OGH 9ObA116/21f

OGH9ObA116/21f24.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und die fachkundigen Laienrichter Mag. Sabrina Langer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Rechtssache der Antragsteller 1. Wirtschaftskammer Österreich Fachverband Gastronomie, 2. Wirtschaftskammer Österreich Fachverband Hotellerie, beide Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin Österreichischer Gewerkschaftsbund, Johann‑Böhm‑Platz 1, 1020 Wien, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, wegen Feststellung (§ 54 Abs 2 ASGG), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00116.21F.0324.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Antrag der Antragsteller, es werde festgestellt, dass die im Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe enthaltene Kündigungsregel (§ 21a), wonach (nach Ablauf der Probezeit) das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14‑tägiger Kündigung gelöst werden kann, über den 30. 09. 2021 hinaus wirksam ist,

wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsteller, der Fachverband Hotellerie und der Fachverband Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich, beantragen wie aus dem Spruch ersichtlich und bringen zusammengefasst vor, aufgrund von BGBl I 2017/153 und BGBl 2021/121 sei ab dem 1. 10. 2021 eine Änderung des § 1159 ABGB zur Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten in Kraft, wonach der Dienstgeber das Dienstverhältnis zum Quartal mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen könne, mit steigender Dienstzeit verlängere sich die Frist. Arbeiter und Angestellte könnten mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsletzten das Dienstverhältnis aufkündigen, wobei aber eine gleich lange Frist wie für Arbeitgeber vereinbart werden könne. Allerdings ermögliche § 1159 Abs 2 letzter Satz und Abs 4 letzter Satz ABGB für Saisonbranchen ein Abweichen von den neuen gesetzlichen Kündigungsmodalitäten durch Kollektivvertrag. Die Antragsteller hätten mit dem Antragsgegner am 26. 4. 2019 den mit 1. 5. 2019 in Kraft getretenen Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (idF: KV) abgeschlossen, der 14‑tägige Kündigungsfristen ohne Beschränkung auf bestimmte Kündigungstermine enthalte. Dies sei auch nach In‑Krafttreten des § 1159 ABGB idF der Novelle BGBl I 2017/153 eine zulässige Abweichung von den geänderten gesetzlichen Kündigungsmodalitäten.

[2] Zum maßgeblichen Sachverhalt zu § 1159 ABGB („Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen“) brachten die Antragsteller vor, sie würden als gesetzliche Interessenvertretung die Interessen aller gewerblichen österreichischen Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe vertreten. Die Mehrheit dieser Betriebe unterliege regelmäßig erheblichen saisonalen Schwankungen entlang der Jahreszeiten, wobei hier zwei Hochsaisonen charakteristisch seien, nämlich die Sommer- und die Wintersaison. Saisonale Schwankungen würden sich auch erheblich auf die Beschäftigung im Tourismus auswirken.

[3] Eine umfassende Analyse der Jahre 2014 bis 2018 von 14.153 Beherbergungsbetrieben habe ergeben, dass über die untersuchten Jahre hinweg regelmäßig bei 79,1 % dieser Betriebe die Schwankung zwischen dem höchsten Beschäftigungsstand und dem niedrigsten Beschäftigungsstand innerhalb eines Jahres bei Arbeitern und Arbeiterinnen (inklusive geringfügig Beschäftigter) regelmäßig und erheblich gewesen sei, das heißt 33,33 % oder mehr betragen habe. Bei 77,3 % der Betriebe sei auch die jährliche Schwankung unter Berücksichtigung aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, das heißt Arbeiter/Arbeiterinnen und Angestellte (inklusive geringfügige Beschäftigte) regelmäßig und erheblich, das heißt habe zumindest 33,33 % betragen. Die Mehrzahl der von dem Erstantragsteller vertretenen und vom Kollektivvertrag erfassten Betriebe würden daher ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten bzw regelmäßig zu bestimmten Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. Insbesondere zeigten die für die gesamte Tourismusbranche maßgeblichen Nächtigungsdaten, die für die vergangenen zehn Jahre vom Erstantragsteller erhoben worden seien, regelmäßige erhebliche saisonale Schwankungen iSd § 53 Abs 6 ArbVG. So habe im Jahr 2019 die maximale Abweichung zwischen dem Monat mit den höchsten Zahlen an Nächtigungen (August 2019) und dem jenem Monat mit der niedrigsten Zahl an Nächtigungen (November 2019) 73,7 % betragen. Eine vergleichbare Differenz habe sich für die Jahre 2010 bis 2018 ergeben (im Detail dargelegt). Auch eine Analyse der Nächtigungsdaten mit Hilfe des Variationskoeffizienten, der den Grad der Variabilität zum Mittelwert (relatives Streuungsmaß) zeige, ergebe über die vergangenen zehn Jahre saisonale Schwankungen im Ausmaß von deutlich über 33,33 % (2010: 41,3 % [und für die Folgejahre dargelegt]). Insgesamt zeigten sich auch hier erhebliche (das heißt über 33,33 % liegende) regelmäßige Schwankungen der Nächtigungsdaten, und somit der Auslastung der vom Erstantragsteller betroffenen Beherbergungsbetriebe.

