OGH 8ObA101/21t

OGH8ObA101/21t30.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E* D*, vertreten durch ABL Stöglehner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei L* O*, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Oktober 2021, GZ 12 Ra 93/21i‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Mai 2021, GZ 36 Cga 57/20f‑11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00101.21T.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist aufgrund eines Dienstvertrags vom 5. 4. 2017 samt Nachträgen als Vertragslehrerin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das unbefristete Dienstverhältnis ist das LandesvertragslehrpersonenG 1966 in Verbindung mit dem VBG 1948 anzuwenden.

[2] Mit Schreiben der Beklagten vom 10. 12. 2020 wurde die Klägerin nach Durchführung eines internen Ermittlungsverfahrens zum 28. 2. 2021 gekündigt. Der Zentralausschuss für Landeslehrer für die allgemein bildenden Pflichtschulen Oberösterreichs war von der Kündigungsabsicht verständigt worden und nahm die Auflösung ohne Widerspruch zur Kenntnis.

[3] Das Kündigungsschreiben wurde von dem zum Ausspruch einer Kündigung autorisierten Vertreter der Bildungsdirektion, dem Leiter der Abteilung Personal Pflichtschulen, eigenhändig unterschrieben. Der Klägerin sowie deren Vertreter wurde aber nicht das Original des Kündigungsschreibens, sondern eine Ausfertigung des eingescannten Originals zugestellt. Darüber hinaus erfolgte eine Übermittlung des Schreibens per E-Mail an die Schule, an der die Klägerin tätig war.

[4] Am 10. 3. 2021 sprach die Beklagte wegen der von der Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung erhobenen Einwendungen nach neuerlichem Vorverfahren und nochmaliger Befassung des Zentralausschusses eine Eventualkündigung aus.

[5] In ihren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis über den 28. 2. 2021 und auch über den 31. 5. 2021 hinaus aufrecht sei. Die erste Kündigung sei mangels Einhaltung des gesetzlichen Schriftformgebots unwirksam, die Eventualkündigung sei verfristet. Die Klägerin habe auch keinen Kündigungsgrund verwirklicht.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es schloss sich der Rechtsmeinung an, dass die erste Kündigung wegen Formmangels unwirksam sei. Die auf die selben Gründe gestützte Eventualkündigung sei zwar formgerecht, aber verspätet ausgesprochen worden.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und hob das angefochtene Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

[8] Das Erfordernis der Schriftform solle primär sicherstellen, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der abgegebenen Erklärung und die Person, von der sie ausgeht, zuverlässig entnommen werden können. Die Zustellung der im Original eigenhändig vom dazu autorisierten Abteilungsleiter unterfertigten Kündigung in eingescannter Form sei zur Wahrung dieses Zwecks – im Unterschied zu einer nicht unterfertigten oder nur mit Stampiglie versehenen Kopie – ausreichend. Die Kündigung sei daher nach § 32 Abs 1 VBG 1948 wirksam. Im fortgesetzen Verfahren habe das Erstgericht die geltend gemachten und von der Klägerin bestrittenen Kündigungsgründe zu prüfen.

[9] Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil die Rechtsfrage, ob ein mit Originalunterschrift versehenes, aber nur in eingescannter Form übermitteltes Kündigungsschreiben dem Schriftlichkeitsgebot des § 32 Abs 1 VBG 1948 entspricht, über den Einzelfall hinaus bedeutend sei und dazu noch keine einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[10] Der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht angesprochenen Überlegungen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Das Gebot der Schriftlichkeit nach § 32 Abs 1 VBG bedeutet grundsätzlich „Unterschriftlichkeit“ (RIS‑Justiz RS0123171), die in der Regel die eigenhändige Unterschrift unter dem Text erfordert (RS0017221).

[12] Zutreffend führt die Rekurswerberin aus, dass die Einhaltung des Schriftlichkeitsgebots im Fall einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung wie der Kündigung danach zu beurteilen ist, wie sie beim Empfänger eingelangt ist. Es genügt nicht, dass ein dem Formgebot entsprechendes Original der Erklärung beim Absender vorhanden ist, wenn es dem Empfänger selbst nicht in der erforderlichen Form zugegangen ist. Von einer solchen Annahme ist das Berufungsgericht aber nicht ausgegangen.

