European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00011.19M.0227.000
Spruch:
I. Das Verfahren wird fortgesetzt.
II. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem privaten Detekteiunternehmen, beschäftigt. Er ist kein Angehöriger der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche oder der Evangelisch‑methodistischen Kirche. Für die von ihm am Karfreitag, dem 3. 4. 2015, erbrachte Arbeitsleistung wurde ihm daher von der Beklagten kein Feiertagsentgelt bezahlt.
Der Kläger begehrt die Zahlung von 109,09 EUR brutto sA und bringt vor, dass auch den Arbeitnehmern, die keiner der vier genannten Kirchen angehören, ein entsprechendes Feiertagsentgelt für am Karfreitag erbrachte Arbeitsleistungen zustehe. Die gesetzliche Regelung, die einen Feiertag am Karfreitag nur für Angehörige bestimmter Kirchen vorsehe, bewirke eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion und der Weltanschauung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen bzw beim Entgelt. Arbeitnehmer, die diesen Kirchen nicht angehören, hätten nämlich um einen Tag pro Kalenderjahr weniger Anspruch an gesetzlich zuerkannter, bezahlter Ruhezeit.
Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass dem Kläger nach den gesetzlichen Bestimmungen kein Feiertagsentgelt zustehe. Von einer Diskriminierung sei nicht auszugehen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, bei der Karfreitagsregelung handle es sich um eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Es ging davon aus, dass die innerstaatlichen Regeln, die die Ungleichbehandlung beim Karfreitag vorsehen, gegen Art 21 GRC verstoßen. Es liege eine unmittelbare Diskriminierung der betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der Religion vor, die nicht nach Art 7 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sei. Der Karfreitag als Feiertag dürfe daher nicht auf bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern beschränkt werden, weshalb auch der Kläger, der an einen Karfreitag gearbeitet habe, Anspruch auf Feiertagsentgelt habe.
Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage der Gewährung zusätzlicher Feiertage aufgrund der Religionszugehörigkeit keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revision, das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (RIS‑Justiz RS0041774) auch berechtigt.
1. § 7 ARG regelt die Feiertagsruhe. Sein Abs 3 sieht vor, dass (nur) für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche der Karfreitag ein Feiertag ist. § 9 ARG regelt das Entgelt für Feiertage: Grundsätzlich behält der Arbeitnehmer nach Abs 1 für die infolge eines Feiertags ausgefallene Arbeit seinen Anspruch auf Entgelt. Nach Abs 5 hat der Arbeitnehmer, der während der Feiertagsruhe beschäftigt wird, zusätzlich (soweit hier relevant) Anspruch auf das für die geleistete Arbeit gebührende Entgelt.
Da der Kläger keiner der vorgenannten Kirchen angehört, stellt sich die Frage, ob die Beschränkung des Feiertagsentgelts auf die Angehörigen bestimmter Kirchen mit dem Unionsrecht im Einklang steht.
2. Aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens legte der Oberste Gerichtshof daher zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor und setzte das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 24. 3. 2017 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus (9 ObA 75/16v).
Mit Urteil vom 22. 1. 2019, C‑193/17, hat der EuGH die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:
„1. Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die Arbeitnehmer ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese Arbeitnehmer, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt.
Die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen im Sinne des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion im Sinne des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden.
2. Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den Arbeitnehmern, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater Arbeitgeber, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen Arbeitnehmern das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf ein Zusatzentgelt für die an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung zuzuerkennen.“
3. Aufgrund dieses Erkenntnisses des EuGH ist davon auszugehen, dass die Normierung des Karfreitags als Feiertag bzw des Anspruchs auf Feiertagsentgelt im Fall der Arbeitsleistung an diesem Tag nur für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch‑methodistischen Kirche eine Art 21 der Grundrechtecharta (GRC) widersprechende unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion darstellt.
4. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob eine richtlinienkonforme Interpretation der nationalen Bestimmungen, konkret des § 7 Abs 3 ARG iVm § 9 Abs 5 ARG möglich ist.
Hinsichtlich der Verpflichtung der nationalen Gerichte zur richtlinienkonformen Interpretation verwies der EuGH in seiner Vorabentscheidung auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts (Rn 74). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht danach grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObA 47/16v mwN). Eine „interprétation conforme“ der geltenden nationalen Rechtsvorschriften ist aber dann unzulässig, wenn diese zu einer Auslegung contra legem führen würde (4 Ob 124/18s).
Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 7 Abs 3 ARG, der den Karfreitag als Feiertag von der Zugehörigkeit zu bestimmten Religionen abhängig macht, und des § 9 Abs 5 ARG, der ein Feiertagsentgelt nur für den Fall der Beschäftigung eines Arbeitnehmers während der Feiertagsruhe vorsieht, ist eine richtlinienkonforme Interpretation der Bestimmung nicht möglich.
