OGH 13Os72/21v

OGH13Os72/21v29.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum in der Finanzstrafsache gegen * P* wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. April 2021, GZ 35 Hv 62/20t‑77 und ‑78, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, und der Finanzstrafbehörde, Mag. Geisler, Spahn B.A. und Dr. Pomaroli, sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Ganner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133029

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden

(I) das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt,

a) im Strafausspruch nach dem FinStrG und

b) im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB, demzufolge auch im Strafausspruch nach dem StGB, sowie

(II) der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird

- zu I a in der Sache selbst erkannt:

* P* wird für die ihm zur Last liegenden Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG unter Anwendung des § 21 Abs 1 und 2 FinStrG sowie unter Bedachtnahme auf § 23 Abs 4 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 zu einer Geldstrafe von

480.000 Euro,

für den Fall der Uneinbringlichkeit gemäß § 20 FinStrG zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Gemäß § 26 Abs 1 FinStrG wird ein Teil der Strafe von 200.000 Euro unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

- und zu I b die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihrer Berufung gegen den Strafausspruch nach dem FinStrG wird die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Voranzustellen ist, dass die Urteilsausfertigung die Urschrift des mündlich verkündeten Urteils darstellt (siehe § 270 Abs 1 und 2 StPO). Davon ausgehend widerspricht die getrennte Ausfertigung des – einen – Urteils (vgl ON 76 S 13 ff) in Ansehung der Finanzvergehen (ON 77) und der strafbaren Handlungen anderer Art (ON 78) dem Gesetz (vgl RIS‑Justiz RS0130765 sowieDanek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 5/6; zur Anordnung der separaten Sanktionierung von Finanzvergehen und strafbaren Handlungen anderer Art durch § 22 Abs 1 FinStrG siehe eingehend Lässig in WK2 FinStrG § 22 Rz 1 ff). Überdies war die gekürzte Ausfertigung des Urteils (§ 270 Abs 4 StPO) in Bezug auf den – nicht angefochtenen (vgl ON 76 S 15) – Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB sowie den Strafausspruch nach dem StGB (ON 78) mangels rechtskräftiger Erledigung der gesamten Anklage (siehe ON 76 S 15) rechtlich verfehlt (Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 59 f; RIS-Justiz RS0132085, 11 Os 148/19b).

[2] Mit dem angefochtenen Urteil (dessen Ausfertigung sich wie dargestellt aus den ON 77 und 78 zusammensetzt) wurde * P* mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (ON 77) sowie des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1 in ON 78) und des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB (2 in ON 78) schuldig erkannt.

[3] Danach hat er

(ON 77) als Einzelunternehmer vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten Abgabenverkürzungen bewirkt, nämlich

(I) im Bereich des Finanzamts für Gebühren, Verkehrssteuern und Glücksspiel an Glücksspielabgaben für Ausspielungen mit Glücksspielautomaten um 892.800 Euro, indem er von Jänner 2012 bis Juni 2017 die Abgaben von jeweils 13.527,27 Euro pro Monat bis zum 20. des dem Entstehen der Abgabenschuld folgenden Kalendermonats nicht anzeigte und abführte, sowie

(II) im Amtsbereich des Finanzamts Kufstein Schwaz durch die Nichtabgabe von Jahressteuererklärungen

