European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00058.22W.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Arbeitsrecht, Unionsrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:
„1. Das Klagebegehren, die durch die beklagten Parteien am 16. 9. 2019 ausgesprochene Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Dienstverhältnisses wird für rechtsunwirksam erklärt, in eventu als rechtswidrig aufgehoben, wird abgewiesen.
2. Das Eventualbegehren, es werde festgestellt, dass das zwischen der klagenden und den beklagten Parteien bestehende Dienstverhältnis über den 31. 8. 2020 hinaus aufrecht fortbesteht, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien je die Hälfte der mit 8.210,68 EUR (darin enthalten 1.368,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie der mit 2.274,30 EUR (darin enthalten 379,55 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien je die Hälfte der mit 1.641 EUR (darin enthalten 237,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin war seit 1. 9. 2008 beim „Wiener Staatsopernballett“, einer Kooperation der beiden beklagten Parteien, als „Corps de ballet“-Tänzerin auf Basis von wiederkehrenden Bühnendienstverträgen jeweils für ein Spieljahr (1. 9. bis 31. 8.) beschäftigt. Auf das Beschäftigungsverhältnis finden das Theaterarbeitsgesetz (TAG) sowie der Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheaterholding („Bundestheater-Ballettkollektivvertrag) Anwendung.
[2] Mit dem Spieljahr 2020/21 übernahm ein neuer Intendant die künstlerische Leitung des Wiener Staatsopernballets. Mit diesem Wechsel war auch eine künstlerische Neuausrichtung des Balletts geplant.
[3] Die Beklagten gaben gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 13. 9. 2019 eine Nichtverlängerungserklärung im Sinne des § 27 TAG ab und teilten mit, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen mit 31. 8. 2020 beendet sei. Der von der Beendigungsabsicht verständigte Betriebsrat hatte keinen Widerspruch erhoben.
[4] Das auf Anfechtung der Nichtverlängerungserklärung gemäß § 105 ArbVG gerichtete Hauptbegehren der Klägerin wurde rechtskräftig abgewiesen.
[5] Eventualiter begehrt die Klägerin – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis unbefristet über den 31. 8. 2020 hinaus aufrecht sei. Die nach § 24 TAG jeweils auf die Dauer eines Spieljahrs befristeten einzelnen Verträge stellten eine nach der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs‑RL) mangels einer sachlichen Rechtfertigung unzulässige Kettenbefristung dar. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten nicht vor.
[6] Die Beklagten bestritten und wandten ein, die Aneinanderreihung von Dienstverhältnissen im Anwendungsbereich des TAG sei ein wegen der Branchenbesonderheiten normiertes Sondersystem, das nicht unter den Anwendungsbereich der Befristungs‑RL falle. Selbst wenn dies anders gesehen würde, bestünde keine Gefahr des Missbrauchs. Die von der Klägerin für ihren Standpunkt zitierte Entscheidung des EuGH in der RS C‑331/17 Sciotto sei nicht einschlägig. Das Bühnendienstverhältnis nach dem TAG zeichne sich sogar durch eine höhere Bestandfestigkeit als unbefristete Arbeitsverhältnisse aus, weil es grundsätzlich nur einmal im Jahr beendet werden könne. Insgesamt sei die Rechtslage nach dem TAG für die Arbeitnehmer günstiger. Die Nichtverlängerungserklärung sei nicht sittenwidrig nach § 879 ABGB. Im Anlassfall sei die Beendigung auch sachlich aufgrund der künstlerischen Neuausrichtung des Balletts und dafür mangelnder tänzerischer Eignung der Klägerin gerechtfertigt.
[7] Das Erstgericht gab dem Eventualbegehren der Klägerin auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses statt.
[8] Der Umstand, dass die aneinandergereihten befristeten Bühnendienstverhältnisse des TAG nur unter der Voraussetzung der Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung tatsächlich mit Fristablauf enden, es also einer subjektiven Erklärung bedürfe, führe nicht zum Ausschluss des Anwendungsbereichs der Befristungs‑RL. Bei Ausbleiben einer Nichtverlängerungserklärung werde nämlich kein unbefristeter, sondern stillschweigend jeweils ein neuer befristeter Vertrag zu den gleichen Konditionen und mit gleicher Dauer geschlossen.
