OGH 6Ob173/22t

OGH6Ob173/22t17.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler  als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei, Ing. J* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Peter Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. A*, 2. A*, beide *, vertreten durch Mag. Manfred Aron, Rechtsanwalt in Wien, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 29. Juni 2022, GZ 18 R 23/22v‑31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 6. Dezember 2021, GZ 23 C 600/21x‑21 (24), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00173.22T.1017.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.205,96 EUR (darin enthalten 200,99 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen wiesen die auf Schadenersatz wegen kreditschädigender Äußerungen gerichtete Klage primär als unschlüssig, hilfsweise wegen des Fehlens des Nachweises von nachteiligen Auswirkungen der von den Beklagten verbreiteten Äußerungen ab.

[2] Das Berufungsgericht sah den von der Klägerin in der Berufung beanspruchten Anscheinsbeweis für den von ihr behaupteten Gewinnentgang (Nachweis der Verursachung eines Gewinnentgangs eines KFZ-Reparaturbetriebs allein durch den Beweis der in einer Fernsehsendung verbreiteten Äußerungen) schon mangels Bestehens eines typischen Geschehensablaufs als nicht zulässig an. Es erklärte (dennoch) die ordentliche Revision zur Klärung der Frage, ob sich eine Partei auch ohne besondere Beweisschwierigkeiten auf einen Anscheinsbeweis stützen könne, für zulässig.

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Bei Vorliegen von zwei für sich tragfähigen Begründungen des Berufungsgerichts (hier: Unschlüssigkeit des Klagevorbringens und fehlender Schadensnachweis) muss der Rechtsmittelwerber nicht nur alle Begründungen bekämpfen, sondern auch hinsichtlich jeder dieser Begründungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen (Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 500 ZPO Rz 120; vgl auch 1 Ob 173/21d [ErwGr 1.2] mwN).

[4] 2. Dies gelingt der Klägerin hinsichtlich der Abweisung der Klage als unschlüssig nicht:

[5] 2.1. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516).

[6] Nach dem klaren Wortlaut des § 226 Abs 1 ZPO geht das Gesetz davon aus, dass der Kläger in Erfüllung seiner Substantiierungslast konkrete Tatsachen vorzubringen hat (4 Ob 160/21i). Weder Angaben in der Parteiaussage (RS0038037) noch die Vorlage von Urkunden können das vom Kläger zu erstattende Tatsachenvorbringen ersetzen (RS0037915; RS0038037 [T19]).

[7] Werden jedoch für den eingeklagten Anspruch schlüssige rechtserzeugende Tatsachen nicht angegeben und lässt sich auch durch richterliche Anleitung (§§ 182, 182a ZPO) eine solche Angabe nicht erreichen, ist die Klage wegen Unschlüssigkeit abzuweisen (vgl RS0039622 [T1]; RS0036973).

[8] Der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, kommt im Allgemeinen – abgesehen von Fällen auffallender Fehlbeurteilung – keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0116144).

[9] 2.2. Die Revision meint, die rechtserzeugenden Tatsachen seien vollständig und kurz vorgetragen worden; es sei nicht erforderlich gewesen, den „nach der Lebenserfahrung verständlichen Kausalverlauf (hier das Schlechtmachen der Klägerin in einer [bestimmten] Sendung und den nachfolgenden Umsatzrückgang) in alle einzelnen Zwischenschritte zu zerlegen“, wie dies doch auch bei einer durch einen Schlag verursachten Körperverletzung (Hämatom) nicht gefordert werde.

