European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00193.20Y.0531.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die zweitbeklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Mai 2018 in einem Autohaus in Deutschland ein Fahrzeug. Der Erstbeklagte war Geschäftsführer der Verkäuferin. Anlässlich der Abholung des Fahrzeugs am 11. 5. 2018 erhielt der Kläger die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein), nicht aber die für die Anmeldung des Fahrzeugs in Österreich notwendige Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief). Die Zulassungsbescheinigung Teil II befand sich bereits zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses in den Händen der zweitbeklagten Bank (Sicherungsübereignung). Die Zweitbeklagte ist nicht bereit, dem Kläger diese Urkunde herauszugeben, solange noch besicherte Forderungen bestehen.
[2] Mit der am 19. 12. 2019 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger, 1. den Erstbeklagten zu verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass dem Kläger die Zulassungsbescheinigung Teil II des näher bezeichneten Fahrzeugs herausgegeben wird, 2. die Zweitbeklagte zu verpflichten, die Zulassungsbescheinigung Teil II des näher bezeichneten Fahrzeugs herauszugeben.
[3] Der Erstbeklagte erstattete keine Klagebeantwortung. Das Erstgericht erließ am 2. 3. 2020 ein dem Klagebegehren gegen den Erstbeklagten stattgebendes Versäumungsurteil. Dieses erwuchs in Rechtskraft.
[4] Die Zweitbeklagte erstattete eine Klagebeantwortung und wandte (unter anderem) die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.
[5] Das Erstgericht sprach seine internationale Unzuständigkeit für die Klage gegen die Zweitbeklagte aus und wies diese zurück.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.
[7] Auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 8 Nr 1 EuGVVO 2012 könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil diese Norm ausdrücklich nur an den Wohnsitz eines der Beklagten anknüpfe. Nur dieser ist für einen Streitgenossen zuständigkeitsbegründend, nicht aber jeder andere Gerichtsstand, insbesondere auch nicht der nach Art 7 EuGVVO 2012. Zumindest einer der Beklagten müsse seinen Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts haben, was weder für den Erstbeklagten noch die Zweitbeklagte zutreffe.
[8] Der Kläger könne die Zuständigkeit des Erstgerichts für seine Klage gegen die Zweitbeklagte auch nicht auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 stützen. Zur Begründung dieses Gerichtsstands habe der Kläger vorgebracht, dass die Zweitbeklagte es schuldhaft unterlassen habe, den in ihrer Verwahrung befindlichen Fahrzeugbrief auf Aufforderung des Klägers an diesen herauszugeben, damit er das Fahrzeug mit dem dann vollständigen Fahrzeugbrief bei der Zulassungsbehörde in Österreich anmelden könne. Durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der Zweitbeklagten, die sich auf den unrichtigen und unvertretbaren Standpunkt stelle, den Fahrzeugbrief nicht an den Kläger herausgeben zu müssen, obwohl ihr bekannt sein müsse, dass das Sicherungseigentum zu ihren Gunsten nicht rechtswirksam begründet worden sei oder wegen gutgläubigen Eigentumserwerbs des Klägers jedenfalls erloschen sei, sei dem Kläger in Österreich ein Vermögensschaden entstanden. Mit seinem Klagebegehren mache der Kläger gegen die Zweitbeklagte aber keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung der Verpflichtung zur Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II geltend, sondern er nehme sie auf Herausgabe der Urkunde in Anspruch. Der Kläger mache also keine Schadenshaftung iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 wegen Verweigerung der Herausgabe der Zulassungsbescheinigung geltend.
[9] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof zu. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Anspruch auf Herausgabe einer beweglichen Sache am Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 geltend gemacht werden kann.
[10] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts abzuändern, die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts auszusprechen und diesem die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Zweitbeklagte beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.
[13] 1. Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind gemäß § 41 Abs 2 JN die Klageangaben maßgebend (RIS‑Justiz RS0115860; RS0046236; RS0050455 [T10]).
[14] Der Kläger, der einen anderen als den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten in Anspruch nimmt, muss bereits in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen behaupten, die den besonderen Gerichtsstand begründen (RS0115860 [T1]; RS0046236 [T4]; RS0046204 [T1]; RS0039812 [T1]). Der Kläger ist zwar nicht gehalten, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, muss aber das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (RS0046236 [T3]; RS0046204 [T2, T4]; RS0130471).
[15] Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]). Sie sind auch dann der Zuständigkeitsentscheidung zugrunde zu legen, wenn sie vom Beklagten bestritten wurden (RS0050455 [T1]). Bei den doppelrelevanten Tatsachen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs folgt, reicht die Schlüssigkeit des Klagevorbringens, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten (RS0116404; RS0112838; vgl RS0130596; RS0046201; RS0056159).
[16] 2. In seiner Klage begründete der Kläger die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Klage gegen den Erstbeklagten mit dem Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, für die Klage gegen die Zweitbeklagte hingegen (nur) mit dem Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art 8 Nr 1 EuGVVO. Das Rekursgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Gerichtsstand nach Art 8 Nr 1 EuGVVO – zutreffend – verneint. Dieser ist auch nicht mehr Gegenstand des Revisionsrekurses.