[9] Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der Richtlinie und nur teilweiser Umsetzung durch den österreichischen Gesetzgeber sei die sachliche Rechtfertigung der wiederholten Befristungen anhand der in Anwendung des § 879 ABGB entwickelten Kettenvertragsjudikatur zu prüfen. Danach seien aneinandergereihte befristete Dienstverträge wegen der Gefahr einer Umgehung zwingender Arbeitnehmerschutznormen nur dann rechtswirksam, wenn sie durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe gerechtfertigt seien. Dabei sei eine Interessenabwägung im Sinne eines beweglichen Systems vorzunehmen, die im vorliegenden Fall zugunsten des Standpunkts der Klägerin ausgehe. Mit der Behauptung der mangelnden tänzerischen Eignung der Klägerin werde zwar ein in der Person gelegener Grund für eine Vertragsauflösung geltend gemacht, aber keine sachliche Rechtfertigung der vorangegangenen Kettenbefristungen.
[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Befristungs‑ und Beendigungssystem nach den §§ 24, 27 TAG lasse Kettenbefristungen ex lege entstehen. Auch diese fielen aber in den Anwendungsbereich der Befristungs‑RL. Zur Umsetzung der Befristungs‑RL in das österreichische Recht sei zur Missbrauchskontrolle die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen. Diese gelte auch für den Bereich des TAG, das richtlinienkonform einschränkend auszulegen sei. Gründe, die eine Beendigung des Vertrags betreffen, hätten auf die Teilnichtigkeit der bisherigen Befristung keinen Einfluss. Allfällige finanzielle Auswirkungen stellten keinen Eingriff in die Freiheit der Kunst dar.
[11] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob die Befristungs‑RL auf nach § 27 TAG verlängerte Bühnendienstverhältnisse anzuwenden sei.
[12] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im zur Gänze klagsabweisenden Sinn an, eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[13] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, jedenfalls ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
[15] 1. Das Dienstverhältnis zwischen den Parteien unterliegt unstrittig dem Theaterarbeitsgesetz (TAG) und dem Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater‑Holding (Bundestheater-Holding GmbH und deren Tochtergesellschaft), Bundestheater-Ballettkollektivvertrag (im weiteren: KV).
[16] Nach § 24 TAG endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen worden ist (Abs 1). Ist es für eine oder mehrere Spielzeiten (Spieljahr, Bühnenjahr) eingegangen worden, so ist die Dauer einer Spielzeit im Zweifel mit 12 Monaten anzunehmen (Abs 2). Ist das Arbeitsverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen worden, so endet es mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit (Abs 3). Der/Die Theaterunternehmer/in kann sich auf eine Vereinbarung nicht berufen, nach der nur er/sie den Vertrag durch einseitige Erklärung auflösen oder über die vereinbarte Zeit hinaus verlängern kann (Abs 4).
[17] § 27 TAG sieht vor, dass der/die Theaterunternehmer/in, wenn das Bühnenverhältnis für bestimmte Zeit oder mindestens für ein Jahr eingegangen worden ist, dem Mitglied bis zum 31. Jänner des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitzuteilen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird. Unterbleibt die Mitteilung oder erfolgt sie verspätet, gilt das Arbeitsverhältnis für ein weiteres Jahr verlängert, sofern das Mitglied dem/der Theaterunternehmer/in nicht bis spätestens zum 15. Februar des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitteilt, dass es mit einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden ist.
[18] War das Mitglied durch mehr als fünf aufeinanderfolgende Jahre in einem Ballett der Bundestheater beschäftigt, muss nach § 10 Abs 2 KV die Verständigung seitens des Dienstgebers, um mit Ablauf der laufenden Spielzeit wirksam zu sein, spätestens bis zum 15. Oktober dieser Spielzeit zugehen.
