OGH 18OCg5/21s

OGH18OCg5/21s15.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Veith, die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und Mag. Painsi und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N* Ltd, *, Volksrepublik China, und 2. E* D.D., *, Kroatien, beide vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. A*, und 2. A*, Kroatien, wegen Teilaufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 311.943,04 EUR), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:018OCG00005.21S.1215.000

 

Spruch:

Die Klage wird als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien war bei der Internationalen Schiedsinstitution der Wirtschaftskammer Österreich (Vienna International Arbitral Centre, „VIAC“) zu Fallnummer * ein Schiedsverfahren mit Schiedsort Wien anhängig. Die Parteirollen sind im Schiedsverfahren wie im Aufhebungsverfahren ident, sodass die Schieds- und Aufhebungsklägerinnen im Folgenden als Klägerinnen und die Schieds- und Aufhebungsbeklagten als Beklagte bezeichnet werden.

[2] Gegenstand dieses Schiedsverfahrens waren Ansprüche aus einem Anteilskauf. Die chinesische Erstklägerin kaufte vom zweitbeklagten Gesellschafter die Mehrheit seiner Anteile (nämlich 76 %) an der zweitklagenden kroatischen Zielgesellschaft, einer Aktiengesellschaft (d.d.). Der Zweitbeklagte übertrug die Anteile zwischen „Signing“ und „Closing“ an die Erstbeklagte, die sie wiederum der Erstklägerin übertrug. Die Erstbeklagte verpflichtete sich in ihrer Übertragungsvereinbarung mit dem Zweitbeklagten, gegenüber den Klägerinnen mit dem Zweitbeklagten gesamtschuldnerisch zu haften. Die Erstbeklagte ist Minderheitsgesellschafterin (24 %) der Zweitklägerin.

[3] Im Schiedsverfahren machten die Klägerinnen 3.025.041,47 HRK an Schadenersatzansprüchen aus dem Anteilskauf geltend (Schiedsspruch Beilage ./A). Die Zweitklägerin habe nach dem Anteilskauf Drittverbindlichkeiten befriedigen müssen, wofür die Beklagten nun sowohl der Erstklägerin als Käuferin als auch der Zweitklägerin als Zielgesellschaft haften würden.

[4] Mit Schiedsspruch vom * 2021 (./A) wies das Schiedsgericht die Ansprüche der Erstklägerin zur Gänze ab, sprachder Zweitklägerin 698.686,24 HRK zu und wies das Mehrbegehren von 2.332.316,89 HRK ab; außerdem sprach es der Zweitklägerin 3.109,99 EUR und 104.656,43 HRK an Kostenersatz zu und verpflichtete die Klägerinnen zum Ersatz von 964.197,20 HRK an Verfahrenskosten an die Beklagten.

[5] Mit Nachtrag vom * 2021 (./C) wies das Schiedsgericht einen Antrag der Klägerinnen auf Berichtigung, Erläuterung und Ergänzung des Schiedsspruchs ab.

[6] Die Klägerinnen begehren nun die Teilaufhebung der abweisenden Spruchpunkte 1, 3 und 4 des Schiedsspruchs sowie des Punkts IV des Nachtrags (ON 1).

Dazu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die Aufhebungsklage kann auch auf eine Teilaufhebung des Schiedsspruchs gerichtet sein (18 OCg 1/19z [Pkt IV.B.1]). Im vorliegenden Fall ist sie jedoch schon aufgrund des Vorbringens als nicht zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung geeignet zurückzuweisen.

[8] 1.1. Bei Aufhebungsklagen findet in Analogie zu § 538 ZPO ein Vorprüfungsverfahren statt (RIS‑Justiz RS0132276). Wenn der Kläger keinen tauglichen Aufhebungsgrund behauptet, ist die Klage ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückzuweisen (zuletzt 18 OCg 2/21z).

[9] 1.2. Die Klägerinnen machen im vorliegenden Fall schwerwiegende Verfahrensverstöße, insbesondere die Verletzung des rechtlichen Gehörs, der Kompetenzüberschreitung durch das Schiedsgericht sowie den Verstoß des Schiedsspruchs gegen den verfahrensrechtlichen und den materiellrechtlichen ordre public geltend. Die beanstandeten Tatsachen subsumieren sie für sich genommen und/oder in der Zusammenschau mit jeweils anderen Umständen unter einen oder mehrere der Aufhebungsgründe des § 611 Abs 2 Z 2, Z 3, Z 5 und Z 8 ZPO.

