OGH 19Ob5/16y

OGH19Ob5/16y14.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Wiederaufnahmesache der Berufungswerberin *****, über die Berufung der ***** gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 14. Juni 2016, AZ 1531/85, nach mündlicher Verhandlung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0190OB00005.16Y.0214.000

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die Berufungswerberin hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

Mit Beschluss vom 30. April 1985, AZ 1531/85, verfügte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, Niederösterreich und Burgenland die amtswegige Löschung der nunmehrigen Berufungswerberin in der Rechtsanwaltsliste, weil mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom ***** 1985, *****, ein gegen sie gestellter Konkursantrag mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens gemäß § 72 KO rechtskräftig abgewiesen worden war und dadurch die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft gemäß § 34 Abs 1 lit a RAO erloschen war. Die von der nunmehrigen Rechtsmittelwerberin gegen den Beschluss vom 30. April 1985 erhobene „Vorstellung“ wurde mit Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 28. Mai 1985 zurückgewiesen

Die gegen die Beschlüsse vom 30. April 1985 und vom 28. Mai 1985 erhobenen Berufungen der nunmehrigen Berufungswerberin wurden mit Beschluss der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 8. Juli 1985, Bkv 2/85, als unzulässig zurückgewiesen, dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die damals geltenden Bestimmungen der RAO zwar Rechtsmittel gegen die Verweigerung der Eintragung in die Rechtsanwaltsliste und die Liste der Rechtsanwaltsanwärter vorsahen, nicht aber gegen Verfügung der Löschung eines Rechtsanwalts in der Rechtsanwaltsliste.

Am 25. Februar 2013 stellte die Berufungswerberin beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien einen Antrag auf Altersversorgung gemäß §§ 49, 50 RAO. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Ausschusses, Abteilung VI, vom 2. Juli 2013, AZ 03/01 2013/1273, rückwirkend per 1. März 2013 stattgegeben, wobei zur Höhe des Anspruchs ausgesprochen wurde, dass die Leistung 24,762 % der Basisrente gemäß der jeweils geltenden Leistungsordnung beträgt. Einer dagegen erhobenen Vorstellung gab der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) mit Beschluss vom 28. Jänner 2014, AZ 04/01 2013/1273, nicht Folge.

Gegen diesen Beschluss brachte die Antragstellerin am 13. März 2014 beim Verwaltungsgericht Wien eine als „Klage“ bezeichnete Beschwerde, verbunden mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, GZ 1531/85, ein.

Mit Erkenntnis vom 20. Jänner 2015, GZ VGW 101/029/23717/2014‑6, wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde als unbegründet ab und sprach außerdem aus, dass über den Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 AVG die Rechtsanwaltskammer Wien als zuständige Behörde zu entscheiden habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen, im Plenum gefassten Beschluss vom 14. Juni 2016, GZ 1531/85, wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag auf Wiederaufnahme zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheids ein Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden könne (§ 69 Abs 2 AVG).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die (als Beschwerde bezeichnete) rechtzeitige Berufung der Antragstellerin, die nicht berechtigt ist.

1. Nach der grundsätzlich vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien anzuwendenden Bestimmung des § 69 Abs 4 AVG (siehe 4.1.) steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme derjenigen Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat. Hingegen hat nach den im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof subsidiär anwendbaren Vorschriften des AußStrG (§ 5a Abs 2 Z 3 RAO) das Gericht erster Instanz über den Abänderungsantrag zu entscheiden, auch wenn der abzuändernde Beschluss von einem Gericht höherer Instanz gefällt wurde (§ 76 Abs 2 AußStrG).

1.1. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) hat diese (mögliche) Diskrepanz der Verfahrensbestimmungen dadurch aufgelöst, dass die Zuständigkeit für die Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließlich durch § 69 Abs 4 AVG bestimmt wird, während (nur) für das Verfahren vor der OBDK selbst die Bestimmungen der §§ 72 ff AußStrG sinngemäß heranzuziehen sind (OBDK Bkv 2/09, AnwBl 2009/8209, 447). Die OBDK begründete diese Rechtsansicht unter anderem damit, dass mit dem den § 5a Abs 2 RAO einleitenden Satz nur auf die vor der OBDK anwendbaren Verfahrensvorschriften Bezug genommen werde und keine über den Verfahrensablauf und die Verfahrensführung hinausgehende Regelung, etwa für die Zuständigkeitsverteilung zwischen erster und zweiter Instanz geschaffen werde.

1.2. Von dieser Auffassung abzugehen besteht auch nach der Neuregelung des § 5a Abs 2 RAO durch BGBl I 2013/190, womit die Zuständigkeit für Entscheidungen über Berufungen gegen die Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte von der OBDK auf den Obersten Gerichtshof übergegangen ist und für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof die Anwendbarkeit der §§ 49–52, 54, 55, 57 und 58 DSt angeordnet wurde, kein Anlass, da eine inhaltliche Änderung mit dieser Novellierung nicht verbunden ist.

1.3. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens richtet sich daher ausschließlich nach § 69 Abs 4 AVG; das AußStrG ist nur auf die Führung des Berufungsverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof anzuwenden.

2. Für die Frage, welche Behörde den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat (§ 69 Abs 4 AVG), ist dann, wenn es um eine Wiederaufnahme in merito geht, entscheidend, welche Behörde das Verfahren in sachlicher Hinsicht rechtskräftig beendet hat (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 68 mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des VwGH, etwa 2005/05/0260). Da die OBDK die Berufungen der Antragstellerin gegen den Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 30. April 1985, AZ 1531/85, nicht inhaltlich, sondern nur formal behandelt hatte (nämlich mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hatte), war für die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag – im Hinblick auf den Kanzleisitz der nunmehrigen Berufungswerberin im Sprengel der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland – die Rechtsanwaltskammer Wien zuständig. Die Berufungswerberin hat erst in der mündlichen Berufungsverhandlung die Unzuständigkeit der Rechtsanwaltskammer Wien gerügt (nach ihrem Vorbringen wäre die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zuständig gewesen). Mit diesem Vorbringen verstößt die Berufungswerberin gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels. Ergänzungen des Rechtsmittels in einer mündlichen Rechtsmittelverhandlung sind grundsätzlich unzulässig (Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 49 Rz 2; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 49 Rz 12).

Gegen die Entscheidung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet sich nun das Rechtsmittel der Berufungswerberin.

3. Anders als nach der im Jahr 1985 geltenden Rechtslage ist nach § 34 Abs 3 RAO nun gegen Entscheidungen nach § 34 Abs 1 RAO (Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft) und § 34 Abs 2 RAO (Ruhen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft) – soweit sie nicht aufgrund eines Disziplinarerkenntnisses oder im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ergehen – die Berufung an den Obersten Gerichtshof zulässig. Eine ausdrückliche, die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs begründende Regelung für Wiederaufnahmeverfahren fehlt allerdings in der RAO.

3.1. Eine in einem Verwaltungsverfahren ergangene negative Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag kann grundsätzlich nach Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG mit Beschwerde beim zuständigen Verwaltungsgericht angefochten werden. § 23 Abs 6 RAO sieht vor, dass die aufgrund dieses Gesetzes ergehenden Bescheide – sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist – mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes anfechtbar sind. Eine streng wörtliche Auslegung dieser Vorschriften könnte zu dem Ergebnis führen, dass der Oberste Gerichtshof zwar für Berufungen gegen Entscheidungen des Ausschusses zuständig ist, mit welchem dieser das Erlöschen der Berechtigung zur Berufsausübung wegen rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens feststellt, für Beschwerden gegen die Abweisung von Wiederaufnahmeanträgen betreffend solche Entscheidungen aber das Landesverwaltungsgericht.

