European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00026.22W.0426.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind die Kinder der 2019 verstorbenen Erblasserin, deren Nachlass dem Beklagten an Zahlungs statt überlassen wurde. Die Erblasserin schenkte dem Beklagten im Jahr 1991 eine unbebaute Liegenschaft und im Jahr 2004 – unter Zurückbehaltung eines Wohnungsgebrauchsrechts – eine bebaute Liegenschaft.
[2] Die Klägerin macht nunmehr Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Geschenknehmer geltend.
[3] Der Beklagte wendet (unter anderem) eine Gegenforderung ein, weil er (und seine Familienangehörigen, deren Ansprüche er sich abtreten habe lassen) die Erblasserin umfassend gepflegt hätten.
[4] Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung mit 75.000 EUR zu Recht und die Gegenforderung mit 8.447,72 EUR zu Recht bestehe. Es verurteilte den Beklagten daher zur Zahlung von 66.552,28 EUR sA bei sonstiger Exekution in eine der geschenkten Liegenschaften und wies das Mehrbegehren von 8.447,72 EUR sA unbekämpft ab.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.
[6] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht auf:
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Die gerügten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens wurden vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[8] 2. Die Vorinstanzen haben im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung angenommen, dass die Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts zu Gunsten der Geschenkgeberin die Annahme des Vermögensopfers nicht hindert (2 Ob 195/19v Rz 75 mwN), womit sich der Beklagte in der Revision argumentativ nicht mehr auseinandersetzt.
[9] 3. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats ist der Wert einer vom Erblasser bei der Übergabe einer Liegenschaft vorbehaltenen lebenslangen Personaldienstbarkeit, wiewohl diese Belastung auf den Zeitpunkt des Empfangs bezogen den Liegenschaftswert erheblich verminderte, bei der Schenkungshinzurechnung und der Schenkungsanrechnung auch nach dem ErbRÄG 2015 für die Bemessung des Pflichtteils außer Ansatz zu lassen, weil bereits im Übergabszeitpunkt mit völliger Sicherheit feststand, dass in dem für die Beurteilung der Pflichtteilswidrigkeit maßgebenden Zeitpunkt des Erbanfalls die Belastung weggefallen sein werde (RS0133183).
[10] 3.1. Der Beklagte hält dieser Rechtsprechung bloß den Wortlaut des § 788 ABGB entgegen. Mit diesem Argument hat sich der Senat allerdings bereits unter Beibehaltung der zitierten Rechtsprechung auseinandergesetzt (2 Ob 124/20d Rz 33), sodass es dem Beklagten insofern nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.
[11] Dass im vorliegenden Fall (anders als in den Entscheidungen 2 Ob 64/19d und 2 Ob 124/20d) ein zwei Jahre (deutlich) übersteigender Zeitraum zwischen Vermögensopfer und Tod des Erblassers verstrichen ist, lässt entgegen den Ausführungen in der Revision nicht den Schluss zu, dass die dargestellte Judikatur hier nicht anzuwenden wäre. Vielmehr hat der Senat diese bereits im Fall eines Zeitraums von mehr als sechs Jahren zwischen der Schenkung und dem Tod des Erblassers zur Anwendung gebracht (2 Ob 119/20v).
[12] Die in der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 516/88 (1 Ob 517/88) = RS0012957 betrifft keinen vergleichbaren Fall, war dort doch eine Schenkung ohne Zurückbehaltung eines Nutzungsrechts zu beurteilen.
[13] 3.2. Soweit der Beklagte argumentiert, dass er die mit einem Wohnungsgebrauchsrecht belastete Liegenschaft zu Lebzeiten der Erblasserin nur zu einem geringeren Preis verkaufen hätte können, ist ihm zu erwidern, dass diese Argumentation nicht ausreichend zwischen der Bemessung des Pflichtteils einerseits und der Haftung des Geschenknehmers andererseits differenziert (2 Ob 124/20d Rz 34).
