OGH 19Ob2/21i

OGH19Ob2/21i24.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Eintragungssache der Mag. M* T* S*, ehemalige Rechtsanwaltsanwärterin, derzeit Gemeindebedienstete, *, über deren Berufung gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 22. Juni 2021, GZ 2794/2021, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0190OB00002.21I.0224.000

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG iVm Art 140 B‑VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge in § 20 lit a) RAO nachstehende Wortfolge als verfassungswidrig aufheben:

„unter der Führung eines besoldeten Staatsamtes ist jede Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung, als Staatssekretär, als Mitglied einer Landesregierung, als Präsident des Nationalrates, als Obmann eines Klubs im Nationalrat, als Präsident des Rechnungshofes oder eines Landesrechnungshofes, als Mitglied der Volksanwaltschaft, als Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs, als Staatsanwalt, als Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder eines Verwaltungsgerichts sowie jede entgeltliche Tätigkeit zu verstehen, die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder, des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft oder des Präsidenten des Rechnungshofes durch ernannte berufsmäßige Organe erfolgt;“

Mit der Fortsetzung des Rechtsmittelverfahrens wird bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

 

Begründung:

[1] Die Berufungswerberin stellte am 23. März 2021 per E‑Mail bei der Rechtsanwaltskammer (im Folgenden kurz „RAK“) Wien den Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. Als Beilage legte sie den Bescheid der RAK Wien vom 14. April 2020 vor, wonach ihre Tätigkeit als Juristin bei der Stadtgemeinde G* vom 1. Jänner 2019 bis 9. März 2020 auf jene praktische Verwendung angerechnet wurde, die nicht gemäß § 2 Abs 2 RAO zwingend im Inland bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt zu verbringen ist („Ersatzzeit“ gemäß § 2 Abs 3 RAO). Im Anrechnungsverfahren (GZ 2581/2020 der RAK Wien) hatte sie eine Bestätigung der Stadtgemeinde G* vom 9. März 2020 vorgelegt, wonach sie dort seit 1. Jänner 2019 in den nachstehend angeführten Aufgabengebieten tätig war:

[2] Schon vor der Antragstellung im Eintragungsverfahren fragte die Berufungswerberin mit E‑Mail vom 25. Jänner 2021 (ON 3 im Akt der RAK Wien) bei der RAK Wien an, ob ihre Nebentätigkeit in Form eines Angestelltenverhältnisses im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der Stadtgemeinde G* „im Einklang mit der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte steht“. Sie gab dabei an, dass sie seit 1. Juli 2020 als Abteilungsleiterin im Bürgerservice eingesetzt sei. Ihr Aufgabenbereich umfasse die Aufsicht/Kontrollfunktion und Einteilung des ihr zugewiesenen Personals in folgenden Bereichen:

- Ausgabe/Verkauf von Müllsäcken

- Verkauf Badeteichsaisonkarten

- Beschwerdemanagement (Bürgeranliegen)

- An-/Abmeldungen nach dem Meldegesetz

- Ausstellung von Strafregisterauszügen

- Organisation Schulen und Kindergärten

- Kassenverwaltung

- Bestellwesen (Büromaterial)

- Hundean-/Abmeldungen

- Fundwesen (Entgegennahme und Verwahrung von Fundstücken)

- Förderung innerhalb der Gemeinde

 

[3] Diese Angaben wurden vom Bürgermeister der Stadtgemeinde G* mit Schreiben vom 24. Februar 2020 an die RAK Wien (ON 3a im Akt der RAK Wien) bestätigt und im Detail näher beschrieben.

[4] Im Zuge der Anhörung vor dem Ausschuss der RAK Wien am 18. Mai 2021 gaben sowohl der Bürgermeister als auch die Berufungswerberin an, dass diese trotz ihrer Ausbildung als Juristin und Anwältin nunmehr für die Gemeinde andere, rein administrative Tätigkeiten ausübe. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Abteilungsleiterin des Bürgerservice würde sie keine rechtlichen Auskünfte erteilen, sondern Anfragen nur an die zuständigen Stellen weiterleiten. Als stellvertretende Stadtamtsdirektorin sei sie nicht für rechtliche Agenden zuständig.

