18. 3. 1999 übernommen. Das erklärte Ziel dieser Richtlinie gemäß § 1 der Rahmenvereinbarung ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert (vgl 9 ObA 222/02s).

[22] Die Revision argumentiert, dass die Befristungs‑RL entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht auf die befristeten Dienstverhältnisse nach dem TAG anwendbar sei, weil eine Befristung nach § 3 der Richtlinie nur dann vorliege, wenn das Ende eines Arbeitsverhältnisses durch objektive Bedingungen bestimmt sei. Da aber nach § 27 TAG ein Ende des Dienstverhältnisses nur eintrete, wenn der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungserklärung abgebe, liege keine Befristung im Sinn des Unionsrechts vor.

[23] Nach § 3 Abs 1 der Befristungs‑RL ist ein „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.

[24] Der EuGH hat zur Auslegung dieser Definition dahin Stellung genommen, dass die Gefahr bestünde, das Ziel, den Zweck und die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung zu beeinträchtigen, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass nur deswegen keine aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse im Sinne von § 5 der Rahmenvereinbarung vorlägen, weil der erste befristete Arbeitsvertrag des betroffenen Arbeitnehmers automatisch und ohne formalen schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge verlängert wurde. Bei einer derart restriktiven Definition des Begriffs „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse“ könnten Arbeitnehmer über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen beschäftigt werden.

[25] Er ortete auch die Gefahr, dass eine derart restriktive Auslegung nicht nur dazu führt, dass eine große Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse von der Richtlinie ausgeschlossen würde, sondern auch, dass es den Arbeitgebern ermöglichen würde, solche Arbeitsverhältnisse in missbräuchlicher Weise zur Deckung eines ständigen und dauernden Arbeitskräftebedarfs zu nutzen. Der Begriff der „Dauer“ des Arbeitsverhältnisses sei ein wesentlicher Bestandteil jedes befristeten Vertrags. Nach § 3 Nr 1 der Rahmenvereinbarung „werde das Ende des Vertrags durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt“. Die Änderung eines Enddatums eines befristeten Arbeitsvertrags stelle somit eine wesentliche Änderung dieses Vertrags dar, die zu Recht dem Abschluss eines neuen, auf das frühere Arbeitsverhältnis folgenden befristeten Arbeitsverhältnisses gleichgestellt werden könne und somit in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle. Ausgangspunkt dieser Ausführungen waren wiederholte Verlängerungen der Befristung im Hinblick auf wiederholte Ausschreibungsverfahren (EuGH C‑726/19 , Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario,Rn 35 ff, ECLI:EU:C:2021:439). Auch die automatische Verlängerung eines ursprünglich befristeten Vertrags, die sich aus Gesetzgebungsakten ergebe, ohne schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge wurde als der Richtlinie unterliegend angesehen (EuGH C‑760/18 , M.V. ua, Rn 44 ff, ECLI:EU:C:2021:113).

[26] Grundsätzlich überlässt § 5 Nr 2 der Befristungs‑RL es aber den Mitgliedstaaten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge und ‑verhältnisse als aufeinanderfolgend bzw als unbefristet zu betrachten sind (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 81, ECLI:EU:C:2006:443; vgl auch Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 19 Rz 37 mwN).

[27] Wie dargelegt geht die österreichische Rechtsprechung davon aus, dass Rechtsverhältnisse nach § 24 TAG befristet sind. Bei Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen von befristeten Arbeitsverträgen iSd Richtlinie ist aber auch auf die Ergänzung des § 24 TAG durch dessen § 27 Bedacht zu nehmen, der nominell zwar den Zeitablauf, aber als zwingend notwendiges Beendigungserfordernis eine subjektive Bedingung statuiert. Ohne die Abgabe einer auf Beendigung gerichteten Willenserklärung der einen oder anderen Vertragspartei bleibt das Bühnenarbeitsverhältnis ex lege gerade nicht nur bis zum nächsten Frist- oder Spielzeitende iSd § 24 TAG, sondern so lange aufrecht, bis ein Vertragsteil irgendwann erklärt, es tatsächlich beenden zu wollen. Den Beklagten ist zuzugestehen, dass diese vom Gesetz geforderte Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ansonsten er sich (befristet) verlängert, die Situation von Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis §§ 24, 27 TAG unterliegt, der von Arbeitnehmern, die jederzeit ohne Begründung unter Einhaltung bestimmter Termine und Fristen gekündigt werden können, annähert.