[14] 3.3. Der vom Beklagten mittels Antrags nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG angerufene Verfassungsgerichtshof teilte dessen auch in der Revision anklingenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. So erachtete es der Verfassungsgerichtshof als verfassungsrechtlich unbedenklich, dass – im Einklang mit Rechtsprechung des erkennenden Senats – die Bewertung der geschenkten Sache grundsätzlich im Zeitpunkt des Vermögensopfers zu erfolgen hat und Nutzungsrechte an der geschenkten Sache zu Lasten des Geschenknehmers außer Betracht zu bleiben haben, wenn feststeht, dass die Belastung im Zeitpunkt des Erbfalls mit Sicherheit wegfallen wird (G 188/2021 Rz 51 ff). Auf diese Ausführungen ist der Beklagte zu verweisen.
[15] Eine unsachliche Ungleichbehandlung zwischen einem Geschenknehmer unter Lebenden einerseits und einem Geschenknehmer auf den Todesfall andererseits ist mit dem Verfassungsgerichtshof (G 188/2021 Rz 57) schon deswegen zu verneinen, weil der Geschenknehmer unter Lebenden bereits vor dem Erbfall Eigentümer der geschenkten Sache wird und über diese verfügen kann.
[16] Dass sich aufgrund des vom Gesetzgeber gewählten Modells zur Heranführung der zu Lebzeiten zugewendeten Vermögenswerte des Erblassers an die Verhältnisse im Todeszeitpunkt im konkreten Einzelfall (aufgrund der Abnützung des Gebäudes) ein der Berechnung des Pflichtteils zu Grunde legender Wert ergibt, der über dem (diese Abnützung berücksichtigenden) Verkehrswert der Liegenschaft im Todeszeitpunkt liegt, begegnet – wie sich aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu G 188/2021 ergibt – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und ist auch nicht geeignet, den Senat zu einer (neuerlichen) Überprüfung der zitierten Rechtsprechung zu veranlassen.
[17] 4. Soweit der Beklagte argumentiert, dass die aufgrund der von ihm und seiner Familie erbrachten außerordentlichen Pflegeleistungen eingewendete Gegenforderung als zu Recht bestehend erkannt hätte werden müssen, zeigt er ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[18] 4.1. Die Klägerin ist nicht Erbin nach der Erblasserin und damit auch nicht deren Gesamtrechtsnachfolgerin. Vielmehr besteht aufgrund der Überlassung des Nachlassvermögens an den Beklagten an Zahlungs statt (§ 154 AußStrG) der Zustand des ruhenden Nachlasses fort, sodass der Nachlass Subjekt der nicht untergegangenen Rechte und Pflichten der Erblasserin ist (RS0007687, RS0103726; 4 Ob 60/18d Punkt 4.).
[19] Schon aus diesem Grund richten sich allfällige Ansprüche des Beklagten (und seiner Familie) auf Abgeltung von gegenüber der Erblasserin erbrachten Pflegeleistungen grundsätzlich gegen den ruhenden Nachlass, nicht aber gegen die Klägerin. Der Beklagte legt auch nicht dar, auf welcher Grundlage ihm eine Gegenforderung gegen die Klägerin zustehen könnte; die in erster Instanz noch angezogene Anspruchsgrundlage nach § 1042 ABGB (vgl dazu 8 Ob 37/16y Punkt 6.5.) hat er im Revisionsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Insgesamt ist der Beklagte damit seiner Beweislast (vgl 2 Ob 565/82 [2 Ob 566/82] = RS0033704; Dullinger in Rummel³, § 1438 ABGB Rz 21) im Hinblick auf die Aufrechnungsvoraussetzung der Gegenseitigkeit (vgl 6 Ob 548/82; vgl Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 §§ 391–392 Rz 10) nicht nachgekommen.
[20] Die Verneinung des Zurechtbestehens der aufgrund der erbrachten Pflegeleistungen eingewendeten Gegenforderung durch das Berufungsgericht erweist sich vor diesem Hintergrund als jedenfalls vertretbar.
[21] 4.2. Es bedarf damit keines Eingehens auf die Frage, ob die Abgeltung erbrachter Pflegeleistungen aus dem in der Revision als einzige Anspruchsgrundlage noch aufrecht erhaltenen Titel der Geschäftsführung ohne Auftrag (im vorliegenden Fall) überhaupt in Betracht kommt. Ebensowenig bedarf die Frage einer Klärung, ob im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 für Pflegeleistungen Bereicherungsansprüche nach § 1435 ABGB analog konkurrierend mit Ansprüchen nach §§ 677 f ABGB gegen die Verlassenschaft bzw die Erben zustehen können (zuletzt offen gelassen in 2 Ob 198/20m Rz 32).
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