OGH 2Ob12/21k

OGH2Ob12/21k21.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Mag. Pertmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P***** H***** und 2. A***** H*****, vertreten durch Dr. Friedrich Lorenz, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 8.180 EUR sA, über den Revisionsrekurs und den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 16. November 2020, GZ 18 R 68/20h‑25, womit infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 8. Mai 2020, GZ 8 C 136/19f‑20, bestätigt und der im Rekurs gestellte Überweisungsantrag zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00012.21K.1021.000

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 909,37 EUR (darin 145,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Aus Anlass des Rekurses gegen die Zurückweisung des Überweisungsantrags wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts in seinem Punkt III. als nichtig aufgehoben.

 

Begründung:

[1] Die Kläger kauften von einem Vertragshändler der Beklagten in Eisenstadt ein von der beklagten Partei produziertes Kraftfahrzeug. Der Kaufvertrag über das Fahrzeug wurde in Eisenstadt abgeschlossen und das Fahrzeug auch dort übergeben. Der Wohnsitz der Kläger befindet sich in P*****. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgestattet, den die beklagte Partei in Deutschland produzierte und mit einer Software zur Steuerung der Abgaswerte „bespielte“.

[2] Die Kläger begehrten von der beklagten Partei die Zahlung von 8.180 EUR sA an Schadenersatz für den durch die Software verursachten Wertverlust am Fahrzeug. Zur Begründung ihrer Ansprüche brachten die Kläger vor, dass der in ihrem Fahrzeug verbaute Dieselmotor von dem von der beklagten Partei zu verantwortenden Abgasmanipulationsskandal betroffen sei. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für diese auf deliktische Schadenersatzansprüche gestützte Klage ergebe sich daraus, dass der Schaden am Wohnsitz der Kläger und damit am Standort des Fahrzeugs eingetreten sei und der Erfolgsort daher in P***** liege. Überdies seien die Kläger Verbraucher und auch aus diesem Grund berechtigt, an ihrem Wohnort zu klagen.

[3] Die beklagte Partei erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit, bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. Ihre Unzuständigkeitseinrede begründete die Beklagte (unter anderem) damit, dass die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO nicht vorlägen.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge (Beschlusspunkt I.) und wies den erstmals im Rekursschriftsatz gestellten Eventualantrag, die Rechtssache an das Bezirksgericht Eisenstadt zu überweisen, zurück (Beschlusspunkt III.). Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Rekursgericht war der Ansicht, dass die österreichischen Gerichte nach Art 7 Nr 2 EuGVVO international zuständig seien. Das Erstgericht sei jedoch örtlich nicht zuständig, weil der Erwerbsort in Eisenstadt liege. Die Kläger hätten im erstinstanzlichen Verfahren die Gelegenheit gehabt, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO zu stellen, der im Rekurs nicht nachgeholt werden könne. Auch ein Überweisungsantrag nach § 230a ZPO scheide daher aus.

[6] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, welches konkrete Gericht in Österreich zuständig sei, wenn der Erwerbsort vom Wohnsitz des Käufers verschieden sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] A: Der Revisionsrekurs der Kläger gegen die Bestätigung der Klagszurückweisung ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Das Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer Frage des Unionsrechts begründet für sich allein noch keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Dies folgt aus der Leitfunktion des Europäischen Gerichtshofs für die Auslegung des Unionsrechts (Art 267 AEUV). Hat er eine konkrete Frage entschieden, so ist die Revision nur zulässig, wenn das Gericht zweiter Instanz von dieser Entscheidung abweicht; das Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs schadet in diesem Fall – ebenso wie bei einem acte claire – nicht (2 Ob 48/21d = RS0133681; 2 Ob 94/21v). Ein solcher Fall liegt hier vor:

[8] 1. Mit Urteil vom 9. Juli 2020, C‑343/19 , VKI, hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 7 Nr 2 EuGVVO dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet wurden, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet. Bei Geltendmachung der Wertminderung (des Wertverlustes) aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache (hier: eines mangelhaften Fahrzeugs) aufgrund einer Täuschungshandlung (hier: Verschweigen der Manipulation der Abgaswerte bzw eines wissentlichen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften) tritt der Primärschaden beim Erwerb der Sache durch den Geschädigten von einem Dritten ein. Ein solcher Schaden ist kein reiner Vermögensschaden, weil es um einen Mangel an Sachgütern geht und der Schaden nicht nur die Verringerung der finanziellen Vermögenswerte einer Person ohne jeden Bezug zu Sachgütern betrifft.

