OGH 4Ob40/22v

OGH4Ob40/22v23.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher undMMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Markenrechtssache der Antragstellerin G* GmbH,*, vertreten durch Dr. Silke Beetz, Rechtsanwältin in Wien, unter Mitwirkung von SONN Patentanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin A* K*, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Widerspruchs gegen die Marke AT *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 1. Dezember 2021, GZ 33 R 73/21d‑3, mit dem der Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 17. Februar 2021, GZ WM 113/2020‑3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00040.22V.0923.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Antragstellerin ist Inhaberin der prioritätsälteren Unionsmarke (Widerspruchsmarke):

 

Wegen Verwechslungsgefahr mit dieser Marke erhob sie Widerspruch gegen die Eintragung der prioritätsjüngeren österreichischen Wortbildmarke der Antragsgegnerin:

 

[1] Beide Marken sind für mehrere, teils identische Lebensmittel in der Warenklasse 30 eingetragen, die Widerspruchsmarke darüber hinaus auch für Getränke der Klasse 32.

[2] Die Vorinstanzen bejahten die Verwechslungsgefahr, gaben dem Widerspruch Folge und hoben die Registrierung der Marke der Antragsgegnerin zur Gänze auf. Wegen der vollständigen Übernahme der älteren Marke bestehe Verwechslungsgefahr. Ob der Widerspruchsmarke die Kennzeichnungskraft und damit die Rechtsbeständigkeit fehle, könne im Widerspruchsverfahren nicht überprüft werden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig (§ 38 MSchG iVm § 62 Abs 5 AußStrG), aber nicht berechtigt.

[4] 1. Die Antragsgegnerin macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass auch im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden müsse, wenn der Widerspruchsmarke mangels Unterscheidungskraft überhaupt keine Kennzeichnungskraft zukomme. Damit sei nämlich jede Verwechslungsgefahr von vornherein logisch ausgeschlossen. Eine gegenteilige Rechtsansicht wäre unionsrechtswidrig.

[5] 1.1. Kennzeichen, die keine Unterscheidungskraft haben, sind gemäß § 4 Abs 1 Z 3 MSchG von der Registrierung als Marke ausgeschlossen. Wurde eine Marke eingetragen, obwohl sie nicht unterscheidungskräftig ist, kann sie gemäß § 33 iVm § 4 Abs 1 Z 3 MSchG jederzeit amtswegig oder aufgrund eines Löschungsantrags gelöscht werden. Diese österreichischen Bestimmungen entsprechen inhaltlich Art 4 Abs 1 lit b und Art 45 Abs 3 lit a der Richtlinie 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken.

[6] 1.2. Nach der Eintragung einer Marke können Inhaber älterer Rechte binnen drei Monaten gegen die Registrierung Widerspruch erheben und die rückwirkende Löschung erreichen (§§ 29a ff MSchG).

[7] Nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien ist dem Antragsgegner im Widerspruchsverfahren der Einwand verwehrt, dass die ältere Widerspruchsmarke keine Kennzeichnungskraft besitze, daher nicht schutzfähig sei und überhaupt nie hätte eingetragen werden dürfen (RW0000891). Der Oberste Gerichtshof hatte diese Rechtsfrage noch nicht zu entscheiden.

[8] Das Oberlandesgericht begründet seine Rechtsansicht unter Verweis auf den Kommentar von Kucsko/Schumacher damit, dass Löschungsgründe im dafür vorgesehenen Löschungsverfahren geltend zu machen seien (so bereits OLG Wien 34 R 12/15g [Pkt 2.5] unter Verweis auf Hauer in Kucsko/Schumacher, marken.schutz² [2014] § 33 Rz 4 f). Diese Ansicht wird auch noch in der aktuellen Auflage des Kommentars vertreten (U. Terlitza in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 [2020] § 37 Rz 45).

[9] Dagegen vertritt Grünzweig – allerdingsohne nähere Ausführungen –, dass im Widerspruchsverfahren nicht nur der Einwand der Nichtbenutzung erhoben werden könne, sondern „auch alle anderen Einwände gegen die Rechtsbeständigkeit der Widerspruchsmarke zulässig seien“ (Grünzweig in Grünzweig, Markenrecht [12. Lfg 2019] § 29a MSchG Rz 6b).

