OGH 1Ob237/15g

OGH1Ob237/15g28.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Lansky, Ganzker + partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Mag. Dr. Markus Vetter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Oktober 2015, GZ 11 R 145/15x‑26, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Mai 2015, GZ 13 Cg 163/14g‑21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Die klagende Partei hat ihren Sitz in Österreich, die beklagte Partei ihren in der Schweiz. Die klagende Partei ist Eigentümerin und Betreiberin einer Eisenbahnstrecke, die auch in der Schweiz geführt wird. Sie beauftragte die G***** GmbH (im Folgenden kurz G*****) mit der Neuerrichtung einer dort gelegenen Brücke. Die beklagte Partei ist deren Subunternehmerin. Ein Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen besteht nicht. Über das Vermögen der G***** wurde in Österreich das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die klagende Partei brachte zu ihrer negativen Feststellungsklage vor, sie sei einer doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt. Weil ihr Vertragspartner, die G*****, als Auftraggeberin der beklagten Partei die von dieser gelegten Rechnungen nicht beglichen habe und in Insolvenz sei, sei nach Schweizer Recht ihre eigene Inanspruchnahme für die offene Werklohnforderung der beklagten Partei gegeben. Die beklagte Partei habe von dem ihr nach Art 837 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs zustehenden Bauhandwerkerpfandrecht Gebrauch gemacht, das nun im Grundbuch zu ihren Lasten „superprovisorisch“ (vorläufig) eingetragen sei. Dies führe dazu, dass sie als Bauherrin zur Abwendung einer allfälligen „vollstreckungsrechtlichen Verwertung“ des Grundstücks dazu gezwungen werde, die offene Forderung des Subunternehmens zu bezahlen, woraus sich faktisch ein Forderungsrecht des Subunternehmers gegen die Bauherrin ergebe. Sie sei aber gleichzeitig aufgrund ihres Vertrages mit der G***** dieser gegenüber zur Zahlung verpflichtet und überdies von einer Bank darüber informiert worden, dass die Forderungen der G***** an diese abgetreten worden seien. Deswegen habe sie einen Betrag von ca 1,4 Mio EUR gerichtlich hinterlegt, der die noch offene Forderung der beklagten Partei bei weitem abdecke. Durch die Hinterlegung habe sie sich von der Zahlung befreit. Die G***** führe gegen sie ein Verfahren aufgrund der Werklohnforderung. Sie sei seit Herbst 2013 gezwungen, gerichtliche Verfahren in der Schweiz anzustrengen, um die Löschung des Pfandrechts zu erwirken.

Das Erstgericht folgte dem von der beklagten Partei zur Zuständigkeit erhobenen Einwand, sprach seine internationale Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück.

Das Rekursgericht bestätigte die Klagszurückweisung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es führte aus, es bestehe in Österreich nicht das geltend gemachte „forum delicti commissi“ nach Art 5 Z 3 LGVÜ; beruhe das Vorgehen der beklagten Partei auf einer nach schweizerischem Zivilrecht bestehenden Rechtsgrundlage sei dies keine unerlaubte Handlung.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluss des Rekursgerichts von der klagenden Partei erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig:

1. Im Hinblick auf den Sitz der beklagten Partei in der Schweiz und nach dem Datum (27. 11. 2014) der Einbringung der Klage richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am 30. Oktober 2007 in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007, auch LGVÜ II). Der zeitliche Anwendungsbereich des LGVÜ 2007 ist nach seinem Art 63 im Verhältnis zur Schweiz seit 1. Jänner 2011 eröffnet (ABl L 2011/138, 1; 3 Nc 22/11g). Nach seiner Präambel wollten die Hohen Vertragsparteien des Übereinkommens zwecks Verstärkung der rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Grundsätze der Brüssel I‑Verordnung (EuGVVO) auf das LGVÜ 2007 übertragen.

2. Der EuGH definiert Klagen aus „unerlaubten Handlungen“ (Art 5 Z 3 EuGVÜ = Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 = Art 5 Z 3 EuGVVO 2000 = Art 7 Z 2 EuGVVO 2012) als Klagen, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen 'Vertrag' im Sinne des Art 5 Z 1 anknüpfen“. Darunter fallen insbesondere auch Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb und aus der Verletzung von Immaterialgüterrechten. Örtlich zuständig für derartige Klagen ist das „Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“. Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH vertragsautonom dahin auszulegen, dass sie sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint (RIS‑Justiz RS0115357; RS0109078).