[28] Die Rechtsprechung des EuGH spricht dessen ungeachtet dafür, dass auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Abs 1 der Befristungs‑RL als befristet und iSd § 5 Abs 1 der Befristungs‑RL als aufeinanderfolgend zu beurteilen sind. Diese Einschränkung der nationalen Gestaltungsbefugnis über § 3 der RL hinaus wurde vom EuGH aus dem Ansatz der Vermeidung von Missbrauch und dem Ansatz eines Beendigungsschutzes gewählt (Bedeutung „stabiler“ Arbeitsverhältnisse). Angesichts der in Österreich im Regelfall ohne besonderen Grund jederzeit möglichen Kündigung von Dienstverhältnissen ist eine konkrete Gefahr eines „Missbrauchs“ durch die Einhaltung des TAG nicht evident. Für die bei Nichtverlängerungserklärungen verschlossene Möglichkeit einer Anfechtung gemäß § 105 ArbVG gilt, dass sie auch gekündigten unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe).

[29] 4. Lässt man offen, ob die Richtlinie anwendbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so ist zu beurteilen, ob die Regelungen des TAG mit den Grundsätzen der Richtlinie in Einklang stehen.

[30] Die Befristungs‑RL geht von der Prämisse aus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind. Gleichzeitig wird aber anerkannt, dass befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigung in bestimmten Branchen oder für bestimmte Berufe und Tätigkeiten charakteristisch sind. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine oder mehrere der in § 5 Nr 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen zu erlassen, um die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen wirksam zu verhindern (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 61, 65, 79 ECLI:EU:C:2006:443), sofern ihr innerstaatliches Recht keine „gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen“ zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs umfasst. Die Mitgliedstaaten können nach § 5 Nr 1 lit a bis c der Befristungs‑RL die Zulässigkeit einer mehrfachen Befristung vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig machen, sie können eine maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse oder die zulässige Zahl der Verlängerungen festlegen. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die verschiedenen, darin angeführten Maßnahmen als „gleichwertig“ angesehen werden. Somit wird in § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL mit der Verwendung „gleichwertig gesetzliche Maßnahmen“ auf alle Maßnahmen des nationalen Rechts abgestellt, die wie die in diesen Paragraphen genannten Maßnahmen die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen auf effektive Weise verhindern sollen (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 74 ff, ECLI:EU:C:2009:250). Die Mitgliedstaaten verfügen nach dieser Bestimmung über einen Spielraum dabei, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenken, was jedoch unter der Bedingung steht, dass sie das gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Ergebnis gewährleisten (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 80, ECLI:EU:C:2009:250).

[31] 5. Das Kriterium „Vorliegen eines sachlichen Grundes“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH so zu verstehen, dass damit genau bezeichnete, konkrete Umstände gemeint sind, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung solche Verträge geschlossen wurden, und deren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben. Hingegen entspräche eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränken würde, den Rückgriff aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht diesen Erfordernissen. Einer solchen rein formalen Vorschrift lassen sich nämlich keine objektiven und transparenten Kriterien für die Prüfung entnehmen, ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Eine solche Vorschrift birgt somit die konkrete Gefahr eines missbräuchlichen Rückgriffs auf derartige Verträge in sich und ist daher mit dem Ziel und der praktischen Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung unvereinbar (EuGH, C‑16/15 , López, Rn 38 ff mwN, ECLI:EU:C:2016:679 ua).

[32] Würde zugelassen, dass eine nationale Vorschrift von Gesetzes wegen oder ohne weitere Präzisierung aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge rechtfertigen kann, so liefe dies auf eine Missachtung der Zielsetzung der Rahmenvereinbarung, mit der Arbeitnehmer gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse geschützt werden sollen, und auf eine Aushöhlung des Grundsatzes hinaus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungs-verhältnisses sind (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 73, ECLI:EU:C:2006:443).

[33] 6. In der Entscheidung Sciotto (EuGH C‑331/17 , ECLI:EU:C:2018:859) hatte der EuGH die Vereinbarkeit der Befristungs‑RL mit nationalen (konkret italienischen) Regelungen, die das Aufeinanderfolgen mehrerer befristeter Verträge im Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester, im Anlassfall einer als Balletttänzerin beschäftigten Arbeitnehmerin, zulassen, zu beurteilen.