[5] Der Ausschuss der RAK Wien (Plenum) wies mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag der Berufungswerberin auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte ab. Die Berufungswerberin befinde sich derzeit in einem Dienstverhältnis zur Stadtgemeinde G* in der Funktion als Abteilungsleiterin des Bürgerservice und stellvertretende Stadtamtsdirektorin, welches sie auch während der Ausübung der Rechtsanwaltschaft aufrechterhalten wolle. Dies sei mit den Bestimmungen der §§ 20 lit a) und c) sowie 21g RAO unvereinbar.

Rechtliche Beurteilung

[6] Dagegen richtet sich die am 13. September 2021 von der Berufungswerberin selbst, also ohne anwaltliche Vertretung per E‑Mail (ON 16 samt angeschlossenem Ausdruck der Berufung ON 16a) eingebrachte Berufung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Aus dem Adressfeld auf Seite 1 der Berufungsschrift ergibt sich, dass diese nur „per E-Mail: office@rakwien.at “ eingebracht wurde, was die RAK Wien am 28. Jänner 2022 bestätigte. Begründend wird in der Berufung ausgeführt, dass die Tätigkeit bei einer Gemeinde mangels Anführung in § 20 lit a) RAO kein besoldetes Staatsamt im Sinn dieser Bestimmung sei. Da die Stadtgemeinde G* über kein eigenes Statut verfüge, übe sie auch nicht die Funktion einer Bezirksverwaltungsbehörde und somit auch keine den Ländern zugeteilten Aufgaben aus.

[7] Die von ihr bei der Gemeinde ausgeübte, ausschließlich administrative und organisatorische Tätigkeit laufe nicht dem Ansehen des Rechtsanwaltsstandes zuwider, weshalb auch nicht der Unvereinbarkeitsgrund des § 20 lit c) RAO vorliege. Eine bloß hypothetische Interessenkollision bei der Übernahme künftiger Mandate sei kein solcher Unvereinbarkeitsgrund. Schließlich hätten auch Rechtsanwälte, die ständig Unternehmen oder Behörden vertreten, jeweils zu prüfen, ob eine Vollmachtsübernahme nicht gegen das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes verstoße.

[8] Bemängelt wird weiters, dass der Ausschuss der RAK Wien keine Feststellungen getroffen habe, dass und insbesondere welche Tätigkeiten die Beschwerdeführerin in ihrem Dienstverhältnis ausüben würde, die auch zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehörten und somit von § 21g RAO erfasst wären.

[9] Schließlich wird die Feststellung bekämpft, es sei lebensfremd, dass eine Person mit einer entsprechenden akademischen rechtswissenschaftlichen und praktischen rechtsanwaltlichen Ausbildung keinerlei Tätigkeit übernehme, die Berührungspunkte zu rechtlichen Agenden habe. Dagegen würden nicht nur ihre Aussage, sondern auch die Aussage des Bürgermeisters als ihrem direkten Vorgesetzten sprechen, wonach sie lediglich administrative und organisatorische Tätigkeiten ausübe.

[10] In ihrer Stellungnahme zur Berufung führt die RAK Wien insbesondere aus, dass der Bürgermeister im Rahmen der mittelbaren Bundes- und Landesverwaltung Aufgaben des Bundes und des Landes zu vollziehen habe und dabei an Weisungen der zuständigen Organe des Bundes bzw des Landes gebunden sei.

[11] Bei ihrer Tätigkeit als stellvertretende Stadtamtsdirektorin und Leiterin des Bürgerservice mache es keinen Unterschied, ob die Beschäftigung nach dem NÖ Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz oder nach der NÖ‑Gemeindebeamtendienstordnung erfolge, weil sie unmittelbar an die Weisungen des Bürgermeisters gebunden sei.

[12] Im Übrigen würden die Unterstützung der Gemeindebürgerinnen und -bürger bei Fragen zu Abgaben, Steuern und Gebühren, der Zuständigkeit von Ämtern und Behörden sowie bei Förderungen den Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit ausmachen.

[13] Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Berufung erwogen:

A. Zur Zulässigkeit der Berufung:

[14] 1. Das Verfahren vor den Rechtsanwaltskammern ist gemäß Art I Abs 2 Z 1 EGVG nach den Bestimmungen des AVG zu führen (ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP  15; 19 Ob 5/16y). Nach § 13 Abs 2 AVG können „schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen“.