[10] Selbst wenn sich die Sachverhaltsbehauptungen in der Aufhebungsklage als richtig erweisen sollten, wären die Tatbestandsvoraussetzungen der geltend gemachten Aufhebungsgründe aber nicht erfüllt. Dazu werden die Vorwürfe im Folgenden einzeln dargestellt.

[11] 2. Als Kompetenzüberschreitungen des Schiedsgerichts nach § 611 Abs 2 Z 3 ZPO rügen die Klägerinnen, dass es mehr als die angemessenen Kosten zugesprochen habe (ON 1 Pkt 3.3.3.1), sowie die Zulassung der kroatischen Version des Anteilskaufvertrags ohne englische Übersetzung als Beweismittel (ON 1 Pkt 3.5.1). Zweiteres wird auch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des formellen ordre public angegriffen, worauf unter Punkt 4 dieser Entscheidung einzugehen sein wird.

[12] 2.1. Der Aufhebungsgrund nach § 611 Abs 2 Z 3 ZPO ist verwirklicht, wenn der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, für welche die Schiedsvereinbarung nicht gilt, oder er Entscheidungen enthält, welche die Grenzen der Schiedsvereinbarung oder das Rechtsschutzbegehren der Parteien überschreiten.

[13] 2.2. Aus den Klagsbehauptungen ist weder abzuleiten, dass das Schiedsgericht über einen nicht von der Schiedsvereinbarung erfassten Gegenstand entschieden hätte (Z 3 erste Variante), noch dass es die Sachanträge der Parteien im Schiedsverfahren überschritten und ein plus oder aliud zugesprochen hätte (Z 3 zweite Variante; vgl Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 IV/2 § 611 ZPO [2016] Rz 115 f).

[14] Dass das Schiedsgericht den Beklagten mehr an Verfahrenskosten zugesprochen hätte als diese beantragt hatten, wird weder von den Klägerinnen behauptet noch ist dies aus dem vorgelegten Schiedsspruch ersichtlich.

[15] Wie (bloß) die Zulassung eines Beweismittels zu einer Überschreitung der Grenzen der Schiedsvereinbarung oder des Rechtsschutzbegehrens führen soll, wird aus der Aufhebungsklage nicht ersichtlich.

[16] 2.3. Damit wird der Aufhebungstatbestand einer Kompetenzüberschreitung nicht schlüssig behauptet.

[17] 3. Die Klägerin wirft dem Schiedsgericht willkürliche Rechtsanwendung und Verhaltensweisen vor, was sie als Verletzung des rechtlichen Gehörs iSd § 611 Abs 2 Z 2 ZPO und – worauf unter Punkt 5. einzugehen sein wird – als Verstoß gegen den materiellrechtlichen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 8 ZPO geltend macht (ON 1 Pkt 3.1). Außerdem ist sie der Ansicht, dass auch bei der Kostenentscheidung ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei (ON 1 Pkt 3.3).

[18] 3.1. Gemäß § 611 Abs 2 Z 2 ZPO ist ein Schiedsspruch aufzuheben, wenn eine Partei von der Bestellung eines Schiedsrichters oder vom Schiedsverfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt wurde oder sie aus einem anderen Grund ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte.

[19] Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 611 Abs 2 Z 2 ZPO ist insofern restriktiv, als grundsätzlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzunehmen ist, wenn das Schiedsgericht Beweisanträge ignoriert oder zurückweist oder sonst den Sachverhalt unvollständig ermittelt hat. Nur im Fall einer willkürlich lücken- oder mangelhaften Sachverhaltsermittlung oder Sachverhaltsfeststellung sowie einer lückenhaften Erörterung rechtserheblicher Tatsachen bzw eines willkürlichen Übergehens, Ignorierens oder Zurückweisens von Beweisanträgen könnte ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs vorliegen (18 OCg 10/19y Rz 80 f; 18 OCg 1/19z mwN).

