OGH 8Ob65/22z

OGH8Ob65/22z25.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. S* B*, geboren am * 2004, und 2. mj M* B*, geboren am * 2006, diese vertreten durch die Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters A* B*, vertreten durch Mag. Marietta Zehetmayer, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. September 2021, GZ 43 R 304/21f‑129, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 15. Juni 2021, GZ 16 Pu 101/12t‑121, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00065.22Z.0525.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

1. Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich der den Antragstellerinnen ab 1. Juli 2021 zu leistenden Unterhaltsbeiträge bestätigt.

2. Im Umfang der vom 1. Mai 2019 bis 30. Juni 2021 zu leistenden Unterhaltsbeiträge werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben.

Insoweit wird die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Antrag auf Ersatz der Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Die Erstantragstellerin hat nach Erhebung des Revisionsrekurses die Volljährigkeit erreicht. Damit ist die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers im Namender Erstantragstellerin für das weitere Verfahren erloschen. An der fortbestehenden Zuständigkeit des Außerstreitgerichts für die Entscheidung im anhängigen Verfahren ändert sich dadurch nichts (RIS‑Justiz RS0005941; RS0047381).

[2] 2. Der Antragsgegner war als Vater zuletzt zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von je 210 EUR für seine beiden Töchter verpflichtet.

[3] Das Erstgericht gab den Anträgen der Kinder vom 22. 3. 2021 auf rückwirkende und laufende Erhöhung der Unterhaltsbeiträge ab 1. 5. 2019 überwiegend statt. Es verpflichtete den Antragsgegner unter unbekämpfter Abweisung des Mehrbegehrens zur Leistung bzw Nachzahlung von

- für die Erstantragstellerin vom 1. 5. 2019 bis 31. 12. 2019 250 EUR und ab 1. 1. 2020 270 EUR monatlich,

- für die Zweitantragstellerin vom 1. 5. 2019 bis 31. 12. 2019 230 EUR und ab 1. 1. 2020 245 EUR monatlich.

[4] Das Erstgericht ging bei dieser Bemessung von Einkommenslosigkeit der in Ausbildung stehenden Kinder und einem monatlichen Pensionseinkommen des nur für sie sorgepflichtigen Vaters von 1.390 EUR netto (inklusive Sonderzahlungen) aus. Die vom Vater im Verfahren behaupteten Taschengeldzahlungen an die Töchter von rund 50 EUR monatlich seien nicht unterhaltsmindernd zu berücksichtigen.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Vaters keine Folge.

[6] Es verwarf seine Einwände gegen die Anrechnung von Sonderzahlungen und die Nichtberücksichtigung von laufenden Lebenshaltungskosten. Unregelmäßig oder in geringer Höhe geleistete Taschengeldzahlungen hätten Geschenkcharakter und könnten die Unterhaltsbemessungsgrundlage ebenfalls nicht schmälern.

[7] Über Antrag des Vaters erklärte es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Bedeutung von Taschengeld als Unterhaltsleistung eine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen könnte.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs des Vaters, zu dem der Kinder- und Jugendhilfeträger eine als Rechtsmittelbeantwortung aufzufassende Äußerung (§ 6 Abs 3 AußStrG) erstattet hat, ist im Sinn der Ausführungen des Rekursgerichts zulässig. Er ist auch teilweise berechtigt.

[9] 1. Im Revisionsrekursverfahren über die Höhe des Unterhalts herrscht grundsätzlich Neuerungsverbot (RS0119918 [T8]). Dagegen verstößt das im Revisionsrekurs erhobene Vorbringen über ein mögliches Eigeneinkommen oder eine Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerinnen. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in seinem Rekurs hat der Vater die Einkommenslosigkeit der Töchter, die nach der Aktenlage beide Schülerinnen waren, in Frage gestellt.

[10] 3. Auch im Verfahren außer Streitsachen ist ein Mangel des Verfahrens nur dann beachtlich, wenn er abstrakt geeignet wäre, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen. Der Revisionsrekurs bemängelt zwar bezüglich der vom Vater geltend gemachten Krankenbehandlungskosten und der Höhe seines Einkommens eine unzureichende Stoffsammlung, führt aber nicht aus, zu welcher anderen Sachverhaltsgrundlage die Vorinstanzen aufgrund der geforderten Beweisaufnahmen gelangt wären, sodass die Relevanz der Verfahrensrüge nicht dargelegt wird (RS0122252 [T3]).