[34] Vom EuGH wird dazu festgehalten, dass die Regelung keine den in § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen gleichwertige gesetzliche Maßnahme vorsehe, weshalb zu prüfen sei, ob der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden könne (Rn 37). Zusammengefasst kam er zu dem Ergebnis, dass allein der Umstand, dass in einem bestimmten Tätigkeitsbereich traditionell befristete Verträge abgeschlossen würden, mit der Befristungs‑RL nicht in Einklang zu bringen sei, sondern eindeutig dem Ziel der Richtlinie, nämlich festen Arbeitsverhältnissen, zuwiderlaufe. Zum Argument der Besonderheit, die dem Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester eigen sei, treffe es zu, dass die jährliche Programmplanung künstlerischer Vorstellungen für den Arbeitgeber zwangsläufig einen zeitweiligen Einstellungsbedarf mit sich bringe. Die vorübergehende Einstellung eines Arbeitnehmers, um einen provisorischen und spezifischen Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken, könne grundsätzlich einen sachlichen Grund iSd § 5 Nr 1 lit a der Befristungs‑RL darstellen. Es sei jedoch nicht zulässig, dass befristete Arbeitsverträge für die Zwecke der permanenten und dauerhaften Erledigung von Aufgaben in den in Rede stehenden kulturellen Einrichtungen, die zur normalen Tätigkeit des Tätigkeitsbereichs der Stiftungen für Oper und Orchester gehörten, verlängert werden könnten. Die Beachtung des § 5 Nr 1 lit a der Richtlinie verlange, dass konkret überprüft werde, ob die Verlängerung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen darauf abziele, einen vorübergehenden Bedarf zu decken (vgl Rn 44, 46, 49, 50).

[35] Aus den Akten gehe nicht hervor, inwiefern die künstlerischen Aufführungen, für die die Verträge der Klägerin des Ausgangsverfahrens geschlossen wurden, besonders gewesen wären, und auch nicht, aus welchem Grund sie zu einem vorübergehenden Personalbedarf geführt hätten (Rn 51–54).

7. Umgelegt auf die österreichische Rechtslage war dazu Folgendes zu erwägen:

[36] 7.1. Das TAG schränkt die spezifischen Regelungen betreffend die Befristung der Arbeitsverhältnisse auf die übliche Spielzeit (§ 24 Abs 3 TAG) auf Arbeitsverhältnisse von Personen ein, die sich einem Theaterunternehmen zur Leistung künstlerischer Arbeiten verpflichtet haben (§ 1 Abs 1 TAG). §§ 24, 27 TAG sehen nicht nur die Zulässigkeit aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse vor, sondern ist die Befristung nach der gesetzlichen Konzeption sogar der Regelfall. Als Umsetzung der Richtlinie iSd § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL genannten Maßnahmen kommt insoweit nur das Vorliegen eines sachlichen Grundes in Betracht. Es stellt sich also die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, bei künstlerischen Arbeiten eine Befristung auf die übliche Spielzeit vorzunehmen, etwa weil damit den Regisseuren eine Neubesetzung mit den ihrer Ansicht nach den Rollen entsprechenden Persönlichkeiten erfolgen soll (vgl auch EuGH Rs Sciotto Rn 48; zur Zulässigkeit der Befristungen auch bei begrenzten „wissenschaftlichen“ Aufgaben EuGH C‑190/13 Samohano, Rn 55 und zuletzt zu § 109 UG 8 ObA 21/22d).

[37] Ob dieses Konzept insbesondere auch für Chöre und Ballette als künstlerische Tätigkeiten tragfähig ist, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Beurteilung.

[38] 7.2. Ebensowenig bedarf es einer abschließenden Beurteilung, ob ein gleichwertiger Schutz des Arbeitnehmers vor Missbrauch iSd § 5 der Richtlinie schon darin zu sehen, dass der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungserklärung abzugeben hat, wodurch das Arbeitsverhältnis nur zu einem bestimmten Termin einmal im Jahr und unter Einhaltung einer besonders langen Frist, die die üblichen Kündigungsfristen weit übersteigt, beendet werden kann.

[39] 7.3. Das pauschale Abstellen auf „künstlerische Tätigkeiten“ iSd § 1 Abs 1 TAG während einer „Spielzeit“ bei den Befristungen nach § 24 TAG könnte im Zusammenhang ua mit den „langen Kündigungsfristen“ in § 27 TAG allenfalls dann als ein bei unbefristeten Dienstverhältnissen „gleichwertiger Schutz“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden, wenn man dies vor dem Hintergrund des Beendigungsschutzes des – ja auch nur eingeschränkt wirksamen – § 105 ArbVG für unbefristete Arbeitsverhältnisse betrachtet. Bei diesem Vergleich stellte sich die Frage, inwieweit andere künstlerische Vorstellungen schon als Kündigungsgründe in der Person iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG anzusehen wären (hier wegen neuer Ausrichtung in Richtung moderner Tanz). Bejaht man diese, könnte eine Prüfung auch ergeben, dass der sichere Vorteil aus den sehr langen „Kündigungsfristen“ und der Quasi-Unkündbarkeit während der Spielzeit (mit Beschäftigungsanspruch) branchenspezifisch der fehlenden Befristung gleich„wertig“ ist.