[20] 3.2. Als willkürliche und damit gehörverletzende Verhaltensweise nennen die Klägerinnen, dass das Schiedsgericht ihre Beweismittel für die Zahlung der Zweitklägerin an die T* d.o.o. nicht gewürdigt habe und offenbar in Widerspruch zu diesen eindeutigen Urkunden davon ausgegangen sei, dass noch keine Zahlung geleistet worden sei – und dies, obwohl diese Zahlung nach einer Urkundenvorlage der Klägerin von den Beklagten gar nicht mehr bestritten worden sei (ON 1 Pkt 3.1.1.1.). Außerdem habe das Schiedsgericht angezweifelt, ob die Zweitklägerin überhaupt Drittverbindlichkeiten gegenüber H* (endgültig) befriedigt habe, obwohl dies im Schiedsverfahren nie bestritten worden und darüber hinaus durch die Beweismittel der Klägerinnen klar belegt worden sei (ON 1 Pkt 3.1.1.2.).

[21] Willkür lässt sich aus diesem Vorbringen in der Aufhebungsklage aber nicht ableiten. In beiden Fällen begründete das Schiedsgericht die Abweisung der (aus der Befriedigung dieser Drittverbindlichkeiten geltend gemachten) Ansprüche schon nach den Behauptungen der Aufhebungsklägerinnen damit, dass laut Anteilskaufvertrag Drittverbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem laufenden Geschäftsbetrieb bis zum tatsächlichen Unternehmensübergang nicht von den Verkäufern zu tragen seien (für T* d.o.o.: ON 1 S 12 oben; so auch im Schiedsspruch ./A S 92 unten und S 93 oben; für H*: ON 1 S 13 oben; so auch im Schiedsspruch ./A S 101 oben).

[22] Selbst wenn also unstrittig gewesen sein sollte, dass die Zweitklägerin diese beiden Drittverbindlichkeiten befriedigt habe, könnte eine unrichtige gegenteilige oder non liquet‑Feststellung dazu das Ergebnis des Schiedsspruchs jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerinnen beeinflussen.

[23] 3.3. Die Klägerinnen rügen als weitere Gehörverletzung, sie hätten keine Äußerungsmöglichkeit zu den Vertretungskosten der Beklagten gehabt, die das Schiedsgericht seiner Kostenentscheidung zugrunde gelegt habe. Das Schiedsgericht habe das Verfahren nämlich zwei Tage nach Übermittlung der Kostenschriftsätze geschlossen. Im Nachtrag zum Schiedsspruch habe das Schiedsgericht darüber hinaus die Argumente der Klägerinnen für präkludiert erklärt (ON 1 Pkt 3.3.2).

[24] Die Klägerinnen stützen ihre Ansicht, dass Schiedsparteien bei sonstigem Verstoß gegen den formellen ordre public Gelegenheit haben müssen, sich zum Kostenverzeichnis des Gegners zu äußern, auf die Lehrmeinung Hausmaningers und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Die zitierte Entscheidung 3 Ob 1091/91 verneint im Ergebnis eine Gehörverletzung. Ob sich die Argumentation der Parteien zu diesem Aufhebungsgrund überhaupt auf die Kostenentscheidung bezog, bleibt in der genannten Entscheidung aber unklar.

[25] Die von den Klägerinnen ins Treffen geführte Kommentarstelle (Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 § 611 ZPO Rz 102) verweist zum Beleg auf Zeiler, der seinerseits wiederum – wie Hausmaninger selbst auch – Reiner zitiert (Zeiler, Schiedsverfahren² [2014] § 594 Rz 18 unter Verweis auf Reiner, Schiedsverfahren und rechtliches Gehör, ZfRV 2003/11, 52 [56 f]). Reiner befürwortet jedoch nicht einen entsprechenden Aufhebungsgrund, sondern hält lediglich fest, dass bei internationalen Schiedsverfahren „in zunehmendem Maße darauf geachtet [wird], dass der jeweils anderen Partei nicht nur eine Kopie übermittelt wird, sondern auch Gelegenheit zur Stellungnahme, sodass auch im Kostenpunkt das rechtliche Gehör gewahrt ist“. Auch die von Hausmaninger an anderer Stelle (in Fasching/Konecny 3 § 609 ZPO Rz 32) ins Treffen geführte Regel 28 Abs 2 ICSID Arbitration Rules sieht nicht vor, dass dem Schiedsgegner Gelegenheit für Einwendungen zu geben ist.

[26] Im übrigen Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass eine Einwendungsmöglichkeit zu den Kosten des Schiedsgegners zwar wünschenswert, aber nicht zwingend erforderlich sei (vgl Aschauer/Neumayr, Austrian Arbitration Law in Motion [2020] Rz 756; Schumacher in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht II [2016] Rz 10/245).