[19] Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das TAG ebenso wie zuvor das Schauspielergesetz (SchSpG) und der KV vom auf ein Jahr bzw eine Spielzeit befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgehen (vgl Feil/Wennig, Bühnenrecht, Rn 52; Bammer, Die Beendigung von Bühnenarbeitsverträgen, ecolex 2011, 192; zum SchSpG 9 ObA 100/06f).
[20] Dass die in Gesetz und KV normierten Voraussetzungen und Termine bei Abgabe der Nichtverlängerungserklärung von den Beklagten eingehalten wurden, ist nicht strittig.
[21] 2. Der Oberste Gerichtshof war bereits wiederholt mit der Frage der Rechtsnatur der Nichtverlängerungserklärung befasst. Zuletzt wurde in der Entscheidung 8 ObA 68/20p im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung zusammenfassend ausgeführt:
„Kündigung und Befristung schließen einander – jedenfalls mangels besonderer Vereinbarung – grundsätzlich aus (9 ObA 88/94; 9 ObA 22/18b [Pkt 2]; Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG [2017] § 19 Rz 85 mwN). Die Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht als Kündigung im Sinne einer einseitigen auf Beendigung eines unbefristeten Dienstverhältnisses gerichteten Willenserklärung zu verstehen, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrags nach Ablauf der Befristung (4 Ob 89/64 = SZ 37/153; 9 ObA 254/89; 9 ObA 10/91; 9 ObA 330/98i = DRdA 2000/4 [zust Holzer]; 9 ObA 81/99y = DRdA 2000/1 [abl Jabornegg]; 8 ObA 99/03x; jüngst 9 ObA 22/18b [Pkt 2]; weitere Rspr‑Nachweise bei RS0063980).
Dieser Grundsatz wurde insbesondere zu Nichtverlängerungsklauseln in Kollektivverträgen im Theaterbereich sowie zur Bestimmung des § 32 des vormaligen SchspG, BGBl 1922/441, entwickelt. An ihm sollte sich durch die Nachfolgebestimmung des § 27 TheaterarbeitsG (TAG), BGBl I 2010/100, und die unter einem erfolgte Novellierung des § 133 Abs 4 ArbVG (Art 3 Z 3 Theateranpassungsgesetz 2010) nach dem Willen des Gesetzgebers nichts ändern. Vielmehr ist nach den Gesetzesmaterialien auch die Nichtverlängerungsanzeige nach § 27 TAG 'nach wie vor keine Kündigungserklärung, sondern eine bloße Bekräftigung der durch den Arbeitsvertrag bzw durch das TAG vorgesehenen Beendigung durch Fristablauf'. Eine Anfechtung der Nichtverlängerungserklärung in analoger Anwendung der §§ 105 ff ArbVG schließen die ErläutRV zudem explizit aus (ErläutRV 936 BlgNR 24. GP 14, 17).“
[22] Die Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung stellt demnach nach ständiger Judikatur keine Kündigung eines bestehenden (unbefristeten) Dienstvertrags sondern die Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrags über das Befristungsende des vorangehenden Vertrags hinaus dar.
[23] 3. Mit der Richtlinie 1999/70/EG des Rates über befristete Dienstverträge vom 28. 6. 1999 (Befristungs‑RL) wurde die EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse vom 18. 3. 1999 übernommen. Das erklärte Ziel dieser Richtlinie gemäß § 1 der Rahmenvereinbarung ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert (vgl 9 ObA 222/02s).
[24] Nach § 3 Abs 1 der Befristungs-RL ist ein „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.
[25] Der EuGH hat zur Auslegung dieser Definition dahin Stellung genommen, dass die Gefahr bestünde, das Ziel, den Zweck und die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung zu beeinträchtigen, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass nur deswegen keine aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse im Sinne von § 5 der Rahmenvereinbarung vorlägen, weil der erste befristete Arbeitsvertrag des betroffenen Arbeitnehmers automatisch und ohne formalen schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge verlängert wurde. Bei einer derart restriktiven Definition des Begriffs „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse“ könnten Arbeitnehmer über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen beschäftigt werden.