[4] Auch die Beschäftigungsdaten des Zweitantragstellers Fachverband Gastronomie zeigten regelmäßige erhebliche saisonale Schwankungen iSd § 53 Abs 6 ArbVG: Eine umfassende Analyse der Jahre 2014 bis 2018 von 34.258 Gastronomiebetrieben zeige, dass über die untersuchten Jahre hinweg regelmäßig bei 59,8 % dieser Betriebe die Schwankung zwischen dem höchsten Beschäftigungsstand und dem niedrigsten Beschäftigungsstand innerhalb eines Jahres bei Arbeitern und Arbeiterinnen (inklusive geringfügig Beschäftigter) regelmäßig und erheblich gewesen sei, das heißt 33,33 % oder mehr betragen habe. Berücksichtige man nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern auch Angestellte (inklusive geringfügig Beschäftigter), zeige sich, dass 59,0 % der Betriebe regelmäßig erhebliche Beschäftigungsschwankungen (33,33 % oder mehr) aufweisen. Auch die Mehrzahl der vom Zweitantragsteller vertretenen und vom Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe erfassten Betriebe würden daher regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. Die von § 53 Abs 6 ArbVG für das Vorliegen eines Saisonbetriebs geforderte „Erheblichkeit“ saisonaler Beschäftigungsschwankungen sei auch nach dem Obersten Gerichtshof (8 ObA 83/04w) jedenfalls ab etwa einem Drittel gegeben. Diese „Erheblichkeitsschwelle“ sei sowohl in Bezug auf das Ausmaß der saisonalen Beschäftigungsschwankungen der betroffenen Betriebe als auch in Bezug auf das Ausmaß der Schwankungen bei den Nächtigungsdaten jedenfalls erfüllt.

[5] Die Antragsteller erläuterten dazu, dass die Daten anhand von monatlichen Beschäftigungsdaten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, die mit dem Unternehmensregister der Statistik Austria verknüpft wurden, vorgenommen und nur Unternehmen einbezogen worden seien, für die Beschäftigtendaten von zumindest zwei vollen Jahren innerhalb dieses Zeitraums vorgelegen seien. Erheblichkeit der Schwankungen sei als Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Beschäftigungsstand eines Jahres von zumindest 33,33 % definiert worden. Die Mindestschwankung habe in einem Unternehmen zudem in zumindest 60 % der einbezogenen Jahre des Untersuchungszeitraums auftreten müssen. Die untersuchten Betriebe seien sämtliche Beherbergungs‑ bzw Gastronomiebetriebe, die Unselbständige beschäftigten und nach der WKO Beschäftigungsstatistik in Kammer Systematik, gemäß ihrem Tätigkeitsschwerpunkt, Anfang 2019 dem jeweiligen Fachverband zugeordnet gewesen seien.

[6] Der Neuregelung des § 1159 ABGB für Saisonbranchen sei nicht zu entnehmen, dass sie nur solche kollektivvertraglichen Abweichungen zulasse, die zeitlich nach Inkrafttreten des Gesetzes vereinbart wurden. Dem Gesetz könne kein solcher Eingriff in bestehende Kollektivverträge zugesonnen werden und wäre auch sachlich nicht zu rechtfertigen. In Übereinstimmung mit der herrschende Lehre und der Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen (9 ObA 17/13k), aber auch aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht (Koalitionsfreiheit) sei daher davon auszugehen, dass bereits bestehende Kollektivverträge weiter wirksam blieben.

[7] Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags, dies zusammengefasst mit der Begründung, der behauptete Sachverhalt sei unrichtig, weil in der Branche des Hotel- und Gastgewerbes Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen würden. Die Daten der Antragsteller ergäben keine entsprechenden witterungsabhängigen Schwankungen. Es sei keine (aggregierte) Darstellung der gesamten Branche, sondern nur der beiden Teilbereiche Gastronomie und Beherbergung vorgelegt worden. Die Kollektivvertragsparteien hätten dazu auch keine Festlegung als Saisonbranche getroffen.

[8] § 1159 Abs 2 ABGB bedeute, dass sämtliche alten kollektivvertraglichen Bestimmungen, die nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153 Bezug nehmen oder nach dessen Inkrafttreten vereinbart worden seien, gesetzwidrig seien. Hätten die in den ArbeiterInnen-Kollektivverträgen enthaltenen Kündigungsfristen weitergelten sollen, wäre das Hinausschieben des Geltungsbeginns um drei Jahre nicht erforderlich gewesen. Die Weitergeltung kollektivvertraglicher Regelungen trotz neuer Gesetzesbestimmungen werde sonst auch ausdrücklich normiert. Dem Gesetzgeber könne nicht die Schaffung von Kündigungsregeln unterstellt werden, die von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würden und damit kaum einen Anwendungsbereich hätten. Die Einführung von § 1159 ABGB hätte keinerlei Wirkung, es käme wiederum auf die Kollektivvertragspartner an, zu entscheiden, ob eine Angleichung der Kündigungsfristen erfolgen solle. Dies habe der Gesetzgeber verhindern wollen. Auch der Wortlaut des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB („festlegen“) lege ein aktives Tun der Kollektivvertragsparteien zur Nutzung der Ausnahmeregelung nahe. Sie hätten selbst ein Untätigwerden offenbar nicht als ausreichend erachtet. Denn in zahlreichen ArbeiterInnen‑Kollektivverträgen seien ausdrückliche Regelungen im Hinblick auf den neuen § 1159 ABGB getroffen worden. Die verfassungs- und unionsrechtlichen Erwägungen der Antragsteller seien unrichtig. Pkt 21 a und b des Kollektivvertrags sei daher teilnichtig und nicht anzuwenden.

Folgendes war zu erwägen:

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. Die Antragsteller sind als Fachverbände der Wirtschaftskammer Österreich iSd § 4 Abs 1 ArbVG kollektivvertragsfähig (vgl 8 ObA 64/13i). Der Antragsgegner ist als eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigung der ArbeitnehmerInnen iSd § 4 Abs 2 ArbVG kollektivvertragsfähig. Die Streitteile sind daher aktiv und passiv antragslegitimiert (vgl RS0085712).

[10] 2.  Gemäß § 54 Abs 2 ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Antrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Gemäß § 54 Abs 4 ASGG hat der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.

[11] Da sämtliche der angeführten Voraussetzungen unstrittig gegeben sind, ist der vorliegende Feststellungsantrag zulässig.