[27] Auch der Vergleich mit den staatlichen Gerichtsverfahren zeigt, dass eine Stellungnahmemöglichkeit zu den vom Gegner verzeichneten Kosten nicht zwingend ist: So wurde sie durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) zwar für den streitigen Zivilprozess erster Instanz eingeführt (§ 54 Abs 1a ZPO). Für die Verfahren vor den Rechtsmittelgerichten sieht die ZPO eine solche Äußerungsmöglichkeit jedoch bis heute ebenso wenig vor wie das AußStrG für das außerstreitige Verfahren in allen Instanzen (RS0127127).

[28] Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das Schiedsgericht im vorliegenden Fall im Nachtrag zum Schiedsspruch zwar eine Gehörverletzung bei der Kostenentscheidung verneinte, aber die Einwendungen der Klägerinnen im Ergänzungsantrag sehr wohl inhaltlich detailliert behandelte (./C S 6–8).

[29] 3.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die behaupteten Gehörverletzungen sich nicht als Aufhebungsgrund qualifizieren.

[30] 4. Die Klägerinnen behaupten weitere schwerwiegende Verfahrensfehler, die einen Verstoß gegen den formellen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 5 ZPO verwirklichen sollen(ON 1 Pkt 3.3).

[31] 4.1. Nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ist der Schiedsspruch aufzuheben, wenn das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt wurde, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspricht (vgl RS0110743), wenn also gegen tragende Grundsätze eines geordneten Verfahrens verstoßen wurde. Im Aufhebungsverfahren ist daher –anders als nach § 1052 Abs 2 lit d dZPO – nicht zu prüfen, ob das Schiedsverfahren den verfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 594 ff ZPO oder einer diesbezüglichen Vereinbarung zwischen den Parteien (insbesondere dem vereinbarten Regulativ einer Schiedsinstitution) entsprochen hat. Prüfungsmaßstab sind vielmehr die Mindesterfordernisse eines fairen Verfahrens, wie sie sich aus Art 6 EMRK und jenen Wertungen ergeben, die auch dem Verfahren vor den staatlichen Gerichten zugrunde liegen (18 OCg 5/16h [Pkt 1.1]; vgl auch Neumayr, Rechtliches Gehör, in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR [2021] I. H. Rz 22).

[32] Im Licht dieser Rechtsprechung wiegen die angeblichen Verfahrensfehler des Schiedsgerichts schon nach den Klagsbehauptungen nicht so schwer, dass sie überhaupt als Aufhebungsgründe nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO qualifiziert werden könnten.

[33] 4.2. So rügen die Klägerinnen, dass dasSchiedsgericht unter Zitierung eines in der Endfassung abgeänderten Entwurfs aktenwidrig davon ausgegangen sei, dass die Parteien für die Verfahrenskosten kroatisches Recht vereinbart hätten (ON 1 Pkt 3.3.1).

[34] Nach dem Aufhebungsklagevorbringen habe das Schiedsgericht die Kosten nach Art 38 WR 2018, also nach freiem Ermessen zuzusprechen gehabt (ON 1 S 32 Abs 3). In der Kostenentscheidung habe es auf die Wertungen des § 609 ZPO, der Wiener Regeln 2018 sowie des österreichischen und des kroatischen Honorarrechts Bedacht genommen (ON 1 Pkt 3.3.3.2; so tatsächlich ./A S 108–111 und ./C S 6–7). Damit war aber die Ausführung zu einer Rechtswahl ganz zu Beginn des Schiedsspruchs schon nach dem Vorbringen der Aufhebungsklage im Ergebnis jedenfalls nicht relevant (vgl RS0131146).