[10] 2.3. Tatsächlich brachte die Klägerin trotz mehrfacher Erörterung durch das Gericht (und nachdem schon die Beklagten die insoweit gegebene Schwäche der Klage aufgezeigt hatten [vgl RS0122365]) nur vor, die Schadenshöhe ergebe sich „unter anderem aus dem entgangenen Gewinn“. Sie erläuterte den geltend gemachten Pauschalbetrag von 15.000 EUR lediglich dahin, dass es sich dabei „um jenen wirtschaftlichen Verlust [handle], der zumindest eingetreten“ sei. Der Hinweis des Erstgerichts, es sei bis jetzt noch kein konkreter Fall angeführt worden, in dem aufgrund der Ausstrahlung der Sendung ein Geschäft nicht zustande gekommen wäre, blieb ohne Reaktion. Die erneute Erörterung der Unschlüssigkeit nach Einvernahme der Parteien und eines Zeugen führte lediglich zur (bis dahin unterbliebenen) Präzisierung (wenigstens) des Zeitraums, für den Schadenersatz begehrt wird (Juli 2018 bis Ende 2019), und zu den Behauptungen, die Äußerungen der Beklagten seien „jedenfalls kausal“ gewesen, „die Reduktion des Umsatzes und der damit einhergehende Verlust an Gewinn“ ergebe sich aus der Abwanderung von Stammkunden, die die Leistungen des Unternehmens aufgrund der „im Fernsehen getätigten Äußerungen“ der Beklagten nicht mehr in Anspruch nehmen haben wollen.

[11] Die Klägerin schlüsselte den von ihr für einen über ein Wirtschaftsjahr hinausgehenden Zeitraum begehrten (Mindest-)Pauschalbetrag an Schadenersatz nicht auf Abrechnungsperioden auf und erklärte auch nicht, wie sie zur Schadenshöhe kam (vgl 1 Ob 242/62 EvBl 1961/409). Sie trug weder für die Zeit vor der Ausstrahlung der Fernsehsendung noch für den nachfolgenden Zeitraum Umsatzzahlen, Deckungsbeiträge, von ihr jeweils erwirtschaftete Gewinne oder Kunden- bzw Auftragszahlen, die miteinander hätten verglichen werden können, vor. Auch ihre Einschätzung des hypothetischen Geschäftsverlaufs (ohne Ausstrahlung der Fernsehsendung) aufgrund der bisherigen Ertragssituation legte sie nicht dar (dazu 1 Ob 36/89). Obwohl ihr dies leicht möglich gewesen wäre, nannte sie keinen einzigen Stammkunden, von dem sie glaubt, dass er – wegen der Fernsehsendung – ausgeblieben sei.

[12] Bei dieser Sachlage liegt in der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klage sei (insbesondere zur Höhe) trotz mehrfacher Erörterung unschlüssig geblieben und schon deswegen abzuweisen, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Dies zieht es nach sich, dass in der unterbliebenen Behandlung eines in der Berufung geltend gemachten primären Verfahrensmangels (unterlassene Einholung eines Buchsachverständigen) keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegen kann (vgl zur Abweisung der unschlüssigen Klage „ohne jegliches Beweisverfahren“ RS0039622 [T1]).

[13] 3. Die Sachentscheidung hängt damit nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage, insbesondere nicht davon, ob sich eine Partei auch ohne Beweisschwierigkeiten auf einen Anscheinsbeweis stützen kann, ab (vgl RS0088931).

[14] Angemerkt sei nur, dass es im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein kann, in jedem Fall, in dem behauptet wird, dass ein bestimmter allgemein bekannter Erfahrungssatz bestehe, dazu in der Sache Stellung zu nehmen (RS0022624 [T5, T8]; RS0040196 [T15]).

[15] Angebliche Umsatzrückgänge eines KFZ‑Reparaturbetriebs können auf vielerlei Ursachen zurückgehen (wobei schon der bloße Verdacht eines Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, die Anwendung des Anscheinsbeweises verhindert RS0040287 [T5]; RS0040288 [T3]). Die Erteilung eines Reparaturauftrags für ein Fahrzeug in einer bestimmten KFZ-Werkstätte beruht auf einem individuellen freien Willensentschluss eines Menschen (vgl dazu RS0040288).

[16] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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