OGH 15Os142/21b

OGH15Os142/21b7.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch denHofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * H* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * H* und die Berufungen der Angeklagten * N* und * A* sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 21. Juni 2021, GZ 6 Hv 26/21d‑132,weiters über die Beschwerden der Angeklagten H* und A* gegen zugleich ergangene Beschlüsse auf Widerruf von bedingten Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019)zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00142.21B.0407.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen, demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) und den Aussprüchen über den Verfall, weiters die zugleich ergangenen (die Angeklagten H* und A* betreffenden) Beschlüsse auf Widerruf von bedingten Strafnachsichten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Auf diese Entscheidung werden der Angeklagte H* mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und die Angeklagten H*, N*, und A* ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen sowie H* und A* mit ihren Beschwerden verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ein Einziehungserkenntnis, Verfallsaussprüche sowie betreffend den Angeklagten N* einen Ausspruch über das Absehen vom Verfall in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag enthält, wurden * H* und * N* jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1./) und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 (zu ergänzen:) erster Satz zweiter Fall SMG (H* zu 2./a./, N* zu 2./b./) sowie * A* und * B* jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, „teils als Beitragstäter im Sinn des § 12 dritter Fall StGB“ (A* zu 3./a./, B* zu 3./b./), A* weiters des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG (4./) sowie sämtliche Angeklagte jeweils der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (H* zu 5./a./, N* zu 5./b./, A* zu 5./c./ und B* zu 5./d./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie in G* vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar

1./ H* und N* „im bewussten und gewollten Zusammenwirken“ als unmittelbare Täter in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem sie „im Zeitraum von April 2019 bis 12. Oktober 2020 (gemeinsam bis 15. September 2020)“ insgesamt zumindest 13.000 Gramm Cannabiskraut (mit einem Reinheitsgehalt von 13 % Delta‑9‑THC und „einem unbekannten Verhältnis der Wirkstoffe Delta‑9‑THC und THCA“; vgl dazu US 8, 12, 14, 17 f; 13 Os 7/21k), 660 Gramm Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 37 % Kokainbase) und 19 Stück MDMA‑hältige Ecstasy-Tabletten an die abgesondert verfolgten * O*, * Be* und unzählige weitere, nicht identifizierte Abnehmer gewinnbringend veräußerten,

2./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar

a./ H*, indem er am 13. Oktober 2020 rund 60 Gramm Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 82 % Kokainbase) zum Zweck des gewinnbringenden Verkaufs an seiner Wohnadresse lagerte,

b./ N*, indem er am 16. Oktober 2020 rund 160 Gramm Cannabiskraut (mit einem Reinheitsgehalt von 13,64 % Delta‑9‑THC und „einem unbekannten Verhältnis der Wirkstoffe Delta‑9‑THC und THCA“) zum Zweck des gewinnbringenden Verkaufs in einer Mülltonne versteckte,

3./ im Zeitraum von spätestens Juli 2020 bis 12. Oktober 2020 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge „teils als unmittelbarer Täter, teils als Beitragstäter“ anderen überlassen, und zwar

a./ A*, indem er insgesamt zumindest 100 Gramm Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 37 % Kokainbase) sowie unbekannte Mengen an Cannabiskraut teils selbst veräußerte, teils im Auftrag von H* und N* an verschiedene Abnehmer übergab,

b./ B*, indem er insgesamt zumindest 120 Gramm Kokain (mit einem Reinheitsgehalt von 37 % Kokainbase) im Auftrag von H* und N* an verschiedene Abnehmer übergab,

4./ A* besessen, indem er am 13. Oktober 2020 rund ein Gramm Kokain zum Zweck des gewinnbringenden Verkaufs eingesteckt hatte,

5./ ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem sie in den jeweils zu 1./ bis 4./ angeführten Zeiträumen (US 13) Suchtgift bis zum Konsum „innehatten“, und zwar

a./ H* unbekannte Mengen an Kokain (US 13, US 15) „und Cannabiskraut“,

b./ N* unbekannte Mengen an Kokain und Cannabiskraut,

c./ A* unbekannte Mengen an Kokain und Cannabiskraut,

d./ B* unbekannte Mengen an Kokain und Cannabiskraut.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * H* (ON 146).