[26] Er ortete auch die Gefahr, dass eine derart restriktive Auslegung nicht nur dazu führt, dass eine große Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse von der Richtlinie ausgeschlossen würde, sondern auch, dass es den Arbeitgebern ermöglicht würde, solche Arbeitsverhältnisse in missbräuchlicher Weise zur Deckung eines ständigen und dauernden Arbeitskräftebedarfs zu nutzen. Der Begriff der „Dauer“ des Arbeitsverhältnisses sei ein wesentlicher Bestandteil jedes befristeten Vertrags. Nach § 3 Nr 1 der Rahmenvereinbarung „werde das Ende des Vertrags durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt“. Die Änderung eines Enddatums eines befristeten Arbeitsvertrags stelle somit eine wesentliche Änderung dieses Vertrags dar, die zu Recht dem Abschluss eines neuen, auf das frühere Arbeitsverhältnis folgenden befristeten Arbeitsverhältnisses gleichgestellt werden könne und somit in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle. Ausgangspunkt dieser Ausführungen waren wiederholte Verlängerungen der Befristung im Hinblick auf wiederholte Ausschreibungsverfahren (EuGH C‑726/19 , Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario, Rn 35 ff, ECLI:EU:C:2021:439). Auch die automatische Verlängerung eines ursprünglich befristeten Vertrags, die sich aus Gesetzgebungsakten ergebe, ohne schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge wurde als der Richtlinie unterliegend angesehen (EuGH C‑760/18 , M.V. ua, Rn 44 ff, ECLI:EU:C:2021:113).
[27] Grundsätzlich überlässt § 5 Nr 2 der Befristungs‑RL es aber den Mitgliedstaaten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge und ‑verhältnisse als aufeinanderfolgend bzw als unbefristet zu betrachten sind (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 81, ECLI:EU:C:2006:443; vgl auch Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 19 Rz 37 mwN).
[28] Bei Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen von befristeten Arbeitsverträgen im Sinne der Richtlinie ist auf die Ergänzung des § 24 TAG durch dessen § 27 TAG Bedacht zu nehmen, der nominell zwar den Zeitablauf, aber als zwingend notwendiges Beendigungserfordernis eine subjektive Bedingung statuiert. Ohne die Abgabe einer auf Beendigung gerichteten Willenserklärung der einen oder anderen Vertragspartei bleibt das Bühnenarbeitsverhältnis ex lege gerade nicht nur bis zum nächsten Frist‑ oder Spielzeitende iSd § 24 TAG, sondern so lange aufrecht, bis ein Vertragsteil irgendwann erklärt, es tatsächlich beenden zu wollen. Den Beklagten ist zuzugestehen, dass die vom Gesetz geforderte Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ansonsten er sich (befristet) verlängert, die Situation von Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis §§ 24, 27 TAG unterliegt, der von Arbeitnehmern, die jederzeit ohne Begründung unter Einhaltung bestimmter Termine und Fristen gekündigt werden können, annähert.
[29] Die Rechtsprechung des EuGH spricht dessen ungeachtet dafür, dass auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Abs 1 der Befristungs‑RL als befristet und iSd § 5 Abs 1 der Befristungs‑RL als aufeinanderfolgend zu beurteilen sind. Diese Einschränkung der nationalen Gestaltungsbefugnis über Art 3 der RL hinaus wurde vom EuGH aus dem Ansatz der Vermeidung von Missbrauch und dem Ansatz eines Beendigungsschutzes gewählt (Bedeutung „stabiler“ Arbeitsverhältnisse). Angesichts der in Österreich im Regelfall ohne besonderen Grund jederzeit möglichen Kündigung von Dienstverhältnissen ist eine konkrete Gefahr eines „Missbrauchs“ durch die Einhaltung des TAG nicht evident. Für die bei Nichtverlängerungserklärungen verschlossene Möglichkeit einer Anfechtung gemäß § 105 ArbVG gilt, dass sie auch gekündigten unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe).
[30] 4. Lässt man offen, ob die Richtlinie anwendbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so ist zu beurteilen, ob die Regelungen des TAG mit den Grundsätzen der Richtlinie in Einklang stehen.