[15] 2. Besondere Übermittlungsformen betreffend den Verkehr zwischen einer Eintragungswerberin und der RAK Wien sind nicht vorgesehen und es sind auch keine dafür bestehenden Beschränkungen auf der Website der RAK Wien bekannt gemacht. Vielmehr wird dort im Bereich „Mitgliederverwaltung“ ein Hinweisblatt zum Download bereitgestellt, wonach das Gesuch um die Eintragung sowie die notwendigen Dokumente im PDF-Format an die Mitgliederverwaltung unter mgv@rakwien.at zu übersenden sind. Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheids enthält keinen Hinweis darauf, in welcher Form die Berufung beim Ausschuss der RAK Wien einzubringen ist. Auf Seite 1 dieses Bescheids ist aber unter der Anschrift der RAK Wien auch deren E-Mail-Adresse office@rakwien.at angeführt.

[16] 3.1. Auf das Berufungsverfahren in Eintragungssachen vor dem Obersten Gerichtshof sind die §§ 49 bis 52, 54, 55, 57 und 58 DSt sowie subsidiär die Vorschriften des AußStrG sinngemäß anzuwenden, soweit deren Anwendung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Eintragungsverfahrens vereinbar ist (§ 5a Abs 2 Z 3 RAO).

[17] 3.2. Für den Bereich des Außerstreitverfahrens hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass zwar Eingaben an den Gerichtskommissär im Verlassenschaftsverfahren per E-Mail zulässig sind. Hingegen ist ein an das Gericht gerichtetes E‑Mail unzulässig und nicht fristwahrend (7 Ob 33/17d; 2 Ob 212/16i unter Hinweis auf RIS‑Justiz RS0127859; Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 65 Rz 7; Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 § 74 Rz 15; Danzl, Geo6 [2015] § 60 Anm 1 lit e; anders noch 10 Ob 28/11g SZ 2011/67 = RS0126972).

[18] 3.3. Für den Bereich des anwaltlichen Disziplinarverfahrens hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass (beim Disziplinarrat einzubringende) Rechtsmittel schriftlich, per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr (§ 89a GOG) eingebracht werden können. Die Eingabe per E‑Mail sei hingegen keine zulässige Eingabeform, weil diese Art der Übersendung gemäß § 5 Abs 1a ERV 2006 keine zulässige Form des elektronischen Rechtsverkehrs darstelle (21 Os 5/15s unter Hinweis auf RS0127859, RG0000072, RL0000071, https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RL0000105&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False; Murschetz, WK‑StPO § 84 Rz 12; zuletzt etwa 26 Ds 11/21y und 28 Ds 3/21m).

[19] 3.4. Im vorliegenden Verfahren ist das Rechtsmittel nicht beim Obersten Gerichtshof, sondern bei der RAK einzubringen. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof beginnt daher erst mit der Vorlage des Rechtsmittels an diesen (vgl dazu auch 19 Ob 5/16y). Für die Einbringung der Berufung ist daher (noch) das AVG anzuwenden, sodass die Einbringung der Berufung per E-Mail ausreichend ist. Bei (hier nicht vorliegenden) Zweifeln über die Identität des Einschreiters wäre gegebenenfalls ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (§ 13 Abs 3 und 4 AVG). Die oben wiedergegebene, zum AußStrG und DSt ergangene Judikatur ist im Eintragungsverfahren nicht anwendbar, weil in diesen Verfahrensordnungen § 89a GOG schon in erster Instanz anwendbar ist (im anwaltlichen Disziplinarverfahren aufgrund des Verweises in § 77 Abs 3 DSt), nicht aber im Verfahren nach dem AVG.

B. Keine anwaltliche Vertretungspflicht:

[20] Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof über die vom Eintragungswerber erhobene Berufung ist dieser nicht verpflichtet, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Diese Berufung ist kein Revisionsrekurs, das darüber geführte Verfahren daher auch kein Revisionsrekursverfahren im Sinn des § 6 Abs 2 AußStrG und eine Verpflichtung des Eintragungswerbers, sich von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, wäre überdies den Grundsätzen und Eigenheiten des auf die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte erst abzielenden Eintragungsverfahrens unvereinbar (§ 5a Abs 2 Z 3 RAO).

C. Zu den Eintragungshindernissen:

[21] Das Eintragungsbegehren wurde vom Ausschuss der RAK Wien abgewiesen, weil diesem die Unvereinbarkeitsbestimmungen der §§ 20 lit a) und c) sowie 21g RAO entgegenstünden. Der Oberste Gerichtshof hat darüber erwogen:

1. Zum Unvereinbarkeitsgrund des § 21g RAO:

[22] 1.1. Nach dieser Bestimmung dürfen Rechtsanwälte „als Dienstnehmer ein Dienstverhältnis, dessen Gegenstand auch Tätigkeiten umfasst, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehören, nur mit einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwalts-Gesellschaft eingehen“.