[10] 1.3. Diese Ansicht überzeugt nicht. Das 2009 eingeführte Widerspruchsverfahren ist als in der Regel schriftliches Eilverfahren ausgestaltet (Woller in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 [2020] § 29a Rz 16; in diesem Sinn auch Grünzweig in Grünzweig, Markenrecht [12. Lfg 2019] § 29a MSchG Rz 1; vgl auch Art 43 Abs 1 Marken‑RL). Es ist daher nicht für eine umfassende Prüfung des älteren Rechts geeignet.

[11] Deshalb regelt das Gesetz ausdrücklich, dass und wie der Antragsgegner im Widerspruchsverfahren einwenden kann, dass der Antragsteller seine Widerspruchsmarke nicht rechtserhaltend benutzt habe (§ 29 Abs 1 MSchG): Der Antragsteller hat die Benutzung seiner Widerspruchsmarke zu bescheinigen. Überzeugen die Bescheinigungsmittel den Antragsgegner nicht, hat dieser binnen zwei Monaten einen Verfallsantrag einzubringen; in diesem Fall ist das Widerspruchsverfahren bis zur Entscheidung über den Verfall der Widerspruchsmarke zu unterbrechen (§ 29b Abs 3 MSchG idF MSchG‑Nov 2019, die Art 44 der Marken‑RL über die Einrede der Nichtbenutzung im Widerspruchsverfahren umsetzte).

[12] Andere Einwendungsmöglichkeiten sehen dagegen weder das österreichische MSchG noch die Marken‑RL für das Widerspruchsverfahren ausdrücklich vor. Der Gesetzgeber schuf damit offenbar bewusst weniger Einwendungsmöglichkeiten als im Löschungsverfahren, wo gemäß § 30 Abs 5 MSchG der Löschungsantrag auch abzuweisen ist, wenn über entsprechende Einrede des belangten Markeninhabers festgestellt wird, dass die ältere Marke am Anmelde- oder Prioritätstag der jüngeren Marke selbst wegen fehlender Unterscheidungskraft, als beschreibendes Zeichen oder als Gattungsbezeichnung gelöscht oder im Falle einer Unionsmarke für nichtig erklärt werden könnte, und zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Verkehrsgeltung erworben hat (vgl 294 BlgNR 26. GP  10 zur Zielsetzung des Gesetzgebers bei Umsetzung von Art 8 lit a Marken‑RL).

[13] In Zusammenhang mit den Widerspruchsverfahren stellt das MSchG vielmehr klar, dass die Erhebung eines Widerspruchs die Möglichkeit, Anträge (etwa wegen fehlender Eintragungsfähigkeit der älteren Marke) an die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts unberührt lässt (§ 29a Abs 6 MSchG). Stellt der Antragsgegner im Widerspruchsverfahren seinerseits einen Löschungsantrag gegen die Widerspruchsmarke, so kann das Widerspruchsverfahren gemäß § 29a Abs 4 MSchG unterbrochen werden.

[14] 1.4. Zusammengefasst kann daher im Widerspruchsverfahren vor der Rechtsabteilung des Patentamts nur der Einwand der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke erhoben werden; andere Bedenken gegen die Eintragung der Widerspruchsmarke können – allenfalls aufgrund eines Löschungsantrags des Antragsgegners – nur von der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts aufgegriffen werden.

[15] 1.5. Für das in diesem Zusammenhang angeregte Vorabentscheidungsersuchen besteht keine Notwendigkeit, weil das Rechtsmittel keinen Widerspruch zwischen der Marken‑RL und deren österreichischer Umsetzung aufzeigt.

[16] 2. Die Antragsgegnerin hält die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Aufnahme ganzer Zeichen in eine jüngere Marke für uneinheitlich und meint außerdem, dass die Bejahung der Verwechslungsgefahr durch die Vorinstanzen korrigiert werden müsse.