[31] Die Befristungs‑RL geht von der Prämisse aus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind. Gleichzeitig wird aber anerkannt, dass befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigung in bestimmten Branchen oder für bestimmte Berufe und Tätigkeiten charakteristisch sind. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine oder mehrere der in § 5 Nr 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen zu erlassen, um die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen wirksam zu verhindern (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 61, 65, 79, ECLI:EU:C:2006:443), sofern ihr innerstaatliches Recht keine „gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen“ zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs umfasst. Die Mitgliedstaaten können nach § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL die Zulässigkeit einer mehrfachen Befristung ua vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig machen. Die Mitgliedstaaten verfügen nach dieser Bestimmung über einen Spielraum, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenken (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 80, ECLI:EU:C:2009:250).
[32] 5. Das Kriterium „Vorliegen eines sachlichen Grundes“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH so zu verstehen, dass damit genau bezeichnete, konkrete Umstände gemeint sind, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung solche Verträge geschlossen wurden, und deren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben. Hingegen entspräche eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränken würde, den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht diesen Erfordernissen. Es geht um die Frage, ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist (EuGH, C‑16/15 , López, Rn 38 ff mwN, ECLI:EU:C:2016:679 ua).
[33] Würde zugelassen, dass eine nationale Vorschrift von Gesetzes wegen oder ohne weitere Präzisierung aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge rechtfertigen kann, so liefe dies auf eine Missachtung der Zielsetzung der Rahmenvereinbarung, mit der Arbeitnehmer gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse geschützt werden sollen, und auf eine Aushöhlung des Grundsatzes hinaus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind (EuGH C‑212/04 , Adeneler ua, Rn 73, ECLI:EU:C:2006:443).
[34] 6.1. In der Entscheidung Sciotto (EuGH C‑331/17 , ECLI:EU:C:2018:859) hatte der EuGH die Vereinbarkeit der Befristungs‑RL mit nationalen (konkret italienischen) Regelungen, die das Aufeinanderfolgen mehrerer befristeter Verträge im Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester, im Anlassfall einer als Balletttänzerin beschäftigten Arbeitnehmerin, zulassen, zu beurteilen. Die auf diesen Sektor anwendbaren nationalen Vorschriften enthielten überhaupt keine Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie.
[35] Vom EuGH wird dazu festgehalten, dass die Regelung keine den in § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen gleichwertige gesetzliche Maßnahme vorsehe, weshalb zu prüfen sei, ob der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden könne (Rn 37). Zusammengefasst kam er zu dem Ergebnis, dass allein der Umstand, dass in einem bestimmten Tätigkeitsbereich traditionell befristete Verträge abgeschlossen würden, mit der Befristungs‑RL nicht in Einklang zu bringen sei. Zum Argument der Besonderheit, die dem Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester eigen sei, treffe es zu, dass die jährliche Programmplanung künstlerischer Vorstellungen für den Arbeitgeber zwangsläufig einen zeitweiligen Einstellungsbedarf mit sich bringe. Die vorübergehende Einstellung eines Arbeitnehmers, um einen provisorischen und spezifischen Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken, könne grundsätzlich einen sachlichen Grund iSd § 5 Nr 1 Buchstabe a der Befristungs‑RL darstellen. Es sei jedoch nicht zulässig, dass befristete Arbeitsverträge für die Zwecke der permanenten und dauerhaften Erledigung von Aufgaben in den in Rede stehenden kulturellen Einrichtungen, die zur normalen Tätigkeit des Tätigkeitsbereichs der Stiftungen für Oper und Orchester gehörten, verlängert werden könnten (Rn 49). Die Beachtung des § 5 Nr 1 Buchstabe a der Richtlinie verlange, dass konkret überprüft werde, ob die Verlängerung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen darauf abziele, einen vorübergehenden Bedarf zu decken (vgl Rn 44, 46, 49, 50). Die konkrete Anwendung des Grundes müsse im Hinblick auf die Besonderheiten der Tätigkeit und der Rahmenbedingungen der Ausübung den Erfordernissen der Rahmenvereinbarung genügen (Rn 57). Aus den Akten gehe nicht hervor, inwiefern die künstlerischen Aufführungen, für die die Verträge der Klägerin des Ausgangsverfahrens geschlossen wurden, besonders gewesen wären, und auch nicht, aus welchem Grund sie zu einem vorübergehenden Personalbedarf geführt hätten (Rn 51–54).