[9] 2. Die Beurteilung des Rekursgerichts, der Erfolgsort des Schadenseintritts iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO befinde sich im vorliegenden Fall in Eisenstadt und nicht am Wohnort der Kläger, steht damit im Einklang.

[10] 3. Grundsätzlich regelt Art 7 Nr 2 EuGVVO nicht nur die internationale, sondern zugleich auch die örtliche Zuständigkeit (RS0111094 [T5]). Die Bestimmung verdrängt die einschlägigen Vorschriften der JN über die örtliche Zuständigkeit, die weder zur Interpretation noch zur Lückenfüllung heranzuziehen sind (RS0111094 [T7]). Damit ist die Verwirklichung des Zuständigkeitstatbestands nach Art 7 Nr 2 EuGVVO einheitlich in Bezug auf die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu beurteilen. Ist die Zuständigkeit nach diesem Tatbestand – etwa wegen des Eintritts des Erfolgs der schädigenden Handlung am Ort des angerufenen Gerichts – erfüllt, sind sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts zu bejahen. Die Entscheidung über die Einrede der internationalen Unzuständigkeit kann in Bezug auf diesen Zuständigkeitstatbestand nicht von jener über die örtliche Unzuständigkeit getrennt werden (jüngst zum „Dieselskandal“: 5 Ob 147/20h; 3 Ob 125/20h Rz 17).

[11] 4. Die Ansicht des Rekursgerichts, die österreichischen Gerichte seien zwar international zuständig, das Erstgericht sei jedoch örtlich nicht zuständig, weil der Erwerbsort in Eisenstadt liege, entspricht der erörterten Rechtsprechung.

[12] 5. Zum vom Erstgericht verneinten Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 Abs 1 EuGVVO, auf den die Kläger schon in ihrem Rekurs nicht mehr zurückgekommen sind, machen sie auch in ihrem Revisionsrekurs keine inhaltlichen Ausführungen. Darauf ist daher nicht einzugehen.

[13] 6. Da somit Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

[14] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 50 Abs 1 iVm § 52 Abs 1 und § 41 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

[15] B: In ihrem Rechtsmittel erhoben die Kläger erkennbar auch Rekurs gegen die Zurückweisung ihres Überweisungsantrags mit dem sinngemäßen Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Klagszurückweisung aufgehoben und die Rechtssache an das Bezirksgericht Eisenstadt überwiesen werde.

[16] Sie machen geltend, dass das Fehlen der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts bei Vorliegen der internationalen Zuständigkeit im erstinstanzlichen Verfahren nicht erörtert und erstmals im Beschluss über die Klagszurückweisung erwogen worden sei.

[17] Aus Anlass des Rekurses ist der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts als nichtig aufzuheben, weil das Rekursgericht zur Entscheidung über den Überweisungsantrag funktionell nicht zuständig war.

[18] 1. Es entspricht der mit dem Wortlaut des § 230a ZPO korrespondierenden Rechtsprechung, dass der Kläger, wenn ihm entgegen § 182 Abs 2 ZPO keine Gelegenheit zur Stellung eines Überweisungsantrags nach § 261 Abs 6 ZPO eingeräumt wurde, einen nachträglichen Überweisungsantrag (auch kumuliert mit einem Rekurs) gemäß § 230a ZPO stellen kann (5 Ob 19/15b; 6 Ob 188/06z; 8 Ob 45/05h; RS0039158 [T4, T5]; Kodek in Fasching/Konecny³ § 261 ZPO Rz 133 ff).

[19] 2. Für die Erledigung eines solchen Antrags ist jedoch das Erstgericht zuständig (vgl 6 Ob 16/20a; 4 Ob 95/10i; 9 ObA 207/97z; Mayr in Fasching/Konecny³ § 230a ZPO Rz 8 und 11).

[20] 3. Das Rekursgericht war zur Entscheidung über den Überweisungsantrag, der in dem beim Erstgericht eingebrachten Rekursschriftsatz enthalten war, somit funktionell nicht zuständig. Dies führt insoweit zur amtswegigen Aufhebung seiner Entscheidung als nichtig (vgl 8 Ob 14/09f; RS0042059). Über den Überweisungsantrag wird das Erstgericht zu entscheiden haben.

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