3.2. Allerdings ist diese Interpretation keineswegs zwingend, weil nach dem sehr weit gefassten Wortlaut des § 34 Abs 3 RAO („Gegen Entscheidungen nach Abs 1 und 2 …“) darunter auch alle Entscheidungen verstanden werden können, die im Zusammenhang mit den in Abs 1 und Abs 2 genannten Angelegenheiten stehen. Auch tritt die Rechtsfolge des Erlöschens der Rechtsanwaltschaft schon ex lege etwa mit rechtskräftiger Nichteröffnung eines Konkursverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens ein und es bedarf diesbezüglich keiner gesonderten „Entscheidung“, sodass ein dazu ergehender Bescheid rein feststellenden Charakter hat (VfGH B 1267/2012; dies klarstellend auch die Neuformulierung von § 34 Abs 1 RAO idF BRÄG 2016 mit Wirkung ab 1. Juli 2017). Der Begriff der „Entscheidungen“ in § 34 Abs 3 RAO kann sich daher schon vom Wortsinn nicht auf die in § 34 Abs 1 RAO angeführten, ex lege zum Erlöschen der Rechtsanwaltschaft führenden Tatbestände beziehen, sondern hat nur dann einen sinnvollen Anwendungsbereich, wenn damit auch „andere Entscheidungen in den in § 34 Abs 1 RAO angeführten Angelegenheiten“ gemeint sind.

3.3. Der Oberste Gerichtshof ist daher zur Entscheidung über das als Berufung zu behandelnde Rechtsmittel gegen die Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrags durch die Rechtsanwaltskammer Wien zuständig.

4. In der Sache selbst ist der Berufung kein Erfolg beschieden.

4.1. Wie bereits erwähnt, war das Verfahren über den Wiederaufnahmeantrag der nunmehrigen Berufungswerberin gemäß Art I Abs 2 Z 1 EGVG nach den Bestimmungen des AVG zu führen (ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP 15; das die Anwendbarkeit des AVG in Verfahren vor den Rechtsanwaltskammern – möglicherweise im Gegensatz zu OBDK Bkv 2/09, AnwBl 2009/8209, 447 – verneinende Erkenntnis des VwGH 2013/01/0095 erging noch zur Rechtslage vor der Novellierung des Art I EGVG mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Ausführungsgesetz 2013, BGBl I 2013/33).

4.2. Der Wiederaufnahmeantrag muss – wie der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien zu Recht ausgesprochen hat – schon daran scheitern, dass gemäß § 69 Abs 2 AVG nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung der Entscheidung der Verwaltungsbehörde ein Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden kann. Eine Wiederaufnahme des durch Beschluss des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 30. April 1985 materiell abgeschlossenen Verfahrens ist daher schon deshalb ausgeschlossen, weil diese objektive Frist des § 69 Abs 2 AVG schon lange abgelaufen ist.

4.3. Die Berufungswerberin macht im Übrigen auch keine tauglichen Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 69 Abs 1 Z 14 AVG geltend, sondern begründet ihren Antrag mit einer von ihr behaupteten Änderung der Rechtslage. Sie argumentiert, dass nach den im Jahr 1985 geltenden Bestimmungen der RAO kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Ausschusses möglich gewesen sei. Mit dieser Argumentation lässt sie jedoch außer Acht, dass eine Änderung der Rechtslage – von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – keinen Wiederaufnahmegrund darstellt (VwGH 2006/11/0147).

5. Der Berufung ist daher der Erfolg zu versagen.

Das von der Berufungswerberin angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union kann unterbleiben, weil für die Entscheidung keine unionsrechtlichen Regelungen relevant sind (die Berufungswerberin selbst nimmt insoweit allein auf Bestimmungen der EMRK Bezug).

6. Der Ausspruch, dass die Berufungswerberin ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen hat, beruht auf der Einseitigkeit des Verfahrens (vgl § 78 Abs 2 AußStrG).

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