[35] 4.3. Weiters behaupteten die Klägerinnen zwar, dass die Kostenentscheidung nicht (ausreichend) begründet sei (ON 1 Pkt 3.3.3.1), geben aber in der Aufhebungsklage selbst zahlreiche Überlegungen des Schiedsgerichts aus der Kostenentscheidung wieder, wie sie auch dem Schiedsspruch auf den Seiten 109 bis 111 zu entnehmen sind (./A). Dass nicht erkennbar sei, nach welchem „anwendbaren Recht“ das Schiedsgericht die Kosten festlegte (ON 1 Pkt 3.3.3.2), ist im Übrigen kein Mangel, sondern entspricht vielmehr dem Wesen einer Kostenentscheidung nach freiem Ermessen, wie sie das Schiedsgericht nach Art 38 Abs 2 WR 2018 zu treffen hatte. Auch dass das Schiedsgericht außer der Honorarvereinbarung keine weiteren Belege verwertete oder forderte (ON 1 Pkt 3.3.3.3), kann nicht als Verstoß gegen ein faires Verfahren gesehen werden, zumal auch – beispielsweise – im österreichischen Verfahrensrecht die Kosten in der Regel auf Basis von Kostenverzeichnissen bestimmt werden, ohne dass eine bereits erfolgte Zahlung der Verfahrenspartei an ihren Vertreter nachgewiesen werden müsste. Die übrigen Argumente der Klägerinnen, insbesondere, dass die Angemessenheit der Kosten für sie nicht nachvollziehbar sei und dass die zugesprochenen Quoten der Kosten im Nachtragsverfahren (ON 1 Pkt 3.3.4) logisch inkonsistent sei, laufen auf eine in der Aufhebungsklage unzulässige révision au fond hinaus.

[36] 4.4. Weiters argumentieren die Klägerinnen, dass dem Schiedsgericht auch in der Hauptsache eineAktenwidrigkeit unterlaufen sei, nämlich beim Vorbringen der Klägerinnen zu den Verfassern des Anteilskaufvertrags. Nicht einmal im Nachtrag werde klar, auf welche Beweisergebnisse sich das Schiedsgericht dafür gestützt habe (ON 1 Pkt 3.4).

[37] Ist ein Schiedsspruch zu einem wesentlichen Streitpunkt nicht oder nur mit inhaltsleeren Floskeln begründet, so erfüllt dies grundsätzlich den Aufhebungstatbestand des § 611 Abs 2 Z 5 ZPO. Inwieweit Aktenwidrigkeiten überhaupt diesen Aufhebungsgrund verwirklichen können, kann hier dahinstehen, weil die geltend gemachte Aktenwidrigkeit schon nach dem Vorbringen nicht entscheidungswesentlich war (18 OCg 2/16t [Pkt 4.3]). Die Klägerinnen verweisen zur Relevanz dieses Punktes nämlich nur allgemein auf die Auslegung contra proferentem, ohne aber darzustellen, ob dieses Prinzip für das Ergebnis des Schiedsverfahrens ausschlaggebend gewesen sei. Dies ist nach dem Vorbringen in der Schiedsaufhebungsklage schon dadurch widerlegt, dass das Schiedsgericht – laut Schiedsaufhebungsklage – im Nachtrag zwar seine aktenwidrige Annahme zum Vertragsverfasser des Anteilskaufvertrags, nicht aber das Verfahrensergebnis korrigiert habe.

[38] 4.5. Außerdem rügen die Klägerinnen, dass das Schiedsgericht eine Urkunde in kroatischer Sprache verwertet habe, obwohl die Verfahrenssprache Englisch gewesen sei und die Erstklägerin als chinesisches Unternehmen über keine Kroatischkentnisse verfüge (ON 1 Pkt 3.5.1).

[39] In diesem Vorbringen ist eine Verletzung des formellen ordre public nicht erkennbar. Zahlreiche Zivilprozessordnungen lassen die Verwertung fremdsprachiger Urkunden zu (vgl für Österreich OLG Wien RW0000796 = ÖBl 2014/59, 266, für Deutschland § 142 Abs 3 ZPO, für die Niederlande Hoge Raad 15. 1. 2016, ZeuP 2020, 195; ausführliche Nachweise bei Kilian, Fremdsprachige Beweismittel im niederländischen Zivilprozess, ZeuP 2020, 195 [204 ff]). Wenn das Gericht dabei von einem unrichtigen Inhalt der Urkunde ausgeht, liegt nach österreichischem Recht ein Verfahrensmangel, jedenfalls aber keine Nichtigkeit vor (4 Ob 138/06g; vgl auch 10 Ob 9/11p). Dass das Schiedsgericht den Inhalt der Urkunde missverstanden habe, behaupten die Aufhebungsklägerinnen nicht.

[40] 5. Die Klägerin wirft dem Schiedsgericht Verstöße gegen den materiellrechtlichen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 8 ZPO vor. Dies betrifft sowohl die Hauptsache (ON 1 Pkt 3.1), zu der sie unter anderem willkürliche Rechtsanwendung moniert, als auch die Kostenentscheidung (ON 1 Pkt 3.2).

