OGH 9ObA17/13k

OGH9ObA17/13k29.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei B***** A*****, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 3.017,37 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 139,47 EUR brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 13. November 2012, GZ 11 Ra 98/12d‑16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 15. Juni 2012, GZ 18 Cga 139/11w‑12, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 164,16 EUR (darin 27,36 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 16. Juni bis 24. Juli 2011 als Reinigungskraft bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der 1993 in Kraft getretene Kollektivvertrag für Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereiniger mit dem räumlichen Geltungsbereich für Salzburg (in der Folge: KV) anzuwenden. Vereinbart war eine Normalarbeitszeit von 30 Stunden pro Woche mit einem Stundenlohn von 7,52 EUR brutto. Das Dienstverhältnis endete durch ungerechtfertigte Entlassung.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten einen Betrag von 3.017,37 EUR brutto sA, der ‑ soweit revisionsgegenständlich ‑ auch Zuschläge für Mehrstunden enthält, davon einen Zuschlag von 150 % für 16,5 Sonntagsmehrarbeitsstunden und einen Zuschlag von 50 % für 13,25 Mehrstunden (Klage Punkt 5 und 6). Hinsichtlich der Sonntagsmehrarbeitsstunden berief sich die Klägerin auf § 12 KV (Sonntagszuschlag von 100 %) und § 19e Abs 2 AZG (Zuschlag von 50 % für nicht abgegoltene Zeitguthaben). Ihr genereller Verfahrensstandpunkt ist, dass der in § 12 Abs 8 KV für Mehrarbeitsstunden vorgesehene Zuschlag in Höhe von 5 % des jeweiligen Normalstundenlohnes durch den seit 1. 1. 2008 gebührenden gesetzlichen Mehrarbeitszuschlag von 25 % (§ 19d Abs 3a AZG) überholt ist.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte vollständige Abgeltung der Mehrstunden ein. Die Regelung des § 19d Abs 3a AZG sei kollektivvertragsdispositiv, könne daher eine kollektivvertragliche Regelung, auch wenn sie schon vor Einführung des § 19d Abs 3a AZG Bestand gehabt habe, nicht beseitigen. Der Mehrarbeitszuschlag sei richtigerweise mit 5 % abgerechnet worden.

Das Erstgericht erachtete hinsichtlich des Mehrarbeitszuschlags ausschließlich die kollektivvertragliche als die speziellere Regelung für maßgeblich. Der Gesetzgeber habe in § 19d Abs 3c AZG ausdrücklich auch Abweichungen in Kollektivverträgen nach unten zugelassen. Es gebe auch keine Übergangsbestimmungen, dass anders lautende Kollektivvertragsbestimmungen außer Kraft treten würden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin aufgrund einer ‑ nicht weiter revisionsgegenständlichen ‑ Neuberechnung der Ansprüche teilweise Folge, erachtete aber den in § 12 KV enthaltenen Mehrarbeitszuschlag von 5 % ebenfalls für weiterhin anwendbar. Aus dem Wortlaut des § 19a AZG idF der AZG‑Novelle 2007, BGBl I 2007/61, und der Übergangsbestimmung des § 33 Abs 1u AZG könne nichts gewonnen werden. Auch die Begründung für die relativ lange Legisvakanz, den Kollektivvertragsparteien entsprechende Anpassungen zu ermöglichen, stütze weder die eine noch die andere Auffassung. Es sei daher auf die Stellung des Kollektivvertrags in der Arbeitsrechtsordnung hinzuweisen, dessen Verhältnis zu Gesetzen nicht durch Normenkonkurrenz und die daraus resultierende Anwendbarkeit der Derogationsregeln, sondern vielmehr durch eine grundsätzliche Über‑ und Unterordnung gekennzeichnet sei. Die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien sei durch die Erlassung des § 19d Abs 3a bis 3f AZG nur von § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG auf § 19d Abs 3f AZG iVm § 2 Abs 2 Z 7 ArbVG verschoben worden. Der bloße Austausch der gesetzlichen Regelungsbefugnis ohne inhaltliche Veränderung bzw Beschränkung führe aber nicht zu einem Erlöschen des darauf gegründeten Kollektivvertrags. Die Revision sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Frage zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils durch Zuspruch weiterer 139,47 EUR brutto an Mehrarbeitsentgeltdifferenz; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Gemäß § 12 Abs 8 des am 1. 1. 1993 in Kraft getretenen Kollektivvertrags für Denkmal‑, Fassaden‑ und Gebäudereiniger mit dem räumlichen Geltungsbereich für Salzburg werden Mehrarbeitsstunden mit einem Zuschlag in Höhe von 5 vH auf den jeweiligen Normalstundenlohn entlohnt. Sechs Stunden pro Arbeitswoche über die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit hinaus gelten als zuschlagsfrei, jedoch höchstens eine Stunde pro Arbeitstag. Für jene Stunden, für die andere Zuschläge bezahlt werden, tritt der Mehrarbeitszuschlag außer Kraft.