[36] 6.2. Das TAG schränkt die spezifischen Regelungen betreffend die Befristung der Arbeitsverhältnisse auf die übliche Spielzeit (§ 24 Abs 3 TAG) auf Arbeitsverhältnisse von Personen ein, die sich einem Theaterunternehmen zur Leistung künstlerischer Arbeiten verpflichtet haben (§ 1 Abs 1 TAG). §§ 24, 27 TAG regeln nicht nur die Zulässigkeit aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse, sondern ist die Befristung nach der gesetzlichen Konzeption sogar der Regelfall. Als Umsetzung der Richtlinie iSd in § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL genannten Maßnahmen kommt insoweit nur das Vorliegen eines sachlichen Grundes in Betracht. Es stellt sich also die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, bei künstlerischen Arbeiten eine Befristung auf die übliche Spielzeit vorzunehmen, etwa weil damit den Regisseuren eine Neubesetzung mit den ihrer Ansicht nach den Rollen entsprechenden Persönlichkeiten erfolgen soll (vgl auch EuGH Rs Sciotto Rn 48; zur Zulässigkeit der Befristungen auch bei begrenzten „wissenschaftlichen“ Aufgaben EuGH C‑190/13 , Samohano, Rn 55 und zuletzt zu § 109 UG 8 ObA 21/22d).
[37] Ob dieses Konzept insbesondere auch für Chöre und Ballette als künstlerische Tätigkeiten tragfähig ist, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Beurteilung.
[38] 6.3. Ebensowenig bedarf es einer abschließenden Beurteilung, ob ein gleichwertiger Schutz des Arbeitnehmers vor Missbrauch iSd § 5 der Richtlinie schon darin zu sehen ist, dass der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungserklärung abzugeben hat, wodurch das Arbeitsverhältnis nur zu einem bestimmten Termin einmal im Jahr und unter Einhaltung einer besonders langen Frist, die die üblichen Kündigungsfristen weit übersteigt, beendet werden kann.
[39] 6.4. Das pauschale Abstellen auf „künstlerische Tätigkeiten“ iSd § 1 Abs 1 TAG während einer „Spielzeit“ bei den Befristungen nach § 24 TAG könnte im Zusammenhang ua mit den „langen Kündigungsfristen“ in § 27 TAG allenfalls dann als unbefristeten Dienstverhältnissen „gleichwertiger Schutz“ im Sinn der Richtlinie angesehen werden, wenn man dies vor dem Hintergrund des Beendigungsschutzes des – ja auch nur eingeschränkt wirksamen – § 105 ArbVG für unbefristete Arbeitsverhältnisse betrachtet. Bei diesem Vergleich stellte sich die Frage, inwieweit andere künstlerische Vorstellungen schon als Kündigungsgründe in der Person iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG anzusehen wären (hier wegen neuer Ausrichtung in Richtung moderner Tanz). Bejaht man diese, könnte eine Prüfung auch ergeben, dass der sichere Vorteil aus den sehr langen „Kündigungsfristen“ und der Quasi‑Unkündbarkeit während der Spielzeit (mit Beschäftigungsanspruch) branchenspezifisch der fehlenden Befristung gleich„wertig“ ist.
[40] 7. Ein zur Klärung der sich daraus ergebenden Fragen dienendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ist hier aber deswegen nicht zu stellen, weil selbst die positive Annahme einer richtlinienwidrigen Umsetzung entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu keiner Stattgebung des Klagebegehrens führen könnte.