[41] 5.1. Gemäß § 611 Abs 2 Z 8 ZPO ist ein Schiedsspruch dann aufzuheben, wenn dieser Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. Dieser Aufhebungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung nur verwirklicht, wenn das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung in unerträglicher Weise verletzt (RS0133251). Darunter werden vor allem unverzichtbare Grundsätze der Bundesverfassung, die Grundsätze der EMRK, des Strafrechts, des Privatrechts, des Prozessrechts und des öffentlichen Rechts verstanden, die das österreichische Recht prägen. Schutzobjekt sind dabei nicht die subjektiven Rechtspositionen der Verfahrensparteien, sondern die inländische Rechtsordnung, die vor dem Eindringen mit ihr vollkommen unvereinbarer Rechtsgedanken und vor der unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen geschützt werden soll (vgl RS0110743; RS0110125; Hausmaninger in Fasching/Konecny³ § 611 ZPO Rz 160).

[42] Maßgebend ist dabei das Ergebnis des Schiedsspruchs und nicht seine Begründung (RS0110743 [T19]; RS0110125 [T5]). Dieser Aufhebungsgrund bietet also keine Handhabe für die Prüfung der Frage, ob und wie weit das Schiedsgericht die im Schiedsverfahren aufgeworfenen Tatfragen und Rechtsfragen richtig gelöst hat (RS0045124). Die Prüfung, ob eine ordre public‑Widrigkeit vorliegt, darf also nicht zu einer (Gesamt-)Überprüfung des Schiedsspruchs in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht führen (Unzulässigkeit einer révision au fond). Fehlentscheidungen müssen deshalb grundsätzlich hingenommen werden (18 OCg 10/19y [Pkt 2.3.5] mwN). Nur im Falle willkürlicher Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht wird eine Ausnahme für möglich gehalten (18 OCg 10/19y [Pkt 2.3.5] mwN). Willkür könnte erst aus einer mehrfachen groben Verkennung der Rechtslage abgeleitet werden (18 OCg 11/19w [Pkt 2.3.b]) oder wenn sich der Richter über wesentliche Verfahrensergebnisse ohne ersichtlichen Grund hinweggesetzt hat (RS0049947).

[43] 5.2. Konkret sehen die Klägerinnen folgende Verstöße gegen den materiellen ordre public in der Hauptsache: Das Schiedsgericht habe sämtliche Ansprüche der Erstklägerin zur Gänze abgewiesen, weil diese keinen unmittelbaren Schaden erlitten habe, obwohl der Anteilskaufvertrag von einer Gesamthandschuld spreche (ON 1 Pkt 3.1.2). Der Zweitklägerin habe es nur Ersatz für einige, nicht aber alle offenen Drittverbindlichkeiten zugestanden, die die beklagten Anteilsverkäufer in der due diligence verschwiegen hätten und die die zweitklagende Zielgesellschaft deshalb zwischen Anteilskauf und Übergang der Anteile (zwischen „Signing“ und „Closing“) befriedigen habe müssen (ON 1 Pkt 3.1.1). Die Auslegung des Schiedsgerichts für den Begriff „Steuern“ im Anteilskaufvertrag widerspreche sowohl dem allgemeinen Verständnis als auch der Definition im Vertrag (ON 1 Pkt 3.1.1.2). Die Interpretation, dass der Anteilskaufvertrag eine klare Regelung für die Kosten des regulären Geschäftsbetriebs enthalte, sei denkunmöglich (ON 1 Pkt 3.1.1.3). Schließlich habe das Schiedsgericht die englische Version des Anteilskaufvertrags für maßgebend erklärt, obwohl die entsprechende Vorrangklausel nur bei Abweichungen der Übersetzungen und nicht auch bei Unvollständigkeit der Übersetzung gelten könne (ON 1 Pkt 3.5.2).

[44] Mit diesen Argumenten zeigen die Klägerinnen weder auf, dass das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspreche, noch lässt sich daraus eine willkürliche Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht ableiten.