[12] 3.  Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. Danach kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung besteht. Ein rechtliches Interesse ist nicht anzunehmen, wenn in Wahrheit nicht die Rechtslage, sondern nur der Sachverhalt strittig ist (vgl RS0109383 [T5]).

[13] 4. Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Kündigungsregel des mit Wirkung ab 1. 5. 2019 vereinbarten § 21 lit a des Kollektivvertrags für das Hotel- und Gastgewerbe (davor: § 20 lit a in der wortgleichen Fassung vom 1. 7. 2018) vor dem Hintergrund des zum 1. 10. 2021 in Kraft getretenen § 1159 Abs 2 letzter Satz und Abs 4 letzter Satz ABGB weiter Bestand hat. Das Feststellungsinteresse der Antragsteller liegt damit im Kern in der Frage, ob die in den Anwendungsbereich des Kollektivvertrags fallenden ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen berechtigt sind, Arbeitsverträge nach Maßgabe des § 21 lit a des Kollektivvertrags mit einer 14-tägigen Kündigungsfrist zu beenden.

4.1. Kollektivvertrag

[14] Der von den Streitteilen abgeschlossene Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe in der ab 1. 5. 2019 geltenden Fassung lautet auszugsweise:

1.  Geltungsbereich

b.  Fachlich: Für alle Betriebe, die der Wirtschaftskammer Österreich, Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft, Fachverband Gastronomie bzw Fachverband Hotellerie angehören.

 

21.  Lösung des Arbeitsverhältnisses

a.  Das unbefristete Arbeitsverhältnis kann in den ersten 14 Tagen, die als Probezeit gelten, ohne vorherige Kündigung gelöst werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14‑tägiger Kündigung gelöst werden.

b.  Befristete Arbeitsverhältnisse gelten nur dann als solche, wenn der Tag des Beginns und der Tag der Beendigung kalendermäßig festgelegt sind. Die Bezeichnung „Schluss der Saison“ bzw. „Ende der Saison“ gilt nicht als kalendermäßig festgelegt. Solche Arbeitsverhältnisse können nach Ablauf dieser Zeit bei unbefristeter Fortsetzung unter Einhaltung einer 3‑tägigen Kündigungsfrist gelöst werden, wenn die Weiterbeschäftigung nicht länger als 28 Tage dauert.

[15] 4.2. § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 („Arbeitnehmer‑Angleichungspaket“) lautet:

§ 1159.  (1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.

(2) Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 22/1974, überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(3) Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die im Absatz 2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.

(4) Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(5) Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, so kann es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden.

[16] 4.3. Die Bestimmung geht auf einen Initiativantrag zurück, der die unterstrichenen Textpassagen noch nicht enthielt und zu dem Folgendes festgehalten wurde (2306/A 25. GP 8):

„Nach derzeitigem Recht regeln die §§ 1159 bis 1159c ABGB die Kündigungsfristen und -termine in höchst komplexer Weise in Relation zur Dauer des Dienstverhältnisses, der Art der geschuldeten Dienste und je nach der Bemessung des Entgelts. Diese Bestimmungen sind zugunsten des Arbeitnehmers unabdingbar. Für Arbeiter im Sinne der Gewerbeordnung 1859 gelang [te] die Kündigungsregelungen des § 77 GewO 1859 zur Anwendung; diese Bestimmung ist im Unterschied zu den Kündigungsregeln des ABGB abdingbar, d.h. die 14‑tägige Kündigungsfrist kann auch zuungunsten des Arbeiters geändert werden.

Im Sinne einer Harmonisierung und Anpassung der Rechte der Angestellten und Arbeiter sieht der Initiativantrag vor, dass die bislang für Arbeiter geltenden Kündigungsbestimmungen des ABGB und der GewO 1859 mit 31. Dezember 2017 außer Kraft treten und mit 1. Jänner 2018 auch für Arbeiter die bislang für Angestellte geltenden Kündigungsbestimmungen des § 20 AngG Anwendung finden sollen mit der zuvor erläuterten Maßgabe (Entfall eines zeitlichen Mindestbeschäftigungsausmaßes). Dem entsprechend werden die bisherigen §§ 1159 bis 1159c ABGB durch den vorgeschlagenen § 1159 ABGB ersetzt, der inhaltlich dem § 20 AngG entspricht. Der vorgeschlagene § 1159 ABGB kann durch Dienstvertrag oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung nur zum Vorteil des Arbeiters geändert werden. Diese Änderungen sollen mit 1. Jänner 2018 in Kraft treten und auf Beendigungen Anwendung finden, die nach dem 31. Dezember 2016 ausgesprochen werden.“

[17] Infolge eines Abänderungsantrags (AA‑243 25. GP ) wurden die unterstrichenen Textpassagen angefügt und das Inkrafttreten (zunächst) auf 1. 1. 2021 verschoben und dazu festgehalten:

„Weiters wird vorgesehen, dass die im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch und im Landarbeitsgesetz 1984 vorgenommene Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an die der Angestellten nicht bereits mit 1. Jänner 2018, sondern erst mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten soll. Diese Legisvakanz ermöglicht Branchen, bei denen derzeit Saisonbetriebe überwiegen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen einzustellen. Unter diese Saisonbetriebe fallen etwa Tourismusbetriebe, Betriebe des Baugewerbes und andere Saisonbetriebe gemäß Arbeitsverfassungsgesetz. Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den 1. 1. 2021 ist damit möglich.“

[18] § 1159 ABGB ist schließlich nach erneuter Verschiebung des Inkrafttretens zum 1. 10. 2021 in Kraft getreten (§ 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl 2021/121). Die Verlängerung der Legisvakanz wurde „in Folge der COVID‑19 Krisensituation und der dazu getroffenen gesetzlichen Maßnahmen vorgesehen“; weitere Erläuterungen dazu erfolgten nicht (1698/A 27. GP  2).