Gemäß § 19d Abs 3a erster Satz AZG idF BGBl I 2007/61 gebührt für Mehrarbeitsstunden ein Zuschlag von 25 %.

Gemäß § 19d Abs 3f AZG idF BGBl I 2007/61 kann der Kollektivvertrag Abweichungen von Abs 3a bis 3e zulassen.

Diese gesetzlichen Bestimmungen sind mit 1. 1. 2008 in Kraft getreten und enthalten keine weiteren Übergangsbestimmungen (§ 33 Abs 1u AZG).

2. Den Erläuterungen (RV 141 BlgNR 23. GP 6) sind keine Hinweise für das Verhältnis des gesetzlichen zu einem davor eingeführten kollektivvertraglichen Mehrarbeitszuschlag zu entnehmen: Zu Abs 3f leg cit wird lediglich festgehalten, dass die Bestimmung die Kollektivvertragsdisposivität für alle den Mehrarbeitszuschlag betreffenden Regelungen normiere. Es sei daher sowohl zulässig, einen niedrigeren als den gesetzlichen Zuschlag als auch die Verlängerung der Durchrechnungszeiträume zu vereinbaren. Zu § 33 Abs 1u leg cit wird ausgeführt, dass es die relativ lange Legisvakanz bis zum Inkrafttreten am 1. 1. 2008 den Kollektivvertragsparteien ermöglichen solle, entsprechende Anpassungen, insbesondere im Hinblick auf den Mehrarbeitszuschlag, zu vereinbaren (RV aaO 8). Wie schon das Berufungsgericht ausführte, kann damit aber sowohl die Ermöglichung der „Erneuerung“ bereits bestehender kollektivvertraglicher Vereinbarungen zur Abgeltung des Mehrarbeitszuschlags gemeint sein als auch die Einräumung der Möglichkeit, die Anwendbarkeit des neu eingeführten Mehrarbeitszuschlags durch Schaffung einer kollektivvertraglichen Regelung desselben zeitgerecht zu verhindern, um erhöhte Kosten für die Arbeitgeber hintanzuhalten. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte des § 19d Abs 3f AZG geht somit hervor, dass mit dem in § 19d Abs 3a AZG eingeführten Zuschlag von 25 % ein in einem älteren Kollektivvertrag vorgesehener niedrigerer Zuschlag verdrängt werden sollte.

3. In der Literatur werden dazu unterschiedliche Ansichten vertreten:

Heilegger/Schwarz in Heilegger/Klein/Schwarz Arbeitszeitgesetz3, Erl 11 zu § 19d, meinen, nur eine kollektivvertragliche Regelung, die bewusst im Hinblick auf die neue Gesetzeslage verhandelt worden sei, könne die gesetzliche Regelung zu Ungunsten der Arbeitnehmer abändern. Verschlechternde kollektivvertragliche Regelungen seien somit erst nach der Publikation der gesetzlichen Mehrarbeitsregelung möglich. Eine davon abweichende Regelung hätte der Gesetzgeber explizit im Gesetzestext zum Ausdruck bringen müssen.

Ihrem Ergebnis folgen auch Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm Bd I2 § 19d AZG Rz 37b, Risak, Aktuelle Rechtsprobleme des Mehrarbeitszuschlags, ZAS 2009, 309, 314 (wenngleich im Zusammenhang mit bestehenden kollektivvertraglich zugelassenen Durchrechnungsmodellen) und Schindler, die AZG‑Novelle 2007 in Resch, Das neue Arbeitszeitrecht (2008) 62 f.

Dagegen müsste man nach Schrank, Arbeitszeitgesetze2, § 19d Rz 84, um das Außerkrafttreten einer älteren ungünstigeren Regelung über Mehrarbeitszuschläge im Kollektivvertrag zu vertreten, Abs 3f so verstehen, dass nur ausdrückliche Zulassungen von Abweichungen vorgesehen und wirksam seien. Gegen eine derart enge Sicht der Abweichungszulassung spreche aber sachlich der bloß vertragsrechtliche Charakter des Mehrarbeitszuschlags, bei dem die Regelung des Themenbereichs Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 19d Abs 3f oder die vorangehenden Bestimmungen genügen müsse. Warum dann nur bisherigen Regelungen die Weiterwirksamkeit versagt werden solle, sei nicht ersichtlich.

