OGH 13Os87/21z

OGH13Os87/21z19.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Lampret in der Strafsache gegen ***** Z***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 25. Jänner 2021, GZ 11 Hv 68/20v‑92, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00087.21Z.1019.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** Z*****, soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) sowie eines Vergehens der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1a StGB (II) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach (richtig) § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

(I) vom 12. Juni 2016 bis zum 19. Juni 2018 in N***** an einer unmündigen Person, nämlich an der am 25. Juni 2004 geborenen ***** A*****, außer dem Fall des § 206 StGB in mehrfachen Angriffen geschlechtliche Handlungen vorgenommen, wobei die Taten bei der Genannten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine mittelgradige depressive Episode, zur Folge hatten, indem er

a) sie sowohl über als auch unter deren Bekleidung im Bereich ihrer bereits entwickelten Brüste intensiv betastete und

b) sie im Innenbereich ihres Oberschenkels streichelte, wobei seine Handkante mehrmals ihren Intimbereich berührte,

(II) am 26. Juni 2018 in T***** ***** A***** durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er mit seiner Hand von hinten in deren Hose und unter deren Unterhose fuhr, sowie

(III) durch die zu I beschriebenen Taten mit einer minderjährigen Person, die seiner Ausbildung und Aufsicht als Musiklehrer unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der nachangeführten Beweisanträge Verteidigungsrechte nicht verletzt:

[5] Soweit die Anträge auf Vernehmungvon ***** O*****, ***** R***** und ***** H***** (ON 91 S 5) als Zeuginnen auf den Nachweis des Verhaltens des Angeklagten gegenüber der jeweils Genannten zielten, betrafen sie keinen für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage erheblichen Umstand (siehe aber RIS‑Justiz RS0116987 sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 321). Das Beweisziel des subjektiven Eindrucks vom Charakter des Angeklagten ist dem Zeugenbeweis von vornherein entzogen (RIS‑Justiz RS0097545).

[6] Die Einholung des beantragten aussagepsychologischen Gutachtens bezüglich der Zeugin ***** A***** (ON 86 S 8) durfte schon deshalb unterbleiben, weil nicht einmal behauptet wurde, dass die Genannte und deren gesetzliche Vertreter die erforderliche Zustimmung zu einer Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS‑Justiz RS0118956 [T3 und T4] sowie RS0098015 [T3]).

[7] Auch den Antrag auf Einholung eines „neuen Gutachtens aus dem Fachbereich für Psychiatrie und Neurologie“ (ON 86 S 8) wies das Erstgericht zu Recht ab.

[8] Gemäß § 127 Abs 3 StPO ist ein weiterer Sachverständiger (soweit hier von Interesse) zur Verhandlung beizuziehen, wenn das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die Bedenken nicht durch Befragung des bestellten Sachverständigen beseitigen lassen. „Sonst mangelhaft“ ist ein Gutachten dann, wenn es unschlüssig, unklar oder unbegründet ist, den Kriterien der Logik widerspricht oder nicht mit den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0127942).

[9] Durfte – wie hier (ON 86 S 6 ff) – der Angeklagte die Sachverständige in der Hauptverhandlung zu sämtlichen gegen ihr Gutachten erhobenen Kritikpunkten befragen und bezog diese auch Stellung, so bedarf es für einen Beweisantrag auf Einholung eines zweiten Gutachtens der fundierten Darlegung, weshalb behauptete Bedenken nicht aufgeklärt wären (RIS‑Justiz RS0102833 [T3]). Dieser Anforderung hat der Angeklagte mit der bloßen Wiederholung seines schon vor der Befragung der Sachverständigen gestellten Antrags (ON 86 S 8) nicht im Ansatz entsprochen.

[10] Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Der Beschwerdekritik zuwider stehen die Feststellungen, wonach die Anzahl der Übergriffe nicht mehr feststellbar sei, es jedoch ab dem 15. Juni 2016 bis zum 25. Juni 2018 in beinahe jeder Einzelunterrichtseinheit zu einem Übergriff kam (US 4), keineswegs in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zueinander.