[19] 4.4. Die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten ist nach dem gesetzlichen Modell daher nicht durchgehend verwirklicht, sondern ermöglicht nach Maßgabe des § 1159 ABGB kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell, die für „Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen“, auch kürzere Kündigungsfristen enthalten können (vgl auch § 10 Abs 5 AÜG).

[20] 5. Die Weitergeltung der kollektivvertraglichen Regelung erfordert zunächst die Prüfung, ob sie durch die Neufassung des § 1159 ABGB als solche überholt wurde. Das ist nicht der Fall.

[21] 5.1. § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB eröffnet Kollektivvertragspartnern die Möglichkeit, für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen festzulegen. Eine Vorgabe, ob diese Festlegung schon vor oder erst nach Inkrafttreten der Bestimmung erfolgen kann, ist weder in § 1159 ABGB noch in einem Übergangsregime enthalten. Bedenkt man, dass eine solche kollektivvertragliche Regelung sowohl vor (Nachgiebigkeit des § 77 GewO 1859) als auch nach dem Inkrafttreten des § 1159 ABGB idgF zulässigerweise vereinbart werden konnte und kann, spricht dies zunächst dafür, dass es dem Gesetzgeber nur darauf ankam, die Festlegung von Kündigungsfristen für ArbeiterInnen in Saisonbranchen auch im Rahmen der Neuregelung weiterhin den typischerweise „branchennäheren“ Kollektivvertragsparteien zu überlassen und einen Zustand zu ermöglichen, in dem die Kündigungsfristen durch die Kollektivvertragsparteien festgelegt sind. Dieses Verständnis geht auch aus den Materialien hervor, die im zitierten Abänderungsantrag festhalten (AA 243 25. GP S 4): „Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den [damals noch:] 1. 1. 2021 ist damit möglich“.

[22] 5.2. Die Verlängerung der Legisvakanz steht dem nicht entgegen. Dass sie nach dem Abänderungsantrag ermöglichen sollte, sich auf verlängerte Kündigungsfristen einzustellen, weist nicht ausreichend auf die Notwendigkeit eines aktiven Tuns der Kollektivvertragspartner im Sinn des Abschlusses einer Neuvereinbarung hin (so aber Kessler, ArbeitgeberInnenkündigungen ab 1. 1. 2021, DRdA‑infas 2020, 368), weil die Evaluierung der kollektivvertraglichen Regelung keinen Anpassungsbedarf ergeben muss. Dass es dem Gesetzgeber um die Möglichkeit zu Anpassungen ging, spricht vielmehr dafür, dass Vorkehrungen der Kollektivvertragspartner im Hinblick auf die bekannte künftige Neuregelung, sohin vor ihrem Inkrafttreten ermöglicht werden sollten. Ob Kollektivvertragsparteien dabei, wie hier, in der Legisvakanz – und sohin in anzunehmender Kenntnis der gesetzlichen Neuregelung – eine von § 1159 ABGB abweichende Regelung trafen oder eine bestehende Regelung auch nur weiter aufrecht hielten, kann keinen Unterschied machen. Dass dabei auch ausdrücklich auf § 1159 ABGB Bezug genommen werden müsste, entspricht keiner gesetzlichen Vorgabe.

[23] 5.3. Dass in anderen Fällen ausdrücklich gesetzliche Regelungen über die Weitergeltung bestehender Kollektivvertragsnormen getroffen worden sein mögen, erlaubt noch keinen Umkehrschluss auf einen nun davon abweichenden gesetzgeberischen Willen (vgl schon 9 ObA 17/13k zu einer insofern vergleichbaren Konstellation [Mehrarbeitsstundenzuschläge nach § 19d Abs 3 f AZG: Möglichkeit der kollektivvertraglichen Abweichung]). Umgekehrt hätte eine Auslegung dahin, dass mit § 1159 ABGB idgF abweichende kollektivvertragliche Vereinbarungen nur bei Neuabschluss zulässig wären, aber zur Folge, dass Altvereinbarungen zum 1. 10. 2021 ungültig würden und (ggf inhaltlich gleichlautend) neu abzuschließen wären. Ein Sachgrund dafür ist nicht ersichtlich.

[24] 5.4. Das Argument der Antragsgegnerin, dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, eine Kündigungsregel zu schaffen, die unter Berücksichtigung des letzten Satzes des Abs 2 des § 1159 ABGB von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würde und damit kaum einen Anwendungsbereich habe, überzeugt dagegen nicht, weil die gesetzliche Ermächtigung zu einer abweichenden kollektivvertraglichen Regel nun nur mehr so weit reicht, als es um Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, geht. Da allen anderen Branchen, das heißt jenen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen, mit der Neuregelung die Grundlage zur kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis entzogen wurde, trifft es nicht zu, dass der Regelung kein Anwendungsbereich verbliebe oder keine Wirkung zukäme.

[25] 5.5. Wie es auch den überwiegenden Stellungnahmen der Literatur entspricht (Schrank, RdW 2018, 38 f; Pöschl/Unterrieder, Arbeiter und Angestellter – angeglichen, aber noch nicht gleich, RdW 2017, 831, 835 f; Gleißner/Köck, Die Neuregelung der Kündigungsfristen und –termine, Sonderheft ZAS 2017/65 330, 336, Marhold, Kündigungsfristen in Saisonbetrieben, ASoK 2019, 131, 136; s auch Wiesinger, Kündigung von Bauarbeitern, ecolex 2018, 10; Schrittwieser, „Angleichungspaket“: Zur Arbeiterausnahme für Saisonbetriebe im künftigen Kündigungsrecht, RdW 2018, 171; Mazal, Neue Kündigungsfristen für Arbeiter – Neuregelung versus Fortbestand kollektivvertraglicher Regelungen, ecolex 2021, 608; aA Wachter, Das neue Kündigungsrecht, in Wachter, Jahrbuch Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 133, 149), ist damit insgesamt kein hinlänglicher Grund dafür erkennbar, warum eine bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschaffene kollektivvertragliche Regelung nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht weiter Bestand haben sollte, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden.