4. Der erkennende Senat ist der Ansicht, dass das Schweigen des Gesetzgebers zu bestehenden kollektivvertraglichen Regelungen mit einem niedrigeren als den gesetzlichen Mehrarbeitszuschlag noch nicht als Außerkraftsetzung solcher Regelungen verstanden werden kann. Dass in anderen Fällen ausdrücklich gesetzliche Regelungen über die Weitergeltung bestehender Kollektivvertragsnormen getroffen worden sein mögen, erlaubt noch keinen Umkehrschluss auf einen nun davon abweichenden gesetzgeberischen Willen.

Die Revisionswerberin bringt zu diesem vor, Ziel der Neuregelung sei es gewesen, zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags einen aus Sicht des Gesetzgebers fairen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen nach Planbarkeit der Arbeitszeit bzw entsprechender Entlohnung auf Arbeitnehmerseite und flexiblem Einsatz der Arbeitskräfte auf Arbeitgeberseite zu erreichen, weshalb die Beibehaltung bestehender niedrigerer Mehrarbeitszuschläge der Absicht des Gesetzgebers, die Arbeitsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten auf neue Beine zu stellen, widersprochen hätte.

Aus diesem Hinweis ist hier jedoch nichts zu gewinnen, weil der Gesetzgeber mit § 19d Abs 3f AZG explizit zum Ausdruck gebracht hat, dass in Kollektivverträgen Abweichungen ‑ sohin auch niedrigere oder keine Mehrarbeitsstundenzuschläge ‑ vereinbart werden können (RV 141 BlgNR 23. GP 6).

Die Revisionswerberin meint auch, die Kollektivvertragsparteien hätten durch einen Zusatzkollektivvertrag in § 12 einen Abs 7a eingefügt („Mehrarbeitsstunden iSd § 19d AZG [BGBl 1969/46 idF BGBl 2009/149] sind nicht zuschlagspflichtig, wenn sie innerhalb von drei Monaten ab Leistung der jeweiligen Mehrarbeitsstunde durch Zeitausgleich im Verhältnis 1 : 1 ausgeglichen werden oder bei gleitender Arbeitszeit die vereinbarte Arbeitszeit innerhalb der Gleitzeitperiode, im Durchschnitt nicht überschritten wird“). Damit sei nur auf § 19d AZG und dessen Regelungsschema Bezug genommen worden, nicht jedoch auf § 12 Abs 8 KV, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zusatzkollektivvertrags im November 2010 „anscheinend nicht mehr gegenständlich“ gewesen sei.

Auch darin kann ihr nicht gefolgt werden, weil nach Inkrafttreten des § 19d Abs 3a AZG geführte Kollektivvertragsverhandlungen über § 12 KV, bei denen der Mehrarbeitszuschlag in Abs 8 in Höhe von 5 vH unberührt blieb, eher darauf hindeuten, dass ihn die Kollektivvertragsparteien bewusst beibehalten wollten.

Letztlich ist damit aber der Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen, dass mit der AZG‑Novelle 2007 lediglich die Rechtsgrundlage für die Regelungsbefugnis der Kollektivertragsparteien verschoben wurde, die sich nun ‑ im Ergebnis unverändert ‑ in § 19d Abs 3f AZG iVm § 2 Abs 2 Z 7 ArbVG befindet. Da vor und nach Inkrafttreten des § 19d Abs 3f AZG ein Mehrarbeitszuschlag kollektivvertraglich mit 5 % festgelegt werden konnte (und kann) - womit die streitgegenständliche Bestimmung auch den neuen gesetzlichen Anforderungen entspricht ‑, bestehen insgesamt keine ausreichenden Gründe dafür, dass die Kollektivvertragsdisposivität nach der gesetzlichen Intention nur für nach Inkrafttreten der AZG‑Novelle 2007 abgeschlossene Kollektivverträge gelten sollte. Die Möglichkeit, auf ein geändertes gesetzliches Umfeld zu reagieren, muss den Kollektivertragsparteien vorbehalten bleiben.

5. Das Verhältnis des Mehrarbeitszuschlags zu § 19e Abs 2 AZG war nicht revisionsgegenständlich.

6. Zusammenfassend erweist sich die Revision als nicht berechtigt. Ihr ist daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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