[41] 7.1. Der EuGH hat bereits dazu Stellung genommen, dass sich § 5 Nr 1 der Befristungs‑RL inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, schon weil es nicht möglich ist, den Mindestschutz, der in jedem Fall nach § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung gewährt werden müsste, hinreichend zu bestimmen (EuGH C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 196, ECLI:EU:C:2009:250; vgl auch EuGH C‑726/19 , Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario, Rn 79, ECLI:EU:C:2021:439; EuGH C‑103/18 , Domingo Sánchez Ruiz ua, Rn 118, ECLI:EU:C:2020:219).
[42] 7.2. Die nationalen Gerichte haben bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses jedoch so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. Diese Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Richtlinie, um die es geht, erlassen wurde (EuGH, C‑378/07 , Angelidaki ua, Rn 197, ECLI:EU:C:2009:250).
[43] Hinsichtlich der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation verweist der EuGH auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts. Die richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RIS‑Justiz RS0114158). Die Gerichte haben sich bei der Auslegung der nationalen Vorschrift so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der Richtlinie und im innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen auszulegen (RS0075866).
[44] 7.3. Erst vor kurzem hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 216/21t mit den Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation auseinandergesetzt und dabei dem in der Literatur teilweise vertretenen Vorrang des „generellen Umsetzungswillens“ des Gesetzgebers eine Absage erteilt:
„Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObA 47/16v [Pkt 2.3.] mwN). Eine 'interprétation conforme' der geltenden nationalen Rechtsvorschriften ist aber unzulässig, wenn diese zu einer Auslegung contra legem führen würde. Ebenso darf es nicht über diesen Umweg zu einer – sonst unzulässigen – unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis kommen (4 Ob 124/18s [Pkt 7.3.]; 9 ObA 11/19m [Pkt 4.]; EuGH C‑261/20 , Thelen Rn 28).
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf eine richtlinienkonforme Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158 [T1]). Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]; 8 ObA 63/20b [Pkt 8]). Sie kommt allein dann zur Anwendung, wenn das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt (RS0114158 [T5]).
Einen solchen Spielraum eröffnet der bloße Verweis im Allgemeinen Teil der Erläuterungen eines Umsetzungsgesetzes, dieses diene der Umsetzung einer Richtlinie (sogenannter genereller Umsetzungswille), nicht. Ansonsten wäre bei jeder irrigen Umsetzung einer Richtlinie durch den Gesetzgeber bei noch so klarem Gesetzeswortlaut und noch so klaren, für den Gesetzeswortlaut sprechenden Gesetzesmaterialien sowie noch so klarem mit der Gesetzesbestimmung verfolgten Zweck grundsätzlich immer eine richtlinienkonforme Interpretation möglich. Solches widerspräche aber der ständigen Rechtsprechung, dass es – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – unzulässig ist, im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung grundlegend neu zu bestimmen (RS0114158; jüngst 7 Ob 241/18v [Pkt 3.2.]). Die allgemein bei fehlerhafter Richtlinienumsetzung eine Lücke bereits aufgrund des generellen Umsetzungswillens bejahende und insofern bislang vereinzelt gebliebene Entscheidung 4 Ob 62/16w wird daher abgelehnt.“
[45] Dieser Auffassung ist auch die Entscheidung 5 Ob 197/21p zwischenzeitig gefolgt und sie wird vom erkennenden Senat geteilt.
[46] 7.4. Das TAG wurde 2010 nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Befristungs‑RL erlassen, wobei in den Erläuterungen ausdrücklich darauf Bezug genommen wurde, dass das SchSpG in einigen Bereichen in Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben steht. Der Gesetzgeber wollte damit das Arbeitsrecht der Mitglieder der Theaterbühnen „modernisieren und unter Beachtung der Besonderheit des 'Bühnenarbeitsrechts' an das allgemeine Arbeitsrecht“ anpassen (RV 936 BlgNR 24. GP 1). Dabei sah er keine Veranlassung bei den bestehenden Befristungsmöglichkeiten grundsätzliche Änderungen vorzunehmen. Einzige Neuerung war eine Modifizierung des Systems der Nichtverlängerungserklärung entsprechend der kollektivvertragsrechtlichen Praxis dahingehend, dass die Initiative zur Nichtverlängerung künftig beim/bei der Theaterunternehmer/in liegt (RV 936 BlgNR 24. GP 3), wobei der Gesetzgeber offenkundig – in Einklang mit der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Rechtsprechung (vgl 9 ObA 100/06f; 8 ObA 99/03x) – voraussetzte, dass die Besonderheit der Branche die Zulässigkeit befristeter Verträge rechtfertigt.