[40] 8. Ein zur Klärung der sich daraus ergebenden Fragen dienendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ist hier aber deswegen nicht zu stellen, weil selbst die positive Annahme einer richtlinienwidrigen Umsetzung entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu keiner Stattgebung des Klagebegehrens führen könnte.

[41] 8.1. Der EuGH hat bereits dazu Stellung genommen, dass sich § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, schon weil es nicht möglich ist, den Mindestschutz, der in jedem Fall nach § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung gewährt werden müsste, hinreichend zu bestimmen (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 196, ECLI:EU:C:2009:250; vgl auch EuGH C‑726/19 , Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario,Rn 79, ECLI:EU:C:2021:439; EuGH C‑103/18 , Domingo Sánchez Ruiz ua, Rn 118, ECLI:EU:C:2020:219).

[42] 8.2. Die nationalen Gerichte haben bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses jedoch so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. Diese Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Richtlinie, um die es geht, erlassen wurde (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 197, ECLI:EU:C:2009:250).

[43] Hinsichtlich der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation verweist der EuGH auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts. Die richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158). Die Gerichte haben sich bei der Auslegung der nationalen Vorschrift so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der Richtlinie und im innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen auszulegen (RS0075866).

[44] 8.3. Erst vor kurzem hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 216/21t mit den Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation auseinandergesetzt und dabei dem in der Literatur teilweise vertretenen Vorrang des „generellen Umsetzungswillen“ des Gesetzgebers eine Absage erteilt:

„Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObA 47/16v [Pkt 2.3.] mwN). Eine 'interprétation conforme' der geltenden nationalen Rechtsvorschriften ist aber unzulässig, wenn diese zu einer Auslegung contra legem führen würde. Ebenso darf es nicht über diesen Umweg zu einer – sonst unzulässigen – unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis kommen (4 Ob 124/18s [Pkt 7.3.]; 9 ObA 11/19m [Pkt 4.]; EuGH C‑261/20 , Thelen Rn 28).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf eine richtlinienkonforme Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158 [T1]). Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]; 8 ObA 63/20b [Pkt 8]). Sie kommt allein dann zur Anwendung, wenn das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt (RS0114158 [T5]).

Einen solchen Spielraum eröffnet der bloße Verweis im Allgemeinen Teil der Erläuterungen eines Umsetzungsgesetzes, dieses diene der Umsetzung einer Richtlinie (sogenannter genereller Umsetzungswille), nicht. Ansonsten wäre bei jeder irrigen Umsetzung einer Richtlinie durch den Gesetzgeber bei noch so klarem Gesetzeswortlaut und noch so klaren, für den Gesetzeswortlaut sprechenden Gesetzesmaterialien sowie noch so klarem mit der Gesetzesbestimmung verfolgten Zweck grundsätzlich immer eine richtlinienkonforme Interpretation möglich. Solches widerspräche aber der ständigen Rechtsprechung, dass es – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – unzulässig ist, im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung grundlegend neu zu bestimmen (RS0114158; jüngst 7 Ob 241/18v [Pkt 3.2.]). Die allgemein bei fehlerhafter Richtlinienumsetzung eine Lücke bereits aufgrund des generellen Umsetzungswillens bejahende und insofern bislang vereinzelt gebliebene Entscheidung 4 Ob 62/16w wird daher abgelehnt.“

[45] Dieser Auffassung ist auch die Entscheidung 5 Ob 197/21p zwischenzeitig gefolgt und wird vom erkennenden Senat geteilt.