[23] 1.2. Der Senat trifft dazu folgende Feststellung:

[24] Es steht nicht fest, dass der Gegenstand des Dienstverhältnisses der Berufungswerberin mit der Gemeinde auch Tätigkeiten umfasst, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehören, oder dass die Berufungswerberin solche Tätigkeiten für die Gemeinde tatsächlich ausübt.

[25] 1.3. Dies ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

[26] Es mag zwar auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen, dass eine zur eintragungsfähigen Rechtsanwältin ausgebildete Juristin, die bei der Gemeinde zuvor ein rechtliches Praktikum absolviert hat und daher mit den Rechtsangelegenheiten der Gemeinde vertraut ist, dort aber nunmehr nicht mit rechtlichen Agenden, sondern bloß mit organisatorischen und administrativen Tätigkeiten betraut wird, die nur eine deutlich geringere Qualifikation und keine juristische Vorbildung erfordern. Allerdings haben weder die Anhörung der Berufungswerberin und des Bürgermeisters der Gemeinde vor dem Ausschuss, noch die vorgelegten Unterlagen ergeben, dass die Berufungswerberin bei der Gemeinde dort nun mit rechtlichen Agenden betraut ist oder solche tatsächlich ausübt.

[27] Der Aufgabenbereich der Stadtamtsdirektorin umfasst zwar gemäß der Ausschreibung vom 1. Juli 2018 auch „Rechtsagenden und ortspolizeiliche Maßnahmen (Vorbereitung von Verordnungen und Verwaltungsverfahren, Einholen von rechtlichen Stellungnahmen, Mitwirkung bei der Erarbeitung von Verträgen)“. Allerdings werden diese Rechtsagenden inhaltlich nicht näher beschrieben und die angeführten „ortspolizeilichen Maßnahmen“ beschränken sich auf bloß vorbereitende und mitwirkende Tätigkeiten, ohne konkreten anwaltsspezifischen Konnex.

[28] Auch wenn es im Übrigen naheliegend sein könnte, dass die Berufungswerberin als stellvertretende Stadtamtsdirektorin im Verhinderungsfall für (die undifferenziert angeführten) Rechtsagenden zuständig sein könnte, so hat sich dies im Beweisverfahren nicht erhärtet. Aus dem von der Berufungswerberin in der Berufungsverhandlung vorgelegten Anforderungsprofil für die Funktion „Abteilungsleiter Bürgerservice I (Stellvertretung Stadtamtsdirektor)“ ergibt sich nämlich nur, dass ihre Vertretungsaufgaben bei vorübergehender Abwesenheit bzw Verhinderung des Stadtamtsdirektors nur die Leitung und Organisation des Gemeindeamtes und das Personalmanagement umfassen. Eine Fußnote enthält zwar den Hinweis, dass die aufgezählten Tätigkeiten beispielhaft und nicht abschließend angeführt sind. Konkrete Beweisergebnisse einer Erweiterung des Tätigkeitsbereichs in Richtung Rechtsagenden liegen jedoch nicht vor.

[29] Die Einrichtung eines „Bürgerservice“ durch die Gemeinde mag Ausdruck einer bürgernahen und serviceorientierten Gemeindeverwaltung sein. Dabei handelt es sich jedoch um rein administrative Tätigkeiten und Servicetätigkeiten, nicht aber um typische Aufgaben von Rechtsanwälten als umfassende berufsmäßige Parteienvertreter im Sinn von § 8 RAO, insbesondere auch nicht um Rechtsberatung.

[30] Es steht daher nicht fest, dass der Gegenstand des Dienstverhältnisses der Berufungswerberin mit der Gemeinde auch Tätigkeiten umfasst, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehören, oder dass die Berufungswerberin solche Tätigkeiten für die Gemeinde tatsächlich ausübt. Eine Unvereinbarkeit gemäß § 21g RAO liegt daher nicht vor.

[31] 1.4. Die rechtliche Beurteilung ergibt daher, dass eine Unvereinbarkeit gemäß § 21g RAO nicht vorliegt.

2. Zum Unvereinbarkeitsgrund des § 20 lit c) RAO:

[32] 2.1. Nach dieser Bestimmung ist der „Betrieb solcher Beschäftigungen, welche dem Ansehen des Rechtsanwaltsstandes zuwiderlaufen“ mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar.