1) an Einkommensteuer, und zwar

a) für das Jahr 2012 um 178.558 Euro,

b) für das Jahr 2013 um 189.699 Euro,

c) für das Jahr 2014 um 189.618 Euro,

d) für das Jahr 2015 um 189.596 Euro und

e) für das Jahr 2016 um 182.731 Euro sowie

2) an Umsatzsteuer, und zwar

a) für das Jahr 2012 um 104.240 Euro,

b) für das Jahr 2013 um 104.240 Euro,

c) für das Jahr 2014 um 104.240 Euro,

d) für das Jahr 2015 um 104.240 Euro,

e) für das Jahr 2016 um 104.240 Euro und

f) für das Jahr 2017 um 50.240 Euro, weiters

(ON 78) am 24. Juni 2019 und am 3. Juli 2019 in S*

„1. die Beamtin Mag. * V* der Bezirkshauptmannschaft Schwaz dazu zu bestimmen versucht, dass sie ihre als zuständige Referentin für Glücksspielverfahren und -kontrollen sowie Betriebsschließungen eingeräumte Befugnis, im Namen des Landes Tirol als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen, wobei er auch mit dem Vorsatz handelte, dass dadurch das Recht des Staates und des Landes Tirol auf Vornahme effizienter und unbeeinflusster Kontrollen nach dem Glücksspielgesetz sowie Ergreifung entsprechender verwaltungsrechtlicher Maßnahmen zur Hintanhaltung der Veranstaltung verbotenen Glücksspiels geschädigt werde, indem er im Rahmen von Vorsprachen die Beamtin zunächst am 24. 06. 2020 [richtig: 2019] darauf hinwies, dass er sich über sie informiert und dabei ihr soziales Engagement für einen gemeinnützigen Verein festgestellt habe und er beabsichtige diesen Verein finanziell zu unterstützen und sie könne sich das mit der 'Spende' bis nächste Woche überlegen, bis er wieder komme und durch die Äußerung, wonach man das Ganze mit den Automaten (gemeint: den Glücksspielautomaten) ja auch sinngemäß anders regeln könne, nämlich, dass sie ihn zuvor anrufe und ihm das sagen könne, sowie durch die am 03. 07. 2019 getätigte Äußerung, wonach die erwähnten Zahlungen an den Verein der Beamtin bereits in die Wege geleitet wurden;

2. durch die zu Pkt. 1. genannten Äußerungen einer Amtsträgerin, nämlich Mag. * V* der Bezirkshauptmannschaft Schwaz für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts einen Vorteil für sie und einen Dritten angeboten.“

[4] Für den Schuldspruch wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG verhängte das Schöffengericht unter Anwendung (richtig nur) des § 21 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 eine Geldstrafe von 430.000 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 FinStrG) von neun Monaten. Gemäß (richtig) § 26 Abs 1 FinStrG wurde ein Teil der verhängten Geldstrafe von 190.000 Euro unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Ausschließlich gegen den Strafausspruch nach dem FinStrG richtet sich die aus Z 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[6] Zutreffend zeigt sie auf, dass das Schöffengericht – wie dieses selbst einräumt (ON 77 S 6) – seine Strafbefugnis überschritten hat (Z 11 erster Fall), indem es bei einer Strafdrohung von bis zu 4.788.884 Euro (§ 33 Abs 5 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 [ON 77 S 4 f]) eine Geldstrafe von nur 430.000 Euro aussprach und solcherart die in § 23 Abs 4 erster Satz FinStrG normierte Untergrenze von einem Zehntel des Höchstmaßes der angedrohten Geldstrafe unterschritt (vgl 13 Os 183/08y, SSt 2009/87 sowie RIS‑Justiz RS0125615). Die im zweiten Satz des § 23 Abs 4 FinStrG vorgesehene Möglichkeit der Unterschreitung dieser Grenze „aus besonderen Gründen“ besteht seit der Finanzstrafgesetz‑Novelle 2010 nur mehr für Finanzvergehen, deren Ahndung nicht dem Gericht obliegt (hiezu § 53 FinStrG).

[7] Demzufolge waren – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – der Strafausspruch nach dem FinStrG und somit die – verfehlt in Urteilsform erteilte (RIS-Justiz RS0086112, Lässig in WK2 FinStrG § 26 Rz 9) – Weisung nach § 26 Abs 2 FinStrG aufzuheben und zu Ersterem in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG).

[8] Bei der Strafneubemessung waren gemäß § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden.

[9] Solcherart waren das Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen und der lange Tatzeitraum als erschwerend (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) zu werten, als mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel und der auffallende Widerspruch der Taten zum sonstigen Verhalten des Angeklagten (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), die teilweise Schadensgutmachung (§ 34 Abs 1 Z 14 StGB) und das umfassende und reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB).