[26] 6. Es ist folglich zu prüfen, ob die Regelung des § 21 lit a KV nach Maßgabe des § 1159 ABGB weiter von der den Kollektivvertragsparteien eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung zur Schaffung einer abweichenden kollektivvertraglichen Regelung gedeckt ist. Das ist dann der Fall, wenn der Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe diese Regelung für eine Branche festgelegt hat, in der Saisonbetriebe überwiegen.

6.1. Hotel- und Gastgewerbe als Branche

[27] 6.1.1. Der Begriff der Branche ist gesetzlich und in den Erläuterungen des Gesetzgebers nicht definiert. Er bedarf daher einer am Wortlaut, dem normativen Zusammenhang und dem Regelungszweck der Bestimmung zu messenden Auslegung.

[28] 6.1.2. Beim Begriff der Branche handelt es sich um keinen anerkannten Fachbegriff. Er bezieht sich nach allgemeinem Verständnis auf die Gesamtheit von Unternehmen, die sich durch ähnliche Produkte, Dienstleistungen oder einen gemeinsamen Tätigkeitsbereich auszeichnen und deshalb als ein Wirtschaftszweig (Erwerbs-, Geschäftszweig) angesehen werden können. Diese Sicht kann freilich enger oder weiter sein.

[29] 6.1.3. Überlässt der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis „für Branchen“ den Kollektivvertragsparteien, liegt es in seinem Verständnis, dass die Kollektivvertragsparteien für diesen Bereich fachlich regelungsermächtigt sein müssen. Das legt zunächst eine Bezugnahme auf den fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags nahe, wird doch vorausgesetzt, dass durch Kollektivvertrag „für Branchen …“ abweichende Regelungen getroffen werden können. Den Branchenbegriff grundsätzlich am fachlichen Geltungsbereich von Kollektivverträgen zu orientieren, entspricht auch der grundlegenden Aufgabe von Kollektivverträgen, in Durchschnittsbetrachtung nach Maßgabe gleichartiger Verhältnisse und einheitlicher Regelungsbedürfnisse innerhalb eines bestimmten fachlichen Bereichs des Wirtschaftslebens auch gleiche Arbeitsbedingungen zu schaffen.

[30] 6.1.4. Eine bedingungslose Gleichsetzung der Branche mit dem kollektivvertraglichen Geltungsbereich ist hingegen nicht möglich (Kessler aaO 370; Wachter aaO 133, 145), weil der fachliche Geltungsbereich von Kollektivverträgen auch zu klein sein kann, um nach der gesetzlichen Anforderung Regelungen für Branchen zu treffen (zB Firmenkollektivverträge), ebenso aber einen mehrere Branchen umfassenden fachlichen Geltungsbereich haben kann (zB Generalkollektivvertrag). In letzterem Fall entspricht es zwar immer noch § 1159 ABGB, wenn der Kollektivvertrag für alle, manche oder auch nur eine der erfassten Branchen eine abweichende Regelung trifft (vorausgesetzt, dass in den geregelten Branchen Saisonbetriebe überwiegen), weil die gesetzliche Ermächtigung nicht zur Gänze ausgenützt werden muss. Auch hier ist eine Gleichsetzung des Branchenbegriffs mit dem Geltungsbereich des Kollektivvertrags aber nicht mehr möglich.

[31] 6.1.5. Bestehen dafür aber keine Anhaltspunkte und liegen auch sonst keine Gründe vor, die offenkundig für eine sachwidrige Abgrenzung sprechen, kann die Ermächtigung der Kollektivvertragspartner zu einer von § 1159 ABGB abweichenden Regelung für eine Branche, in der Saisonbetriebe überwiegen, grundsätzlich nach dem fachlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrags bestimmt werden (idS auch die hA: Gleißner/Köck aaO 336, Mayr, Angleichung der Kündigungsbestimmungen von Arbeitern und Angestellten, wbl 2021, 561, 564; Marhold aaO 134; Wiesinger aaO 11).

[32] 6.1.6. Eine Anknüpfung an die Wirtschaftsabteilungen der ÖNACE‑Klassifikation („ÖNACE‑Zweisteller“, vgl Kessler aaO 370) erscheint dagegen nicht zielführend. Wenngleich sie eine gewisse Orientierung bieten, könnten im Hinblick auf den Geltungsbereich von Kollektivverträgen neue Abgrenzungsfragen entstehen (zB Trennung von Gewerbe und Industrie). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber von diesem spezifischen Verständnis ausgehen wollte (ebenso zB Schrittwieser aaO 171, 174).

[33] 6.1.7. Für das Hotel- und Gastgewerbe bestehen antragstellerseitig zwar verschiedene Fachverbände. Die Kollektivvertragspartner gehen für diesen Bereich aber fachlich von so großen ähnlichen Erfordernissen für die arbeitsrechtlichen Belange der dort beschäftigten ArbeiterInnen aus, dass sie den Geltungsbereich des Kollektivvertrags fachlich auf die Hotellerie und die Gastronomie erstreckt haben. Ein sachwidriges Branchenverständnis kommt damit nicht zum Ausdruck. Im Sinne der obigen Ausführungen ist der fachliche Geltungsbereich des vorliegenden Kollektivvertrags – Hotel- und Gastgewerbe – daher zugleich als branchenbestimmend anzusehen. Vom Verständnis des Hotel- und Gastgewerbes als einheitliche Branche gehen nicht zuletzt auch die Streitteile im Verfahren aus.

6.2. Überwiegen von Saisonbetrieben

[34] 6.2.1. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt überdies nur, wenn in der Branche Saisonbetriebe überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Der Gesetzgeber hat sohin eine generalisierende Betrachtung gewählt.