[46] 8.4. Das TAG wurde 2010 und damit nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Befristungs‑RL erlassen, wobei in den Erläuterungen ausdrücklich darauf Bezug genommen wurde, dass das SchSpG in einigen Bereichen in Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben steht. Der Gesetzgeber wollte damit das Arbeitsrecht der Mitglieder der Theaterbühnen „modernisieren und unter Beachtung der Besonderheit des 'Bühnenarbeitsrechts' an das allgemeine Arbeitsrecht anpassen“. Dabei sah er keine Veranlassung bei den bestehenden Befristungsmöglichkeiten grundsätzliche Änderungen vorzunehmen. Einzige Neuerung war eine Modifizierung des Systems der Nichtverlängerungserklärung entsprechend der kollektivvertragsrechtlichen Praxis dahingehend, dass die Initiative zur Nichtverlängerung künftig beim/bei der Theaterunternehmer/in liegt (RV 936 BlgNR 24. GP  3), wobei der Gesetzgeber offenkundig – in Einklang mit der Rechtsprechung (vgl 9 ObA 100/06f; 8 ObA 99/03x) voraussetzte, dass die Besonderheit der Branche die Zulässigkeit befristeter Verträge rechtfertigt.

[47] 8.5. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit der Befristung im Hinblick auf die Befristungs‑Richtlinie einer Überprüfbarkeit nach § 879 ABGB unterliegt.

[48] Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Befristungs‑RL hat der österreichische Gesetzgeber bei Schaffung von § 2b AVRAG ausgeführt, dass, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere Maßnahmen iSd § 5 Abs 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung zu setzen seien, sofern keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsvermeidung bestünden. § 879 ABGB stelle eine derartige gleichwertige gesetzliche Maßnahme dar. Eine mehrmalige Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse sei aber nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 879 ABGB und der Lehre nichtig, wenn für diese mehrmalige Befristung keine sachliche Rechtfertigung gegeben werden könne. Das Arbeitsverhältnis gelte in diesem Fall als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Die Bestimmung des § 879 ABGB und die darauf basierende ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verbot der sogenannten „Kettenarbeitsverhältnisse“ erscheint als eine iSd § 5 der Rahmenvereinbarung gleichwertige gesetzliche Maßnahme, die einen umfassenden und ausreichenden Schutz vor Missbrauch biete. Die Gründe für eine sachliche Rechtfertigung der Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse könnten nur sehr schwer generalisiert und typisiert werden. Die Beurteilung hänge jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RV 951 BlgNR 21. GP  5).

[49] 8.6. Die Besonderheit des TAG liegt darin, dass es ebenso wie das SchSpG befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass ein ohne Zeitbestimmung eingegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit endet (§ 24 Abs 3 TAG). Das führt dazu, dass die Aneinanderreihung befristeter Verträge (bis zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung) nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt.

[50] Damit verbietet sich aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht dem Gesetz widerspricht, sondern von diesem sogar vorgegeben wird und selbst ohne gesonderte Vereinbarung bzw bei Wegfall einer solchen Vereinbarung gelten würde. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation.

[51] 8.7. Da der Gesetzeswortlaut selbst keine Einschränkung der Zulässigkeit der Befristung nur für bestimmte Konstellationen enthält, könnte eine solche nur durch eine teleologische Reduktion erreicht werden.

[52] Diese verschafft der ratio legis nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme. Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Unzulässig ist es dabei, eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhaltes zu entkleiden (RS0008979).

[53] Da, wie bereits ausgeführt, sich die Richtlinie nicht als unbedingt und genau genug darstellt, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können, kann eine vom Gesetz im Licht der Richtlinie „nicht mitgemeinte Gruppe“ nicht klar und eindeutig umschrieben werden. Auch würde für eine solche Gruppe, die ja nur von den Befristungsregelungen aber nicht den übrigen Bestimmungen des TAG ausgenommen wäre, eine offene Regelungslücke mit Folgewirkungen in weitere Rechtsbereiche – etwa im Hinblick auf die dann geltenden Kündigungstermine und Kündigungsfristen  – entstehen und es wären weitere im Zusammenhang stehende gesetzgeberische Entscheidungen, etwa die Beschäftigungspflicht (vgl § 18 TAG), einer Neubewertung zuzuführen.

[54] Aus denselben Gründen verbietet sich eine inhaltliche Beschränkung der Ausübung der Nichtverlängerungserklärung.

[55] 8.8. Zusammengefasst muss, selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der Richtlinie widerspricht, eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern, sodass der Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens die Grundlage entzogen ist.

[56] 9. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass auch das Eventualbegehren des Klägers abgewiesen wird.

[57] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. In erster Instanz war dabei von der vom Beklagtenvertreter selbst korrigierten Kostennote auszugehen.

[58] Als Bemessungsgrundlage ist der Zweifelsstreitwert nach § 14 lit a RATG heranzuziehen (RS0109658 mwN). Da der Ansatz der Beklagten in allen drei Instanzen unter dem Zweifelsstreitwert liegt, konnten die verzeichneten Beträge zugesprochen werden.

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