[4] Vorweg sei festgehalten, dass der Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 14. Dezember 2021 (ON 151) betreffend die Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung und die Urteilsangleichung ausschließlich den Angeklagten N* (zu 5./b./) betrifft. Die neuerliche Urteilszustellung (vgl Zustellnachweis bei ON 132) hatte daher keine Auswirkung auf den Lauf der Rechtsmittelfristen für die übrigen Angeklagten (RIS‑Justiz RS0098845; 14 Os 98/19x; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 52, 57, § 271 Rz 55; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 1). Zufolge des für die Nichtigkeitsbeschwerde geltenden Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels ist die nach dieser (zweiten) Urteilszustellung eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H* (ON 153) unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0097300; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 1 und 6 f).

[5] Ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich allerdings, weil sich der Oberste Gerichtshof– zum Teil im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aus deren Anlass von dem Urteil anhaftender, den Angeklagten zum Nachteil gereichender materiell‑rechtlicher Nichtigkeit überzeugte (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), die eine Aufhebung des Urteils erforderte:

[6] Hinsichtlich des Überlassens (im Urteil „Verkauf“, „Veräußern“) von Suchtgift durch H* und N* (zu 1./) beschränken sich die „Feststellungen“ zur subjektiven Tatseite auf die Verwendung der Rechtsbegriffe „Vorsatz“ und „bedingter Vorsatz“ (US 11), wobei das Urteil auch an anderer Stelle nirgends offenbart, welche Tatsachen das Schöffengericht mit diesen Begriffen umschreiben wollte. Damit wird im Urteil zur subjektiven Tatseite in Bezug auf das Überlassen zu 1./ kein ausreichender Sachverhaltsbezug hergestellt (vgl Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 35).

[7] Zum Überlassen durch A* und B* (3./a./ und 3./b./) findet sich (immerhin) die Wendung, die Genannten hätten dabei (jeweils) das Überschreiten der Grenzmenge „in Kauf genommen“ (US 10 f; vgl aber RIS‑Justiz RS0088934). Ansonsten beschränkt sich das Urteil gleichfalls auf die bereits erwähnten Rechtsbegriffe (US 10 f), nicht zuletzt in Bezug auf die Aussagen zum sogenannten „Additionsvorsatz“.

[8] Ebenso fehlen zu 2./a./, 2./b./, 4./, 5./a./, 5./b./, 5./c./ und 5./d./ (deutliche und bestimmte) Feststellungen zur subjektiven Tatseite, denn diese gehen nicht über ein das Tatbildelement der Vorschriftswidrigkeit (vgl dazunäher 15 Os 1/18p und 14 Os 122/20b jeweils mwN) umfassendes (allgemeines) Wissen der Angeklagten in Bezug auf den Erwerb, den Besitz (und das Überlassen) von Cannabiskraut und Kokain hinaus (US 10 f, 13). Eine Aussage zum Vorsatz betreffend den (jeweils) inkriminierten konkreten Gewahrsam an bestimmten Suchtgiftmengen wurde hingegen nicht getroffen.

[9] Zu 2./a./ und 2./b./ können dem Urteil zudem keine Konstatierungen dahingehend entnommen werden, dass der Vorsatz des H* hinsichtlich der bei ihm am 13. Oktober 2020 sichergestellten Kokainmenge sowie jener des N* hinsichtlich des bei ihm am 16. Oktober 2020 sichergestellten Cannabiskrauts jeweils auf Besitz und Inverkehrsetzen einer die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge gerichtet war.

[10] Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) erfordern die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

[11] Die Einziehung des sichergestellten Suchtgifts (US 5, 10, 11, 12) bleibt von der Aufhebung der Schuldsprüche unberührt (RIS-Justiz RS0088115).