[33] 2.2. Ob ein Verhalten das Ansehen des Standes verletzt, ist nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu prüfen (Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 Rz 6). Nach Auffassung des erkennenden Senats verletzt die Tätigkeit eines Rechtsanwalts für eine Gemeinde per se nicht das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes. Dies gilt selbst dann, wenn damit wenig prestigeträchtige Aufgaben verbunden sind, wie etwa Leitungs‑ und Überwachungsfunktionen im Zusammenhang mit der Ausgabe von Müllsäcken, dem Verkauf von Badeteichsaisonkarten und der An‑ und Abmeldung von Hunden.

[34] 2.3. Die Frage, ob eine Tätigkeit für eine Gemeinde den Rechtsanwalt dadurch in der Unabhängigkeit der Berufsausübung beeinträchtigt (§ 9 RAO), ist unter dem Aspekt des § 20 lit a) RAO zu prüfen.

3. Zum Unvereinbarkeitsgrund des § 20 lit a) RAO:

[35] 3.1. Gemäß § 20 lit a) RAO idF vor dem BRÄG 2020 (BGBl I 2020/19) war „die Führung eines besoldeten Staatsamtes mit Ausnahme des Lehramtes“ mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar.

[36] 3.2. Nach Lohsing (Österreichisches Anwaltsrecht2, 286) sind die Unvereinbarkeitsgründe in § 20 RAO erschöpfend aufgezählt, weshalb andere als die hier erwähnten Nebenbeschäftigungen mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht unvereinbar seien. Demnach könne ein Rechtsanwalt ein öffentliches Amt außerhalb des Bundesdienstes, also in Diensten von Ländern, Bezirken und Gemeinden ausüben, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um den eigenen oder den übertragenen Wirkungskreis handle, oder ob gar die Gemeinde deshalb, weil sie eine autonome Gemeinde ist, durch ihre Beamten Funktionen versehen lässt, die sonst nur staatlichen Beamten zugewiesen sind. Der Begriff des Staatsamtes sei nach Lohsing im Sinn der Dienstpragmatik zu verstehen. Amtsfunktionen, die nicht mit einer Beamtenstellung im Sinn der Dienstpragmatik verknüpft seien, könne daher der Rechtsanwalt ausüben, etwa als Mitglied einer Staatsprüfungskommission.

[37] 3.3. Der Auffassung von Lohsing, dass nur eine Anstellung im Sinn der Dienstpragmatik eine Unvereinbarkeit begründe, folgte der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 1948, AZ 7/48 (SZ 21/143), nicht. Vielmehr sei es der Regelungszweck des § 20 lit a) RAO, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts von den Staatsbehörden sicherzustellen. Für den Begriff des „besoldeten Staatsamtes“ sei auch nicht wesentlich, dass die Besoldung vom Staat getragen werden müsse. Es gehe nur darum, dass das Amt zur Führung von Staatsgeschäften bestellt sei und dass der diese Geschäfte besorgende Beamte hierfür besoldet werde. Unter dem Gesichtspunkt des § 9 RAO stehe die besoldete Bindung an eine Behörde, mag sie eine Staatsbehörde oder auch eine Landes- oder Gemeindebehörde sein, mit dem Grundsatz einer freien Anwaltschaft in unlösbarem Widerspruch. Der Oberste Gerichtshof bestätigte daher die Verweigerung der Eintragung eines Obermagistratsrats einer Stadt mit eigenem Statut in die Liste der Rechtsanwälte.

[38] 3.4. In der – noch vor der Einfügung des § 21g RAO im Jahr 2000 ergangenen – Entscheidung der OBDK vom 28. Oktober 1968, Bkv 3/68 (AnwBl 1971, 233 f), sprach diese aus, dass eine Tätigkeit als Leiter des Rechtsbüros einer Versicherung nicht mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft vereinbar sei. Diese Tätigkeit würde zwar nicht dem Ansehen des Standes entgegenstehen. Allerdings ergebe sich aus § 9 RAO der Grundsatz einer freien Rechtsanwaltschaft, mit welcher die besoldete Bindung an irgendein privates Unternehmen, mit dem ein Angestelltenverhältnis bestehe, bedenklich und nicht vereinbar sei. Diese Auffassung hat die OBDK in ihrer Entscheidung vom 24. Oktober 1988, Bkv 2/88 (AnwBl 1990, 194), dahin bestätigt, dass die Tätigkeit eines auch nur für Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung zuständigen Landesbeamten mit dem Grundsatz der freien Rechtsanwaltschaft unvereinbar sei.

[39] 3.5. Der Gesetzgeber ergänzte mit dem BRÄG 2020 (BGBl I 2020/19) § 20 lit a) RAO um eine Legaldefinition des Begriffs „besoldetes Staatsamt“. Darunter ist – soweit hier relevant – „jede entgeltliche Tätigkeit zu verstehen, die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder [...] durch ernannte berufsmäßige Organe erfolgt“.

[40] 3.6. Zunächst fällt auf, dass in dieser Definition zwar die obersten Organe des Bundes oder der Länder erwähnt werden, nicht aber die Organe der Gemeinden. Im übertragenen Wirkungsbereich haben die Gemeinden allerdings auch Angelegenheiten der Bundes- und Landesverwaltung im Auftrag und nach den Weisungen des Bundes und der Länder zu besorgen (Art 119 Abs 1 B‑VG). Zu diesen Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereichs gehören etwa die Ausstellung von Strafregisterbescheinigungen (Art 10 Abs 1 Z 6 B‑VG iVm § 10 Abs 1 StrafregisterG 1968) und das Meldewesen (Art 10 Abs 1 Z 7 B‑VG iVm § 13 Abs 1 MeldeG 1991). Im übertragenen Wirkungsbereich sind auch die Gemeinden unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder tätig.

[41] 3.7. Art 20 Abs 1 B‑VG (idF des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl I 2008/2) unterscheidet zwischen gewählten Organen, ernannten berufsmäßigen Organen oder vertraglich bestellten Organen, welche unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder die Verwaltung führen. Hingegen bestimmt § 20 lit a) RAO eine Unvereinbarkeit nur bei ernannten berufsmäßigen Organen, nicht aber bei gewählten Organen (wie etwa Bürgermeistern) oder vertraglich bestellten Organen (also Vertragsbediensteten). Nach dem Wortlaut von § 20 lit a) RAO ist daher nur die Stellung als ernannter Beamter (vgl etwa § 3 Abs 1 NÖ Gemeindebeamtendienstverordnung 1976) mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft unvereinbar, nicht aber die Stellung als Vertragsbediensteter.

[42] 3.8. Nach den Gesetzesmaterialien zum BRÄG 2020 (zu § 20 lit a) RAO sowie zum ebenfalls geänderten § 7 NO; ErläutRV 19 BlgNR 27. GP  10 und 15) orientiert sich die Aufzählung der unvereinbaren Ämter insbesondere an den Inkompatibilitätsbestimmungen des Unvereinbarkeits- und Transparenzgesetzes, nimmt aber gleichzeitig auf die mit dem Gesetz vom 19. Dezember 1919 über die Vereinbarkeit des Amts eines Volksbeauftragten mit der Rechtsanwaltschaft und dem Notariate, StGBl 1919/598, vorgenommenen Abgrenzungen Bedacht. Dessen § 1 Abs 1 sah vor, dass das Amt eines Volksbeauftragten nicht als ein besoldetes Staatsamt im Sinn des § 20 RAO galt, während nach § 1 Abs 2 Rechtsanwälte, solange sie bestimmte höchste Staatsämter (Staatskanzler, Staatssekretär, Landeshauptmann etc) bekleideten, ihren Beruf nicht persönlich ausüben konnten. Schon daraus ist der Grundsatz einer unterschiedlichen Behandlung von Organen der Exekutive und der Legislative zu erkennen.

[43] 3.9. Die Materialien zum BRÄG 2020 erwähnen auch, dass nach dem vorgeschlagenen Text entsprechend der bisherigen Rechtslage (unter Zitierung der zuvor erwähnten Entscheidung vom 24. Oktober 1988, Bkv 2/88) weiterhin Tätigkeiten unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder […] durch ernannte berufsmäßige Organe unvereinbar sein sollen, wobei es unerheblich sei, ob die zu besorgenden Geschäfte zum Bereich der Hoheits‑ oder der Privatwirtschaftsverwaltung zählen (ErläutRV 19 BlgNR 27. GP  15). Warum vertraglich bestellte Verwaltungsorgane nicht in die Neufassung des § 20 lit a) RAO aufgenommen wurden, ist den Materialien allerdings nicht zu entnehmen.

[44] 3.10. Art 20 B‑VG wurde mit dem Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl I 2008/2, geändert. Der Gesetzgeber des BRÄG 2020 fand daher in Art 20 Abs 1 B‑VG schon die Unterscheidung zwischen ernannten berufsmäßigen Organen und vertraglich bestellten Organen vor. Da die Stellung von Vertragsbediensteten in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, kann dem Gesetzgeber des BRÄG 2020 auch nicht unterstellt werden, dass die Aufnahme der „vertraglich bestellten Organe“ in die – nicht bloß demonstrativ, sondern taxativ gemeinte – Legaldefinition des § 20 lit a) RAO nur versehentlich unterblieben ist. Dies schließt die Annahme einer – planwidrigen – Lücke aus und eine solche könnte auch, zumal der Wortsinn („ernannte berufsmäßige Organe“) die Grenze der Auslegung bildet, nicht mittels Analogie geschlossen werden. Es ist daher dem Obersten Gerichtshof verwehrt, die unbefriedigende gesetzliche Regelung im Weg der Auslegung (durch Einbeziehung der „vertraglich bestellten Organe“) zu korrigieren und damit einen – eine große Personengruppe umfassenden – erweiterten Unvereinbarkeitstatbestand zu schaffen (allgemein dazu jüngst 5 Ob 130/20h; RS0009099; Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 6 Rz 120 mwH).

[45] 3.11. Als Zwischenergebnis folgt daher, dass nach § 20 lit a) RAO idF BRÄG 2020 die Tätigkeit von Vertragsbediensteten einer Gemeinde im Gegensatz zu jener von „ernannten berufsmäßigen Organen“, auch wenn damit im übertragenen Wirkungsbereich Aufgaben der Bundesverwaltung oder der Landesverwaltung wahrgenommen werden, nicht mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt unvereinbar ist (unbeschadet der Bestimmungen von § 20 lit c) RAO und § 21g RAO).

D. Präjudizialität von § 20 lit a) RAO idF BRÄG 2020:

[46] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Berufungsverfahren § 20 lit a) RAO idF BRÄG 2020 anzuwenden, weil Unvereinbarkeiten im Sinn der §§ 20 lit c), 21g RAO nicht vorliegen und daher nur mehr zu prüfen ist, ob eine Unvereinbarkeit gemäß § 20 lit a) RAO vorliegt. Die Verfassungsmäßigkeit von § 20 lit a) RAO idF BRÄG 2020 ist daher eine Vorfrage für die Entscheidung.

[47] 2. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass der Oberste Gerichtshof und die OBDK bisher den Begriff des besoldeten Staatsamtes weit ausgelegt haben und es danach nicht auf die dienstrechtliche Stellung des Eintragungswerbers ankommt (SZ 41/143; Bkv 2/88).

E. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 20 lit a) RAO idF BRÄG 2020:

[48] Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs ist die besoldete Bindung eines Rechtsanwalts an eine Behörde mit dem Grundsatz einer freien Rechtsanwaltschaft (§ 9 RAO) unvereinbar:

[49] 1. Nach § 1 RL‑BA 2015 ist der Rechtsanwalt der durch seine rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Aus- und Fortbildung, seine Verschwiegenheit, seine Vertrauenswürdigkeit, seine Unabhängigkeit ausgezeichnete Berater, Beistand oder Vertreter seiner Klienten in allen ihren öffentlichen und privaten Angelegenheiten, im Besonderen auch als Verteidiger in Strafsachen. Darüber hinaus ist der Rechtsanwalt berufen, engagiert für die Verteidigung der Grundrechte und die Wahrung von Freiheit und Rechtsfrieden einzutreten, zur Vermeidung und außergerichtlichen Lösung von Konflikten beizutragen und als Vertreter individueller Interessen und Anliegen, die mit rechtmäßigen Mitteln verwirklicht werden können, unter Bindung an sein Gewissen und seine soziale Kompetenz beizustehen.

[50] 2. Es würde dem Selbstverständnis einer freien und unabhängigen Anwaltschaft und der Zielsetzung des § 9 Abs 1 RAO widerstreiten, einerseits als Repräsentant der staatlichen Verwaltung aufzutreten und andererseits als Parteienvertreter, dessen Aufgabe es gerade ist, Rechte des Einzelnen gegenüber der staatlichen Verwaltung durchzusetzen bzw staatliche Eingriffe abzuwehren.