[10] Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen (§ 23 Abs 2 erster Satz FinStrG) erweist sich auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 23 Abs 1 FinStrG) unter Einbeziehung seiner persönlichen Verhältnisse und seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (§ 23 Abs 3 FinStrG) die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion als schuldangemessen.

[11] Da weder spezialpräventive noch generalpräventive Erwägungen entgegenstehen, war ein Teil der ausgesprochenen Sanktion in der Höhe von 200.000 Euro unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachzusehen (§ 26 Abs 1 FinStrG).

[12] Die (erneute) Erteilung einer Weisung im Sinn des § 26 Abs 2 FinStrG kommt dem Erstgericht zu (13 Os 4/17p, SSt 2017/54; RIS‑Justiz RS0086098 [T1]; Lässig in WK2 FinStrG § 26 Rz 9).

 

[13] Zur amtwegigen Maßnahme:

[14] Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht die Daten des Urteilstenors in ON 78 zufolge ausdrücklichen Verweises (ON 78 S 3) zulässig zum Bestandteil der Entscheidungsgründe gemacht hat (vgl RIS-Justiz RS0098936 [T15] sowie Danek/Mann, WK-StPO § 270 Rz 32).

[15] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1 in ON 78) und wegen des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB (2 in ON 78) nicht geltend gemachte, zum Nachteil des Angeklagten wirkende Rechtsfehler (Z 9 lit a) anhaften, die von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[16] Zum Schuldspruch 1 in ON 78 lässt sich den Entscheidungsgründen das Wissen des Angeklagten um den zumindest bedingt vorsätzlichen Befugnismissbrauch der Beamtin (zu den Vorsatzerfordernissen des Bestimmungstäters als extraneus siehe RIS-Justiz RS0108964; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 180) nicht entnehmen. Die pauschale Formulierung, der Angeklagte habe „mit dem vom Gesetz jeweils vorgesehenen Vorsatz gehandelt“ (ON 78 S 3), vermag die erforderliche Feststellung nicht zu ersetzen (vgl RIS‑Justiz RS0098936).

[17] Überdies bleiben die Feststellungen zur angesonnenen Tat ohne Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090). Auch wenn der Bestimmungstäter die in Aussicht genommene strafbare Handlung nicht in allen Einzelheiten kennen muss, hat sich die Bestimmung auf eine ausreichend individualisierte Tat zu beziehen (RIS‑Justiz RS0089768; vgl Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 58 f). Der Urteilspassage, wonach der Angeklagte die Beamtin Mag. * V* dazu veranlassen wollte, „ihre als zuständige Referentin für Glücksspielverfahren und ‑kontrollen sowie Betriebsschließungen eingeräumte Befugnis, im Namen des Landes Tirol als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich zu missbrauchen“ (US 3 iVm US 1 in ON 78), ist aber nicht zu entnehmen, zu welcher konkreten Handlung der Angeklagte die Genannte zu bestimmen versucht hätte.

[18] Auch zum Schuldspruch 2 in ON 78 wird in der Entscheidung zum Tatbestandsmerkmal des „Amtsgeschäftes“, für dessen pflichtwidrige Vornahme ein Vorteil angeboten wurde (vgl Nordmeyer/Stricker in WK2 StGB § 307 Rz 14), nur der Gesetzeswortlaut substanzlos gebraucht, ohne den unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion unerlässlichen Sachverhaltsbezug herzustellen (erneut RIS‑Justiz RS0119090).

[19] Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) führten zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und wegen des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs 1 StGB, demzufolge auch des Strafausspruchs nach dem StGB samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz iVm § 288 Abs 2 Z 3 StPO).

[20] Mit ihrer Berufung gegen den Strafausspruch nach dem FinStrG war die Staatsanwaltschaft auf die diesbezügliche Strafneubemessung zu verweisen.

[21] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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