5. Wie der EuGH in seiner Vorabentscheidung weiters ausgeführt hat, unterscheidet sich Art 21 GRC in seiner Bindungswirkung grundsätzlich nicht von den einzelnen Bestimmungen der Gründungsverträge, die verschiedene Formen der Diskriminierung auch dann verbieten, wenn sie aus Verträgen zwischen Privatpersonen resultieren (Rn 77). Die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes könne nur dadurch sichergestellt werden, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie den Angehörigen der begünstigten Gruppe. Die benachteiligten Personen müssten also in die gleiche Lage versetzt werden wie die Personen, denen der betreffende Vorteil zugute kommt (Rn 79).
In einem derartigen Fall sei das nationale Gericht gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Beseitigung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt (Rn 80). Eine solche Lösung komme jedoch nur dann zur Anwendung, wenn es ein gültiges Bezugssystem gebe (Rn 81). Dies sei im Ausgangsverfahren der Fall, wobei die Regelung, die für die Angehörigen der relevanten Kirchen im Sinne des ARG gelte, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt sei, das einzig gültige Bezugssystem bleibe (Rn 82).
6. Dem Kläger kommen daher in Bezug auf den Karfreitag grundsätzlich dieselben Rechte (Feiertagsruhe, Feiertagsentgelt) zu, wie sie vom nationalen Recht den Angehörigen der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch‑methodistischen Kirche eingeräumt werden.
Diese Rechte stehen ihm jedoch nur unter den gleichen Bedingungen wie den Angehörigen der begünstigten Gruppe zu. Das derzeit gültige Bezugssystem bringt es mit sich, dass sich ein Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Religion und seines Wunsches am Karfreitag nicht zu arbeiten, gegenüber dem Arbeitgeber artikulieren muss, zumal dem Arbeitgeber die Religion seiner Arbeitnehmer häufig nicht bekannt ist. Bereits der Generalkollektivvertrag aus dem Jahr 1952 sah vor, dass die Arbeitnehmer, die den evangelischen Kirchen angehören, freizustellen sind, wenn sie dies vom Arbeitgeber spätestens eine Woche vorher begehren. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 7 Abs 3 ARG zwar nicht ausdrücklich (vgl aber § 8 Abs 2 ARG). Dass vom Arbeitnehmer eine „Vorinformation“ des Arbeitgebers und eine entsprechende Klarstellung verlangt werden kann, folgt in Bezug auf das derzeit gültige Bezugssystem, das hinsichtlich des Karfreitags nur eine bestimmte Gruppe begünstigt, aber schon aus der allgemeinen Treuepflicht (Fremdinteressenwahrungspflicht) des Arbeitnehmers, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des Arbeitgebers entsprechend Rücksicht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0021449).
Der EuGH legte daher in seiner Vorabentscheidung dar, dass die Arbeitnehmer der begünstigten Gruppe ihren Arbeitgeber davon in Kenntnis setzen müssen, dass sie einer der in § 7 Abs 3 ARG genannten Kirchen angehören, damit er ihre Abwesenheit am Karfreitag im Vorfeld absehen kann (Rn 84). Der Arbeitgeber muss – solange der Gesetzgeber keine Konformität hergestellt hat – Arbeitnehmern, die keiner dieser Kirchen angehören, das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zugestehen, sofern sie ihm vor diesem Tag ihren Wunsch mitgeteilt haben, am Karfreitag nicht zu arbeiten (Rn 85).
Auch der Arbeitnehmer, der keiner der relevanten Kirchen iSd § 7 Abs 3 ARG angehört, hat gegen seinen Arbeitgeber Anspruch auf Zahlung des Feiertagsentgelts nach § 9 Abs 5 ARG, wenn dieser seinem Ansuchen, am Karfreitag nicht zu arbeiten, nicht nachkommt (Rn 86).
Auch wenn diese Offenlegung durch Forderung nach einer Freistellung bei Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer bezüglich des Karfreitags ihren unmittelbaren Zweck – der Zuordnung eines Arbeitnehmers zur begünstigten Gruppe – verliert, kann aus dem Unionsrecht nur eine Gleichstellung abgeleitet werden. Wie zuvor dargelegt, ist die geltende Regelung des ARG zum Karfreitag das für den Kläger gültige Bezugssystem.
Demnach steht dem Kläger ein Anspruch auf Feiertagsentgelt nur dann zu, wenn er zuvor von der Beklagten eine Freistellung am Karfreitag, dem 3. 4. 2015, gefordert hat, die Beklagte aber diesem Ersuchen nicht nachgekommen ist.
Da die Relevanz dieses Umstands bisher von den Vorinstanzen und den Parteien nicht beachtet wurde, wurde dazu bislang kein Vorbringen erstattet und es wurden dazu auch keine Feststellungen getroffen. Die Gerichte dürfen die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die diese nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht nicht aufmerksam gemacht wurden (RIS‑Justiz RS0037300). Das Gericht darf seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur dann stützen, wenn es den Parteien Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (§ 182a ZPO). Da auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer bisher von keiner Seite vorgebrachten Rechtsansicht überraschen darf, ist eine Erörterung und allfällige Ergänzung des Beweisverfahrens zu dieser Frage in erster Instanz erforderlich.
Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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