[12] Ebenso wenig sind die Feststellungen, nach denen die Tathandlungen des Angeklagten zumindest mitursächlich dafür waren, dass beim Opfer eine mittelgradig depressive Episode entstand (US 4), und wonach das Opfer dadurch 30 Tage an mittelstarken und 150 Tage an leichten psychischen Schmerzen litt, somit mehr als 24 Tage an seiner Gesundheit geschädigt war (US 4), undeutlich (Z 5 erster Fall).

[13] Der Beschwerdeeinwand, die Feststellung, nach der es in beinahe jeder Einzelunterrichtseinheit zu solchen Handlungen des Angeklagten gekommen sei (US 4), lasse nicht erkennen, ob damit „nur das Berühren der Brüste gemeint ist, oder ausschließlich das Streicheln des Oberschenkels bzw. beides gemeinsam“, orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am Urteilssachverhalt, wonach der Beschwerdeführer bei den Übergriffen stets (zumindest) die Brust des Opfers betastete (vgl US 3 f).

[14] Hinzugefügt sei, dass sämtliche zum Schuldspruch I festgestellten Tathandlungen, nämlich dasintensive Betasten der entwickelten Brüste sowohl über als auch unter der Kleidung (US 3 f) und das Streicheln im Innenbereich des Oberschenkels unter zielgerichteter Berührung des Intimbereichs mit der Handkante (US 4), als nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührungen an zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, somit dem weiblichen Körper des Opfers spezifisch eigentümlichen Körperpartien, geschlechtliche Handlungen im Sinn des § 207 StGB darstellen (vgl RIS‑Justiz RS0094905 [T30 und T35]).

[15] Die Kritik, das Erstgericht habe die „Konstatierung“, wonach der Angeklagte „zumindest aus laienhafter Sicht vorher[sah]“, dass die Übergriffe beim Opfer zu einer „(schweren) psychischen Körperverletzung führen“ (US 4), unbegründet gelassen (Z 5 vierter Fall), bezieht sich nicht auf schuld‑ oder subsumtionsrelevante Umstände. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang vielmehr die objektive und die subjektive Vorhersehbarkeit, die als Teil der objektiven und der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit nicht Gegenstand von (Tatsachen‑)Feststellungen, sondern als rechtliche Aspekte einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen sind (RIS‑Justiz RS0089253 [T10]).

[16] Aus dem Blickwinkel der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) kann ein den Tatrichtern unterlaufenes Fehlzitat im Rahmen der Beweiswürdigung beanstandet, nicht aber geltend gemacht werden, dass aus den Beweisergebnissen andere als die im Urteil gezogenen Schlüsse abzuleiten gewesen wären (RIS‑Justiz RS0099431 [T13]).

[17] Ein Fehlzitat im dargestellten Sinn behauptet die Rüge unter Hinweis auf – in Bezug auf die getroffenen Feststellungen als „nicht stimmig“ erachtete – Details der Aussage des Opfers zum (hier im Übrigen nicht entscheidenden [vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 290]) Beginn der Tathandlungen sowie zum Berühren der nackten Brust und des Intimbereichs nicht.

[18] Gleiches gilt für die Kritik der „Aktenwidrigkeit“ der Begründung, das Opfer habe nicht einmal ansatzweise versucht, den Angeklagten über Gebühr zu belasten (US 5).

[19] Die Aussagen der Zeuginnen ***** T***** (ON 42a S 55 ff iVm ON 91 S 6) und ***** S***** (ON 73 S 14 f) zum Verhalten des Angeklagten ihnen gegenüber stehen dem Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch zu den Feststellungen der Tathandlungen zum Nachteil der ***** A*****.

[20] Soweit die Beschwerde die unterbliebene Auseinandersetzung mit der Aussage des Opfers, sich bereits seit seinem 12. Lebensjahr „geritzt“ zu haben (ON 3 S 18 iVm ON 91 S 6), und mit dem „Verfahrensergebnis, nämlich die Diagnose aus der Krankengeschichte von Dr. Sc*****, nach der ***** A***** bereits zum Zeitpunkt 12. 10. 2016 wegen Bauchschmerzen bzw. Gastritis bei Dr. Sc***** in Behandlung war“, releviert, bekämpft sie der Sache nach die tatrichterliche Annahme der Glaubwürdigkeit des Opfers.