[35] 6.2.2. Schon aus grundsätzlichen Erwägungen kann das Überwiegen von Saisonbetrieben durch die Kollektivvertragsparteien zwar deklarativ festgehalten, jedoch nicht normativ festgelegt werden, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist. Überwiegen in einer Branche die Saisonbetriebe nicht, besteht sohin keine Befugnis der Kollektivvertragsparteien zur Schaffung von vom gesetzlichen Regelmodell abweichenden Kündigungsfristen. Eine solche Festlegung haben die Streitteile im Hinblick auf die verfahrensgegenständliche Branche hier auch nicht vorgenommen.

[36] 6.2.3. Da auch für das Überwiegen von Saisonbetrieben in einer Branche keine gesetzlichen Vorgaben bestehen, ist mangels anderer Anhaltspunkte nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes „Überwiegen“ auf ein quantitatives Überwiegen abzustellen. Wie Marhold (aaO) unter Verweis auf grundlegende Strukturelemente des österreichischen Kollektivvertragsrechts (insbes von der Betriebsgröße unabhängiges Stimmrecht eines jeden Kammer-/Fachgruppenmitglieds in der Fachgruppe/im Fachverband) aufzeigt, hätte der Gesetzgeber anderes, wenn er es gewollt hätte, mit einer entsprechenden Formulierung zum Ausdruck bringen müssen. Ein Abstellen auf Marktanteile, Umsatz oder die Anzahl der Saisonarbeiter (erwägend Schrittwieser aaO 171, 174) im Sinn eines „qualitativen“ Überwiegens ist danach nicht angezeigt. Dagegen spricht auch die erhöhte Rechtsunsicherheit für die Gesetzesanwendung, die zu den zahlreichen auslegungsbedürftigen Begriffen noch hinzukäme, weil die Geltung einer kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelmodell auch noch der Erhebung des entsprechenden Datenmaterials (und ggf dessen Überprüfbarkeit durch die Normadressaten) bedürfte. Auch das ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen. Liegt eine zahlenmäßige Mehrheit an Saisonbetrieben vor, bleibt danach auch kein Raum für ein zusätzliches Erfordernis dahin, dass auch der Anteil der Beschäftigten von Saisonbetrieben im Vergleich zu den Beschäftigten der gesamten Branche ein derartiges Ausmaß erreicht, dass diesen Betrieben in der Branche die größte Bedeutung zukommt und sie den Charakter der Branche bestimmen (so Kessler aaO 373). Für das Überwiegen kommt es sohin auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an (idS auch Marhold aaO 134 f; Mayr aaO 564; Wachter aaO 147).

[37] 6.2.4. Festzuhalten ist dazu auch, dass ein lediglich punktuelles Überwiegen von Saisonbetrieben, etwa im Zeitpunkt des Abschlusses des Kollektivvertrags, nicht genügen kann, weil das Überwiegen von Saisonbetrieben auch eine gewisse längere zeitliche Dimension erfordert, um branchenkennzeichnend zu sein. Umgekehrt kann deshalb aber auch ein punktuelles Absinken unter diese Schwelle nicht schaden.

6.3. Saisonbetriebe

[38] Für „Saisonbetriebe“ verweist § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB auf § 53 ArbVG.

[39] 6.3.1. Der Auslegung dieses Begriffs ist voranzustellen, dass der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB darin liegt, in „Saisonbranchen“ durch die kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung möglich ist und insbesondere auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall dafür ausreichen (s nur § 21 lit b KV, wonach ein mit „Schluss der Saison“ festgelegtes Ende eines Arbeitsverhältnisses nicht als Befristung gelten soll). Das gilt nicht auch für § 53 Abs 6 ArbVG, weil diese Bestimmung Saisonbetriebe im Hinblick auf die Wählbarkeit von Arbeitnehmern zum Betriebsrat, die noch nicht sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt sind, definiert. Da der Gesetzgeber aber klar auf diese Bestimmung verweist, kann der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB gerade nicht für das Verständnis von „Saisonbetrieben“ herangezogen werden. Es ist jenes Verständnis maßgeblich, das durch die Definition in § 53 Abs 6 ArbVG zum Ausdruck kommt (s auch Marhold aaO 132).

[40] 6.3.2. Als Saisonbetriebe gelten nach § 53 Abs 6 ArbVG „Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“.

[41] 6.3.3. Danach werden einerseits solche Betriebe erfasst, die – vor allem witterungsbedingt – in Abhängigkeit von den Jahreszeiten nicht ganzjährig arbeiten (Zirkus: 9 ObA 89/02g; Moorbadebetrieb: 9 ObA 268/88; Bsp lt 9 ObA 67/94: Ziegeleien, Seilbahnen, Fremdenverkehrsbetriebe, Betriebe des Baugewerbes; nicht aber Theaterbetrieb mit zweimonatiger Spielpause: 9 ObA 67/94, 9 ObA 136/07a; auf mehrere Jahre geplante Großbauvorhaben (Arb 6425). Wie zu 9 ObA 89/02g festgehalten wurde, geht es hier nicht etwa um eine Abwälzung des typischen Betriebsrisikos der Ungewissheit über den Stand der Aufträge und auch nicht um im Belieben der Geschäftsführung gelegene Entscheidungen, sondern darum, dass die Eigenart des Betriebs während einer bestimmten Jahreszeit die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht ermöglicht, die Beendigung des Dienstverhältnisses also einem dringenden Bedürfnis der betrieblichen Organisation entspringt.