[12] Ein Kostenausspruch nach § 390a StPO hatte– mangels Bestands des Schuldspruchs betreffend den Angeklagten H* – zu unterbleiben (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 7). Hinsichtlich des amtswegigen Vorgehens besteht keine Kostenersatzpflicht (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12).

 

[13] Für den zweiten Rechtsgang bleibt mit Blick auf das auch in anderer Hinsicht mangelhaft gebliebene Urteil für den Fall neuerlicher Schuldsprüche und Verfallsaussprüche (großteils im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur) anzumerken:

[14] 1./ Im Strafurteil sind deutliche und bestimmte Aussagen in tatsächlicher Hinsicht zu treffen, welche (konkreten) Ausführungshandlungen (vgl RIS‑Justiz RS0117320) bzw welche (kausalen) Beitragshandlungen (vgl RIS‑Justiz RS0090508) den jeweiligen Beteiligten (mengenbezogen) zur Last gelegt werden und von deren Vorsatz umfasst sind. Eine (allfällige) Vermittlung des Überlassens von Suchtgift durch einen anderen (vgl US 10) erfüllt das Tatbild des Verschaffens iSv § 27 Abs 1 Z 1 neunter Fall SMG bzw § 28a Abs 1 sechster Fall SMG in unmittelbarer Täterschaft (RIS‑Justiz RS0116841; 11 Os 31/10h). Unter den übrigen Voraussetzungen können mehrere Überlassens- und Verschaffensvorgänge allerdings zusammengefasst werden, weil es sich um (gleichwertige) alternative Tatbestandsvarianten handelt (13 Os 24/12x).

[15] Wahlweise Feststellungen sind dann denkbar, wenn jede der wahlweise getroffenen Annahmen zu den gleichen rechtlichen Schlüssen führt (RIS‑Justiz RS0098710; zur rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen des § 12 StGB vgl RIS-Justiz RS0117604).

[16] 2./ Die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen – also auch zur subjektiven Tatseite – sind zu begründen (vgl Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 40).

[17] 3./ Das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht und weist keine Mindeststrafdrohung auf, sodass sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB ein Strafrahmen (RIS‑Justiz RS0133600) von bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe (und nicht von sechs Monaten bis zu siebeneinhalb Jahren; vgl US 19) ergibt.

[18] Zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB in tatsächlicher Hinsicht (auch zur Verbüßung der relevanten Vorstrafen) sind zudem Feststellungen zu treffen (11 Os 74/20x [Rz 17 f]).

[19] 4./ Mit Blick auf § 31 Abs 1 StGB sind bei Vorliegen entsprechender Verfahrensergebnisse (vgl den B* betreffenden Bericht über den Antritt einer mit Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 19. März 2021, AZ 218 U 109/20d, verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe [ON 110 S 3]), Feststellungen zu relevanten Vor‑Urteilen zu treffen (RIS‑Justiz RS0117918 [T1], RS0085974 [T3], RS0108409 [T1]) und ist im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen bei der Sanktionsfindung nach §§ 31, 40 StGB vorzugehen.

[20] 5./ Nach § 20 Abs 1 StGB hat das Gericht Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Ist ein dem Verfall unterliegender Vermögenswert nicht sichergestellt oder beschlagnahmt, so hat das Gericht nach § 20 Abs 3 StGB einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der diesem Vermögenswert entspricht.

[21] Dem Verfall unterliegende Vermögenswerte (§ 20 Abs 1 StGB) sowie der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) dürfen nur dem tatsächlichen Empfänger mittels Verfall abgenommen werden; sind daher Vermögenswerte – wie hier – mehreren Personen zugekommen, so ist bei jedem Empfänger nur der dem jeweils tatsächlich rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag für verfallen zu erklären (RIS‑Justiz RS0129964).

[22] Hiefür hat das Gericht eine entsprechende Feststellungsgrundlage zu schaffen, gerade wenn es von einer Bandbreite bei Verkaufspreisen („von … bis …“) ausgeht.

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