[45] Auch im österreichischen Recht (und nicht nur in diesem) hängt nämlich die beim Unternehmenskauf geschuldete Leistung – und damit auch die Frage, in welchen Fällen und in welchem Umfang der Verkäufer vertraglichen Schadenersatz zu leisten hat – primär von der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ab (vgl auch § 922 ABGB zum Gewährleistungsrecht). Die Haftung weiterer mithaftender Personen – mag sie einem Schuldbeitritt, einer Bürgschaft oder einer Garantie entspringen – kann daher nur durch Auslegung des Kaufvertrags und der Haftungserklärung ermittelt werden. Schadenersatzansprüche wegen Schlechterfüllung können daher nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0042776) und im Ergebnis zu bejahen oder zu verneinen sein.

[46] Schon nach dem Vorbringen der Klägerinnen sind die relevanten Vertragsbestimmungen keineswegs selbsterklärend. Vielmehr zitieren sie Passagen aus verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einem mehrpersonalen Verhältnis geschlossenen Vertragswerken. Dazu kommt hier, dass die Texte in zwei verschiedenen Sprachversionen existieren, die nicht völlig deckungsgleich sein sollen. Die zitierten Klauseln umschreiben die Leistung durch weitwendige Aufzählungen zahlreicher, teils scheinbar bedeutungsgleicher Begriffe und enthalten etliche Querverweise. Damit sind schon nach dem Vorbringen in der Aufhebungsklage etliche Deutungsvarianten vertretbar. Eine schon auf den ersten Blick denkunmögliche und damit willkürliche Interpretation durch das Schiedsgericht ist daher nicht schlüssig dargestellt.

[47] 5.3. Bei der Kostenentscheidung bemängeln die Klägerinnen, dass die ihr zugrunde liegende Honorarvereinbarung der Beklagten mit den Beklagtenvertretern als quota litis nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB nichtig sei. Das kroatische Recht erlaube zwar ein Erfolgshonorar, aber keine prozentuelle Beteiligung (ON 1 Pkt 3.2.1). Außerdem sei die Honorarvereinbarung der Beklagten mit ihren Vertretern ein ungültiger Vertrag zu Lasten der Klägerinnen, weil die Beklagten dadurch ohne Kostenrisiko prozessieren könnten (ON 1 Pkt 3.2.2).

[48] Der Kreis der durch die Rechtsordnung geschützten Grundwertungen ist enger als der Bereich zwingenden Rechts (RS0110125). Relevant sein können nur solche zwingenden Rechtsvorschriften, die auch in Sachverhalten mit Auslandsberührung nicht abbedungen werden können (18 OCg 3/13i [Pkt 3.2.b] unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zur ZVN 1983, mit der die révision au fond im Aufhebungsprozess eingeschränkt wurde). Dies trifft für § 879 ABGB bei einer Honorarvereinbarung zwischen den kroatischen Beklagten und ihren kroatischen Rechtsvertretern für ein Schiedsverfahren mit Berührungspunkten zu Österreich und China nicht zu (Pilshofer, Grundlagen und Grenzen freier Honorarvereinbarung im Anwaltsberuf [2011] 327; vgl Pilshofer, Anzuwendendes Recht bei Honorarvereinbarungen – Auslandsberührung für Rechtswahl nötig, NetV 2008, 122; vgl auch Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz8 [2021] Rz 247 zur Unanwendbarkeit des dRVG auf Rechtsanwälte mit Sitz außerhalb Deutschlands).

[49] Eine Prozessführung ohne Kostenrisiko für die Beklagten kann den ordre public schon deswegen nicht verletzen, weil § 879 Abs 2 Z 2 ABGB nach herrschender Auffassung dem Mandantenschutz und der Standesehre, nicht aber dem Schutz des Prozessgegners dient (6 Ob 224/12b). Außerdem ist auch nach österreichischem Recht die Einschaltung eines Prozessfinanzierers – und damit im Ergebnis eine Prozessführung ohne Kostenrisiko – zulässig (RS0104683; RS0016813 [T3]).

[50] 5.4. Zusammengefasst ist die Argumentation der Klägerinnen daher ein unzulässiger Versuch, eine Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung des Schiedsgerichts zu bewirken. Dass das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung, insbesondere den Grundsätzen des Schadenersatzrechts, widerspricht, vermögen sie nicht aufzuzeigen.

[51] 6. Insgesamt gelingt es den Klägerinnen daher nicht, das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes schlüssig zu behaupten. Die Unschlüssigkeit des Vorbringens zu einem bestimmten Aufhebungsgrund ist kein Fall für eine Verbesserung. Die Klage ist deshalb in analoger Anwendung von § 538 ZPO zurückzuweisen (18 OCg 1/20a mwN).

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