[21] Diese kann zwar als – in der Regel – erhebliche Tatsache unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen. Der Bezugspunkt besteht dabei aber nicht in der Sachverhaltsannahme der Überzeugungskraft von Aussagen, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]). Diesen verfehlt die Beschwerde, womit sie sich im Ergebnis in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung erschöpft (vgl RIS‑Justiz RS0099419).

[22] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

[23] Dabei ist die in der Rüge behauptete rechtliche Konsequenz aus dem Gesetz methodengerecht abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116565).

[24] Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht, soweit sie

‑ zum Schuldspruch I b unter Außerachtlassung der Feststellung, wonach der Angeklagte beim Streicheln des Oberschenkels mit der Handkante bewusst und zielgerichtet (über der Kleidung) den Intimbereich des Opfers berührte (US 4), einwendet (Z 9 lit a), (allein) das Streicheln am Oberschenkel sei nicht als geschlechtliche Handlung im Sinn des § 207 StGB zu beurteilen,

‑ zum Schuldspruch I a behauptet (Z 9 lit a), auf Grund der „inkonkreten Feststellung“, der Angeklagte habe zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten gehandelt (US 1 iVm US 3) und der Konstatierung, die Anzahl der Übergriffe sei nicht mehr feststellbar (US 4), sei die Subsumtion nach § 207 StGB rechtsfehlerhaft (vgl aber RIS‑Justiz RS0116736 [T4]),

‑ zum Schuldspruch I kritisiert (Z 10, nominell auch Z 9 lit a), die Feststellung, wonach die Tathandlungen des Angeklagten „zumindest mitursächlich“ dafür waren, dass beim Opfer eine mittelgradig depressive Episode entstand (US 4), seien für die rechtsrichtige Annahme der Qualifikation des § 207 Abs 3 erster Fall StGB nicht ausreichend (vgl aber Burgstaller/Schütz in WK2

StGB § 80 Rz 68 und Philipp in WK²

StGB § 201 Rz 30),

‑ zum Schuldspruch III unsubstantiiert vorbringt (Z 9 lit a), dem Angeklagten sei „auf Grundlage der getroffenen Feststellungen“ „in logischer Konsequenz [...] auch“ das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 (zu ergänzen: Abs 1 Z 2) StGB nicht anzulasten,

‑ zum Schuldspruch II moniert (Z 9 lit a), der festgestellte Griff mit der Hand von hinten in die Hose und unter die Unterhose erfülle „noch nicht den objektiven Tatbestand einer geschlechtlichen Handlung“, ohne zu erklären, weshalb eine solche für die Erfüllung des Tatbestands des § 218 Abs 1a StGB erforderlich sein sollte,

‑ nicht darlegt (Z 9 lit a), weshalb für eine rechtsrichtige Subsumtion nach §§ 207, 212 Abs 1 Z 2 und 218 Abs 1a StGB Feststellungen dazu erforderlich sein sollten, dass „***** A***** sich bereits im Alter von zwölf Jahren geritzt hat“ und dass bei der Genannten bereits in diesem Alter „Bauchschmerzen von Dr. Sc***** diagnostiziert worden sind“.

[25] Mit der zum Schuldspruch I erhobenen Kritik am Fehlen von Konstatierungen (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) dazu, „dass die Erfolgsqualifikation dem Angeklagten subjektiv zurechenbar sein könnte“, ist der Beschwerdeführer auf die diesbezüglichen Darlegungen im Rahmen der Mängelrüge zu verweisen.

[26] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zum Schuldspruch II eine Ermächtigung zur Strafverfolgung (vgl § 218 Abs 3 StGB) vermisst, übergeht sie die (aktenkonforme [ON 6]) Feststellung der prozessualen Tatsache, dass sich das Opfer dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hat (US 2 und 15), womit gemäß § 92 Abs 2 letzter Satz StPO die Ermächtigung zur Strafverfolgung ex lege verbunden ist.

[27] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[28] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[29] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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