[11] 4. Die Frage der Einbeziehung der Sonderzahlungen in die Bemessungsgrundlage und die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen des täglichen Lebens stellen jeweils Rechtsfragen dar, deren Lösung durch die Vorinstanzen zutreffend der ständigen Rechtsprechung folgt (RS0013386; RS0047489 [T2]; RS0085255).

[12] Die erstmals in der Revision enthaltene Behauptung, der Antragsgegner habe noch weitere Sorgepflichten zu erfüllen, verstößt gegen das Neuerungsverbot. Sie steht mit seinem Vorbringen in erster und zweiter Instanz sowie den Angaben in seinem Verfahrenshilfeantrag im Widerspruch.

[13] 5. Soweit der Revisionsrekurs geltend macht, dass die Prozentwertkomponente bei besonders niedrigen Einkommen nicht in jedem Fall auszuschöpfen sei, wird übersehen, dass der festgesetzte Unterhalt ohnedies unterhalb des sich nach der Prozentmethode ergebenden liegt, weil das Erstgericht die Leistungsgrenze des Unterhaltsexistenzminimums (RS0047455) berücksichtigt hat.

[14] 6. Teilweise berechtigt ist der Revisionsrekurs jedoch, soweit er sich gegen die Nichtberücksichtigung des vom Vater nach dessen Vorbringen den Antragstellerinnen in der Vergangenheit bezahlten Taschengeldes richtet.

[15] Wenn im Unterhaltsverfahren auch Unterhalt für die Vergangenheit auferlegt wird, dann sind die bis zur Schaffung eines Titels bereits geleisteten Zahlungen und auch erbrachte Naturalleistungen zu berücksichtigen. Dazu hat der Unterhaltspflichtige die Behauptung aufzustellen, der Unterhaltsanspruch sei etwa durch Zahlung erloschen (vgl RS0006261; 8 Ob 39/16t). Erweist sich die Einwendung als berechtigt, ist nur die verbleibende Differenz zwischen dem geleisteten und dem tatsächlichen rechnerischen Unterhaltsbetrag für die Vergangenheit als rückständiger Unterhalt zuzusprechen (10 Ob 58/13x Pkt I.1. mwN; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 1056 f). Diese ursprünglich für den Ehegattenunterhalt entwickelten Grundsätze gelten auch für den Zuspruch von Kindesunterhalt im Außerstreitverfahren (9 Ob 23/20b).

[16] Zum Naturalunterhalt zählt auch ein dem Alter der Kinder und den elterlichen Lebensverhältnissen angepasstes Taschengeld (RS0116145; 9 Ob 23/20b). Die Einwendung des Antragsgegners, er habe seinen Töchtern in der Vergangenheit neben dem gerichtlich festgesetzten Unterhalt monatlich ca 50 EUR Taschengeld bezahlt, war daher grundsätzlich beachtlich.

[17] Konkrete Feststellungen darüber, ob und in welcher Höhe der Vater tatsächlich an die Antragstellerinnen regelmäßig Taschengeld gezahlt hat, wurden vom Erstgericht nicht getroffen, sodass eine abschließende rechtliche Beurteilung des Differenzanspruchs noch nicht möglich ist.

[18] Dem Revisionsrekurs war daher im Umfang des Zuspruchs von rückständigem Unterhalt bis zu der mit dem Beschluss des Erstgerichts vom 15. 6. 2021 erfolgten Neufestsetzung Folge zu geben und die Rechtssache insoweit zur Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[19] Hinsichtlich des Zuspruchs von laufendem Unterhalt ist der Revisionsrekurs nicht berechtigt.

[20] Da beim Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes ein Kostenersatz nicht stattfindet (§ 101 Abs 2 AußStrG), hat der Vater die Kosten seines Revisionsrekurses jedenfalls selbst zu tragen.

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