[17] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein „Nachschieben“ von Zuständigkeitsgründen, die in der Klage noch nicht geltend gemacht wurden, zulässig, wenn die beklagte Partei die internationale Zuständigkeit bestreitet (6 Ob 137/15p; 5 Ob 201/08g; RS0046219). Das Rekursgericht hat es in diesem Sinn zu Recht als ausreichend angesehen, dass der Kläger die internationale Zuständigkeit für die Klage gegen die Zweitbeklagte (erst) durch den Vortrag des vorbereitenden Schriftsatzes vom 9. 3. 2020 (auch) auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 gestützt hat.
[18] 3. Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 kann eine Person, die ihren (Wohn‑)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Mit der Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) gemeint. Bei Distanzdelikten (mit Substanz- oder Vermögensschäden) kommt es für den Erfolgsort auf den Eintritt des Primärschadens an; auf Folgeschäden kann hingegen nicht abgestellt werden (4 Ob 173/19y mwN).
[19] Der Gerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist verordnungsautonom (RS0109078 [T13, T14]) und eng auszulegen (4 Ob 173/19y mwN). Unter diesen Gerichtsstand für Deliktsklagen fallen alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, wenn diese nicht an einen – zwischen den Streitteilen bestehenden – Vertrag anknüpfen (RS0109078; RS0109739 [T1, T7]; RS0115357 [T1]; RS0129191). Der Gerichtsstand differenziert nicht danach, in welcher Rechtsschutzform Klage erhoben wird (RS0115357 [T18]).
[20] 4. Ob sich – ausgehend von diesen Grundsätzen –aus den Klagebehauptungen ein solcher Anspruch aus einer Schadenshaftung schlüssig ableiten lässt, betrifft immer nur den Einzelfall und wirft damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf (vgl 6 Ob 72/13a = RS0050455 [T5], RS0116404 [T5]; RS0046201 [T2]; RS0056159 [T4]). Der Revisionsrekurs des Klägers zeigt auch keine grobe Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf, die ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen wäre.
[21] Im Verfahren erster Instanz brachte der Kläger vor, die Zweitbeklagte habe es schuldhaft unterlassen, dem Kläger den in ihrer Verwahrung befindlichen Fahrzeugbrief herauszugeben und an dessen Wohnsitz in Österreich zu schicken, damit er das Fahrzeug mit dem dann vollständigen Fahrzeugbrief bei der Zulassungsbehörde in Österreich anmelden könne. Die Zweitbeklagte stelle sich auf den unrichtigen und unvertretbaren Standpunkt, die Fahrzeugbescheinigung Teil II nicht an den Kläger herausgeben zu müssen, obwohl ihr bekannt sei, zumindest aber bekannt sein müsste, dass das Sicherungseigentum zu ihren Gunsten nicht rechtswirksam begründet worden sei oder zumindest wegen gutgläubigen Eigentumserwerbs des Klägers erloschen sei. Dadurch werde der Kläger in seiner Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Fahrzeugs geschädigt. Um diesen in Österreich eingetretenen Schaden auszugleichen, sei die Zweitbeklagte verpflichtet, die von ihr rechtswidrig und schuldhaft zurückbehaltene Urkunde an den Kläger herauszugeben.
[22] Das Rekursgericht vertrat im Wesentlichen die Rechtsansicht, der Kläger mache damit keinen aus der behaupteten Verletzung der Verpflichtung zur Herausgabe abgeleiteten Schadenersatz, sondern die Erfüllung dieser Verpflichtung geltend. Streitgegenstand sei daher kein Anspruch aus einer Schadenshaftung.
[23] Für diese Auffassung des Rekursgerichts spricht, dass die bloße Bestreitung einer Forderung – ebenso wenig wie die bloße Aufforderung zur Begleichung einer Forderung (vgl 1 Ob 237/15g = RS0109078 [T30]; RS0109739 [T25]; RS0115357 [T17]) – ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die eine unerlaubte Handlung bzw einen Eingriff in eine rechtlich geschützte Position nahelegen, keine unerlaubte Handlung iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sein kann. Ansonsten wäre die Zielsetzung jeder die Zuständigkeit regelnden Verfahrensordnung, auch der EuGVVO 2012, nämlich an unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedliche Zuständigkeiten zu knüpfen, völlig unterlaufen. Die Behauptung der rechtswidrigen Nichterfüllung eines geltend gemachten Anspruchs begründete immer und ungeachtet des dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsgrundes den Gerichtsstand für eine Deliktsklage am Sitz des Anspruchstellers (vgl 1 Ob 237/15g). Selbst die Rechtsverteidigung auf Grundlage einer unvertretbaren Rechtsansicht macht den strittigen Anspruch nicht zu einem Anspruch aus einer unerlaubten Handlung. Auch hier bildet die unberechtigte Verweigerung der Herausgabe keinen Anspruchsgrund für die geltend gemachte Herausgabe, sondern allenfalls einen – davon zu unterscheidenden – Anspruchsgrund für Schadenersatz wegen aussichtsloser Rechtsverteidigung oder Prozessführung.
[24] 5. Der Kläger begehrt seinem Verständnis nach schadenersatzrechtliche Naturalrestitution. Auf einen sachenrechtlichen Herausgabeanspruch hat der Kläger seine Klage nicht gestützt. Die vom Rekursgericht in der Zulassungsbegründung angesprochene Rechtsfrage, ob Vindikationsansprüche am Gerichtsstand für Deliktsklagen nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 geltend gemacht werden können, ist daher theoretischer Natur. Die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0002495; RS0111271).
[25] 6. Der Revisionsrekurs war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[26] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Die Zweitbeklagte hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die fehlende Zulässigkeit des Revisionsrekurses in der Hauptsache nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher insofern als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig anzusehen.
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