OGH 9Nc65/19m

OGH9Nc65/19m24.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin V*****, vertreten durch Dr. Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin Wien, gegen die Antragsgegnerin U*****, Russische Föderation, wegen 400 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0090NC00065.19M.0124.000

 

Spruch:

Dem Ordinationsantrag wird stattgegeben.

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

Die Antragstellerin bringt vor, sie beabsichtige die Einbringung einer Klage mit dem Begehren, das beklagte Flugunternehmen mit Sitz in der Russischen Föderation zur Zahlung von 400 EUR zu verpflichten. Sie stützt sich dabei auf die Verordnung 261/2004/EG über Fluggastrechte.

Mit ihrem – an den Obersten Gerichtshof gerichteten – Ordinationsantrag gemäß § 28 JN beantragt sie die Ordination an ein sachlich zuständiges Gericht.

Die Ansprüche würden aus Unionsrecht abgeleitet, weshalb Österreich sicherstellen müsse, dass die Ansprüche effektiv durchgesetzt werden könnten. Außerdem sei die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar bzw aussichtslos, weil die Exekutionsführung im Inland beabsichtigt sei, eine ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt werde und kein Vollstreckungsübereinkommen bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben:

1. Die Antragstellerin stützt ihren Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Die dafür erforderliche allgemeine Voraussetzung des Naheverhältnisses zum Inland ist hier schon im Hinblick auf den Wohnsitz der Antragstellerin in Österreich erfüllt; zudem lag der Abflugort in Wien‑Schwechat.

2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RS0046148).

Zwischen Österreich und der Russischen Föderation besteht kein bilaterales Abkommen oder multilaterales Übereinkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw von Entscheidungen über Ansprüche aus Flugverspätungen.

Das im Rahmen der Haager Konferenz für internationales Privatrecht am 2. 7. 2019 von Russland unterzeichnete Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im Ausland in Zivil‑ und Handelssachen, das auch ua die Europäische Union ratifiziert hat, gilt nicht für Streitfragen zu Güter‑ und Personentransporten (Art 2 lit f dieses Abkommens).

Aus dem Vorbringen im Ordinationsantrag ergibt sich, dass die Antragstellerin die Vollstreckung in Österreich anstrebt, was bei einem Exekutionstitel aus Russland mangels Gegenseitigkeit allerdings nicht möglich ist. Der Ordinationsantrag ist daher berechtigt (siehe auch zu vergleichbaren Sachverhalten 7 Nc 21/19a; 8 Nc 27/19s).

3. Dieses Ergebnis wird durch folgende – vom Ordinationswerber aufgezeigte und mittlerweile von der herrschenden Rechtsprechung geteilte (7 Nc 21/19a; 6 Nc 19/19z; 6 Nc 25/19g) – unionsrechtliche Überlegungen bekräftigt:

Die Antragstellerin leitet ihre Ansprüche aus der FluggastrechteVO, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt ab. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen (vgl RS0132702). Diesem Unions‑Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen (vgl 4 Nc 11/19h mwN). Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der FluggastrechteVO normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen, zumal eine Verweigerung der Ordination geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleichkäme.

4. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts ist nach der Rechtsprechung auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der vorliegenden Rechtssache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, weil der Abflugort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte