OGH 5Ob21/22g

OGH5Ob21/22g19.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z* K*, vertreten durch Dr. Georg Schwab, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Konvent *, vertreten durch Dr. Wolfgang Graziani‑Weiss, Rechtsanwalt in Linz, wegen 16.142,16 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2021, GZ 2 R 177/21v‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. August 2021, GZ 38 Cg 103/21s‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00021.22G.0719.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.505,11 EUR (darin 250,85 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger wurde vom 7. bis 19. 9. 2017 im Krankenhaus der Beklagten stationär behandelt. Bei seiner Aufnahme wurde in der Ellbogenbeuge des linken Arms eine Venenverweilkanüle („Venflon“) gelegt. In diesem Bereich entwickelte sich beim Kläger noch während seines Aufenthalts eine fieberhafte Thrombophlebitis.

[2] Nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung litt der Kläger nach wie vor an Schmerzen im Bereich der linken Ellenbogenbeuge. In der Meinung, im Krankenhaus des Beklagten sei ein Fehler passiert und seine Schmerzen stammten von der dort entstandenen Entzündung, suchte der Kläger mehrere Ärzte auf. Dabei wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Entzündung und die daraus entstandenen negativen Folgen auf eine Vernachlässigung des Venflons im Krankenhaus der Beklagten zurückzuführen seien.

[3] Der Kläger ging daraufhin von einem Behandlungsfehler aus und rief die Schiedsstelle für Behandlungszwischenfälle der Ärztekammer für Oberösterreich an. Im das Verfahren einleitenden Schreiben der den Kläger vertretenden Arbeiterkammer Oberösterreich vom 2. 10. 2017 führte diese aus, dass die massive Entzündung im Bereich des linken Arms samt ihren negativen Folgen „auf die Vernachlässigung des Venflons zurückzuführen ist und bei korrekter Behandlung nicht aufgetreten wäre“.

[4] Das Verfahren vor der Schiedsstelle der Ärztekammer Oberösterreich endete am 6. 3. 2018 ohne Anerkennung eines schuldhaften Fehlverhaltens des Beklagten und ohne Entschädigungsleistung für den Kläger.

[5] In einem Schreiben seines damaligen Rechtsvertreters vom 17. 7. 2018 warf der Kläger dem Beklagten neuerlich vor, dass durch die unsachgemäße Anbringung eines Venflons eine Entzündung an der Einstichstelle aufgetreten sei und sich das Entzündungsgeschehen bereits am 10. 9. 2017 abgezeichnet hätte. Der Kläger bat um eine gemeinsame Bestellung eines Gutachters für die Feststellung der daraus entstandenen Schmerzperioden. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 30. 7. 2018 erneut jegliche Haftung ab.

[6] In der Folge gab der Kläger ein unfallchirurgisches Gutachten in Auftrag. Der Sachverständige hielt in seinem Gutachten vom 23. 4. 2019 fest, dass zusammengefasst „kein eindeutiger Behandlungsfehler festzustellen“ sei.

[7] Am 21. 10. 2020 unterzog sich der Kläger wegen anhaltender Schmerzen, Kraftverlust und Bewegungseinschränkungen einer Operation. Seither ist er weitgehend beschwerdefrei.

[8] Der Facharzt für Unfallchirurgie, der die Operation durchführte, hielt in seinen fachärztlichen Stellungnahmen vom 11. 11. 2020, 19. 1. 2021 und 26. 1. 2021 sowie in einem Aktenvermerk vom 27. 4. 2021 – zusammengefasst – fest, dass das jahrelange Schmerzsyndrom des Klägers und die notwendige operative Behandlung kausal auf die Komplikation anlässlich des stationären Aufenthalts im Krankenhaus der Beklagten im Jahre 2017 zurückgeführt werden könne und diese Komplikation wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit Folge eines Behandlungsfehlers im ärztlichen Bereich oder im Pflegebereich sei.

[9] Mit Klage vom 14. 6. 2021 begehrte der Kläger von der Beklagten Schadenersatz (Schmerzengeld 10.000 EUR und Heilungs- und Behandlungskosten 6.142,16 EUR) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus der nicht lege artis erfolgten Anlegung und pflegerischen Betreuung sowie der zu langen Verweildauer der Venenverweilkanüle.

[10] Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ab.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers in der Hauptsache nicht Folge. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob schon die mehrfache einfache ärztliche Bestätigung der Vermutung des Klägers, es liege ein Behandlungsfehler vor, zur (den Lauf der Verjährung auslösenden) objektiven Kenntnis des verschuldeten Ursachenzusammenhangs führe.

[12] Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers. Er beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[13] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und zurückzuweisen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[15] 1. Die für den vom Kläger geltend gemachten Schadenersatzanspruch maßgebliche kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen soweit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RIS‑Justiz RS0034524; RS0034374; RS0034951).

[16] Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten Verhalten des Schädigers, in Fällen der Verschuldenshaftung auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034524 [T27, T29]; RS0034374 [T13]; RS0034951 [T5, T7]). Um mit Erfolg Klage erheben zu können, benötigt der Geschädigte sohin bei der Verschuldenshaftung Kenntnis von der Schadensursache (RS0034951), dem maßgeblichen Kausalzusammenhang (RS0034366) und dem Verschulden des Schädigers (RS0034322).

[17] Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch soweit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524 [T24, T25]). Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände können nicht mit der tatsächlichen Kenntnis der relevanten Umstände gleichgesetzt werden und genügen daher nicht (RS0034524 [T6, T18]). Auch die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihre Kenntnis nicht zu ersetzen (RS0034459). Maßgeblich ist, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren (RS0034547 [T7]).

[18] 2. Der Geschädigte darf sich aber nicht rein passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von den die Ersatzpflicht begründenden Umständen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (RS0065360 [T3]). Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034327; RS0034335). Die Erkundungspflicht des Geschädigten darf dabei nicht überspannt werden (RS0034327 [T6]). Sie setzt deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente voraus, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RS0034327 [T21, T42]). Sie erstreckt sich auf die Voraussetzungen einer erfolgversprechenden Anspruchsverfolgung schlechthin und nicht nur auf die Person des Schädigers (RS0034524 [T33]).

[19] Ist der Geschädigte Laie und setzt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und/oder – bei verschuldensabhängiger Haftung – der Umstände, die das Verschulden begründen, Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn er durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat (RS0034603 [T23]; RS0113727). Im Regelfall ist ein Laie zwar nicht verpflichtet, ein Privatgutachten einzuholen. Ausnahmsweise kann aber, sofern eine Verbesserung des Wissensstands nur so möglich und dem Geschädigten das Kostenrisiko zumutbar ist, auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Obliegenheit des Geschädigten angesehen werden (RS0034327 [T10, T33]).

[20] 3. Ab wann eine die Verjährungsfrist auslösende Kenntnis der dafür maßgeblichen Tatsachen anzunehmen ist, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig (RS0034524 [T23, T41]; RS0034374 [T47]; RS0113916 [T1, T5]), sodass diese Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO aufwirft. Das gilt im Besonderen für die Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht der Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt (RS0113916; RS0034327). Der Umstand, dass ein gleichgelagerter (oder ähnlicher) Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sein mag, bedeutet noch nicht, dass eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Bedeutung vorliegt (RS0110702; RS0107773; RS0102181).

[21] Die Revision zeigt auch keine aus Gründen der Rechtssicherheit ausnahmsweise auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.

[22] Schon das Erstgericht kam – ausgehend von den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger unmittelbar nach Behandlungsende Schaden (Entzündung der Vene und Schmerzen), Ursachenzusammenhang (Vernachlässigung der Kontrolle der Venenverweilkanüle) und Schädiger bekannt waren. Wie sich aus den Schreiben der Arbeiterkammer vom 2. 10. 2017 und dem anwaltlichen Aufforderungsschreiben vom 17. 7. 2018 ergebe, sei es dem Kläger daher bereits zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen, ein zur Begründung seiner Ersatzansprüche erforderliches Sachvorbringen konkret zu erstatten. Der Kläger habe sich schon damals auf jenes Sachvorbringen gestützt, welches er nunmehr auch in der Klage vorbringe. Der Beginn der Verjährungsfrist sei somit spätestens mit dem Schreiben der Arbeiterkammer vom 2. 10. 2017 anzusetzen. Unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 58a ÄrzteG 1998 sei somit ein allfälliger Schadenersatzanspruch des Klägers mit spätestens 7. 3. 2021 als verjährt anzusehen.

[23] Das Berufungsgericht schloss sich dieser Auffassung an. Mehrere Ärzte – Sachverständige iSd § 1299 ABGB – hätten dem Kläger nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung seine Mutmaßung, dass ein ärztliches oder pflegerisches Fehlverhalten zu seiner Venenentzündung geführt habe, bestätigt. Es stehe fest, dass dem Kläger mitgeteilt worden sei, dass die Entzündung und die daraus entstandenen negativen Folgen auf eine Vernachlässigung des Venflons im Krankenhaus zurückzuführen seien. Der Terminus „Vernachlässigung“ bringe eine Rechtswidrigkeit zum Ausdruck und beinhalte einen Verschuldensvorwurf, sodass der Kläger mit der Auskunft der Ärzte objektiv Kenntnis von dem behaupteten haftungsbegründenden Verhalten des Beklagten gehabt habe. Für diese Überzeugung des Klägers habe damit eine ausreichend objektive Grundlage vorgelegen. Der Kläger hätte damit schon ab diesem Zeitpunkt die Klage einbringen können und müssen. Daher beginne die Frist für die Verjährung der Geltendmachung des Behandlungsfehlers mit diesem vom Erstgericht an das Datum des Schreibens an die Schlichtungsstelle vom 2. 10. 2017 festgemachten Zeitpunkt zu laufen.

[24] Diese Beurteilung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist daher nicht korrekturbedürftig. Es ist zwar richtig, dass die festgestellte Überzeugung des Klägers vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers die Verjährungsfrist für sich allein noch nicht in Gang setzt. Diese bloß subjektive Überzeugung allein ermöglicht dem Kläger noch nicht, unter Bedachtnahme auf seine Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (§ 178 Abs 1 ZPO) ein konkretes Tatsachenvorbringen zu den relevanten Umständen zu erstatten (3 Ob 140/14f; 4 Ob 144/11x mwN). Gleich einer Mutmaßung kann die subjektive Meinung nicht mit der tatsächlichen Kenntnis der relevanten Umstände gleichgesetzt werden.

[25] Der Kläger hat hier allerdings seiner aus dem Vorliegen konkreter Verdachtsmomente resultierenden Erkundungsobliegenheit (vgl 4 Ob 144/11x) entsprochen und vor Erhebung seiner Ansprüche gegenüber dem Beklagten Schritte zu deren Objektivierung gesetzt. Gleich mehrere Ärzte bestätigten ihm, dass die Entzündung und die daraus entstandenen negativen Folgen auf eine Vernachlässigung des Venflons im Krankenhaus zurückzuführen seien. Der Kläger hatte nach der Konsultation dieser Ärzte also eine objektive Grundlage für die Annahme eines Behandlungsfehlers. Die Beurteilung der Vorinstanzen, nach diesenFeststellungen habe der Kläger (anders als etwa in dem der Entscheidung 4 Ob 96/20a [Punkt 2.4.] zugrunde liegenden Fall) ausreichend gesicherte Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler gehabt und damit den nunmehr in seiner Klage behaupteten anspruchsbegründenden Sachverhalt bereits damals gekannt (vgl 1 Ob 121/17a [Punkt II.2.]), sodass zu diesem Zeitpunkt die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begann, ist nicht zu beanstanden. Mit seinem Argument, eine erfolgversprechende Klageeinbringung wäre erst nach der Operation am 21. 10. 2020 möglich gewesen, weil er bis dahin von einem schicksalhaften Verlauf und von keinem Verschulden von Seiten der Beklagten ausgegangen sei, entfernt sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt.

[26] Daran, dass mit der objektiv vertretbaren Annahme eines Behandlungsfehlers die Verjährung in Gang gesetzt worden ist (vgl RS0034387), ändert auch der Umstand nichts, dass die Ergebnisse des Schlichtungsverfahrens und des ersten Privatgutachtens nicht für oder sogar gegen den Prozessstandpunkt des Klägers sprachen. Schon das Erstgericht wies zutreffend daraufhin, dass Zweifel an der Beweisbarkeit des bekannten anspruchsbegründenden Sachverhalts den Verjährungsbeginn nicht hinausschieben (RS0034374 [T46]; RS0034524 [T47, T62]; RS0034951 [T21]). Der Geschädigte darf nicht solange zuwarten, bis er den Prozess mit Sicherheit zu gewinnen glaubt (RS0050338 [T5, T12]; RS0034374 [T16, T40]); er kann nicht solange zuwarten, bis er alle Beweismittel gesammelt hat, die sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduzieren (RS0034524 [T6]; vgl RS0034515).

[27] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und deren Zurückweisung beantragt (RS0112296).

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