[13] Entscheidungswesentlich ist, ob nur die Übermittlung des physischen Originals eines unterschriebenen Kündigungsschreibens dem Schriftformgebot entsprechen kann, oder ob auch eine originalgetreue Kopie den bereits vom Berufungsgericht richtig dargelegten (§ 510 Abs 3 ZPO) und im Rekurs unbekämpft zitierten Zwecken des Formgebots ausreichend entspricht.

[14] Dazu muss grundsätzlich gewährleistet sein, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können (RS0017221), damit sie die bezweckte Beweis- oder Warnfunktion erfüllen kann. Eine teleologische Reduktion von Formvorschriften ist allgemein mit größter Vorsicht handzuhaben (RS0017221 [T1]).

[15] 2. Auch bei einseitigen Willenserklärungen, sind die unterschiedlichen Formgebote nach ihrem jeweiligen Zweck zu untersuchen (RS0031424; RS0013121; 9 ObA 110/15i mwN, ua Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 886 Rz 12; Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 886 Rz 9; Riedler in Schwimann/Kodek 5 § 886 Rz 7).

[16] Nicht dem Schriftformgebot des § 886 S 1 entsprechen mangels eigenhändiger Unterschrift des Erklärenden – soweit im Einzelfall nichts anderes angeordnet ist – elektronische Erklärungen in Form von (nicht elektronisch signierten) E-Mails, SMS, Telegramm und Fernschreiben, ferner WhatsApp-Nachrichten in Textform, Instagram, Chat-Foren oder Smart Contracts, da alle in diesen Medien abgegebenen Erklärungen keine eigenhändige Unterschrift des Erklärenden tragen, wobei eine allenfalls gedruckte Beifügung des Namens nicht ausreicht (Riedler in Schwimann/Kodek [Hrsg] ABGB5 Praxiskommentar § 886 ABGB Rz 6; 9 ObA 96/07v [Kündigung]; 5 Ob 133/10k).

[17] 3. Eine Mitteilung per Telefax, das die telekopierte Originalunterschrift des Erklärenden enthält, wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung dagegen für ausreichend erachtet, wenn es dem Zweck des jeweiligen Schriftformgebots entsprach (5 Ob 207/02f [Aufwandersatz nach § 10 Abs 4 MRG]; 9 Ob 41/12p, 1 Ob 161/13p [Bürgschaftsübernahme]).

[18] 4. Wesentlicher Zweck des Gebots einer schriftlichen Arbeitgeberkündigung ist es, dass der Arbeitnehmer ein Dokument über die Kündigung in die Hände bekommt, das Beweisfunktion hat und das er einer Rechtsberatungsstelle zur Überprüfung übergeben kann. Mit dieser Begründung hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 110/15i die Erfüllung der Schriftform durch ein per WhatsApp-Nachricht versandtes Foto der im Original unterschriebenen Kündigung deswegen verneint, weil es dem Empfänger nicht ohne weitere Ausstattung und technisches Wissen möglich sei, das Foto vom Smartphone auszudrucken.

[19] 5. Dagegen wird in der Literatur überwiegend die Auffassung vertreten, dass Texte, die der Erklärende eigenhändig unterfertigt hat und die als Faksimile, etwa als pdf-Anhang einer E-Mail, übermittelt werden, dem Schriftformgebot genügen, wenn der Gebotszweck damit erfüllt wird (Riedler aaO § 886 ABGB Rz 7; Kalss aaO § 886 ABGB Rz 9, unter Hinweis auf die Ähnlichkeit zum Telefax; Dullinger aaO § 886 ABGB Rz 4).