[47] 8. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit der Befristung im Hinblick auf die Befristungs‑RL einer Überprüfbarkeit nach § 879 ABGB unterliegt.
[48] Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Befristungs‑RL hat der österreichische Gesetzgeber bei Schaffung von § 2b AVRAG ausgeführt, dass, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere Maßnahmen iSd § 5 Nr 1 Buchstaben a bis c der Rahmenvereinbarung zu setzen seien, sofern keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsvermeidung bestünden. § 879 ABGB stelle eine derartige gleichwertige gesetzliche Maßnahme dar. Eine mehrmalige Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse sei aber nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 879 ABGB und der Lehre nichtig, wenn für diese mehrmalige Befristung keine sachliche Rechtfertigung gegeben werden könne. Das Arbeitsverhältnis gelte in diesem Fall als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Die Bestimmung des § 879 ABGB und die darauf basierende ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verbot der sogenannten „Kettenarbeitsverhältnisse“ erscheine als eine iSd § 5 der Rahmenvereinbarung gleichwertige gesetzliche Maßnahme, die einen umfassenden und ausreichenden Schutz vor Missbrauch biete. Die Gründe für eine sachliche Rechtfertigung der Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse könnten nur sehr schwer generalisiert und typisiert werden. Die Beurteilung hänge jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RV 951 BlgNR 21. GP 5).
[49] 8.1. Die Besonderheit der spezielleren Regelungen des TAG liegt aber darin, dass es ebenso wie das SchSpG befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass ein ohne Zeitbestimmung eingegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit endet (§ 24 Abs 3 TAG). Das führt dazu, dass die Aneinanderreihung befristeter Verträge (bis zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung) nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt.
[50] Damit verbietet sich aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände insoweit eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht sondern vom Gesetz vorgegeben wird und selbst ohne gesonderte Vereinbarung bzw bei Wegfall einer solchen Vereinbarung gelten würde. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation.
[51] 8.2. Da der Gesetzeswortlaut selbst keine Einschränkung der Zulässigkeit der Befristung nur für bestimmte Konstellationen enthält, könnte eine solche nur durch eine teleologische Reduktion erreicht werden.
[52] Diese verschafft der ratio legis nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme. Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Unzulässig ist es dabei, eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden (RS0008979).
[53] Da, wie bereits ausgeführt, sich die Richtlinie nicht als unbedingt und genau genug darstellt, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können, kann eine vom Gesetz im Licht der Richtlinie „nicht mitgemeinte Gruppe“ nicht klar und eindeutig umschrieben werden. Auch würde für eine solche Gruppe, die ja nur von den Befristungsregelungen aber nicht den übrigen Bestimmungen des TAG ausgenommen wäre, eine offene Regelungslücke mit Folgewirkungen in weitere Rechtsbereiche – etwa im Hinblick auf die dann geltenden Kündigungstermine und Kündigungsfristen –entstehen und es wären weitere im Zusammenhang stehende gesetzgeberische Entscheidungen, etwa die Beschäftigungspflicht (vgl § 18 TAG), einer Neubewertung zuzuführen.
[54] Aus denselben Gründen verbietet sich eine inhaltliche Beschränkung der Ausübung der Nichtverlängerungserklärung.
[55] 8.3. Zusammengefasst müsste daher selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der Richtlinie widerspricht, eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern, sodass der Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens die Grundlage entzogen ist.
[56] 9. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass auch das Eventualbegehren der Klägerin abgewiesen wird.
[57] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für das Berufungsverfahren war die Höhe der von den Beklagten verzeichneten ERV‑Gebühr zu korrigieren.
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