European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030NC00019.22G.0908.000
Spruch:
Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin beabsichtigt neuerlich (siehe schon 3 Nc 14/22x), gegen die in der Russischen Föderation ansässige Antragsgegnerin aufgrund einer von ihr erwirkten einstweiligen Verfügung des Handelsgerichts Wien wegen behaupteter Verstöße gegen das lauterkeitsrechtliche Unterlassungsgebot Exekution gemäß § 355 EO zu führen, und beantragt, mangels Anknüpfungspunkts gemäß „§§ 4, 18 EO“ (richtig nunmehr nach der GREx, BGBl I 2021/86: § 5c Abs 2 iVm § 4 EO) ein inländisches Gericht als örtlich zuständiges Exekutionsgericht zu bestimmen. Die Exekutionsführung im Sitzstaat der Beklagten sei deshalb unmöglich, weil österreichische Exekutionstitel dort nicht anerkannt und vollstreckt würden. Außerdem sei die Beklagte eine Konzerngesellschaft eines staatlichen Rüstungskonzerns, weshalb es noch unwahrscheinlicher sei, dass die Gerichte der Russischen Föderation die österreichische einstweilige Verfügung gegen die Beklagte freiwillig anerkennen und vollstrecken. In diesem Sinn habe der letzte Präsident der Sowjetunion im Editorial einer New York Times‑Ausgabe geäußert, dass es in Russland keine unabhängigen Gerichte gebe.
[2] Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN ist die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts durch den Obersten Gerichtshof (nur) dann zulässig, wenn die betreibende Partei ihren Wohnsitz (bzw Sitz) im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Die in § 28 Abs 1 Z 2 JN genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Fehlt eine davon, so hat eine Ordination nicht zu erfolgen (3 Nc 2/22g mwN). Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN sind gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN vom Antragsteller zu behaupten und zu bescheinigen, was auch für Exekutionssachen gilt (vgl RS0124087 [T5]).
[4] 2.1 Die Russische Föderation hat erklärt, sich weiterhin an das Übereinkommen betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (HPÜ 1954, BGBl 1957/91) gebunden zu erachten (vgl BGBl 1993/364). Mit Notenwechsel (Schreiben des österreichischen Außenministers vom 15. 6. 1993; BGBl 1994/257) ist zwischen Österreich und der Russischen Föderation ferner geklärt worden, dass der mit der ehemaligen Union der sozialistischen Sowjetrepubliken abgeschlossene Rechtshilfevertrag weiter angewendet wird (1 Ob 41/18p; 6 Ob 190/05t).
[5] 2.2 Gemäß diesem Abkommen haben die Staatsangehörigen jedes der vertragsschließenden Teile auf dem Gebiet des anderen vertragsschließenden Teils freien Zugang zu den Gerichten und können vor diesen zu denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses vertragsschließenden Teils auftreten. Unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit sind sie von der Sicherheitsleistung für die Prozesskosten befreit. Diese Vertragsbestimmung schließt in der Regel die Annahme aus, dass einer Partei die Rechtsverfolgung in der Russischen Föderation nicht möglich oder unzumutbar wäre (2 Ob 212/18t; 6 Ob 190/05t; 10 Nd 510/01; 5 Nd 501/98; RS0109288). Der besonders gelagerte Fall einer Anspruchsverfolgung nach der Verordnung 261/2004/EG über Fluggastrechte liegt hier nicht vor (vgl dazu 9 Nc 65/19m mwN).
[6] 3.1 Nach der (jüngeren) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann die Stattgebung eines Ordinationsantrags im Fall einer Unterlassungsexekution insbesondere dann in Frage kommen, wenn der Antragsteller – etwa durch Vorlage einer abweisenden Entscheidung des zuständigen (in diesem Fall) Vollstreckungsgerichts – bescheinigt, dass ihm im konkreten Fall eine Exekutionsführung im Ausland tatsächlich unmöglich oder unzumutbar ist (vgl 3 Nc 20/20a; 3 Nc 29/20z; 3 Nc 37/20a). Dem Vorbringen der Antragstellerin ist in dieser Hinsicht allerdings zu entnehmen, dass sie die Vollstreckung der einstweiligen Verfügung in der Russischen Föderation nicht versucht hat.
[7] 3.2 Die bloßen Hinweise, es sei unwahrscheinlich, dass Gerichte der Russischen Föderation eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin als russisches Unternehmen vollstrecken, umso weniger als es sich angeblich um eine Konzerngesellschaft eines staatlichen (Rüstungs-)Konzerns handle, entsprechen mangels Offenkundigkeit und ausreichender Bescheinigung dieser Behauptungen nicht den Anforderungen des § 28 Abs 4 JN. Das von der Antragstellerin vorgelegte Editorial einer Ausgabe der New York Times über das Vorgehen der Behörden der Russischen Föderation gegen den Regimekritiker Alexej Navalny ist im vorliegenden Kontext ebenfalls kein taugliches Bescheinigungsmittel.
[8] 3.3 Zur Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall und namentlich in der derzeit angespannten Situation zwischen Staaten der Europäischen Union und der Russischen Föderation eine dortige Vollstreckung eines österreichischen Exekutionstitels unmöglich und unzumutbar ist, könnte etwa eine kostenpflichtige Anfrage an den jeweiligen Vertrauensanwalt der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde beitragen. Eine solche oder eine andere aussagekräftige Auskunft einer im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr tätigen Institution hat die Antragstellerin aber nicht vorgelegt.
[9] 4. Mangels ausreichender Bescheinigung der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Exekutionsführung in der Russischen Föderation war der Ordinationsantrag abzuweisen.
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