Zwar kann der Gerichtsstand für Deliktsklagen auch für Verfahren genutzt werden, die auf die Verhinderung des Eintritts eines Schadens abzielen, sodass der Schaden noch nicht eingetreten sein muss (arg: „einzutreten droht“, Kropholler/von Hein , Europäisches Zivilprozessrecht 9 Art 5 EuGVO Rz 73), jedoch haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt, dass eine unerlaubte Handlung iSd Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 ausgehend von den Behauptungen der klagenden Partei nicht vorliegt.

Die beklagte Partei macht einen Anspruch aus dem Vertrag mit der Generalunternehmerin der klagenden Partei geltend.

2. Die Revisionsrekurswerberin führt selbst aus, es sei dem Rekursgericht beizupflichten, dass die Geltendmachung eines gesetzlichen Rechts per se keine unerlaubte Handlung iSd § 5 Z 3 LGVÜ 2007 darstelle. Die Zuhilfenahme gerichtlich vorgesehener Instrumente zur Durchsetzung einer vermeintlich zustehenden Forderung ist zulässig. Dass die Ansicht des Rekursgerichts, die Berufung auf eine nach schweizerischem Zivilrecht bestehende Rechtsgrundlage könne keine unerlaubte Handlung sein, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweichen soll, vermag die Revisionswerberin nicht darzulegen.

3. Der Vorwurf, das Rekursgericht sei bei Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht von den Klagsangaben ausgegangen, trifft nicht zu. Die Behauptung sie habe schon im Verfahren erster Instanz vorgebracht, die beklagte Partei habe mit Schreiben vom 2. Dezember 2014 von ihr „Direktzahlung in Wien“ und in einer am 23. Dezember 2014 geführten Besprechung erneut Zahlung gefordert, ist unrichtig. Sie erhob tatsächlich (bloß) pauschal den Vorwurf, die beklagte Partei fordere trotz Hinterlegung ohne Rechtsgrundlage Zahlung.

4. Mit einer bloßen Aufforderung zur Zahlung wird der klagenden Partei noch kein Schaden zugefügt; es „droht“ ihr auch noch kein Schaden. Wenn sie schlicht nicht zahlt, was sie selbst in der Hand hat, kann ‑ ohne Hinzutreten weiterer Umstände ‑ ein Schaden nur durch die Aufforderung selbst nicht eintreten. Es müssen aber dafür, dass ein schädigendes Ereignis „droht“, konkrete Anhaltspunkte vorliegen; die unbestimmte Möglichkeit, dass ein Schaden irgendwann eintreten könnte, reicht nicht ( Kropholler/von Hein aaO Rz 76 mwN; Leible in Rauscher , EuZPR/EuIPR [2011] Art 5 Brüssel I-VO, Rn 84; ders in Rauscher , EuZPR/EuIPR 4 Art 7 Brüssel Ia‑VO Rn 115). Dass die klagende Partei vorhätte, wegen der Aufforderung tatsächlich zu zahlen, ist nicht ersichtlich. Dass eine Zwangsvollstreckung bereits droht, hat sie nicht behauptet.

5. Dass die bloße Aufforderung einer Partei, eine Forderung zu begleichen, ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die eine unerlaubte Handlung bzw einen Eingriff in eine rechtlich geschützte Position nahelegen, keine unerlaubte Handlung iSd Art 5 Z 3 LGVÜ II ist, ist offenkundig (acte clair, siehe RIS‑Justiz RS0123074; RS0075861). Ansonsten wäre die Zielsetzung jeder die Zuständigkeit regelnden Verfahrensordnung, auch des LGVÜ 2007, nämlich an unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedliche Zuständigkeiten zu knüpfen, völlig unterlaufen. Die im Regelfall schon zur Fälligstellung einer Forderung ergehende Zahlungsaufforderung bewirkte ‑ folgte man der unzutreffenden Auffassung der klagenden Partei ‑ immer und ausnahmslos den Gerichtsstand für eine Deliktsklage. Jeder Schuldner könnte (abgesehen von ausschließlichen Zuständigkeiten) ungeachtet des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses oder sonstiger Tatsachen nach Erhalt der Zahlungsaufforderung durch eine vorbeugende (negative) Feststellungsklage für sich einen Gerichtsstand am eigenen Sitz schaffen. Ob überhaupt ein inländischer Anknüpfungspunkt vorliegt, ist daher nicht mehr zu prüfen.

6. Da es dem Revisionswerber nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

7. Die beklagte Partei hat ohne gerichtliche Aufforderung eine Beantwortung zum außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten erstattet. Da dieser Schriftsatz angesichts der mangelnden Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht als der zweckmäßigen Rechtsverfolgung dienlich angesehen werden kann, hat sie diese Kosten selbst zu tragen.

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