[42] 6.3.4. Tatbestandlich sind aber auch Betriebe, die „regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“, sohin auch ganzjährig geöffnete Betriebe, sofern sie diese Voraussetzungen erfüllen. Die zitierten Erläuterungen zu § 1159 ABGB nennen beispielhaft „Tourismusbetriebe, Betriebe des Baugewerbes und anderer Saisonbetriebe gemäß Arbeitsverfassungsgesetz“, was zunächst auf die gesetzgeberische Vorstellung hindeutet, dass die erheblich verstärkte Arbeit auch in diesem Zusammenhang witterungsbedingt begründet ist und wofür in der Literatur zum Beispiel auch die Landwirtschaft, Gärtnereien, Seilbahnen, Winterdienste der Gelegenheitsverkehr ua genannt werden (Gleißner/Köck aaO 337). Die Frage, ob die Witterungsbedingtheit auch ein zwingendes Erfordernis ist, wird in der Literatur zwar unterschiedlich beantwortet (dafür: Kessler aaO 372; aA Mayr aaO 563). Weitere Erwägungen dazu können für den vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, weil die Antragsteller selbst von „erheblichen saisonalen Schwankungen entlang der Jahreszeiten“ ausgehen und dafür auf zwei charakteristische Hochsaisonen, nämlich die Sommer- und die Wintersaison, verweisen.

[43] 6.3.5. Das Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ kann als „periodisch wiederkehrend“, und zwar ungefähr zu denselben, wenngleich nicht notwendigerweise datumsmäßig exakt übereinstimmenden Zeiträumen des Jahres wiederkehrend verstanden werden (vgl Kessler aaO 372).

[44] 6.3.6. Das Kriterium, dass Betriebe regelmäßig zu gewissen Zeiten „erheblich verstärkt“ arbeiten, bringt eine Relation zum Ausdruck: Um von „zu gewissen Zeiten erheblich verstärkter Arbeit“ sprechen zu können, bedarf es einer entsprechenden Steigerung der Arbeit im Verhältnis zur Arbeit zu anderen Zeiten mit einem normalen (geringeren) Arbeitsaufkommen. Die erheblich verstärkte Arbeit darf also nicht den Normalzustand im Jahresbetrieb darstellen, weil eine solche Arbeit schon nach dem Wortsinn nicht nur „in gewissen Zeiten“ und „erheblich verstärkt“ erbracht würde. Wird bei einer ganzjährig gleichbleibend starken Auslastung eines Betriebes die Arbeit nur für kurze Zeiten erheblich reduziert, wäre das Kriterium nicht erfüllt.

[45] 6.3.7. Festzuhalten ist weiter, dass für die „erheblich verstärkte Arbeit“ nicht auf Umsatzsteigerungen, Überstundenleistungen oa, sondern auf einen für gewisse Zeit erforderlichen erhöhten Personalstand abzustellen ist, weil nur dieser sowohl § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB (erhöhte Flexibilität bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses) als auch § 53 Abs 6 ArbVG (Verzicht auf sechsmonatige Beschäftigung für passives BR‑Wahlrecht) erklärlich macht. Dass der erhöhte Personalstand dabei nicht auf dem typischen Betriebsrisiko zuzurechnende Ursachen (Konjunkturschwankungen, Wettbewerbsrisiko) zurückzugehen sein darf, ergibt sich daraus, dass diese typischerweise nicht dem Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ im dargelegten Sinn entsprechen.

[46] 6.3.8. Hinsichtlich der „Erheblichkeit“ sprechen gute Gründe dafür, in diesem Zusammenhang schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität nicht starr und punktuell auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen (die kollektivvertragliche Regelungsbefugnis unterläge sonst letztlich unter Umständen jährlichen Schwankungen und müsste datenmäßig auf ihre Voraussetzungen hin überprüft werden). Eine nähere Erörterung kann aber dahingestellt bleiben, weil die Antragsteller dafür einen Anstieg des Beschäftigtenstandes im Ausmaß von mindestens einem Drittel in zumindest 60 % der einbezogenen Jahre des Untersuchungszeitraums annehmen, womit hier der Erheblichkeitsschwelle jedenfalls entsprochen wird (vgl 8 ObA 83/04w: erheblicher Umfang von Arbeitsbereitschaft).

[47] 7. Das Antragsvorbringen reicht nicht aus, um nach den erörterten Kriterien für die gesamte Branche des Hotel- und Gastgewerbes von einem „Überwiegen der Saisonbetriebe“ ausgehen zu können:

[48] 7.1. Die Antragsteller haben getrennt für den Bereich Beherbergung und den Bereich Gastronomie Zahlenmaterial vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sie als Maß zur Messung der saisonalen Schwankungen für beide Branchen maximale Abweichungen auf Basis der Beschäftigungsdaten der einzelnen Unternehmen (je über fünf Jahre) errechnet haben. Hinsichtlich dieser Maßzahl (maximale Abweichung) wurde Erheblichkeit bei einem Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Beschäftigungsstand eines Jahres von zumindest 33,33 % angenommen. Da der von den Antragstellern vorgetragene Wert sowohl für den Bereich der Hotellerie (bei 14.153 Beherbergungsbetrieben 79,1 % bzw unter Berücksichtigung der Angestellten 77,3 %) als auch für jenen der Gastronomie (bei 34.258 Gastronomiebetrieben 59,8 % bzw unter Berücksichtigung der Angestellten 59,0 %) jeweils eine klare Mehrheit der Betriebe des jeweiligen Bereichs betraf, schadet es nicht, dass von den Antragstellern keine auf die gesamte Branche bezogenen Zahlen vorgelegt wurden, weil auch eine Gesamtbetrachtung zu einer Schwankungsbreite von mehr als einem Drittel bei mehr als der Hälfte der Gesamtanzahl der Betriebe führen würde.