[20] Der erkennende Senat hat in diesem Sinn in der Entscheidung 8 ObA 5/20y die Übermittlung eines eingescannten Schreibens per E-Mail für das vereinbarte Formgebot der Schriftlichkeit zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung mit der Begründung als ausreichend beurteilt, dass deren Zweck erkennbar vor allem in der Schaffung von Rechtssicherheit liege. Für wesentlich wurde in dieser Entscheidung überdies erachtet, dass der Anhang eines E-Mails leicht auszudrucken oder direkt elektronisch weiterleitbar ist, und dass der Arbeitnehmer im Anlassfall aufgrund eines vorangegangenen Gesprächs keinen Zweifel über den Inhalt der Erklärung haben konnte.

[21] 6. Die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Situation ist mit dem Sachverhalt der Entscheidung 8 ObA 5/20y vergleichbar.

[22] Da es sich bei der Kündigung eines Dienstverhältnisses um eine einseitige, lediglich empfangs-, aber nicht zustimmungsbedürftige Willenserklärung handelt, steht auch bei der Formvorschrift des § 32 Abs 1 VBG 1948 im Kern der Informationszweck im Vordergrund. Der Vertragsbedienstete soll nachweislich und unzweifelhaft von seiner Kündigung Kenntnis erlangen. Die Unterschrift verschafft ihm das Wissen, wer die Kündigung auf Seiten des Arbeitgebers ausgesprochen hat, sodass er eine allfällige organisatorische Unzuständigkeit geltend machen könnte. Vor allem dient das Schriftlichkeitsgebot aber dem Zweck, den Vertragsbediensteten über die nach § 32 Abs 1 VBG 1948 zwingend anzugebenden Gründe für die Vertragsauflösung zu informieren, sodass er ihre sachliche und rechtliche Berechtigung prüfen und sich darüber beraten lassen kann. Die Schriftlichkeit erfüllt in diesem Zusammenhang außerdem eine wesentliche Beweisfunktion, weil ein im Kündigungsschreiben nicht angeführter Kündigungsgrund nach der ständigen Rechtsprechung nicht mehr nachträglich zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden kann (RS0081694).

[23] Diesen Zwecken des § 32 Abs 1 VBG 1948 genügt aber grundsätzlich auch die Übermittlung eines Faksimiles des im Original vom Aussteller unterfertigten Kündigungsschreibens, insbesondere – ähnlich einem Telefax – in Form einer Papierkopie bzw eines Ausdrucks des eingescannten Originals, unter der Voraussetzung, dass die Kenntnisnahme des Ausstellers und des Inhalts dadurch nicht erschwert wird und keine Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen.

[24] Diese Bedingungen sind hier erfüllt. Der Klägerin wurde das kopierte unterfertigte Kündigungsschreiben sowohl per E-Mail an die Schule, als auch persönlich und an ihren Vertreter jeweils mit RSb in Papierform zugestellt, sodass sie keine begründeten – im Übrigen auch nicht behaupteten – Zweifel hegen konnte, dass die Erklärung von der Beklagten stammte. Hinzu kommt, dass die Klägerin aus einem im Beisein ihres Vertreters geführten Gespräch mit der Bildungsdirektion der Beklagten bereits von den gegen sie erhobenen Vorwürfen und der drohenden Kündigung Kenntnis hatte (vgl 8 ObA 5/20y).

[25] Gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts bestehen daher keine Bedenken. Die im Rekurs zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 14/08m steht diesem Ergebnis nicht entgegen, weil ihr ein nicht vergleichbarer Sachverhalt (keine Unterschrift auf dem Original) zugrunde lag.

[26] 7. Die Kündigung der Klägerin zum 28. 2. 2021 war daher wirksam. Wenn das Berufungsgericht ausgehend von einer zutreffenden Rechtsansicht das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtet, ist dies vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht weiter zu prüfen (RS0042179 [T22]).

[27] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

[28] Im Zwischenstreit über die verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts findet grundsätzlich kein Kostenvorbehalt statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Da der Rekurs hier jedoch zulässig war und zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens der abschließenden Sachentscheidung vorzubehalten (RS0035976; 1 Ob 123/15t [Pkt 8]).

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