[51] 3. Dies hat auch der Gesetzgeber des BRÄG 2020 erkannt, weil nach den Materialien zum BRÄG 2020 entsprechend der bisherigen Rechtslage (unter Zitierung der bereits erwähnten Entscheidung vom 24. Oktober 1988, Bkv 2/88) weiterhin Tätigkeiten unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder durch ernannte berufsmäßige Organe unvereinbar sein sollen, wobei es unerheblich ist, ob die zu besorgenden Geschäfte zum Bereich der Hoheits‑ oder der Privatwirtschaftsverwaltung zählen.

[52] 4. Sachlich gerechtfertigte Gründe, warum diese Unvereinbarkeit von der dienstrechtlichen Stellung des Organs (Beamter oder Vertragsbediensteter) abhängig sein soll, sind nicht zu erkennen. Die staatliche Verwaltung wird heute in zunehmendem Maße nicht mehr durch Beamte, sondern durch Vertragsbedienstete vollzogen. Aufgrund des in der öffentlichen Verwaltung weitgehend bestehenden Pragmatisierungsstopps ändert sich das Verhältnis zwischen Beamten und Vertragsbediensteten stetig zugunsten von Vertragsbediensteten. Deren Nichteinbeziehung in den Unvereinbarkeitstatbestand des § 20 lit a) RAO führt daher längerfristig zu einer Aushöhlung dieser Bestimmung.

[53] 5. Auch Vertragsbedienstete sind grundsätzlich zu hoheitlichem Handeln befugt. Vertragsbedienstete sind dabei ebenso an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden wie Beamte (in concreto: § 4 Abs 3 NÖ Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 1976 iVm § 28 Abs 2 NÖ Gemeinde-Beamtendienstordnung 1976). Tatsächlich ist die Rechtsstellung von Vertragsbediensteten jener von Beamten weitgehend angenähert. Der wesentliche Unterschied beschränkt sich auf die fehlende Pragmatisierung der Vertragsbediensteten. Während die Pragmatisierung (also de facto Unkündbarkeit) dem Beamten aber noch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit verschafft, ist diese bei einem jederzeit frei kündbaren Vertragsbediensteten deutlich geringer.

[54] 6. Eine Auslegung, wonach die Unvereinbarkeit mit einer Tätigkeit als Vertragsbediensteter nur nach dem Maßstab des § 21g RAO, nicht aber nach § 20 lit a) RAO zu prüfen ist, wäre ebenfalls gleichheitswidrig: Dann wären nämlich Beamte gegenüber Vertragsbediensteten insofern benachteiligt, als sie jedenfalls von der Ausübung der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen sind, Vertragsbedienstete hingegen nur dann, wenn ihr Dienstverhältnis Tätigkeiten umfasst, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwalts gehören. Auch dies zeigt, dass eine unterschiedliche Regelung der Unvereinbarkeitsbestimmungen für öffentlich Bedienstete hinsichtlich der Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht sachgerecht ist.

[55] 7. Die aufgezeigte unterschiedliche Behandlung öffentlich Bediensteter hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft in § 20 lit a) RAO ist nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs unsachlich und verstößt daher gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B‑VG).

F. Anfechtungsumfang:

[56] 1. Es wird die Aufhebung der gesamten Legaldefinition des Begriffs des besoldeten Staatsamtes in § 20 lit a) RAO beantragt, weil eine bloße Teilaufhebung der Wendung „sowie jede entgeltliche Tätigkeit […], die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes oder der Länder, des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft oder des Präsidenten des Rechnungshofes durch ernannte berufsmäßige Organe erfolgt;“ dazu führen würde, dass solche Tätigkeiten (unabhängig von ihrer dienstrechtlichen Einordnung) nicht mehr als besoldetes Staatsamt zu verstehen sind.

[57] 2. Gegen die Aufrechterhaltung der im letzten Satzteil von § 20 lit a) RAO enthaltenen Ausnahmeregelung, dass im Fall der Bekleidung eines Mandats einer gesetzgebenden Körperschaft keine Unvereinbarkeit vorliegt, bestehen keine Bedenken.

[58] 3. Es war daher der aus dem Spruch ersichtliche Antrag zu stellen (Art 89 Abs 2, 140 Abs 1 Z 1 lit a) B‑VG).

G. Innehaltung:

[59] Das Erfordernis, mit dem Rechtsmittelverfahren bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten, ergibt sich aus § 62 Abs 3 VfGG.

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