2.1. Den Senat überzeugt die im Rechtsmittel vertretene Rechtsansicht nicht, dass jede Verwechslungsgefahr verneint werden müsse, wenn das ältere Zeichen mangels Kennzeichnungskraft eigentlich gar nicht registrierungsfähig gewesen wäre: Das Widerspruchsverfahren besteht im Kern aus einem Ähnlichkeitsvergleich (Woller in Kucsko/Schumacher, marken.schutz3 [2020] § 29a Rz 16). Die – wie oben in 1. dargestellte – bewusste Entscheidung des Gesetzgebers eine umfangreiche Prüfung der Widerspruchsmarke aus dem Eilverfahren herauszunehmen, kann nicht dadurch umgangen werden, dasseine mangelnde Kennzeichnungskraft stattdessen als Voraussetzung bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu untersuchen wäre.

[17] 2.2. In seiner sorgfältig begründeten Entscheidung wandte das Rekursgericht die Grundsätze höchstgerichtlicher, auf unionsrechtlicher Grundlage aufbauender, Rechtsprechung zur Verwechslungsgefahr (vgl etwa RS0121482, RS0121500, RS0117324, RS0066753, RS0066779) im konkreten Einzelfall zutreffend an. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

[18] 2.3. Mit ihrer Argumentation, dass die Zusätze ... im Glas“ sowie „DER KOST B A RE LADEN“ die Verwechslungsgefahr beseitigen würden, kann die Antragsgegnerin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzeigen.

[19] Verwechslungsgefahr ist nämlich nicht nur gegeben, wenn das Publikum entweder glauben kann, die betreffenden Waren stammten aus demselben Unternehmen (unmittelbare Verwechslungsgefahr), sondern auch wenn es annehmen kann, dass die Waren zumindest aus wirtschaftlich oder organisatorisch miteinander verbundenen Unternehmen stammen (mittelbare Verwechslungsgefahr; 4 Ob 190/14s [Pkt 1]; vgl RS0078978). Außerdem können Zeichen etwa als Serienmarken einer Markenfamilie aufgefasst werden, bei denen ein gemeinsamer Stammbestandteil durch das Voranstellen, Anhängen oder Weglassen von Wortsilben oder Modifikation von Bildbestandteilen variiert wird (4 Ob 190/14s [Pkt 5.1]).

[20] 2.4. Insbesondere wenn – wie hier – eine Marke vollständig in ein Zeichen aufgenommen wird, ist nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig Ähnlichkeit und damit bei Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit auch Verwechslungsgefahr anzunehmen, selbst wenn noch andere Bestandteile vorhanden sind (RS0079033 [T4]).

[21] Die Antragsgegnerin führt zwar in ihrem Rechtsmittel mehrere Judikaturzitate ins Treffen und will damit aufzeigen, dass die Rechtsprechung zur gänzlichen Übernahme von Zeichen uneinheitlich sei. In Wahrheit betreffen diese Entscheidungen aber Konstellationen, in denen gerade nicht – wie hier – die gesamte Widerspruchsmarke übernommen wurde, sondern nur ein Gleichklang von Teilen der beiden Marken vorlag, zB 17 Ob 18/11p (Junkerschinken ≠ Steirischer Junker), weiters zitiert: OPM Om 9/04 (Mc Cruise ≠ McDonald's), OPM Om 11/02 (Lex Net ≠ Lexis), OPM Om 12/96 (Isana ≠ Dilsana), OPM Om 7/87 (Schlossherr ≠ Schlossperle).

[22] Einzige Ausnahme unter den Zitaten ist dabei die Entscheidung EuG T‑596/10 (Basket ≠ Eurobasket). Die Verwechslungsgefahr wurde in diesem Einzelfall trotz gänzlicher Übernahme des älteren Zeichens verneint, weil die Widerspruchsmarke für Sportartikel beschreibenden Charakter hatte und der Bestandteil „Basket“ bei der neu registrierten Marke nicht dominierte. In dieser bereits über ein Jahrzehnt alten Entscheidung ist damit keine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung zu erkennen, nach der im Regelfall (also keineswegs ausnahmslos) bei vollständiger Übernahme einer Marke und Warenähnlichkeit die Verwechslungsgefahr anzunehmen ist.

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