[49] 7.2. Diese Schwankungsbreite ergibt sich aus dem jeweiligen oberen und unteren Spitzenwert des Beschäftigtenstandes eines Betriebes innerhalb eines Jahres, wie ihn die Antragsteller nach ihrem Vorbringen anhand der monatlichen Beschäftigungsdaten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ermittelt haben. Die Schwankungsbreite sagt damit nur aus, dass es innerhalb eines Jahres zu Unterschieden im Personalstand von mehr als einem Drittel kommt, wie sie sich aus den punktuellen Spitzen der Beschäftigungsdaten ergeben. Daraus geht aber nicht verlässlich hervor, dass der Unterschied saisonbedingt entweder auf ein durch die Art des Betriebs bedingtes Arbeiten „nur zu bestimmten Jahreszeiten“ (§ 53 Abs 6 erster Fall ArbVG) oder auf ein „regelmäßig zu bestimmten Zeiten des Jahres erheblich verstärktes“ Arbeiten (§ 53 Abs 6 zweiter Fall ArbVG) zurückzuführen ist, weil sich eine solche Schwankungsbreite ebenso bei ganzjährig geöffneten und ausgelasteten Betrieben, in denen es nur für kurze Zeiten erheblich reduzierte Arbeit gibt, oder bei nur punktuell erheblich erhöhtem Arbeitsbedarf (tageweise Events oder ähnliches) ergibt. Das Abstellen auf den höchsten und niedrigsten Beschäftigtenstand als Spitzenwert lässt sohin weder erkennen, dass der verstärkte Personalbedarf regelmäßig ein gewisses Dauerelement hat (arg.: „für gewisse Zeit“), noch, dass die Zeit des nicht verstärkten Personalbedarfs die beschriebene Normalauslastung eines Betriebs darstellt oder sich sonst zumindest über eine bestimmte Zeit erstreckt. Alleine mit dem Wert der sich aus den niedrigsten und höchsten Personalständen ergebenden Schwankungsbreite wird die Arbeit (Personalstand) in den Betrieben hier daher nicht ausreichend als „regelmäßig für einen gewissen Zeitraum“ „erheblich verstärkt“ dargestellt.

[50] Derartiges lässt sich auch den von den Antragstellern dargelegten Nächtigungsdaten (Beherbergungsbetriebe) nicht entnehmen, denen überhaupt nur eine Indizwirkung für den schwankenden Personalbedarf im Bereich der Hotellerie zukommen könnte; sie betreffen nach den von den Antragstellern dargelegten Zahlenmaterial aber auch nur den geringeren Teil der gesamten Branche (14.153 Beherbergungsbetriebe vs 34.258 Gastronomiebetriebe), wodurch auch deshalb kein Überwiegen von Saisonbetrieben in der Branche indiziert wäre.

[51] Schließlich wird derartiges auch nicht durch die zitierten Erläuterungen klargestellt, die als Beispiel für Saisonbetriebe an erster Stelle „Tourismusbetriebe“ nennen. Denn zum einen sind „Tourismusbetriebe“ nicht mit Betrieben der Hotellerie und des Gastgewerbes gleichzusetzen (sie können zB auch Betriebe der Freizeitwirtschaft umfassen; andererseits ist zB ein Gaststättenbetrieb nicht unbesehen als Tourismusbetrieb anzusehen). Zum anderen ist zwar bekannt, dass sich im Bereich der Beherbergungsbetriebe insbesondere in Fremdenverkehrsregionen der Sommer- und der Wintertourismus widerspiegelt. Allerdings ist zu bedenken, dass österreichweit gesehen eine Vielzahl von Beherbergungsbetrieben ganzjährig betrieben wird oder nur kurze Zeit geschlossen hat, der Städte-, Konferenz- und Seminartourismus nicht an Jahreszeiten gebunden ist, auch im Fremdenverkehr die Zeiten zwischen den Sommer- und Wintermonaten für die Freizeit- und (Kurz-)Urlaubsgestaltung massiv beworben und attraktiviert werden, Kur- und Thermenhotels inzwischen in der Regel ganzjährige Auslastungen aufweisen udgl, sodass schon im Bereich der Hotellerie nicht landläufig von einem Überwiegen der Anzahl an Saisonbetrieben ausgegangen werden kann.

[52] Der Branchenbezugsrahmen für das Überwiegen von Saisonbetrieben beschränkt sich überdies nicht auf die Beherbergung, sondern umfasst auch die Gastronomie. Da zahllose Restaurants, Gaststätten, Kaffeehäuser, Wein- oder Bierlokale, Imbissstuben, Betriebskantinen etc unabhängig von den Jahreszeiten betrieben werden und insbesondere außerhalb von Fremdenverkehrsregionen auch noch keine „gewissen Zeiten mit erheblich verstärkter Arbeit“ im dargelegten Sinn erkennen lassen, kann für die Gastronomie umso weniger von einem Überwiegen der Saisonbetriebe ausgegangen werden. Berücksichtigt man überdies, dass der Fachverband der Gastronomie insgesamt rund 60.000 Gastronomiebetriebe vertreten dürfte (<https://www.wko.at/branchen/tourismus-freizeitwirtschaft/gastronomie/start.html?shorturl=gastronomieverbandat >, Abruf 24. 3. 2022) und dass sich die hier präsentierten Unternehmenszahlen nur auf Betriebe mit unselbständig Beschäftigten beziehen, hätten Saisonbetriebe mit den dargelegten erhöhten Personalstanderfordernissen noch einen wesentlich geringeren Anteil an der Gastronomie innerhalb der Branche.

[53] Damit ist aber mit dem dargelegten Datenmaterial für die Branche Hotellerie und Gastgewerbe in einer Gesamtbetrachtung insgesamt kein Überwiegen von Saisonbetrieben iSd § 1159 ABGB erwiesen.

[54] 8. Da der von den Antragstellern dargelegte Sachverhalt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zulässt, dass in der vom bundesweiten Geltungsbereich des vorliegenden Kollektivvertrags erfassten Branche des Hotel- und Gastgewerbes iSd § 1159 ABGB Saisonbetriebe überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung erfüllt wären, ist ihr Antrag abzuweisen.

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